Nikotin

Ich rauche nicht und habe niemals geraucht. Keine Zigarette, keine Zigarre, keine Pfeife, ja, ich muß es gestehen, nicht einmal Gras.

Weiß der Teufel, wieso ich ein leidenschaftlicher Nichtraucher geblieben bin. An sich hätte ich jeden denkbaren Grund, professioneller Kettenraucher zu sein. Ich lebe mindestens so gestreßt wie alle meine übrigen Landsleute, ich pflege Filme ohne Geld zu produzieren, ich muß jede Woche zu einem fixen Termin eine urkomische Geschichte abliefern, und zu alledem habe ich noch lange, nervöse Finger, wie geschaffen für tiefbraune Nikotinflecken.

Aber ich rauche nicht. Ich weiß, daß ich pervers bin. Falls der geneigte Leser Wert darauf legt, bin ich sogar bereit, mich dafür zu entschuldigen.

Einige Male in meinem Leben war ich allerdings nahe daran gewesen. Zum Beispiel damals, als ich in der unbesiegbaren ungarischen Armee meinen fröhlichen Wehrdienst absolvierte. Oder als ich im Kibbuz – wie jedes andere Mitglied auch – meine wöchentliche Zigarettenration aufgedrängt bekam, streng nach dem hehren Prinzip des Kollektivs: »Jeder nach seinen Bedürfnissen und ohne Widerspruch!« Aber, wie gesagt, im letzten Augenblick kam immer irgend etwas dazwischen. Und so bin ich dem Klub der hustenden Gelbfinger nie beigetreten.

»Warum, in Dreiteufelsnamen«, fluchte ich, »warum nur kann jeder dahergelaufene Mensch wie ein Fabrikschlot vor sich hinrauchen, und nur ich stehe daneben und atme Sauerstoff wie ein Dorftrottel?«

Eines Tages habe ich sogar einen befreundeten Psychoanalytiker gefragt, was mit mir los wäre. Ob ich an einem Trotzkomplex leide oder an etwas Schlimmeren.

»Keine Spur«, sagte mein Psy, »das ist nichts anderes als der unterbewußte Drang aufzufallen. Du willst nicht sein wie alle anderen, damit du dir besser vorkommst.«

»Wie recht du doch hast«, gab ich bekümmert zu, »obwohl mir immer wieder irgendwelche Gerüchte zu Ohren kommen, daß Rauchen ziemlich schädlich sein soll . . .«

»Snob!«

Mein gelehrter Freund warf mir einen vernichtenden Blick zu, oder zumindest schien es mir so. Ich konnte sein Gesicht durch die dichten Rauchschwaden nur undeutlich wahrnehmen.

In meiner Verzweiflung erstellte ich eine soziologische Untersuchung über das Rauchen als Reflexion gesellschaftlichen Statussymbols. Ich kam zu dem unerwarteten Ergebnis, daß fast alle gefürchteten Theaterkritiker und alle modernen Maler Kettenraucher sind.

Warum?

Keine Ahnung.

Ein weiteres Forschungsergebnis besagte, daß die neue Linke mehr raucht als die neue Rechte. Manchmal frage ich mich, ob man dem guten alten Anarchismus nicht auch ohne Nikotin frönen könnte? Aber es ist eine unausrottbare Tatsache, daß fortschrittliche Argumente Hand in Hand mit einer Rauchwolke dem Munde wirkungsvoller entströmen. Auch Journalisten werden nur selten ohne Zigarettenstummel im Mundwinkel gesehen. Dasselbe gilt für Franzosen, für arbeitslose Finanzminister und freischaffende Strichmädchen.

Familienstatistiken besagen, daß Mütter mehr rauchen, Väter weniger und die Kinder auf dem Klo.

Die Hälfte der Raucher ziehen den Rauch in die Lungen, die andere Hälfte nicht. Sie inhalieren ihn.

Teenager pflegen in den Sommerferien mit dem Rauchen zu beginnen, damit sie den Anfängerhusten vor Beginn der Schule los sind. Wohingegen Taxifahrer am liebsten im Winter rauchen, wenn die Wagenfenster dicht verschlossen sind.

Erfolgreiche Autoren arbeiten mit Pfeife. Je angesehener sie sind, desto wortkarger klammern sie sich an ihren Pfeifenstiel.

Schönheitsköniginnen hingegen kauen Gummi. Das hat den Vorteil, daß der üble Mundgeruch ohne schädliches Rauchen entsteht.

Und ich selbst rauche noch immer nicht.

Vielleicht liegt es daran, daß ich so viel Zeitung lese. Wann immer aus Aktualitätsmangel einige Spalten

frei bleiben, füllt man sie flugs mit den neuesten Forschungsergebnissen eines obskuren Wissenschaftlers, die dem Nikotinsüchtigen in leuchtendsten Farben sein düsteres Ende ausmalen. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft hat ein Raucher zwanzigmal bessere Chancen, Lungenkrebs zu bekommen, als ein schlichter Sünder wie ich. Außerdem ist man als Raucher mindestens zehnmal so empfänglich für Bronchitis, Laryngitis und andere Itisse.

Kein Wunder also, daß die Gesundheitsbehörden erwägen, die von den bedeutendsten internationalen Medizinern empfohlenen Abschreckungsmaßnahmen einzuführen.

Der Effekt ist verblüffend. Auf der einen Seite der farbprächtigen Zigarettenschachtel steht in ameisengroßen Lettern:

»Warnung! Der Bundesgesundheitsminister hält den Genuß von Zigaretten für gesundheitsschädigend.«

Auf der anderen Seite des besagten Päckchens prangt die marktschreierische Aussage: »Die sorgfältige Mischung aus edelsten Tabaksorten vermittelt das unverwechselbare Aroma und den reinen Genuß, den nur unsere seriöse Zigarettenmarke bietet.«

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Aussagen einander ein wenig zu widersprechen. Aber man gewöhnt sich rasch an solche Nichtigkeiten. Schließlich sind sie nicht auf derselben Seite der Schachtel gedruckt.

Dann gehen wir ins Kino – wo man nicht rauchen darf – und sehen vor dem Hauptfilm die Werbung. Sie zeigt uns einen braungebrannten amerikanischen Supercowboy. Er zündet erst für sich, dann für sein Pferd je eine Zigarette an, während uns eine sonore Stimme in eine Welt der Freiheit und des Abenteuers einlädt ...

Wieder andere Filmstars versichern uns, daß sie bereit wären, meilenweit zu Fuß zu gehen, um dem unverfälschten und erfrischenden Geschmack der neuesten King-Size zu huldigen.

Darunter natürlich: »Der Gesundheitsminister hat einen gewissen Verdacht . . .«

Unter uns gesagt, wenn die Gesetzgeber wirklich so sehr an unserer Gesundheit interessiert wären, wie sie vorgeben, dann müßten auf den Plakaten hohlwangige, ausgemergelte Wracks mit schwarzen Zähnen und gelben Fingernägeln zu sehen sein. Und daneben, in Cinemascope, Röntgenbilder von Lungenflügeln, die zu lange der Freiheit und dem Abenteuer ausgesetzt waren . . .

Wann also werden die Menschen aufhören zu rauchen?

Frühestens, wenn die Tabaksteuer eines Tages aufgehoben wird.

Mit anderen Worten, nie.

Abraham Kann Nichts Dafür. 66 Neue Satiren.
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