Plonski
Vor ein paar Tagen erwarteten wir Besuch aus Amerika. Es handelte sich um eine angesehene Persönlichkeit und einen glühenden Bewunderer des Heiligen Landes. Unser Bekannter – wir wollen ihn Bob nennen, unter anderem deshalb, weil er ohnehin so heißt – taumelte zitternd und blaß in unser Wohnzimmer. Auf unsere besorgte Frage, was ihm denn zugestoßen sei, erzählte er uns, er hätte im Autobus Plonski getroffen.
»Normalerweise nehme ich ja immer ein Taxi«, fuhr Bob fort, nachdem er sich mit einem Drink gestärkt hatte. »Aber heute entschloß ich mich, mit dem Bus zu fahren. Irgendwo habe ich einmal gelesen, daß dies für einen Touristen die beste Methode wäre, die wahre Atmosphäre eines Landes kennenzulernen. Mit dem Daumen auf dem Puls der Bevölkerung reisen, wenn Sie wissen, was ich meine. Also, da kam ein Bus daher, und ich fragte einen Mann, wohin dieser Bus führe. Der Mann war Plonski.«
»Ein Bekannter von Ihnen?«
»Ach wo! Ich habe ihn noch nie im Leben gesehen. Er stand zufällig neben mir an der Bushaltestelle und schien ein harmloser Bürger zu sein, der, seinem gestutzten Schnauzbart nach zu urteilen, vielleicht sogar Englisch verstünde. Es stellte sich ziemlich bald heraus, daß er lieber und nur Jiddisch sprach, hingegen aber denselben Weg hatte wie ich.
Also blieben wir zusammen und setzten uns gemeinsam auf die hinterste Bank.
Nach zwei Haltestellen legte Plonski plötzlich den Kopf an meine Schulter und begann zu weinen. Es war rührend, wenn auch recht peinlich.
Ich fragte ihn, was ihm zugestoßen sei, und er begann zu erzählen, daß ihn seine heißgeliebte Frau, diese billige Nutte, verlassen hätte. Sie lebe jetzt in New York, und ob ich sie nicht zufällig kenne. Ich versuchte ihn zu trösten, sagte ihm, es seien schon viel schlimmere Dinge auf der Welt passiert, und erkundigte mich ganz nebenbei nach seinem Namen. Plonski sagte mir, daß er Plonski heiße, und seine Frau Rivka, aber mit ef. Ich versicherte ihm, es täte mir leid, aber die Dame sei mir nicht bekannt.
»Na ja, New York ist schließlich kein Provinznest.«
»Eben. Das habe ich auch gesagt. Da begann Plonski zu jammern und zu betteln, ich möge doch seine Frau in New York anrufen und ihr ausrichten, sie möge unbedingt wieder zu ihm zurückkehren. Ich versprach ihm, mein Bestes zu tun, und schrieb die Adresse der Dame, mit ef, in mein Notizbuch. Plonski war außer sich vor Freude. Er fiel mir um den Hals, küßte mich ab und versicherte mir, ich sei ein Engel. Nach zwei weiteren Stationen aber wurden seine Augen plötzlich schmal, und er fragte mißtrauisch: ›Sagen Sie mal, wie kommen Sie eigentlich dazu, meine Frau einfach anzurufen?‹ Ich fragte völlig verwirrt zurück, was er damit sagen wolle und ob ich seine Frau nun etwa nicht anrufen solle, obwohl er mich doch eben darum angefleht hätte. Da packte er mich am Hals . . .«
»War er stark?«
»Stark nicht, aber zornig. Jedenfalls packte er mich an der Gurgel, schüttelte mich wie einen Mixdrink und begann zu schreien: ›Ich bringe dich um, wenn du an meine Frau auch nur einen Gedanken verlierst, du elender Schuft. Ich kenne euch amerikanische Halunken, ich bin nicht von gestern!‹ Die Passagiere drehten ihre Köpfe nach uns und ließen einige abfällige Bemerkungen über Touristen fallen, die glaubten, sie könnten für ihre schmutzigen Dollars alles kaufen. Hoch und heilig schwor ich Plonski, Frau Rifka nicht anzurufen, nicht für alles Geld der Welt, aber er gab meine Gurgel erst frei, nachdem ich mein Notizbuch in tausend kleine Fetzen zerrissen hatte. An der nächsten Haltestelle stieg ich aus. Plonski würdigte mich keines Blickes und murmelte vor sich hin, er hätte eigentlich wissen sollen, daß man diesen Lumpen von Ausländern nicht über den Weg trauen dürfe.«
»Man kann so etwas nicht verallgemeinern«, meinte ich. »An Ihrer Stelle würde ich jedoch seltener Autobus fahren.«
»Ich teile Ihre Meinung«, versicherte mir Bob und bat mich, ihm einen Krankenwagen zu bestellen.