Veteranen
Eigentlich wollte ich schon vor 35 Jahren, als ich blutjung ins heilige Land einwanderte, von seinen tollkühnen Haudegen erzählen. Ich spreche natürlich von den sonnengebräunten, verrunzelten Veteranen, die schon mit Ben Gurion ins Land kamen, damals, als der Shekel noch Pfund war und der Piaster noch Piaster.
Normalerweise beginnt ein Gespräch mit einem dieser Veteranen damit, daß er eine honorige sozialkonservative Zeitung liest, während unsereiner, klein und bescheiden, neben ihm auf einer Parkbank Platz nimmt. Natürlich blickt so ein Veteran nicht einen Augenblick von seiner Zeitung auf, aber sein angeborener Instinkt sagt ihm, daß sich ein Opfer in greifbarer Reichweite befindet.
Nach einigen Minuten wird er sich also an mich wenden und ganz beiläufig fragen:
»Junger Mann, haben Sie das neue Stück im Nationaltheater gesehen?«
Darauf sagt man ja, oder nein, je nachdem. Aber das spielt keine Rolle. Der nächste Satz unseres Veteranen wird auf jeden Fall lauten: »Ich kann mich noch erinnern, als die russischen Schauspieler zum ersten Mal in unser Land kamen.«
Natürlich ist dies das Stichwort für die Frage: »Darf ich wissen, wann Sie selbst ins Land gekommen sind?«
»Heho!« ein stolzes Grinsen verklärt die gebräunten Runzeln. »Schätzen Sie mal!«
Man schätzt sechzig Jahre, aber aus purer Höflichkeit sagt man dreißig.
»Mehr!« strahlt er. »Viel mehr.«
»Dreiundvierzig?«
»Siebenundvierzigeinhalb, junger Mann!« Daraufhin fällt man in Ohnmacht und wird erst vom Fächeln der sozialkonservativen Zeitung wieder zum Bewußtsein gebracht. Man flüstert ehrerbietig: »Siebenundvierzigeinhalb Jahre! Unglaublich! Ihre Eltern müssen vom wahren Pioniergeist beseelt gewesen sein, daß sie mit einem so kleinen Kind die Reise ins heilige Land wagten.«
Die Augen des Veteranen verraten eine Kränkung dritten Grades, weil nicht seine, sondern die Leistung seiner Eltern gewürdigt wird. Er geht mit gerunzelter Stirn darüber hinweg und verkündet: »Im Jahr 1921 kostete ein Theaterabonnement nur einen Piaster.«
»Bist du verrückt geworden, Avrasha?« mischt sich hier ein Veteranenkollege ins Gespräch. »Für zehn Piaster konnte man in der Altstadt von Jerusalem ein Haus mit Garten kaufen. Ich erinnere mich, das man mir damals eine funkelnagelneue Lokomotive mit zwei Waggons für drei Shilling angeboten hat. Wissen Sie eigentlich, junger Mann, was zu der Zeit ein Shilling wert war?«
»Ein Shilling: fünf Piaster.«
»Haha«, die beiden lachen herablassend. »Sie haben keine Ahnung! Wir wissen noch genau, daß sich der Oberingenieur des Elektrizitätswerkes erhängte, weil er zwanzig Piaster, das ganze Grundkapital der Gesellschaft, im Poker verspielt hatte. In den guten alten Zeiten bekam man eine junge Kuh für zwei Piaster. Für vier Piaster konnte man von Kairo nach Petersburg fahren, und zwei Paar Hosen kosteten einen halben Piaster. Mit anderen Worten, es war schier unmöglich, eine einzelne Hose zu kaufen. Ja, das waren noch Zeiten«, seufzen die beiden. »Damals wußte man noch, wofür man arbeitete.«
»Und«, erkundigt man sich daraufhin, »und wie hoch war damals der Monatslohn?«
»Eineinhalb Piaster.«
»Wo ist denn dann der Unterschied?«
»Der Unterschied?« die beiden schmunzeln verklärten Blickes. »Wir waren fünfzig Jahre jünger, mein Lieber, fünfzig volle Jahre.«