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So jung und schon den Teufel im Leib
Lady Beatrix Lennox war geneigt zu glauben, dass ihre Mühe beim Ankleiden vergeudet gewesen war. Bei einer Gesellschaft, die von der skandalumwitterten Lady Rawlings gegeben wurde, hatte sie mehr Aufregung erwartet. Aber abgesehen von den Gästen, die Arabella mitgebracht hatte, war lediglich Gräfin Godwin anwesend, und diese interessierte Bea nicht sonderlich. Zum einen war sie eine Frau. Zum anderen war sie erschreckend prüde, und es war schon erstaunlich, dass die berüchtigte Lady Rawlings sie zur Freundin erkoren hatte. Und außerdem hatte Bea wenig Geduld mit Frauen, die sich in der Rolle der Ehefrau als Märtyrerin gefielen.
Wäre ich töricht genug zu heiraten, dachte Bea, während sie gelangweilt auf das Fenster zuschlenderte, und wäre mein Ehemann so untreu wie der Earl of Godwin, dann würde ich ihn mit einer Gabel attackieren. Draußen war nichts zu sehen außer ein paar Mauern, auf denen rostfarbene Farne wuchsen. Sie trank einen Schluck Sherry. Er schmeckte ein wenig streng und passte ausgezeichnet zu der Stimmung des trüben Nachmittags.
Ein Ehemann, der sich eine Opernsängerin in das Schlafgemach seiner Frau holte, verdiente es, verprügelt zu werden. Zerbrochenes Porzellan kam ihr in den Sinn. Sie hätte diesem Mann unverzüglich bessere Manieren beigebracht.
Als ihr jemand auf die Schulter tippte, hatte Bea ihrer Fantasie die Zügel schießen lassen und war bereits bei einem Handgemenge mit der erfundenen Mätresse ihres erfundenen Gemahls angelangt. Überrascht drehte sie sich um. Vor ihr stand niemand anderes als die Gräfin.
Sie knicksten und tauschten die üblichen Höflichkeiten aus, dann drehte sich die Gräfin zum Fenster und starrte schweigend auf die rostfarbenen Farne hinaus. »Sie haben so gebannt hinausgeschaut, dass ich schon dachte, draußen gäbe es etwas Außergewöhnliches zu sehen«, sagte sie dann. »Ich hatte ganz vergessen, dass diese Fenster auf den hinteren Hof hinausgehen.«
Bea wurde von einem schlimmen Überdruss erfasst, der sie schon des Öfteren in Schwierigkeiten gebracht hatte. »Ich habe gerade über untreue Ehemänner nachgedacht«, gestand sie und schaute angelegentlich auf die Farne statt auf die Gräfin.
»Ach?« Die Gräfin wirkte erstaunt, jedoch nicht entsetzt. »Einen davon habe ich. Ich hoffe, Sie beabsichtigen nicht, meinem Beispiel zu folgen.«
Bea lachte. »Ich hege keinerlei Heiratspläne, also werde ich eine solch harte Nuss hoffentlich nie zu knacken haben.«
»Ich bin mit meinem Mann durchgebrannt«, erzählte die Gräfin ein wenig verträumt. »Daran lag es wohl. Eine heimliche Ehe schließt man im Rausch flüchtiger Bekanntschaft. Und bloße Bekanntschaft ist keine gute Basis für die Ehe.«
»Ich habe heimliche Hochzeiten eigentlich immer romantisch gefunden«, sinnierte Bea, deren Neugier nun geweckt war. Sie fand es schwer vorstellbar, dass jemand wünschen sollte, Lady Godwin zu entführen. Die Gräfin war eine schlanke Person mit hohen Wangenknochen und vielen Zöpfen, die ihr ein geradezu mittelalterliches Aussehen verliehen. Außerdem war sie erschreckend flachbrüstig. Beas Unterkleidung hob geschickt auch noch das kleinste bisschen ihrer weiblichen Kurven hervor und suggerierte obendrein mehr. Sie hegte eine lebhafte Verachtung für Frauen, die Kleidung nicht zu ihrem Vorteil nutzten.
»Ich muss wohl eine Entführung und heimliche Heirat ebenfalls romantisch gefunden haben«, gestand die Gräfin, während sie Platz nahm. »Doch heutzutage kann ich das nicht mehr gutheißen. Aber es ist ja auch Jahre her, und damals war ich noch ein blutjunges törichtes Ding.«
Beas Gedanken kehrten zu ihren blutrünstigen Fantasien zurück. »Haben Sie denn nie erwogen, Ihren Mann gründlich an die Kandare zu nehmen?«
»Ihn an die Kandare nehmen?« Fragend sah die Gräfin zu ihr auf.
Beas Interesse wuchs. Es dürfte allemal amüsanter sein, dem ehelichen Kummer der Gräfin zu lauschen, als rostfarbene Farne zu betrachten. Sie setzte sich neben Helene. »Warum haben Sie die Opernsängerin denn nicht aus Ihrem Schlafzimmer vertrieben?«, fragte sie in einem Ton, als erkundigte sie sich nach der Uhrzeit. Selbst für Bea, die man als Expertin für Skandale bezeichnen konnte, war es ein herrlich unanständiges Gesprächsthema. Doch die Gräfin wirkte keineswegs verärgert.
»Warum hätte ich das tun sollen?«, erwiderte sie und schaute in ihr Sherryglas.
»Ich würde einer anderen Frau niemals den Zutritt zu meinem Schlafgemach gestatten.«
»Die fragliche Dame zu vertreiben würde voraussetzen, dass ich geneigt wäre, dieses Gemach zu betreten.«
Bea wartete geduldig. Sie wusste, dass Schweigen zuweilen interessante Geständnisse zutage förderte.
»Wenn sie nicht in meinem Bett läge«, fuhr die Gräfin fort, »dann wäre es eben eine andere. In meinen Augen ist sie ein notwendiges Übel. Ein Missstand, von dem alle Welt weiß. So etwas wie eine Wärmflasche.«
Bea schluckte. Jetzt wusste sie, warum die als äußerst sittsam bekannte Gräfin Godwin mit der berüchtigten Lady Rawlings befreundet war. »Eine Wärmflasche?«
Die Gräfin nickte und sah so heiter aus wie eine Herzoginnenwitwe, die über eine Kindstaufe spricht.
Bea konnte ihren Standpunkt durchaus verstehen. Wenn Lady Godwin nicht gewillt war, das eheliche Lager mit ihrem Mann zu teilen, dann sprang eben die Opernsängerin ein. Doch alle Welt wusste, dass Lady Godwin im Hause ihrer Mutter lebte statt in dem ihres Mannes am Rothsfeld Square.
»Das ist nicht fair«, behauptete Bea. »Sie müssten in Ihrem eigenen Hause leben. Immerhin sind Sie mit dem Mann verheiratet!«
Die Gräfin warf ihr einen bitteren Blick zu. »Finden Sie, dass das Leben fair zu Frauen ist, Lady Beatrix? Wir beide können es doch gleichermaßen beklagenswert nennen.«
Bis jetzt war Bea nicht ganz sicher gewesen, ob die Gräfin sich an den Skandal erinnerte. »Ich halte mich nicht für beklagenswert.«
»Falls mich mein Gedächtnis nicht trügt, wurden Sie mit Sandhurst in einer eindeutigen Situation ertappt. Sein Ruf hat unter dem Skandal nicht im Geringsten gelitten, Ihrer hingegen war ruiniert. Sie wurden Ihres Heimes verwiesen und« – sie hielt inne und suchte nach den richtigen Worten – »fortan von vielen Ihrer Bekannten geschnitten.«
»Aber ich wollte Sandhurst nicht heiraten!«, betonte Bea. »Natürlich hätte sich der Sturm verzogen, wenn ich ihn geheiratet hätte. Aber ich habe ihm einen Korb gegeben.«
»Und ich hatte angenommen, er habe Ihnen gar keinen Antrag gemacht«, gestand die Gräfin. Sie überlegte kurz. »Warum wollten Sie Sandhurst nicht heiraten?«
»Er war mir nicht sonderlich sympathisch.«
Die Gräfin schwenkte ihren Sherry, dann stürzte sie das Glas in einem Zug hinunter. »Dann sind Sie sehr viel klüger als ich, Lady Beatrix. Ich habe meine Abneigung gegen meinen Mann erst entdeckt, als ich bereits verheiratet war.«
Bea lächelte sie an. »Vielleicht sollte man Gretna Green verbieten.«
»Vielleicht. Sind Sie der festen Ansicht, dass Sie niemals heiraten werden?«
»Ja.«
»Und waren Sie schon immer dieser Ansicht?«
Vermutlich wusste die Gräfin ebenso gut wie Bea, dass kein achtbarer Mann mit einer derart übel beleumdeten Frau die Ehe eingehen würde. Bea schwieg.
»Natürlich haben Sie geglaubt, Sie würden eines Tages heiraten«, sagte die Gräfin wie zu sich selbst. »Sonst hätten Sie Sandhursts Antrag niemals ausgeschlagen. Es tut mir leid.«
Bea zuckte die Achseln. »In meinem Fall sind die Jungmädchenträume von der Wirklichkeit eingeholt worden. Einen Ehemann wie den Ihren würde ich aber auf keinen Fall ertragen, Mylady. Wahrscheinlich würde ich ihm etwas antun. Ich versichere Ihnen, meine jetzige Lage ziehe ich bei Weitem vor.«
Lady Godwins Lächeln erhellte ihr ganzes Gesicht. Bea stellte überrascht fest, dass ihre Physiognomie dadurch vollkommen verändert wurde. Sie wirkte nun nicht mehr wie ein mittelalterliches Burgfräulein, sondern auf eine ganz eigene Art bezaubernd.
»Und was genau würden Sie meinem Mann antun?«, fragte Lady Godwin neugierig. »Sie müssen übrigens Helene zu mir sagen. Noch nie habe ich eine solch intime Unterhaltung mit einer mir vollkommen Fremden geführt.« Tatsächlich war Helene über sich selbst erstaunt. Beatrix Lennox verfügte über einen Esprit, der sie stark an Esme erinnerte. Das musste wohl die Erklärung dafür sein, dass sie, Helene, so ungewöhnlich offen war.
»Mit dem größten Vergnügen, aber nur, wenn Sie mich Bea nennen. Soweit ich es verstehe, wünschen Sie nicht, dass Ihr Gemahl in Ihrem Leben eine … tatkräftige Rolle spielt.« Sie bemühte sich um Feinfühligkeit. Zartsinn war nicht gerade eine ihrer Stärken.
Helene stieß ein kurzes, fast ruppiges Lachen aus. »Richtig.«
»Ich an Ihrer Stelle würde es ihn entgelten lassen. Ich würde dafür sorgen, dass er es bitter bereut, jemals mein Bett verlassen zu haben. Und gleichzeitig würde ich ihm deutlich machen, dass es nicht die leiseste Hoffnung auf Rückkehr gibt.«
»Mein ist also die Rache?«, fragte Helene erstaunt. Der Gedanke an Rache behagte ihr sehr. Es gab Tage – wie zum Beispiel den, als Rees seine Dirne in der familieneigenen Opernloge präsentiert hatte –, an denen sie von dem Wunsch beherrscht wurde, ihm ernstlich Schaden zuzufügen.
»Ganz recht.« Bea nickte begeistert. »Zudem ist Rache nicht nur an sich süß, sondern auch eine Quelle des Vergnügens. Sie, Lady Godwin …«
»Helene.«
»Helene«, wiederholte Bea gehorsam. »Sie genießen einen Ruf, von dem wir anderen hier nur träumen können.«
Helene blickte sich im Salon um. Es stimmte: Bea, Lady Arabella und vor allem Esme konnte man wohl kaum als Inbegriffe der Schicklichkeit bezeichnen. »Aber Esme ist gerade dabei, ein neues Leben zu beginnen«, protestierte sie. »Sie träumt davon, eine tugendhafte Ehefrau, vielmehr Witwe, zu werden.«
Bea zuckte die Achseln. »Lady Rawlings mag nach einem keuschen Ruf streben, ich jedoch mit Sicherheit nicht. Und auch bei Arabella kann ich diesen Ehrgeiz nicht entdecken. Worauf ich hinauswill, ist Folgendes: Sie sind höchst schamlos von einem Mann gekränkt worden, und dennoch sind Sie die Vorsichtigste von uns allen. Ich an Ihrer Stelle wäre in Zukunft etwas mutiger und würde meinem Mann einen Liebhaber präsentieren.«
»Das täte ich vielleicht auch, wenn es ihm etwas ausmachte. Aber Rees würde sich den Teufel darum scheren.«
»Unsinn! Männer sind wie Hunde: Auch wenn sie selbst kein Heu fressen, wollen sie die Futterkrippe für sich haben. Wenn Sie eine Affäre hätten und auch in der Öffentlichkeit keinen Hehl daraus machten, würde ihm die Galle überlaufen«, dozierte Bea genussvoll. Es war befriedigend zu sehen, mit welcher Hingabe die Gräfin lauschte. »Ganz abgesehen von der Tatsache, dass Sie sich bestens amüsieren würden.«
»Ach, du meine Güte!«, rief Helene aus. Dann breitete sich wieder ein Lächeln über ihr ganzes Gesicht aus. »Die Vorstellung, dass ihm die Galle überliefe, gefällt mir ungemein.«
»Ihr Ehemann hat von allem das Beste bekommen«, fuhr Bea gnadenlos fort. »Er hat seine Opernsängerin und er hat Sie. Alle Welt weiß, dass Sie ihm treu sind.«
Helene biss sich nachdenklich auf die Lippen. »Das Problem ist nur, dass ich erst irgendwo einen Liebhaber auftreiben müsste«, überlegte sie.
»Ganz recht!« Bea lächelte sie an. »Sie haben nichts zu verlieren als Ihren guten Ruf, und was hat er Ihnen bisher eingebracht?«
»Achtbarkeit?«
Aber Bea wusste, dass sie die Gräfin an der Angel hatte. Sie schwieg und betrachtete Helene von ihrem Zopfkranz bis zu den Schuhspitzen. Und Beas Blick sprach Bände.
»Ich glaube, auf der Schule haben sie mich vor Frauen wie Ihnen gewarnt«, sagte Helene.
Bea blinzelte so heftig, dass die Aufmerksamkeit auf ihre langen Wimpern gelenkt wurde. »So jung und doch schon den Teufel im Leib?«
»Etwas in der Art.« Doch Helene war unsanft auf die Erde zurückgekehrt. Sie schaute wieder in die Tiefen ihres Sherryglases. »Ich hege jedoch nicht die leiseste Hoffnung, einen Mann so zu fesseln, dass ich mit ihm eine Affäre beginnen könnte. Seit Jahren habe ich keinen amourösen Antrag mehr erhalten. Fast glaube ich, mein Mann war der Erste und zugleich der Letzte, der etwas von mir wollte.«
»Unsinn. Männer gibt es überall!« Bea lächelte ermutigend.
Vielleicht für eine Frau wie dich, dachte Helene bedrückt. Du erhältst gewiss tagtäglich Anträge dieser Art.
»Wobei ich zugeben muss, dass die Männer auf dieser Party eher dünn gesät sind«, fuhr Bea fort. »Was ist mit diesem – diesem Politiker, den Arabella zu uns aufs Land beordert hat? Ich habe seinen Namen vergessen.« Sie nickte in seine Richtung.
»Mr Fairfax-Lacy?« fragte Helene. »Ich weiß nicht, ob er der Richtige …«
»Ja, ich habe gerade in der gleichen Richtung gedacht: Kirchenväter, Schicklichkeit, Ehre, das Alte Testament … ein langweiliger Puritaner!« Puritaner war Beas schlimmstes Schimpfwort.
»So habe ich das nicht gemeint! Ich finde Mr Fairfax-Lacy eigentlich recht anziehend, aber er wäre wohl kaum der geeignete Kandidat für eine unbedachte Affäre. Geschweige denn vor den Augen meines Mannes. Die Männer sehen in mir keine Frau für solche Dinge.«
Bea zögerte mit der Antwort. Es ging wohl kaum an, dass sie einer Frau, die sie eben erst kennengelernt hatte, Ratschläge in Bezug auf Kleidung gab. Sie schlug eine neue Marschroute ein. »Gerade diese altmodischen Männer sehnen sich zuweilen nach Abwechslung«, meinte sie. »Warum hätte er wohl sonst Arabellas Einladung angenommen? Eine Gesellschaft bei der berüchtigten Esme Rawlings ist gewiss nicht die angemessene Zerstreuung für einen besonnenen Staatsdiener. Und Arabella selbst ist nicht an ihm interessiert, das hätte sie mir gesagt. Sie kann junge Männer nicht ausstehen.«
Beide schauten nun zu Mr Fairfax-Lacy hinüber, der auf der anderen Seite des Salons mit der Gastgeberin plauderte.
»Glauben Sie, dass er etwas von Musik versteht?«, fragte Helene mit Zweifel in der Stimme.
»Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?«
»Ich könnte nie … denn ich liebe sie … ich will sagen, ich könnte nie mit einem Mann zusammen sein, der sich nicht für Musik interessiert.«
Genau in diesem Augenblick schritt Mr Fairfax-Lacy auf das Pianoforte zu, das in einer Ecke des Salons stand, setzte sich, indem er Esme charmant zuzwinkerte, und begann, eine flotte Melodie zu spielen.
»Und – genügt er Ihren Anforderungen?«, erkundigte sich Bea. Sie selbst hatte Harfenunterricht bekommen, da ihr Vater der Ansicht war, kleine klimpernde Melodien passten gut zur weiblichen Gedankenwelt.
»Im Hinblick auf seinen Geschmack nicht«, entgegnete Helene ein wenig säuerlich. »Er spielt eine Arie meines Mannes. Sie wissen, dass mein Mann komische Opern komponiert?«
Bea nickte, obwohl sie es nicht wusste. Helene war mit einem Earl verheiratet. Pflegten Earls komische Opern zu komponieren?
»Dieses Stück stammt aus seiner Oper Der weiße Elefant. Schauderhaft«, lautete Helenes vernichtendes Urteil. »Wobei die Oper als Ganzes gar nicht so schlecht ist. Nur diese Arie ist eine Katastrophe.«
»Warum denn?«
»Die Sopranistin musste ein ›F‹ in der Altstimme singen. Das arme Ding wäre bei dem Versuch fast erstickt, während das Publikum glaubte, es liege an dem zu engen Mieder.« Helene ließ ihren Blick durch den Salon schweifen. »Und die Ouvertüre enthält so viele Dissonanzen, dass das Orchester sich anhörte, als hätte es kaum geprobt. Es war eine heillose Katastrophe. Und dass Mr Fairfax-Lacy ausgerechnet diese Arie mag und auswendig spielen kann, spricht nicht gerade für seinen Geschmack.«
Doch Bea hatte bereits beschlossen, dass Helene und der Politiker gut zusammenpassen würden. Da konnte sie auf keinen Fall zulassen, dass sein schlechter Musikgeschmack Helene in irgendeiner Weise beeinflusste. »Ich werde Sie zum Klavier begleiten, und dann können Sie Mr Puritaners Musikgeschmack verbessern, wenn Sie mögen«, schlug sie vor. »Männer lieben es, von einer schönen Frau belehrt zu werden. Und während Sie das tun, können wir abschätzen, ob er die Zeit und die Mühe wert ist. Er hat nämlich das Alter erreicht, in dem Männer in der Taille ein wenig breiter werden, und das ist viel schlimmer als ein schlechter Musikgeschmack. Glauben Sie mir.«
»Meiner Erfahrung nach können Männer es nicht ausstehen, belehrt zu werden«, wandte Helene ein, »und ich bin wohl kaum …« Doch Bea zog sie bereits wie ein entschlossener kleiner Schlepper durch den Salon.
Stephen schaute auf und sah dieses übel beleumdete Weibsstück, Lady Beatrix, sowie die anmutige Lady Godwin über den Rand des Pianofortes spähen. Seine Finger versagten ihm beinahe den Dienst, als er erkannte, welchen Fehler er mit seiner musikalischen Darbietung begangen hatte, und er sprang hastig auf.
Doch die Gräfin lächelte ihn freundlich an, obgleich in ihren Augen Belustigung stand. Er erwiderte ihr Lächeln, wenn auch ein wenig gequält.
Lady Beatrix lächelte ebenfalls, aber er wollte verdammt sein, wenn sie es nicht schaffte, jedes harmlose Lächeln in eine schamlose, laszive Einladung zu verwandeln! Sie ließ ihre Augen mit lüsternem Ausdruck über seinen Körper gleiten und hielt auf Taillenhöhe inne. Glücklicherweise war Stephens Bauch noch genauso flach wie an dem Tag, als er Oxford verlassen hatte – oder blickte das dreiste Weibsstück etwa noch südlicher? Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine unvorsichtige Affäre mit einem unverheirateten Mädchen, das den Ruf einer Kokotte genoss.
Er riss seine Augen von ihr los und richtete sie auf die Gräfin. »Lady Godwin, ich hatte vor einigen Jahren das Vergnügen, bei einem Hauskonzert eine Ihrer canzone zu hören. Würden Sie uns die Freude machen, eine eigene Komposition zu spielen?«
Lady Godwin honorierte seine Anfrage mit einem zurückhaltenden und doch freundlichen Lächeln und nahm seinen Platz hinter den Tasten ein. »Ich würde Ihnen gern etwas anderes vorspielen, denn meine Kompositionen bringe ich selten in der Öffentlichkeit zu Gehör.«
Zu Stephens Erstaunen schien Beatrix Lennox gar nicht gemerkt zu haben, dass er sie brüskiert hatte. Vielleicht waren ihre offenherzigen Einladungen überhaupt nicht persönlich gemeint. Als sie sich über das Pianoforte beugte, sah sie wie ein Schulmädchen aus – ein absurder Vergleich angesichts ihres tiefen Ausschnitts. Fast war es, als berührten ihre Brüste die glänzende Oberfläche des Instruments.
»Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie komponieren, Helene!«, rief Bea bewundernd aus. »Was für ein wunderbares Talent. Spielen Sie doch bitte etwas, das Sie selbst komponiert haben!« Und als Lady Godwin zögerte, drängte die Jüngere: »Bitte!«
Stephen musste insgeheim zugeben, dass eine bittende Lady Beatrix beinahe unwiderstehlich war. Lady Godwin errötete und nickte ergeben.
»Möchten Sie lieber etwas Klassisches hören oder etwas Neues?«
»Oh, etwas Neues!«, rief Lady Beatrix.
Selbstredend, dachte Stephen. Diese oberflächlichen jungen Frauen waren ja stets auf der Jagd nach den neuesten Attraktionen.
Lady Godwin lächelte. »Nun gut. Aber dann muss ich Sie auch um einen Gefallen bitten.«
Stephen verneigte sich. »Für das Vergnügen, Ihre Musik hören zu dürfen, können Sie alles verlangen.«
»Ich arbeite zurzeit an einem Walzer, und es ist sehr schwierig, während der Übergänge den Takt zu halten. Würden Sie bitte mit Lady Beatrix tanzen, während ich spiele?«
Stephen starrte sie verblüfft an. »Ich fürchte, ich bin kein guter Walzertänzer.«
Lady Beatrix zog mokant eine ihrer dünnen schwarzen Brauen hoch. »Bei einem Weihnachtsfest habe ich meinem Großvater, der sehr wackelig auf den Füßen ist, Walzer beigebracht.« Ihr reizendes Lächeln vermochte ihn keinen Augenblick zu täuschen.
Sie verglich ihn mit ihrem Großvater. Eine Welle des Zorns erfasste Stephen.
»So schwer ist Walzer wirklich nicht«, versicherte Helene. »Sicherlich werden Sie leichtfüßiger sein als meine Musik, Mr Fairfax-Lacy.« Sie wandte sich an die Gastgeberin. »Esme, darf ich deine Gäste für eine praktische Übung in Anspruch nehmen? Mr Fairfax-Lacy und Lady Beatrix sind so freundlich, es einmal mit meinem Walzer zu versuchen.«
»Ich wünschte nur, ich könnte noch tanzen«, erwiderte Lady Rawlings heiter, stemmte sich aus ihrem Sessel hoch und winkte dem Butler. Geschwind räumten ein paar Lakaien eine große Fläche in der Mitte des Rosensalons frei.
Stephen blieb misstrauisch. Sein Sitz im Unterhaus ließ ihm zu wenig Zeit, um Frauen auf dem Tanzparkett umherzuwirbeln, und schon gar nicht zu diesen neumodischen Wiener Melodien. Verflucht, er konnte die Male, die er Walzer getanzt hatte, an einer Hand abzählen. Und nun sollte er es gar vor Publikum tun. Steifbeinig schritt er auf das Parkett. Lady Beatrix musste natürlich vor ihm auf den Tanzboden eilen, um ihre zierliche, wohlproportionierte Figur zur Schau zu stellen. Nun, gar so zierlich auch wieder nicht. Er war ein großer Mann, und dennoch wirkte sie neben ihm nicht wie eine Zwergin.
Stephen schaute sich noch einmal zu Lady Godwin um. Wirklich, eine sehr anziehende Frau. Sie erinnerte ihn an einen kühlen, erfrischenden Trunk.
»Das ist wirklich zu liebenswürdig von Ihnen!«, rief sie ihnen zu. »Sie müssen mir später ganz ehrlich sagen, was Sie von meinem Walzer halten.«
Stephen verneigte sich gemessen vor Lady Beatrix. »Darf ich um diesen Tanz bitten?«
»Mit Vergnügen«, antwortete sie mit züchtigem Augenaufschlag.
Falls man das züchtig nennen konnte. Das schläfrige, sinnliche Lächeln, das sie zur Schau trug, sollte im Grunde verboten werden. Es war vielsagend ohne Worte. Warum in aller Welt gab sie sich Mühe, einen Mann, der ihr Großvater sein könnte, so einladend anzuschauen? Es konnte gar nicht persönlich gemeint sein!
»Es gibt eine kleine Einleitung, bevor der eigentliche Walzer beginnt«, teilte Lady Godwin ihnen mit. Sie nickte, senkte die Hände auf die Tasten, und die Musik setzte ein.
In diesem Walzer kamen keine der förmlichen Schritte vor, an die Stephen sich vage erinnerte. Nein, dazu war der Tanz viel zu schnell.
Einen Augenblick stand er wie erstarrt, hatte bereits seinen Einsatz verpasst. Dann schlang er seinen Arm um Lady Beatrix’ Taille, fasste ihre Hand und stürzte sich in die Schlacht.
Sie galoppierten mitten durch den Salon. Stephen wollte lieber keine Drehung versuchen, da er vollauf damit beschäftigt war, dem Takt zu folgen. Da brach die Musik unvermittelt ab.
»Es tut mir ja so leid!«, rief Lady Godwin hinter dem Pianoforte. »Der Takt ist viel zu schnell. Das wird mir jetzt klar. Einen Augenblick bitte …«
Stephens Partnerin kicherte. »Sie sind doch viel beweglicher als Großvater.« Ihr Gesicht war rosig überhaucht, und ihre Brust hob sich in heftigen Atemzügen.
Es bestand die akute Gefahr, dass ihr Kleid zur Taille hinabrutschen würde, dachte Stephen mit plötzlich gewecktem Interesse. Für ein Schulmädchen hatte sie eine prächtig entwickelte Brust. Wobei sie allerdings kein Schulmädchen mehr war, nur sehr, sehr viel jünger als er.
»Sie scheinen gar nicht außer Atem zu sein«, bemerkte sie.
»Wir beginnen noch einmal von vorn!«, verkündete Lady Godwin.
Stephen legte nun seine Hand fester um die Taille seiner Partnerin. Dieses Mal setzte die Musik langsamer ein, also wagte er eine Drehfigur. Plötzlich fiel ihm ein, wie gern er früher getanzt hatte, doch das war vor langer Zeit gewesen, bevor er in die Politik gegangen war. Jetzt blieb ihm keine Zeit für derlei Frivolitäten. Die Musik trug sie über das Parkett, nahm schon wieder an Tempo zu. Eins, zwei, drei! Eins, zwei, drei! Schneller und schneller drehten sie sich. Lady Beatrix lächelte wie das Schulmädchen, das sie nicht mehr war, und ihre Augen strahlten vor Vergnügen.
»Darf ich Ihnen ein Kompliment machen?«, fragte sie, sichtlich außer Atem. »Sie folgen diesem raschen Takt außerordentlich gut.«
Sprach sie ihm ein Kompliment aus, weil er sich für sein Alter gut hielt? »Dasselbe könnte ich von Ihnen sagen«, erwiderte Stephen steif. Verärgert stellte er fest, dass die Hand, die auf ihrer Taille lag, zu kribbeln begonnen hatte. Dass es ihm ausnehmend gut gefiel, solch ein üppiges Weib in den Armen zu halten … Sie hingegen dachte ja wohl, er sei reif für den Abdecker. Es war widerwärtig.
Kein Mann konnte von einer solchen Frau unberührt bleiben. Stephen fühlte mit der Hand an ihrem Rücken, dass Lady Beatrix kein Korsett trug. Bei der nächsten Drehung streifte er ihr Bein. Wenn dieser Tanz in meiner Jugend in Mode gewesen wäre, dachte er unvermittelt, dann wäre ich jetzt ein verheirateter Mann. Es war einfach berauschend, eine Frau bei diesem Tanz im Arm zu halten. Kein Wunder, dass die alten Schachteln bei Almack’s der Ansicht waren, Walzer sei zu anstößig. Noch nie war Stephen einer Liebeswerbung durch Musik so nahe gekommen.
Der Musik schwoll an und riss sie mit. Doch dann wurde sie unvermittelt langsamer und melancholisch, wechselte in eine Molltonart. Auch auf deren Schwermut glitt das Paar dahin. Diese wunderbar geschwungene Unterlippe kann nicht durch künstliche Mittel betont worden sein, dachte Stephen zerstreut.
»Sie findet wohl in der Musik einen Ausdruck für ihre Ehe«, sagte Lady Beatrix leise und sah ihm in die Augen. »Wenn man sich anhört, wie traurig die Melodie geworden ist …«
Es war außerordentlich gewagt, zu einem vollkommen fremden Mann über die Ehe der Gräfin zu sprechen! Sie behandelte ihn wie einen alten Bekannten, wie einen Onkel oder ihren verdammten Großvater. Und erwartete ganz offensichtlich eine Antwort. »Darin kann ich Ihnen nicht beipflichten«, sagte Stephen steif. »Ich würde diese Musik eher als schicksalsergeben bezeichnen.«
»Das ist sogar noch trauriger«, sinnierte Lady Beatrix.
Sobald der letzte Akkord verklungen war, nahm Stephen seine Hand von ihrer Taille. Sie sollte nicht glauben, dass sie ihn mit ihrer korsettlosen Schönheit geködert hatte. »Es war mir ein Vergnügen, Lady Beatrix.« In seiner Stimme schwang nur ein Hauch Ironie mit.
Den sie sehr wohl bemerkte. Ihre Lider flatterten, und sie ließ einen trägen Blick über seine Gestalt gleiten, unter dem sich unverzüglich etwas regte. »Das Vergnügen«, gurrte sie, »lag ganz auf meiner Seite.«
Verflucht, sie war noch schlimmer als eine Kurtisane!
Lady Godwin erhob sich vom Pianoforte. Die Gräfin würde sich niemals so sittenlos verhalten. Schon bei ihrem Anblick schlug sein Herz wieder in einem ruhigeren Rhythmus. Tatsache war, dass er diesen Aspekt seines Lebens zu lange vernachlässigt hatte. Er gebärdete sich ja wie ein tumber Halbwüchsiger, der nach jeder Frau lechzte, die seinen Weg kreuzte! Beruhige dich, befahl er sich. Lass dich nicht reizen.
Er schritt auf Lady Godwin zu, nahm ihre Hand und hob sie an den Mund. »Das war eine entzückende Darbietung«, lobte er in gedämpftem Ton. »Ihr Walzer ist exquisit.«
»Nein, gar nicht!«, protestierte die Gräfin. »Er ist viel zu schnell. Sie müssen doch recht erschöpft sein.« Aber sie lächelte.
Stephen beschloss, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Er drehte ihre Hand um und drückte einen Kuss auf die Innenseite. »Nichts, was Sie tun, könnte mich jemals ermüden«, sagte er und blickte ihr tief in die Augen.
Ihr Erröten war wirklich bezaubernd.