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Nächte rauschhafter Vereinigung

»Und dann habe ich gesagt, wir würden Nächte in rauschhafter Vereinigung verbringen!«

»Rauschhafte was?«, fragte Esme.

»Rauschhafte Vereinigung. Das war das Einzige, was mir in dem Moment einfiel. Ist wirklich ein merkwürdiger Ausdruck, nicht wahr? Dann habe ich noch etwas aus dem Gedicht zitiert, das Bea mir geliehen hatte, den Teil mit der Sünde zu lieben. Deine Mutter war furchtbar schockiert, Esme«, sagte Helene triumphierend.

Esme erstickte fast vor Lachen. Sie saß auf dem Bett ihrer Tante und hatte den Arm um sie gelegt. Helene stand vor ihnen wie ein streitbarer Racheengel. Bea hatte sich auf dem kleinen Sessel neben dem Bett zusammengerollt.

»Das war doch nicht nötig!«, drang Arabellas Stimme gedämpft hinter dem Taschentuch hervor, mit dem sie die letzten Tränen abtupfte. »Verflixt! Ich habe mir die ganze Schminke abgewischt. Ich muss wirklich wie eine alte Hexe aussehen!«

»Du siehst wunderschön aus«, beteuerte ihre Nichte und drückte sie leicht.

»Fanny will eigentlich gar nicht so grässlich sein«, meinte Arabella. »Sie hat nur ein schweres Leben gehabt.«

»Ja, mag sein«, sagte Helene. »Es tut mir leid, das sagen zu müssen, Lady Withers, aber Ihre Schwester ist eine wahre Giftspritze. Und für dich tut es mir auch leid, Esme.«

Esme schaute mit reumütigem Lächeln auf. »Ich mag zwar eine ungehorsame Tochter sein, aber ich bin vollkommen deiner Meinung.«

Arabella schniefte ein letztes Mal. »Ich habe seit Jahren nicht mehr geweint«, gestand sie, »also war ich anscheinend reif für diesen Ausbruch. Fannys Äußerungen gehen mir normalerweise nicht so an die Nieren. Aber Robbie und ich hatten uns so sehr Kinder gewünscht! Als er starb, glaubte ich schon … ich hatte mehrere Monate meine Regel nicht. Und habe daher geglaubt, ich würde vielleicht noch etwas von Robbie in mir tragen.« Wieder schniefte sie. »Doch der Arzt meinte, es hätte wohl an der Trauer gelegen.« Sie tupfte sich ihre Tränen ab. »Was bin ich für ein Trauerkloß geworden!«

»Du bist kein Trauerkloß«, versicherte Esme. »Du bist einer der tapfersten Menschen, die ich kenne.«

Arabella kicherte gedämpft. »Na, das ist mal ein ganz neues Kompliment für mich. Ich danke dir, Liebes.«

Esme sah sie ernst an. »Und einer der herzlichsten. Keine Mutter hätte mir besser beistehen können als du, Arabella, und keine Schwester mehr als du, Helene.« Nun waren alle gerührt.

»Ich hätte mein eigenes Kind nicht mehr lieben können als dich, Esme«, versicherte Arabella.

Helene setzte sich mit einem Plumps auf Arabellas Schemel vor der Frisierkommode. »Trauern Sie immer noch darum, dass Sie keine Kinder haben, Lady Withers? Wenn ich das fragen darf.«

Arabella warf ihr ein schwaches Lächeln zu. »Es ist nur noch eine leichte Betrübnis, denn ich wäre so gerne Mutter geworden. Aber jetzt, da es den kleinen William gibt, ist mein Schmerz etwas gelindert.«

Helene presste die Lippen aufeinander. »Ich möchte euch allen kundtun, dass ich ein Kind haben werde.«

»Was?!«, stieß Bea hervor, die bislang still dabeigesessen hatte. Sofort schlug sie sich die Hand vor den Mund. »Es tut mir leid! Es geht mich überhaupt nichts an.«

»Mein windiger Ehemann ist nach London zurückgekehrt, ohne in die Scheidung einzuwilligen, und ich habe beschlossen, trotz meiner Situation ein Kind zu bekommen. Wenn Rees sich danach auf der Grundlage meines Ehebruchs von mir scheiden lassen will, soll mir das nur recht sein.«

»Werden Sie Mr Fairfax-Lacy heiraten?«, fragte Bea so bedrückt, dass die anderen sie verwundert ansahen.

»Stephen? Aber kein Gedanke!«, erklärte Helene. »Stephen kann keinerlei Anspruch auf meine Hand erheben. Oder auf mein Bett, obgleich er so freundlich war, die Täuschung vor meinem Ehemann aufrechtzuerhalten.« Sie hielt inne, als sei ihr soeben ein Gedanke gekommen. »Wollen Sie ihn heiraten?«

Bea schluckte verlegen und schaute Esme an. »Der Vortritt gebührt Lady Rawlings.«

Esme lachte nur. »Ich trete meine Rechte ab.«

»Dann will ich!«, erklärte Bea entschlossen. Ein Lächeln blühte auf ihrem Gesicht auf. »Ich werde ihn heiraten.«

»Bravo!«, lobte Arabella und warf ihr Taschentuch auf die Frisierkommode. »Ich wusste doch, dass er ein Mann für die Ehe ist. Habe ich es dir nicht gleich gesagt, Liebes?«, wandte sie sich an Esme.

»Ich muss ihn nur noch fragen«, meinte Bea.

Helene starrte sie an. »Hat er denn nicht gefragt?«

»Nicht direkt. Er möchte zuerst umworben werden.«

»Wie außergewöhnlich«, murmelte Helene. »Wissen Sie, dass sich meine Sicht auf Männer in den letzten Wochen vollkommen verändert hat?«

Arabella nickte. »Wenn Sie ein Kind haben wollen, müssen Sie schon den ersten Schritt tun. Deshalb habe ich ja nach Robbies Tod so rasch wieder geheiratet. Ich liebte den Mann nicht, war vermutlich auch nicht ganz bei Trost, wie mir jetzt klar wird. Aber ich wollte unbedingt ein Kind. Bei mir hat es zwar nicht geklappt, aber das heißt nicht, dass es bei Ihnen auch so sein muss.«

Helene nickte zustimmend. »Vielleicht wirst du mich in Zukunft verleugnen müssen«, sagte sie zu Esme. »Wenn ich ein Kind bekomme, wird der Skandal groß sein. Denn in der Gesellschaft ist es allgemein bekannt, dass ich keinen Umgang mehr mit meinem Ehemann pflege.«

Esme stand auf und umarmte ihre Freundin. »Du hast mich nie im Stich gelassen, wieso sollte ich es dann tun? Was hätte ich in den letzten Monaten ohne Arabella und dich angefangen? Darüber hinaus gedenke ich, mein Streben nach einem respektablen Leben aufzugeben.«

»Gott sei Dank!«, seufzte Arabella aus tiefstem Herzen.

Helene wandte sich an Bea. »Sie nehmen es mir hoffentlich nicht übel, wenn ich Ihnen sage, dass Sie für mich eine Inspiration sind. Ich würde gern dieses Gedicht abschreiben, wenn Sie nichts dagegenhaben. Es könnte mir ja eines Tages von großem Nutzen sein.«

Bea lächelte. »Solange Sie das Gedicht nicht dazu benutzen, Mr Fairfax-Lacy einzufangen, können Sie nach Belieben davon Gebrauch machen.«

»Wie wollen Sie ihn denn fragen, ob er Sie zur Frau nimmt?«, erkundigte sich Esme fasziniert.

Bea biss sich auf die Lippen. »Ich habe ja gerade erst den Entschluss gefasst, ihn zu heiraten. Ich weiß es eigentlich nicht.«

»Gedichte«, sagte Helene entschieden. »Sie müssen ihm natürlich ein Gedicht vorlesen!«

Esme klatschte begeistert in die Hände. »Wir werden uns morgen Abend versammeln und die Lesung zu Ende bringen, die wir vor Wochen angefangen haben.«

»Dann muss ich aber schnellstens ein geeignetes Gedicht auftreiben«, gab Bea zu bedenken. »Ich sollte mich lieber gleich auf den Weg zur Bibliothek machen.« Sie schaute Esme an. »Sie haben letztes Mal überhaupt nichts vorgelesen.«

»Bei mir ist die Angelegenheit ja auch nicht so dringlich«, sagte Esme achselzuckend.

»Soso!«, schnaubte Arabella. »So kann man es natürlich auch ausdrücken!«

Esme bedachte sie mit einem finsteren Blick.

»Na, immerhin wirst du doch heimlich von einem Mann auf deinem Zimmer besucht«, erklärte Arabella ungerührt. »Du solltest wenigstens bestrebt sein, dass er dich zu einer anständigen Frau macht.«

Bea machte große Augen. »Welcher Mann?«

»Der Marquis, wer sonst?«, erwiderte Arabella.

Helene lachte. »Oh, Esme!«, rief sie. »Du bist wirklich die ›berüchtigte Esme‹, nicht wahr?«

»Ganz sicherlich nicht«, gab Esme würdevoll zurück. Doch ihre Freundinnen lachten schallend, deshalb gab sie nach einer Weile auf und stimmte in ihr Gelächter ein.