1
In Wiltshire braut sich ein Skandal zusammen
Shantill House
Limpley-Stoke, Wiltshire
Es ist eine unter Frauen allgemein anerkannte Tatsache, dass die Aufgabe des Ankleidens einfacher ist, wenn lediglich der Körper bedeckt werden soll, komplizierter jedoch, wenn auf reizvolle Weise gewisse Partien enthüllt werden sollen.
In jenen längst vergangenen Tagen, als Esme Rawlings die ungekrönte Königin der Londoner Gesellschaft war, benötigte sie zum Ankleiden sehr viel Zeit und sehr viel Mühe. Nach all den Anstrengungen pflegte sie wie ein schöner Schmetterling aus seinem Kokon zu schlüpfen: Seidig fielen ihre schwarzen Locken über weiße Schultern, ihr Mieder schien auf wundersame Weise in der Luft zu schweben, und ihre herrlichen Kurven waren in so luftige Stoffe gehüllt, dass vielen Gentlemen bei ihrem Anblick die Knie weich wurden. Andere Gentlemen wiederum wandten sich entrüstet von der schönen Verführerin ab – jeder, wie es ihm seine Neigung diktierte.
Heutzutage benötigte Esme zum Ankleiden lediglich zwanzig Minuten, und wenn zufällig ein Gentleman in ihre Nähe gekommen wäre, so wäre er beim Anblick einer Frau mit einem Bauch von der Größe einer Kanonenkugel allenfalls von Unbehagen befallen worden.
»Ich bin so fett wie eine Schweinehaxe«, klagte Esme und betrachtete sich im Spiegel über ihrer Frisierkommode.
»Das würde ich nun nicht sagen«, bemerkte ihre Tante mit ihrer affektierten Stimme. Die Viscountess Withers saß auf einem zierlichen Stuhl und kramte in ihrer Handtasche. »Verflixt, ich kann mein Taschentuch nicht finden.«
»Unglaublich stämmig bin ich geworden«, fuhr Esme niedergeschlagen fort.
»Du bekommst schließlich ein Kind«, sagte Arabella, blickte auf und kniff beim genauen Hinschauen die Augen zusammen. Ein Pincenez wäre ihr sicherlich gut zustattengekommen, doch nach dem Diktat der Mode war es undenkbar, Augengläser zu tragen. »Mir hat der Anblick von Schwangeren nie sonderlich gefallen, du aber, meine Liebe, könntest mich tatsächlich eines Besseren belehren. Weißt du, dass du einfach bezaubernd aussiehst? Vielleicht wird dein Beispiel Schluss machen mit dieser lächerlichen Tradition, dass die Frauen sich vor und nach einer Geburt völlig im Haus vergraben. Was für ein fürchterliches Wort – Wochenbett.«
»Ach, pah!«, rief Esme. »Ich habe doch jetzt schon die Ausmaße eines Elefanten. So könnte ich mich nicht mehr nach London wagen!«
»Ich halte deine Ausmaße eher für normal, auch wenn ich mich mit Schwangerschaften nicht so gut auskenne. Eigentlich habe ich vorher noch nie eine Frau gesehen, die so kurz vor der Niederkunft stand. Wann, denkst du, wird das Kind kommen? Morgen?«
»Babys sind nicht wie Hausgäste, Tante Arabella. Sie entscheiden selbst, wann sie kommen, so habe ich es jedenfalls verstanden. Die Hebamme scheint zu glauben, dass es durchaus noch ein paar Wochen dauern kann.« Worin die gute Frau sich irrte, da war Esme ziemlich sicher. Wenn sie noch weiter anschwoll, würde man sie im Rollstuhl herumfahren müssen wie den Prinzen von Wales, wenn ihn die Gicht plagte.
»Auf jeden Fall bin ich ja jetzt da und werde dir beistehen, wo ich nur kann!« Arabella streckte die Arme aus, als finge sie gerade das Kind auf.
Esme konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Arabella war ihre liebste Verwandte und nicht nur allein deshalb, weil sie einen ähnlich skandalösen Ruf genoss wie sie selbst. »Es ist sehr lieb, dass du zu Besuch gekommen bist, Tante Arabella. Eine wahre Heldentat mitten in der Londoner Saison.«
»Unsinn! Auch außerhalb Londons kann man Zerstreuung finden, sogar in Wiltshire, wenn man sich Mühe gibt. Ich habe mir gedacht, wie trostlos dir zumute sein muss, so ganz allein auf dem Land. Ich fand es immer schon töricht, wie Frauen sich in die Wildnis zurückziehen, nur weil sie ein Kind erwarten. Die Franzosen sind in solchen Dingen viel praktischer veranlagt. Marie Antoinette soll noch bis kurz vor ihrer Niederkunft getanzt haben.«
»Das hat sie wohl«, bemerkte Esme zerstreut. Sie überlegte, ob sie in einem schwarzen Kleid schlanker wirken würde. Allerdings hatte sie die Volltrauer abgelegt, und schon allein die Vorstellung, erneut komplett in Schwarz gekleidet zu sein, wirkte niederschmetternd auf sie. Ihr Körperumfang freilich auch.
»Ich habe mir die Freiheit genommen, ein paar Leute einzuladen. Morgen kommen sie«, fuhr die Tante aufgeräumt fort. »Heute Abend speisen wir noch unter uns, falls Stephen Fairfax-Lacy nicht vorher eintrifft. Du weißt vermutlich, dass deine Freundin, die Herzogin von Girton, enceinte ist? Wenn sie einem Knaben das Leben schenkt, wird Fairfax-Lacy seinen Titel verlieren. Wohlgemerkt, es ist nur ein Ehrentitel, aber da er ihn immerhin seit acht Jahren trägt, wird der arme Mann sich wahrscheinlich wie kahl geschoren vorkommen. Aber wir werden unser Bestes tun, um ihn aufzuheitern, nicht wahr, Darling?«
Esme starrte sie erschrocken an. »Fairfax-Lacy? Ich bin nicht in der Verfassung, mich um Hausgäste zu kümmern, und erst recht nicht um einen Mann, den ich nur sehr flüchtig kenne!«
Arabella ignorierte ihren Protest. »Und natürlich habe ich meine dame de compagnie mitgebracht. Warum sollen wir uns vor Einsamkeit verzehren, wenn es nicht nötig ist? Natürlich befinden wir uns mitten in der Saison, doch ich bilde mir ein, dass eine Einladung von mir jedes langweilige Fest in London um Längen schlägt.«
»Aber Tante Arabella, das ist vollkommen unpassend …«
»Unsinn! Ich werde mich um alles kümmern. Vielmehr habe ich es bereits getan. Ich habe einige meiner Bediensteten mitgebracht, Liebste, weil es doch so furchtbar schwer ist, auf dem Land Leute zu bekommen, nicht wahr?«
»Oh«, machte Esme und fragte sich, wie ihr Butler Slope wohl auf diese Nachricht reagieren würde. Freilich konnte ein zusätzlicher Lakai durchaus nützlich sein, falls sie demnächst im Stuhl herumgetragen werden musste.
»Wie schon gesagt, ein paar – wenige – Gäste werden morgen eintreffen, damit das Dinner sich ein wenig lebendiger gestaltet. Natürlich werden wir aus Rücksicht auf deinen Zustand keinen Empfang geben, oder allenfalls einen sehr, sehr kleinen.«
»Aber …«
»Kopf hoch, Darling!«, empfahl Arabella und tätschelte Esme die Hand. »Ich habe dir übrigens einen Korb mit den neuesten Cremes und Seifen des Italieners mitgebracht, der diesen komischen kleinen Laden in Blackfriars betreibt. Es sind wahre Wundermittel. Du musst sie sofort ausprobieren! Deine Mutter hat schreckliche Probleme mit der Haut gehabt, als sie mit dir schwanger war.« Forschend spähte sie Esme ins Gesicht. »Aber deine Haut kommt mir bemerkenswert frisch vor. Nun ja, du schlägst eben mir nach. Also, lass dir ja nicht einfallen, vor dem Dinner herunterzukommen. Du weißt doch, dass Fairfax-Lacy Parlamentsabgeordneter ist?«
Allmählich wurde Esme bei der Erwähnung Stephen Fairfax-Lacys unbehaglich zumute.
»Tante Arabella«, sagte sie, »du hast doch nicht etwa vor, mich zu verkuppeln? Mein Ehemann ist gerade mal acht Monate tot.«
Esmes Tante zog ihre erlesen geformten und gefärbten Brauen in die Höhe. »Wenn du mich noch einmal Tante nennst, Liebes, dann schreie ich das ganze Haus zusammen! Ich habe dann das Gefühl, furchtbar alt zu sein. Sage doch bitte Arabella. Immerhin sind wir ja verwandt.«
»Es wäre ja zu schön«, sinnierte Esme, »und doch …«
Arabella gehörte zu jenen Menschen, die andere niemals ausreden lassen. »Es ist trostlos, Witwe zu sein. Ich muss es schließlich wissen, ich bin schon zum dritten Mal verwitwet.« Einen Moment lang verlor sie den Faden, dann besann sie sich wieder auf das Thema. »Damit will ich nicht gesagt haben, dass ich mich nicht wieder verheiraten könnte, wenn ich wollte.«
»Lord Winnamore würde dich vom Fleck weg heiraten«, pflichtete Esme ihr bei.
»Ganz genau.« Arabella unterstrich ihre Überzeugung mit einer beredten Geste. »Übrigens habe ich Winnamore ebenfalls eingeladen. Er dürfte morgen eintreffen. Was ich aber sagen wollte, Darling: Eine Witwe zu sein ist doch sehr … entmutigend. Ermüdend, könnte man sagen.«
»Oje«, sagte Esme, die fand, dass ihre Tante erschöpfter wirkte als bei früheren Besuchen. »Du musst diesmal recht lange bei mir bleiben.«
»Unsinn«, gab Arabella zurück. »Ich bleibe jetzt erst einmal ein Weilchen. Es ist doch nicht sehr anregend, mit einer Frau zusammenzuleben, hm?«
Ihr schalkhaftes Lächeln bewirkte, dass sie mindestens zwanzig Jahre jünger aussah.
Esme erwiderte das Lächeln. »Das muss ich dir wohl glauben. Miles und ich haben lediglich ein Jahr zusammengelebt, und das ist Jahre her, also kann ich wohl kaum mit deiner Erfahrung mithalten.«
»Umso mehr Grund, eine neue Ehe einzugehen«, konstatierte Arabella. »Und deshalb habe ich an Stephen Fairfax-Lacy gedacht. Er würde so gut zu dir passen. Wunderbare Lachfältchen um die Augen. So etwas ist doch wichtig. Und er ist ein kräftiger Mann. Boxt anscheinend regelmäßig. Er wird also nicht während des Aktes tot umfallen wie dein verstorbener Gemahl.«
»Es war nicht während des Aktes!«, protestierte Esme. Ihr Ehemann war im Schlafgemach einem Herzanfall erlegen. Dass es in ihrer ersten gemeinsamen Nacht seit Jahren geschehen war, war hier nicht von Belang.
»Aber ziemlich bald danach. Wir dürfen dem armen Miles jedoch nicht zu viel Schuld anlasten. Immerhin hat er diesen Treffer gelandet, nicht wahr?« Sie machte eine vage Geste zu Esmes Bauch.
»Ja«, sagte Esme nur und verbot sich jeden Gedanken an einen anderen möglichen Vater des Kindes.
»Fairfax-Lacy wird dich nicht in der Patsche sitzen lassen, um es einmal so auszudrücken.« Arabella erstickte fast an einem Heiterkeitsanfall.
»Es freut mich, dass unser Gespräch wenigstens dir Vergnügen bereitet«, entgegnete Esme mit einiger Schärfe. »Immerhin ein Mensch, der am Tod meines Gemahls etwas Gutes finden kann!«
»Um Himmels willen, Esme, tu jetzt nicht so vornehm wie deine Mutter! Es war schier unbegreiflich, wie sehr Fanny um deinen Vater getrauert hat. Dabei konnte sie ihn überhaupt nicht ausstehen. Eine Ansicht, mit der sie übrigens nicht allein stand.«
Arabella widmete sich nun den Tiegeln auf Esmes Frisierkommode, sie öffnete jeden und schnupperte daran. »Die hier ist die allerbeste«, behauptete sie und hielt einen Tiegel hoch. »Mandelcreme aus Italien, von Nonnen hergestellt. Du musst sie jeden Abend auf die Brust auftragen, dann bleibt deine Haut so weiß wie Schnee!« Die Viscountess hatte nie im Ruf großer Schönheit gestanden, doch davon ließ sie sich keineswegs beirren. Ihr Haar mochte von Feuerrot zu einem ingwerfarbenen Ton ausgebleicht sein, doch ihr kunstvoll hochgestecktes Haar bestand aus einer Fülle von Locken. Auch ihr Rouge war so sorgfältig aufgetragen, dass sie wenigstens zehn Jahre jünger wirkte.
Arabella stellte den Tiegel hin. »Lass uns eine Bestandsaufnahme machen: Fairfax-Lacy hat kräftige Beine und ein ebensolches Gesäß.« Sie massierte ein wenig Mandel-Wundercreme in ihren Hals ein. »Zudem ist er gut betucht, auch wenn du nicht darauf angewiesen bist, da Rawlings dich ja gut versorgt hat. Das Wichtigste ist, dass Fairfax-Lacy ein kräftiger Mann ist, der dir lange erhalten bleiben wird. Stehvermögen, das ist es doch, was wir Frauen wollen. Schau nur mich an: Dreimal verheiratet, und keiner meiner Gatten hat länger als ein paar Jahre gehalten.«
Esme seufzte. Es war offensichtlich, dass der bedauernswerte Mr Fairfax-Lacy von ihr umgarnt werden sollte, bis ihm der Kopf schwirrte.
»Heute Abend sind wir wirklich eine schrecklich kleine Gesellschaft«, spann Arabella ihren Gedanken weiter, während sie Mandelcreme in die Wangen massierte. »Du und ich selbstredend, und dazu deine Freundin Lady Godwin und meine dame de compagnie.«
»Wer ist sie?«, fragte Esme ohne allzu großes Interesse.
»Nun, das arme Ding ist eigentlich meine Patentochter. Ich glaube nicht, dass du sie kennst. Sie ist erst vor vier Jahren in die Gesellschaft eingeführt worden.«
»Aber wie heißt sie?«
Arabella spielte einen Augenblick mit dem Glastiegel herum und wirkte leicht verlegen. »Ich möchte nicht, dass du … aber ich glaube schon, dass du nett zu ihr sein wirst. Du warst ja früher selbst kein Kind von Traurigkeit.«
Esme bedachte ihre Tante mit einem strengen Blick. »Wie heißt sie?«
»Lady Beatrix Lennox.«
Eine der ärgerlichsten Begleiterscheinungen der Schwangerschaft schien zu sein, dass Esme sich nicht mehr auf ihr Gedächtnis verlassen konnte. »Ich fürchte, ich habe noch nie von ihr gehört«, gestand sie.
»Oh, doch, das hast du bestimmt«, entgegnete die Tante ein wenig schroff. »Beatrix ist eine der Töchter des Herzogs von Wintersall. Leider ist sie in ihrer ersten Saison –«
»Diese Tochter?« Jetzt entsann sich Esme. Ein wenig vorwurfsvoll sah sie ihre Tante an. »Ich nehme an, sie ist für dich so etwas wie ein Schützling?«
»Das musst gerade du sagen, Mädchen.« Arabella betrachtete sich im Spiegel und richtete sich die Frisur. »Du hast doch selbst zu deiner Zeit gehörige Skandale verursacht und musst wissen, dass viele, selbst deine Mama, dich für meinen Schützling halten. Gott weiß, wie oft Fanny sich beklagt hat, dass ich zu viel Einfluss auf dich hätte!«
Esme versuchte sich zu erinnern, um welchen Skandal es sich gehandelt hatte. »Wurde Lady Beatrix nicht in flagrante delicto auf einem Ball ertappt? So etwas habe ich mir nie zuschulden kommen lassen!«
»Selbstverständlich liegt es mir fern, in deine intimen Geheimnisse einzudringen«, versicherte Arabella heuchlerisch, »aber kann es sein, dass du nur nie ertappt wurdest?«
Esme kam plötzlich eine gewisse Örtlichkeit in Lady Troubridges Landhaus in den Sinn, und sie hielt weise den Mund.
»Ich bin wahrlich nicht der Ansicht, dass, wer im Glashaus sitzt, mit Steinen werfen sollte«, meinte Arabella und bedachte ihre Nichte mit einem süffisanten Lächeln. »Die arme Bea war schließlich noch blutjung und hatte keine Mama, die auf sie achtgab. Der Herzog hatte irgendeine tatterige alte Cousine zur Anstandsdame bestellt, und so konnte es geschehen, dass Bea von Sandhurst an einen verschwiegenen Ort gelockt wurde. Das ist schon vielen Mädchen passiert, aber normalerweise sorgt ein Vater dafür, dass der Vorfall vertuscht wird. Wintersall aber beschloss, an Bea ein Exempel zu statuieren, um seine fünf anderen Töchter zu warnen – zumindest besaß er die Impertinenz, mir das mitzuteilen. Offenbar sagte er zu Bea, sie tauge nur noch fürs Bordell, und gab ihr die Anschrift eines solchen!«
»Ach, das arme Mädchen«, sagte Esme mitleidig, »ich hatte ja keine Ahnung.« Sie selbst war bereits sicher im Hafen der Ehe gelandet, als sie ihr skandalträchtiges Leben begann, das ihr den Beinamen »Berüchtigte Esme« eingebracht hatte.
»Nun musst du aber nicht glauben, dass das Mädchen eine welkende Lilie ist. Bea hat bislang noch jedem die Stirn geboten. Ich bin froh, dass ich sie aufgenommen habe, nachdem ihr Vater sie verstoßen hatte. Sie hält mich jung.«
Esme kam plötzlich ein Gedanke. »Du hast das doch nicht etwa getan, um Mama zu ärgern?«
»Es hatte eine wundersame Wirkung auf deine Mutter«, erwiderte Arabella mit einem boshaften Lächeln. »Fanny wollte mich ein halbes Jahr nicht empfangen. Vor Kurzem habe ich eine größere Renovierung meines Stadthauses in Erwägung gezogen, und wenn auch nur aus dem Grund, gezwungenermaßen eine Weile bei meiner Schwester wohnen zu müssen … und das selbstverständlich nicht ohne meine dame de compagnie.«
Esme musste lachen. »Arme Mama.«
»Es würde deiner Mutter guttun, Bea um sich zu haben. Das Mädel hat ein stählernes Rückgrat und liebt es, seine Umgebung in Aufregung zu versetzen. Sie tut den Leuten gut. Warte nur, bis du sie kennenlernst, meine Liebe. Sie wird es noch weit bringen, lass dir das gesagt sein!«
»Oje«, sagte Esme, denn nun war ihr das Nähkränzchen eingefallen und die Reaktion, die Beatrix Lennox bei den tugendsamen Damen hervorrufen würde. »Ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, Tante Arabella, dass ich mittlerweile eine tugendhafte Frau geworden bin.«
Arabella blinzelte zunächst verblüfft, dann schnaubte sie verächtlich. »Du? Warum solltest ausgerechnet du ein Tugendbold werden wollen?«
»Ich habe Miles vor seinem Tode versprochen, dass ich alles tun werde, um meine Reputation zu verbessern. Er wollte doch in Wiltshire leben, weißt du. Ich habe nun seit einiger Zeit Beziehungen mit den Dorfbewohnern angeknüpft und –«
»Ich fand es schon verteufelt seltsam, dass du, Esme Rawlings, beschlossen hattest, deine Schwangerschaft in Wiltshire auszusitzen wie ein fades Landfräulein! Du bist also entschlossen, dein verruchtes Leben aufzugeben, wie?«
»Bin ich«, erwiderte Esme und ignorierte das Feixen der Tante. Sollte Arabella doch feixen, so viel sie wollte … Esme war entschlossen, in Zukunft ein Leben als ehrbare Witwe und Mutter zu führen.
»Und wie hast du es angestellt, diese wundersame Verwandlung in die Tat umzusetzen?«, fragte Arabella. »Das könnte sich doch auch für mich nützlich erweisen, falls ich einmal … einmal …« Anscheinend fielen ihr jedoch keine Umstände ein, die sie in die Ehrbarkeit treiben konnten.
Esme zuckte die Achseln. »So schwer war das gar nicht. Ich bin dem hiesigen Nähkränzchen beigetreten und –«
Es war wie immer schwierig, in Arabellas Gegenwart einen Satz zu beenden. »Du? Du bist einem Nähkränzchen beigetreten?«
Sie hätte vor Lachen nicht unbedingt brüllen müssen. Vermutlich war sie bis in die nächste Grafschaft zu hören.
»Bin ich«, verkündete Esme mit Würde. »Das ist eine sehr noble Beschäftigung, Arabella. Wir nähen Decken für die Armen.«
»Fern sei mir, dich daran zu hindern! Denke nur daran, mir Bescheid zu geben, bevor die Damen hier einfallen, damit ich mich zurückziehen kann«, gluckste Arabella. »Und Bea sollte lieber auch vorgewarnt sein. Sie wird auch lieber ins Dorf fliehen als mit einer Schar bigotter Nadelarbeiterinnen eingesperrt zu sein.«
Esme bedachte sie mit einem finsteren Blick. »Du brauchst dich nicht über mich lustig zu machen.«
»Ich mache mich doch nicht lustig, mein Herz … nun ja, ein bisschen vielleicht. Wäre es dir lieber, wenn ich nach London zurückkehrte, damit du dich deinen ehrbaren Matronen widmen kannst?«
»Nein!« Und Esme wurde bewusst, dass sie es ernst meinte. »Bitte fahre nicht, Tante Arabella. Es ist wirklich wunderbar, dass ich einen Menschen habe, mit dem ich reden kann, gerade jetzt. Nicht, dass ich mir wünschte, Mama wäre –«
»Natürlich wünschtest du, dass deine Mama nicht so eine steife alte Henne wäre!«, fiel Arabella ihr ins Wort. »Meine Schwester ist immer eine Närrin gewesen. Ein rechtes Schaf! Hat es zugelassen, dass du mit Miles Rawlings verheiratet wurdest, ohne dich auch nur einmal zu fragen, ob er dir gefällt. Jeder hätte ihr sagen können, dass ihr beide überhaupt nicht zueinanderpasstet. Fanny hat es nie gelernt, deinem Vater zu widersprechen, und was hat sie jetzt davon? Seit zwei Jahren ist er nun tot, und ist sie etwa aus seinem Schatten getreten? Nein. Sie ist genauso bigott, wie er es war. Das Einzige, woran diese Frau denkt, ist ihr guter Ruf.«
»Das ist aber sehr hart geurteilt«, entgegnete Esme. »Mama hat ein schweres Leben gehabt. Sie ist nie über den Tod meines kleinen Bruders hinweggekommen.«
»Das war natürlich ein großer Kummer, niemand bestreitet das. Er war ein kleiner Engel.«
»Manchmal mache ich mir schreckliche Sorgen um mein Kind«, gestand Esme. »Was ist, wenn es … wenn es …« Sie konnte nicht weitersprechen.
»Das wird nicht passieren«, verkündete Arabella. »Ich werde es nicht zulassen. Ich möchte dir aber eines sagen, Esme. Auch wenn deine Mutter viel Kummer erfahren hat, brauchte sie deswegen doch nicht so anmaßend zu werden.
Werde bitte nicht wie sie, auch wenn du noch so viele gute Absichten hegst. Versprich mir das. Die arme Fanny hat seit Jahren keinen Tag mehr erlebt, ohne auf eine Ungehörigkeit zu stoßen, die ihr das Leben zur Hölle machte. Das ist nämlich das Problem, wenn man zu viel auf seinen guten Ruf gibt: Dann beschäftigt man sich zu sehr mit dem guten Ruf der anderen.«
»Das würde ich niemals tun«, versicherte Esme. »Aber ich habe Miles versprochen, dass sein Kind keine skandalbehaftete Mutter haben wird.«
»Hast es ihm auf dem Sterbebett versprochen, wie? Solche Versprechen habe ich auch schon gegeben.« Arabella schwieg einen Moment.
»Es war nicht gerade ein Versprechen am Sterbebett. Wir hatten ein paar Tage vor seinem Tod darüber gesprochen, wie wir unser Kind aufziehen würden.«
Arabella nickte verständnisvoll. »Es ist schwer, die Wünsche eines Toten nicht zu achten. Da stimme ich dir zu.« Sie schien eine schwermütige Erinnerung abzuschütteln. »Ein Hoch auf das tugendhafte Leben! Deine Mutter wird sehr angetan sein. Eigentlich umso mehr ein Grund, Fairfax-Lacy als Ehemann in Betracht zu ziehen. Er ist ein solches Muster von Anstand, dass er den Ansprüchen deiner Mama genügen würde, aber dennoch kein langweiliger Mann. Wobei mir einfällt, dass wir heute Abend eine schauderhaft langweilige Damenrunde sein werden! Kein einziger Mann weit und breit außer Fairfax-Lacy, falls er rechtzeitig eintrifft, und selbst ich kann nicht einsehen, warum ich mich für einen Mann, der nur halb so alt ist wie ich, in Schale werfen sollte.«
»Er ist nicht halb so alt wie du«, stellte Esme klar. »Nur ein wenig jünger. Du bist erst fünfzig, und er muss bereits in den Vierzigern sein.«
»Zu jung«, lautete Arabellas vernichtendes Urteil. »Du musst wissen, dass ich mir mal einen Liebhaber genommen habe, der zehn Jahre jünger war, und das war alles in allem eine sehr ermüdende Erfahrung. Nach ein paar Tagen musste ich ihn fortschicken. Viel zu anstrengend! Denn die traurige Wahrheit, Liebes, ist, dass ich alt werde!«
Esme raffte ihre zerstreuten Gedanken gerade noch rechtzeitig zusammen, um mit dem erwarteten »Nein!« zu antworten.
»Erstaunlich, aber wahr.« Arabella betrachtete ihr Spiegelbild ohne jeden Anflug von Wehmut. »Eigentlich macht mir das Älterwerden gar nicht so viel aus. Es gefällt mir sogar. Ich bin nicht so wie deine Mutter, die endlos über ihre Wehwehchen klagt.« Sie drehte sich zu Esme um und musterte sie scharf. »Du bist meine Lieblingsnichte …«
»Ich bin deine einzige Nichte«, berichtigte Esme sie.
»Eben darum. Und deshalb möchte ich dir raten, dein Leben in Angriff zu nehmen, anstatt es geschehen zu lassen und dich darüber zu beklagen. Es ist nicht so, als ob ich etwas gegen deine Mutter hätte, nein, ich liebe sie als Schwester. Du aber stehst mir näher, und so ist es immer schon gewesen.«
Sie wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu. »Das Einzige, was mir am Altern sehr missfällt, sind die Falten. Aber ich setze große Hoffnungen in diese neue Mandelcreme! Der italienische Apotheker versicherte mir, dass die Haut davon so zart wird wie die eines Babys! Sobald dein Kind zur Welt kommt, haben wir ja einen brauchbaren Vergleich zur Hand. Denn ich habe seit Jahren keine Babys mehr zu Gesicht bekommen. Woher soll ich also wissen, wie ihre Haut aussieht?«
»Es freut mich, dass mein Zustand dir von Nutzen ist«, sagte Esme mit einiger Schärfe.