17

Ein Billardspiel

Es gibt Zeiten im Leben eines Mannes, in denen er sich nichts sehnlicher wünscht als die Gesellschaft von Geschlechtsgenossen. Nach einem Dinner mit vielen unterschwelligen weiblichen Botschaften und spitzen Bemerkungen sehnte sich Stephen nach einem Abend mit Whisky, Karten und derben Witzen unter Männern. Doch leider hatte Winnamore, der einzige andere Mann im Hause, sich gleich nach dem Essen zurückgezogen. Stephen vermutete jedoch, dass zwei Zimmer frei von Frauen wären: sein eigenes Schlafgemach und das Billardzimmer.

Doch als er die Tür zum Billardzimmer öffnete, erblickte er ein hübsches kleines Hinterteil, das sich über den breiten Tisch beugte. Beatrix Lennox reckte sich, um die Kugel anzustoßen, und Stephen beschloss auf der Stelle, dass eine gewisse Frau vielleicht doch eine akzeptable Gesellschaft wäre.

»Guten Abend, Mr Fairfax-Lacy«, begrüßte sie ihn und verfolgte mit dem Blick eine der Kugeln, die, von ihrem Queue angestoßen, gegen zwei Banden prallte und zügig in eine Tasche fiel.

Stephen blieb wie angewurzelt stehen. Im Schein der Lampen über dem Tisch erstrahlte ihr Haar wie flammendes Gold. Sie richtete sich sehr langsam und voller Anmut auf, als wüsste sie ganz genau, welchen Aufruhr diese kleine Bewegung in seinen Lenden verursachte.

»Spielen Sie Billard?«, fragte sie und holte die Kugeln aus den Ecktaschen.

Stephen nickte. Es kam ihm vor, als ströme sein Blut donnernd durch seinen Körper. Mit jedem Pulsschlag reagierte er auf ihre Bewegungen.

Bea schob die fünfzehn Kugeln zusammen. »Wollen wir Pyramids* spielen?«

Stephen nickte. »Wo haben Sie spielen gelernt?«, fragte er, wählte ein Queue und versuchte, sich ganz natürlich zu geben.

Bea zuckte die Achseln. »Ich habe einmal einen unserer Diener dabei ertappt, wie er heimlich spielte. Zwölf war ich damals. Ihm hätte die Entlassung gedroht. Ich fürchte, ich habe ihn erpresst, mir Unterricht zu geben.«

»Führen Sie den ersten Stoß«, sagte Stephen, der sehen wollte, wie sie sich über den Tisch beugte.

Bea schaute ihn an. Um ihren Mund spielte ein leises Lächeln, das ihm die Röte ins Gesicht trieb. Dann beugte sie sich betont langsam über den Tisch. Sie trug ein Kleid, das so hauchdünn war wie ein Nachthemd. Es war blassrosa und hätte sich eigentlich mit rotem Haar beißen müssen, doch an Bea sah es wunderbar aus. Darüber trug sie ein Überkleid aus durchsichtiger Waschseide, das mit fleur-de-lis bestickt war. Jede Bewegung ihrer schönen Kurven wurde durch die durchsichtigen Stoffe noch hervorgehoben.

Sie führte den ersten Stoß auf die in Dreiecksform liegenden Kugeln aus, und diese spritzten auseinander wie Regentropfen auf einem Tablett. Drei versenkte sie in die Ecktaschen.

Stephen schaute versonnen auf den Tisch. »Ihr Diener muss sehr gut gewesen sein.«

»Warum sagen Sie das?«

»Weil Sie offensichtlich eine ausgezeichnete Spielerin sind«, erwiderte er und versuchte zu entscheiden, in welche Tasche er spielen sollte.

»Sie folgern demnach, dass eine Frau nur so gut sein kann wie ihr Lehrmeister. Zufälligerweise war Ned nur ein mittelmäßiger Spieler. Binnen vier Monaten hatte ich ihn überrundet.«

»Diese dort«, sagte Stephen und zeigte auf die hintere rechte Tasche.

Er beugte sich vor und wählte eine Kugel. Mit lässiger Präzision schickte er sie auf ihre Reise zwischen den Banden. Sie stieß mit einer anderen Kugel zusammen und landete schließlich in der Tasche, die er angesagt hatte.

»Sie scheinen ein viel besserer Spieler als mein Diener zu sein«, bemerkte Bea.

Er richtete sich wieder auf. »Ich entschuldige mich für meine Rückschlüsse auf die weibliche Befähigung zu diesem Spiel. Ich bin bislang noch keiner Spielerin begegnet.«

Wieder zuckte sie die Achseln, und ein paar lange rote Locken rutschten von ihrem Rücken auf ihre weiße Schulter. »Ich könnte darauf hinweisen, dass es für Frauen schwer ist, etwas zu lernen, wenn niemand sich bereit erklärt, es ihnen beizubringen. Diese Kugel.« Sie spielte sie auf eine andere Kugel, von der sie im richtigen Winkel abprallte, in eine Ecke schoss und in der Tasche versank.

»Le coup sec«, bemerkte Stephen, der seine Bewunderung nicht verhehlen konnte. Er wechselte zur anderen Seite des Tisches und stellte sich neben Bea. Ihr französisches Parfüm wehte ihn an wie ein Versprechen, ein Versprechen rückhaltloser Sinnlichkeit.

Bea lächelte ihn über ihre Schulter hinweg an. Am liebsten hätte er sie gepackt und rückwärts über den Tisch gebogen, die Kugeln beiseitegeschoben und sie gleich an Ort und Stelle genommen.

»Ich denke, ich nehme die Kugel dort hinten«, sagte er und deutete auf sie. Seine heisere Stimme ließ den Satz wie eine Frage klingen.

Sie trat ein wenig beiseite und musterte die Kugel. »Wollen Sie es mit einem tiefen Stoß versuchen?«

Stephen nickte. Ihm war soeben aufgefallen, dass sie gar nicht so gelassen war, wie sie tat, denn er konnte den Puls an ihrem Hals schlagen sehen. An ihrem wunderschönen weißen Hals, den er abschlecken, küssen, schmecken wollte. »Wenn Sie gestatten …« Selbst in seinen Ohren klang seine Stimme tiefer als sonst. Er legte die Hand auf Beas Rücken und schob sie ganz, ganz behutsam beiseite. Dann beugte er sich so langsam und bewusst vor, wie sie es getan hatte. Er spürte ihre Augen auf sich, genauer gesagt, auf seinen Beinen.

Er richtete sich wieder auf. »Das ist ein schwieriger Stoß«, sagte er und sah sie an. Auf ihrer Wange war ein kleiner roter Fleck erschienen, der nicht von ihrem Rouge stammen konnte. »Wenn es Sie nicht stört, würde ich gern mein Jackett ablegen, Lady Beatrix.«

»Bea«, sagte sie. »Bitte nennen Sie mich Bea.«

Sie sah zu, wie er sich aus seinem Jackett schälte und die Ärmel hochkrempelte. Er war sich seines muskulösen Körpers bewusst, eines Körpers, der bei Frauen Bewunderung hervorrufen konnte, selbst bei einer Frau wie ihr, die vermutlich mehr als nur ein paar Männer unbekleidet gesehen hatte. Wenn Stephen von langen Sitzungen im Unterhaus allzu angespannt war, pflegte er Gentleman Jacksons Boxhalle aufzusuchen. Niemals hatte er sich derart zur Schau gestellt, aber bei Bea …

Stephen beugte sich wieder vor und visierte die Kugel sorgfältig an. Beinahe berührten sich ihre Hüften. Wie durch ein Wunder zitterten seine Hände nicht. Er versetzte dem Spielball einen sanften Rückläuferstoß, spielte ihn auf die Kugel, die im Bogen um eine andere herumrollte und sicher in die angesagte Tasche fiel.

»Sie sind am Zug«, sagte er, sich wieder aufrichtend.

»Hmmm. Sie können es wirklich.«

Stephen ließ alle Vorsicht fahren und warf ihr einen lüsternen Blick zu. »Ich habe eben viele Talente, Lady Bea.«

»Einfach nur Bea«, sagte sie. Aber ihre Augen funkelten vergnügt.

Sie entfernte sich wieder ein paar Schritte. Mit aller Macht musste er an sich halten, um sie nicht sogleich wieder an seine Seite zu holen. »Ich glaube, ich nehme … diese Kugel.« Sie schürzte ihre vollen Lippen. Für ihn war es die reinste Folter. Würde sie … Wie viel Erfahrung besaß sie? Würde sie Dinge tun, die eine Dame normalerweise nicht tat? Sie hatte ihn bereits geküsst wie ein Freudenmädchen. Würde sie sogar …? Fantasien geisterten durch seinen Kopf, Vorstellungen, die ihn quälten.

Bea befand sich nun auf der anderen Seite des Tisches. Sie beugte sich vor, ganz auf ihren Stoß konzentriert. Stephen konnte direkt in ihr Mieder sehen. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten, und ihre Brüste drückten sich auf die Umrandung des Tisches, ruhten dort. Er stellte sich vor, wie es wäre, sie in der Hand zu halten.

Stephen räusperte sich verlegen, und sie schaute auf. Auch ihre Wangen waren flammend rot. Trotzdem kündigte sie an: »Die Mitteltasche.«

»Sie sollten Ihre Grifftechnik verbessern«, empfahl Stephen, als sie ihr Queue auf die linke Hand legen wollte.

Sie richtete sich wieder auf. Belustigung stand in ihren Augen. »Und eine bessere Haltung würden Sie wohl auch empfehlen?«

»Einen besseren Griff«, wiederholte er.

Sie sah ihn unter gesenkten Wimpern an, während ein Lächeln um ihre Lippen spielte. »Mr Fairfax-Lacy, ich wäre hocherfreut, einen neuen Griff zu lernen. Ich bin eine Frau, die das Wissen der Unwissenheit vorzieht. Aber darf ich Sie vorsorglich darauf aufmerksam machen, dass Sie eine arbeitsreiche Nacht vor sich haben?«

Er zog die Brauen hoch. Unter ihrem herausfordernden Blick bekam er das Gefühl, herrlich leichtsinnig zu sein, herrlich dekadent zu sein, lüstern und wild … alles Dinge, an die ein vernünftiger Mann nicht einmal denken durfte. »Nicht zu arbeitsreich für Sie«, sagte er. »Und mein Name ist Stephen.«

Sie hob eine wohlgerundete Hüfte über die Tischkante. Wieder überkam ihn eine Welle tierischen Verlangens. Er fühlte sich in seiner Haut, in seinem Körper so heimisch wie seit Jahren nicht. Absichtlich langsam legte er sein Queue hin, dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und spürte das feine Linnen seines Hemdes, das sich vor der Brust straffte.

Beas Augen wurden dunkel. »Ich befürchte nur, dass ein Mann mit einer nagelneuen Geliebten kaum Zeit für Lehrstunden übrig hat.«

»Das müssen Sie schon mir überlassen«, entgegnete er und kam um den Tisch herum auf sie zu. Er fühlte sich wie ein Tiger kurz vor dem Sprung auf die Beute. Sie rührte sich nicht vom Fleck und ließ ihn zu sich kommen. Er trat dicht hinter sie, als wollte er sie über den Tisch beugen, um sie zu lieben. Er schmiegte sich an sie, zog ihren süßen kleinen Hintern an seine Lenden und beugte sich mit ihr zusammen vor.

»Wenn Sie Ihre rechte Schulter gerade ausrichten, können Sie Ihre Zielgenauigkeit verbessern.« In stillem Triumph stellte er fest, dass seine Stimme ganz normal klang. Er legte ihre Finger um das Queue.

Doch Bea war beileibe kein sanftes Lamm, das sich von einem Tiger einschüchtern ließ. Langsam richtete sie sich auf, sodass er ihrer Bewegung folgen musste. Dann drehte sie sich in seinen Armen um und stützte ihre Hände auf die Tischkante.

»Mr Fairfax-Lacy«, säuselte sie, »ich nehme nicht an, dass das da in meinem Rücken Ihr Queue gewesen ist. Was ist das für ein Spiel, das Sie hier spielen?«

Stephen sah nicht mehr wie ein anständiger englischer Gentleman aus. Ein viriler Stolz strahlte von ihm aus, eine Kraft, die sie bislang an ihm nicht wahrgenommen hatte.

»Ich verführe Sie.«

»Und wenn ich das nicht möchte?«

»Möchten Sie das nicht?« Er neigte den Kopf und streifte flüchtig ihre Lippen. »Möchtest du nicht, Bea? Denn ich meinte, du hättest mir gesagt, dass du … gern verführt wirst.«

»Ich lasse keine verheirateten Männer in mein Bett.« Sie sagte es zärtlich, doch mit einem Unterton stählerner Unbeugsamkeit.

»Aber ich bin nicht verheiratet!«

Sie zuckte die Achseln. »Sie gehören Helene. Ich pflege anderen Frauen nicht die Männer wegzunehmen.«

Stephen hob sie hoch und setzte sie auf die Rosshaarbespannung der Tischkante. Ihre Lippen hatten wieder jenen blassen Kirschton, der ihre natürliche Farbe war. Sobald sie es ihm gestattete, würde er mit der Zunge um ihren Mund fahren und sie in die schwellende Unterlippe beißen. »Bis jetzt gehöre ich keiner Frau«, sagte er heiser. Dann senkte er den Kopf und endlich, endlich konnte er sie küssen, mit seinem Mund ihre rosigen Lippen trinken.

Einen Augenblick schien es, als gebe sie nach, und sie öffnete ihren Mund, stillte sein Verlangen. Doch urplötzlich stieß sie ihn fort, kühl wie eine Eisprinzessin.

»Benehmen Sie sich!«

»Bea«, sagte er, und das eine Wort drückte sein ganzes Verlangen aus. »Es ist gewiss empfehlenswert, in der Ehe treu zu sein. Aber Helene und ich sind nicht verheiratet. Wir sind nur Freunde.« Er sah ihr tief in die Augen. Sie waren braun mit einem kleinen Hauch Grün darin, das sie exotisch und überaus verlockend machte.

»Freunde?« Ihre Stimme klang gereizt. »Sie gehen mit diesem Wort recht sorglos um, Mr Fairfax-Lacy.«

»Ich bin ja auch Politiker«, erwiderte er grinsend.

»Aber Sie haben doch gesagt, dass Sie keinen Wert auf eine Geliebte mit Erfahrung legen. Mit zu viel Erfahrung«, präzisierte sie.

Er schaute auf sie herab und verfluchte sich ob seiner Torheit. »Das war grausam und schäbig«, gestand er. »Und meine einzige Rechtfertigung ist, dass ich dich über alles begehre und –«

»Ich lasse es mir durch den Kopf gehen«, beschied sie ihn und erhob sich.

Begierde erfüllte ihn, ließ ihn von Kopf bis Fuß erbeben. Was zum Teufel geschah da mit ihm? Warum setzte ihn ausgerechnet dieses freche, schamlose Weibsstück derart in Brand?

»Wir haben das Spiel noch nicht beendet«, mahnte er heiser.

Sie lächelte lediglich. Ihre rosigen Lippen schürzten sich auf eine Weise, die sein Herz vor Freude hüpfen ließ. Sie hatte eine Art zu lächeln, als ob ihr Körper tanzte. »Das müssen wir auch nicht.« Sie nickte zum Tisch. »Nach meinem letzten Stoß können Sie ohnehin nicht mehr gewinnen.«

Er riss sie an seine Brust und erstickte ihr Lachen, verschlang ihren Mund, züngelte in einem Rhythmus, dem sein Körper mit aller Macht zu folgen wünschte. »Du«, sagte er heiser. »Ich will dich, Bea.«

Langsam öffneten sich ihre Augen, und nun lag wieder jener schläfrige Ausdruck darin. Sie schmolz an seiner Brust dahin und brachte ihn mit ihrem Mund, mit ihrer bebenden Süße zum Schweigen: Und es war ein beredtes Schweigen.

»Kann ich dich vielleicht mit Poesie verführen? Soweit ich verstanden habe, ist dies doch deine bevorzugte Methode.« Seine Hände strichen verlangend über ihren Rücken. Von Nahem schienen ihre Augen eher grün als braun zu sein. Sie war eine exotische Schönheit mit einem kecken Grübchen. Doch etwas in ihrer Miene störte ihn, nämlich, dass sie seine Reaktion erwartet hatte. Ihre Augen drückten nicht brennendes Verlangen, sondern leise Befriedigung aus.

Es konnte gar keinen Zweifel geben, dass Lady Beatrix ständig umworben wurde. Ihre Schönheit und ihr schlechter Ruf mussten die Männer anziehen wie das Licht die Motten. Sie kleidete sich, um zu gefallen, um Männer anzulocken. Sie malte sich das Gesicht an, um noch exotischer – und zugänglich – zu wirken. Sie forderte die Männer heraus, sich ihr zu nähern … und das taten sie zweifellos auch.

Und doch spürte Stephen, dass Bea niemals der Versuchung erlegen war. Sie mochte sich zwar amüsieren, verlor aber nie den Kopf. Er aber wollte, dass sie im Taumel der Liebe versank. »Wenn ich es recht bedenke, dann sollte ich dich lieber nicht verführen.« Er ließ seine Arme sinken und krempelte die Ärmel wieder herunter. Dabei beobachtete er sie verstohlen.

Bea wirkte überrascht, aber nicht so, als habe er ihr das Herz gebrochen.

»Ich werde warten, bis du um mich wirbst. Denn immerhin werde ich in den nächsten Tagen ziemlich beschäftigt sein.«

»Ich werbe nicht um einen Mann«, behauptete Bea und reckte ihr Näschen in die Luft.

Stephen lehnte sich an den Billardtisch und musterte sie. Niemals zuvor hatte er das Gefühl gehabt, dass sein Körper etwas so Wertvolles, Bedeutendes war. Mit Bedacht kreuzte er die Beine und merkte, dass sie eine Sekunde wie gebannt hinschaute, dann jedoch rasch den Blick abwandte. »Hast du nie einen Mann gekannt, den du heiß begehrt hast?«

»In dieser Hinsicht habe ich wohl Glück gehabt –« Sie brach unvermittelt ab. Es war deutlich, dass ihr etwas – vielmehr jemand – in den Kopf gekommen war.

Er ließ seinen Blick über ihre Brüste wandern, verweilte dort, wo sie am empfindlichsten waren. »Es wird natürlich davon abhängen, ob du glaubst, dass es sich lohnt, meinetwegen in einen Wettstreit zu treten.«

Sie zog ironisch einen Mundwinkel hoch. Sie war kein naives Ding, über das er nach Belieben verfügen konnte. »Ich werde darüber nachdenken«, verkündete sie hoheitsvoll. »Wissen Sie, ich kann eigentlich nicht verstehen, warum Helene Sie erwählt hat. Sie als nüchterner Abgeordneter scheinen dazu doch denkbar ungeeignet.«

»Fällt dir denn gar kein Grund ein?« Die Frage schwebte im Raum.

»Möglicherweise liegt es an Ihrer Stimme«, gestand sie schließlich.

Stephen frohlockte innerlich. Bea gefiel seine Stimme! Er ging wieder auf sie zu und sprach mit seiner tiefen, tragenden Stimme, mit der er bislang opponierende Politiker eingefangen hatte, aber noch keine Frau. »Ich werde wohl hoffen müssen, dass meine Stimme wirksam genug ist, damit du in den Wahlkampf einsteigst.«

Sie starrte ihn wieder mit diesem dunklen Blick an. Er hob ihr Kinn an und las in ihren Augen die Erwartung, geküsst zu werden. Stattdessen küsste er ihre Hand. »Lady Bea«, sagte er, »ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«

Damit hatte er sie überrascht. Stephen bezweifelte, dass jemals ein Mann von Lady Beatrix gegangen war, ohne von ihr noch die eine oder andere Gunst zu erbitten. Er warf sich sein Jackett über die Schulter und schritt zur Tür. Dabei merkte er, dass er unwillkürlich stolzierte, ein Gang, der ihm so wenig ähnlich sah, dass er beinahe in Lachen ausgebrochen wäre.

»Stephen?« Ihre Stimme war kaum mehr als das Flüstern des Nachtwindes.

Natürlich blieb er stehen. Ob es ihr bewusst war oder nicht: Sie war eine Sirene, und er würde ihr überallhin folgen.

»Sind Sie sicher, dass Sie es auch wert sind? Dass gleich zwei Frauen um Ihre Aufmerksamkeit buhlen?«

Sein Lächeln war stolz wie das eines Sultans. »Daran hege ich keinerlei Zweifel, Bea. Für mich besteht die wahre Frage darin, welche der beiden mich für sich gewinnen wird.«

Sie zuckte die Achseln. »Ich jedenfalls nicht. Ich pflege nicht um Männer zu werben.«

»Schade«, äußerte er und wandte sich zum Gehen.

Fassungslos starrte Bea die Tür an, die sich hinter Stephen geschlossen hatte. Seit Ned hatte es kein Mann gewagt, sie einfach so stehen zu lassen. Im Grunde fand Bea ihre Rolle recht simpel: Sie machte sich schön, und die Männer kamen zu ihr.

Stephen machte sie rasend, reizte sie jedoch auch. Aber Bea wollte verdammt sein, wenn sie sich je einem Mann an den Hals warf. Sie mochte zwar Liebhaber genommen haben – beileibe nicht so viele, wie Stephen anscheinend glaubte –, aber seit Ned hatte sie keinen Mann mehr glauben lassen, dass sie sich verzweifelt nach ihm sehnte. Denn sie kannte die Sehnsucht nicht. Sie genoss die Gesellschaft von Männern, mehr war es nicht.

Und wenn Mr Fairfax-Lacy auf eine Zurschaustellung ihrer Gefühle aus war, dann würde er bitter enttäuscht werden.

* Pyramids: Snooker-ähnliche Form des Billardspiels, jedoch nur mit fünfzehn roten Kugeln. Die Spieler können, ohne eine Tasche anzusagen, auf ihre Treffer wetten. Bei zwei Spielern ist die Partie nach den ersten acht Treffern eines Spielers beendet. (Anm. d. Übers.)