12
Betten, Bäder und Nachthemden
Er war nicht da, als Esme die Tür öffnete. Wie denn auch? Im Grunde war sie froh darüber. Was würde ihre Zofe denken, wenn sie den Gärtner im Schlafgemach ihrer Herrin antraf? Das klang doch allzu sehr nach Boulevardpresse: »Eine gewisse Witwe scheint, da sie keinen Ehemann mehr hat, sich der Dienste ihrer Angestellten zu versichern.« Morgen, ja morgen würde sie ein neues Leben beginnen, das Leben einer respektablen Witwe und Mutter. Und wenn das Kind erst einmal geboren war, kamen Liebhaber selbstverständlich nicht mehr infrage.
Doch Esme fiel es schwer, an ein ehrbares Leben zu denken, denn ihr ganzer Körper vibrierte in der Erwartung der kommenden Nacht. Noch nie hatte sie mit Sebastian eine Verabredung gehabt. Einmal, im letzten Sommer, hatten sie sich in Lady Troubridges Haus geliebt. Und danach hatte sie ihn einige Male in seiner Gärtnerhütte besucht, doch immer nur der Eingebung eines Augenblicks folgend. Niemals war Sebastian zu ihr gekommen. Wie auch?
Nie hatte sie sich vorstellen können, dass er in ihr Zimmer kommen würde. Dass sie ihm beim Auskleiden zusehen würde. Dass er sich mit brennendem Blick über sie beugen würde. Bei der bloßen Vorstellung kribbelte es zwischen ihren Schenkeln.
»Ich bin sehr erschöpft«, teilte sie ihrer Zofe Jeannie mit. »Ich möchte bitte sofort baden. Und gib Aprikosenöl hinzu.« Jeannie schnatterte in einem fort über die anderen Bediensteten, während Esme merkte, dass allein das Waschen ihres Körpers ein Gefühl der Fülle, der Erwartung heraufbeschwor …
Plötzlich nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. An den Fenstern ihres Zimmers hingen lange blassgelbe Vorhänge. Und unter einem dieser Vorhänge ragte die Spitze eines schwarzen Stiefels hervor. Nicht der Stiefel eines feinen Herrn. Sondern der eines Gärtners.
Eine Welle des Verlangens erfasste Esme. Er beobachtete sie. Ihr ganzer Leib geriet in Aufruhr, weil sie sich dieser verborgenen Augen bewusst war. Jeannie hatte ihr das Haar auf dem Kopf festgesteckt, damit es nicht nass wurde. Jetzt tastete Esme danach, als wollte sie sich davon überzeugen, dass alle Haarnadeln noch an Ort und Stelle saßen. Bei der Bewegung hoben sich ihre Brüste aus dem Wasser, und Tropfen rannen über ihre glatte Haut. Wieder bewegte sich der Vorhang kaum merklich.
Esme unterdrückte ein zufriedenes Lächeln und beugte sich über den Rand des Badezubers. »Meine Haut ist in letzter Zeit furchtbar trocken geworden«, sagte sie zu Jeannie und hoffte, ihre Zofe würde den veränderten Ton ihrer Stimme nicht bemerken. »Könnte ich jetzt das Öl haben?«
Jeannie goss ihr etwas Öl in die hohle Hand. Langsam, behutsam ließ Esme das süß duftende Öl über ihren Hals und über die glatte Rundung ihres Busens rinnen. Jeannie machte sich derweil im Zimmer zu schaffen, faltete Kleider zusammen und redete unaufhörlich dabei. Esme breitete eine Hand über die Rundung ihrer Brust aus. Das Öl zog in ihre feuchte Haut ein und machte sie samtzart. Wieder bewegte sich der Vorhang, und Esme lächelte. Für den Mann, der auf sie wartete. Diese Augen, die sie im Verborgenen belauerten, verwandelten ein schlichtes Bad in ein laszives, verbotenes Vergnügen … gaben ihr das Gefühl, sinnlich und erotisch zu sein.
Der Vorhang bewegte sich. Er sah ihr zu …
»Das ist ja merkwürdig!«, rief Jeannie und ging auf das Fenster zu. »Ich hätte schwören können, dass ich es zugemacht habe, aber da ist ein Luftzug.«
»Da ist kein Luftzug!«, rief Esme.
»Ich will bloß nachsehen, Mylady.«
»Nein!«
Jeannie stoppte abrupt. »Mylady?«
»Ich glaube, ich bade heute Abend ein wenig länger. Warum gehst du nicht hinunter und« – sie suchte nach einem Vorwand – »hilfst Mrs Myrtle?«
Jeannie sah sie bass erstaunt an, wandte sich aber immerhin vom Fenster ab. »Aber Mylady, Mrs Myrtle braucht meine Hilfe nicht! Sie ist viel zu eingebildet, um ausgerechnet mich um Hilfe zu bitten!«
Das mochte wohl stimmen. Esmes Haushälterin war eine Furcht einflößende Person. »Ich würde gern allein sein«, sagte Esme geradeheraus.
»Natürlich, Mylady! Ich komme einfach in zehn Minuten wieder und –«
»Nein! Ich wollte damit sagen, dass ich mich heute ohne deine Hilfe fertig machen werde.«
Jeannie klappte der Mund auf. »Aber Mylady, wie wollen Sie denn allein aus dem Zuber kommen? Sie könnten stolpern!«
Damit hatte die Zofe durchaus recht. Esme konnte aber schlecht behaupten, dass bereits eine helfende Hand anwesend war. »Dann hilf mir jetzt heraus«, befahl sie und streckte ihre Hand aus. Jeannie half ihr aus dem Zuber, Esme stellte sich auf den warmen Vorleger und hüllte sich in das Badetuch ein, das Jeannie ihr hinhielt. Sie hegte keinerlei Interesse daran, Sebastian ihren monströsen Bauch zu zeigen. Dann stand zu befürchten, dass er Hals über Kopf das Weite suchte. Sie bedeutete Jeannie, sich zu entfernen.
Die Zofe war vollkommen durcheinander. »Soll ich nicht in einer Viertelstunde …?«
»Ich komme schon zurecht«, sagte Esme in einem Ton, der keine Widerrede duldete. »Gute Nacht.«
Jeannie wusste, wann einem Befehl ihrer Herrin Folge zu leisten war. Einen Augenblick stand sie noch verblüfft da, dann knickste sie und lief verwirrt die Hintertreppe hinunter. Sie war so durcheinander, dass sie Mrs Myrtle alles haarklein berichtete, obwohl Jeannie normalerweise darauf achtete, mit diesem Drachen von Haushälterin möglichst wenig zu sprechen.
Mrs Myrtle zog erstaunt die Augenbrauen hoch. In früheren Zeiten wäre dies ein untrügliches Zeichen dafür gewesen, dass die Herrin am Abend noch etwas vorhatte. Aber doch jetzt nicht mehr! »Schwangere Frauen haben nun mal Launen«, sagte sie zu Jeannie. »Sie sind so unvernünftig, wie der Tag lang ist. Meine Schwester hat eine ganze Woche nur Möhren gegessen. Wir haben schon geglaubt, sie würde orange werden. Keine Sorge, morgen früh ist Lady Rawlings wieder ganz die Alte.«
Wenn Jeannie nur gewusst hätte, dass Lady Godwins erfahrene Zofe Meddle ebenso fassungslos war! Ihre Herrin hatte ebenfalls ein Bad bestellt. Und dann hatte sie die vier Nachthemden, die sie mitgebracht hatte, nacheinander anprobiert und an jedem etwas auszusetzen gefunden. Eines war nicht gut gebügelt, ein anderes hatte eine schadhafte Naht … Offenbar hatte ihre Herrin heute Abend noch eine Verabredung. Doch mit wem?
»Das ist doch so klar wie Kloßbrühe«, sagte Mr Andrews und gestikulierte mit seiner Gabel herum. »Sie hat sich mit meinem Herrn, Lord Winnamore, verabredet. Weil er bei Lady Withers nicht landen konnte, will er nun ein jüngeres Feld beackern.« Andrews war ein vorlauter Londoner, der erst seit wenigen Tagen in Winnamores Diensten stand.
»Der Meinung bin ich nicht«, sagte Mr Slope gebieterisch. Als Butler gestattete er nicht den leisesten Klatsch über die Hausherrin, doch wenn es um die Schwächen anderer Personen von Stand ging, ließ er sich dazu herab, das übrige Personal mit seinem Wissen zu erleuchten. Und Slopes Wissen war beträchtlich, darin waren sich alle einig. Denn da er zehn Jahre lang Butler bei einem der am übelsten beleumdeten Ehepaare Londons gewesen war, hatte er jegliche Spielart von Verderbtheit erlebt, der der Adelsstand sich hingab.
Mrs Myrtle zog eine Augenbraue hoch. »Sie wollen doch nicht behaupten, dass es Mr Fairfax-Lacy ist, mein lieber Mr Slope? Und nehmen Sie doch bitte noch etwas von diesem Käse-Röstbrot mit Eingelegtem. Ich glaube, die Köchin hat sich diesmal selbst übertroffen.«
Mr Slope kaute sorgfältig und schluckte gewissenhaft hinunter, bevor er antwortete. Seine Manieren waren stets beispielgebend für die niedere Dienerschaft. »Ich glaube tatsächlich, dass es Mr Fairfax-Lacy ist.«
»Mein Herr in einen Ehebruch verwickelt? Niemals!« Mr Fairfax-Lacys Kammerdiener war ein naiver, ältlicher Mann. Mr Fairfax-Lacy hatte ihn vor dem drohenden Ruin gerettet, als er sich bereits im Armenhaus sah.
»Es wäre ein Akt der Freundlichkeit«, unterstützte Meddle die Ansicht des Butlers. »Was soll die arme Lady Godwin denn tun? Ihr Mann hat sie vor zehn Jahren verlassen. Wenn die Gerüchte stimmen – ich stand damals noch nicht in ihren Diensten –, dann hat er meine Herrin auf die Straße gesetzt. Sie musste sich eine Mietdroschke zum Haus ihrer Mutter nehmen. Er hat ihr nicht mal erlaubt, die eigene Kutsche zu benutzen! Wenn das nicht böse ist, was dann?«
»Oh, wenn es um einen Akt der Freundlichkeit geht, dann ist Mr Fairfax-Lacy der Richtige«, gab sein Kammerdiener zu verstehen und lehnte sich zufrieden zurück.
»Ich halte ja Lord Winnamore für die bessere Wahl«, beharrte Andrews. »Mein Herr ist in ganz London bekannt. Und außerdem wohlhabend.«
»Es ist allgemein bekannt, dass er Lady Withers treu ergeben ist«, entgegnete Mr Slope. »Sie haben ja selbst zugegeben, Mr Andrews, dass Sie in Ihrer Profession noch nicht sehr erfahren sind.« Ein paar der jüngeren Diener schauten Slope verständnislos an, deshalb erklärte er: »Mr Andrews arbeitet noch nicht lange als persönlicher Diener eines Gentleman.«
»Das stimmt«, sagte Andrews. »Bin aus dem Schneidergewerbe zu diesem Beruf gekommen«, fuhr er fort. »Hatte meine Lehrzeit beendet und konnte die Vorstellung nicht ertragen, zwanzig Jahre lang nähen zu müssen. Also habe ich eine Stellung als Kammerdiener angenommen.«
»Wenn Sie etwas mehr Erfahrung gesammelt haben, werden Sie die Zeichen zu lesen verstehen. Wo befindet sich Mr Winnamore in diesem Augenblick, was meinen Sie?«
»Nun, im Bett, würde ich sagen«, antwortete Andrews. »Mit der Gräfin!«
»Sie haben ihn entkleidet?«
»In gewisser Weise.« Zu Andrews’ großer Erleichterung benötigte sein Herr derlei Dienste an seiner Person nicht. Denn Andrews glaubte nicht, dass er imstande wäre, einem anderen Mann die Unterwäsche auszuziehen, und wenn der Lohn auch noch so großzügig wäre.
»Das ist der Beweis«, sagte Mr Slope befriedigt.
»Der Beweis wofür?«
»Ein Gentleman entkleidet sich nicht, bevor er das Gemach einer Dame betritt. Er könnte ja auf dem Korridor gesehen werden. Er gibt lieber vor, ein Buch aus der Bibliothek holen zu müssen oder etwas Ähnliches.« Slope kicherte. »Ich habe in diesem Haus schon Nächte erlebt … kein einziges Buch hätte mehr in der Bibliothek stehen dürfen, wenn ihre Lügengeschichten der Wahrheit entsprochen hätten!«
Andrews musste Mr Slopes Worte hinnehmen. Hier sprach die Stimme der Erfahrung. Und Mr Winnamore hatte tatsächlich nicht den Eindruck gemacht, als plane er einen Ausflug, als Andrews ihn verlassen hatte. Vielmehr hatte er gemütlich im Bett gelesen, wie jeden Abend.
»Mr Fairfax-Lacy, wie? Der sitzt doch im Parlament, oder?«, erkundigte sich Andrews.
»Ganz recht«, nickte Mr Slope. »Und er ist ein hoch geschätzter Abgeordneter. Lady Godwin hätte keine bessere Wahl treffen können. Ich hätte übrigens nichts gegen eine zweite Portion von dieser Lammpastete einzuwenden, Mrs Myrtle, wenn Sie so nett wären. Und jetzt wollen wir über die Art und Weise sprechen, wie man während des Dinners den Speisesaal verlässt, denn heute Abend ist mir aufgefallen, dass unser junger Liddin sich durch die Tür gedrängelt hat, als würde er von einer Herde Elefanten verfolgt.«