15

Wenn die Haut eines Mannes einen bleibenden Eindruck hinterlässt

Esme hegte mittlerweile Bedenken. Immer noch klopfte ihr das Herz bei der Erinnerung daran, wie Jeannie auf das Fenster zugegangen war. Sie hüllte sich enger in ihr Handtuch. »Es ist Wahnsinn. Mein Kind kann jeden Moment zur Welt kommen.«

»Oh, das weiß ich doch«, sagte er, ein wenig belustigt. »Ich kann ebenso gut rechnen wie du. Es ist bald achteinhalb Monate her, seit wir uns in Lady Troubridges Salon begegnet sind.«

»Es ist Miles’ Kind«, beharrte Esme und nahm sehr wohl ihren störrischen Tonfall wahr. Doch für sie war es wichtig, Miles das Kind zu schenken, das er sich so sehr gewünscht hatte.

»Du weißt schon, dass deine Überzeugung, es sei Miles’ Kind, auch auf einem Irrtum beruhen könnte? Immerhin hast du dich erst nach unserer Begegnung mit deinem Mann versöhnt.«

»Es war bereits in der folgenden Nacht«, sagte Esme schnell. Doch sie wusste, dass dies bei ihm nicht verfing.

»Es kann auch ebenso gut mein Kind sein. Unser Kind. Rein rechnerisch steht es zwischen mir und Miles unentschieden, da jeder von uns eine Nacht mit dir verbracht hat, eine einzige Nacht.«

»Es ist ganz sicher Miles’ Kind. Er hat sich so sehr ein Kind gewünscht!«

»Leider haben Wünsche auch in der Vergangenheit nicht unbedingt zu einer Zeugung geführt.«

Esme musste zugeben, dass Sebastian recht hatte. »Erinnerst du dich an den Brief meiner Mutter, von dem ich dir erzählt habe? In dem sie mir schrieb, sie werde mir nicht bei der Geburt beistehen?«

»Natürlich.« Er begann sein Hemd aufzuknöpfen.

»In einem Postskriptum hat sie angefügt, ich wisse hoffentlich, wer der Vater des Kindes ist. Das war das Allerschlimmste. Denn ich weiß es eben nicht! Wenn wir nicht miteinander geschlafen hätten, dann hätte ich meiner Mutter eine empörte Antwort schicken können, und sie wäre vielleicht doch gekommen. Dann wäre sie jetzt vielleicht hier!«

»Aber nicht in diesem Zimmer, hoffe ich«, sagte Sebastian und zog sie in seine Arme. Er roch betörend nach Mann und frischer Luft. »Ich wünschte wirklich, deine Mutter wäre nicht so starrsinnig.«

Seine Hand auf ihrem Rücken fühlte sich so beruhigend an. Da war es wirklich kein Wunder, dass Esme mit jedem ihrer beschämenden Geheimnisse herausplatzte.

»Ich liebe dich, weißt du das?«, fragte er.

Sie wählte ihre Worte sorgfältig. »Ich weiß, dass du glaubst, mich zu lieben, Sebastian. Aber ich weiß auch, dass du dir Vorwürfe wegen Miles’ Tod machst. Es besteht wirklich kein Grund, es wieder gutzumachen.«

»Wiedergutmachung hat überhaupt nichts mit meinen Gefühlen für dich zu tun.«

»Wieso nicht?«, fragte sie und schaute ihm in die klaren blauen Augen.

»Als ich mich in dich verliebte, war Miles noch quicklebendig und protzte mit seiner Geliebten«, erwiderte Sebastian und sah sie eindringlich an. »Ich habe dich schon geliebt, während ich mit Gina verlobt war. Ich habe dir beim Tanzen zugesehen, und ich habe dir beim Flirten zugesehen. Und ich habe zugesehen, wie du überlegt hast, ob du mit diesem abscheulichen Dummkopf Bernie Burdett eine Affäre beginnen solltest.«

Esme wendete sich verlegen ab und zog das Handtuch eng um ihre Schultern. Wenn sie nicht achtgab, würde sie noch anfangen zu weinen.

»Esme.«

Sie setzte sich schwer auf einen Stuhl, ohne darauf zu achten, dass das feuchte Handtuch Flecken auf dem hellen Seidenbezug hinterließ. »Ich weiß, dass du glaubst, mich zu lieben. Aber es gibt Begierde – und es gibt Liebe. Und ich glaube nicht, dass du den Unterschied kennst.«

Er sagte nichts darauf. Esme hielt mühsam die Tränen zurück. Warum wollte er nicht verstehen, dass ihre Liebe keine Zukunft hatte? Sie konnte den Mann, der den Tod ihres Ehemannes verschuldet hatte, nicht heiraten. Der Skandal würde nie verstummen, und Esme durfte nicht riskieren, dass ihr Kind darunter leiden musste.

Sebastian kam zu ihr und hob sie auf seine Arme.

»Du wirst dir noch deine starken Gärtnermuskeln ausrenken«, flüsterte sie und barg ihr Gesicht an seinem Hemd.

»Nein«, erwiderte er und trug sie zum Bett. »Ich meine, dass wir nun lange genug geredet haben, Liebste. Und die Nacht liegt noch vor uns.«

Esme spürte, wie ihr der Atem stockte. Doch Sebastian war auf dem Gebiet der Verführung ebenso methodisch wie auf allen anderen Gebieten. Er löschte die Kerzen und schürte das Feuer, bevor er zu ihr ins Bett kam.

Sie betrachtete seine Beine und versuchte sich zu erinnern, ob er im letzten Sommer, bevor er Gärtner wurde, schon ebenso muskulös gewesen war. Sie glaubte es nicht. Sicher, auch damals war er schon kräftig gewesen, doch da bestand ein Unterschied.

»Oh, Sebastian!«, stieß sie voll schmerzlichen Verlangens hervor.

Gemächlich machte er sich daran, die letzte Kerze zu löschen. Der Widerschein des Kaminfeuers spiegelte sich auf seinem Rücken. Er musste wohl öfters mit freiem Oberkörper gearbeitet haben, denn sein Rücken war bis zur Taille hellbraun und über seinen Hinterbacken bronzefarben. Zwei Grübchen waren dort zu sehen … Esme ertappte sich dabei, wie sie unruhig die Beine aneinanderrieb. Er hatte nun die Kerze gelöscht und schien in aller Ruhe den Docht zu inspizieren.

Endlich drehte er sich zu ihr um. Esme musste schlucken. Er stand einfach da, während ein leises Lächeln seinen Mund umspielte. Er wusste um seine Wirkung auf sie. Der Schein des Kaminfeuers spielte auf seinen Schenkeln, seinen großen Händen, auf seiner goldenen Haut, auf …

Und immer noch lächelte er, jenes sündige, träge Lächeln, ein Versprechen künftiger Freuden.

»Hegt die Dame noch einen Wunsch?« Der Schalk tanzte in seinen Augen.

Esme spürte nur noch eines: die flüssige Erwartung zwischen ihren Schenkeln. Wie hatte sie nur eine einzige Nacht ohne ihn überstehen können? Wie würde sie noch einen Augenblick überstehen? »Du bist schön!«, stieß sie hervor, und ihre Stimme war so heiser, dass sie verlegen verstummte. Langsam kam Sebastian auf ihr Bett zu – Adonis und Jupiter, goldhäutiger Junge und stolzer König, lüsterner Teufel und aristokratischer Engländer in einem Mann vereint.

Esme hatte keine Zeit mehr, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie wohl aussah. Wenn es einer Frau glückte, einen solchen Mann in ihr Schlafgemach zu locken, dann war es die reinste Verschwendung, sich den Weg zum Glück von einem riesigen Bauch versperren zu lassen. Sie setzte sich auf und streckte die Arme nach ihm aus. Sie schlang ihre Beine um ihn, damit er ihr nicht mehr entkommen konnte.

»Jetzt habe ich dich eingefangen«, sagte sie mit wissendem Lächeln.

»Und was willst du mit mir tun?«, fragte er und lächelte nicht mehr.

Sie strich leicht mit den Fingerspitzen über seine Brustwarzen und spürte, wie er am ganzen Körper erbebte. Ihre Hände wanderten nach unten, berührten harte Muskeln, sonnenverbrannte Haut, schlossen sich um seinen Hintern und zogen ihn näher heran. Er schien den Atem anzuhalten, schwieg nun.

Esme war begierig und zugleich voller Hingabe. Er sollte sie niemals vergessen. Sie konnte ihn zwar nicht heiraten, aber sie würde es ihm sehr, sehr schwer machen, eine andere zu heiraten.

Und überdies wollte sie ihn, jeden sonnenverwöhnten Zoll seines Körpers. Und wo besser anfangen als an seiner harten Rute, dem Teil von ihm, der wie aus eigenem Willen auf sie zustrebte. Sie beugte sich vor und nahm ihn auf, und er sagte etwas mit erstickter Stimme, erstickt von ihrem warmen Mund. Sie zog ihn ganz an sich heran, die Hände auf seinem muskulösen Hinterteil, und er bog sich vor, stieß nicht, sondern genoss die Wonnen, die sie ihm schenkte.

Die Wonnen, die sie ihm schenkte. Eine Welle des Entzückens durchlief sie. Sie nahm ihn noch tiefer auf, quälte ihn, liebkoste ihn. Wieder und wieder bog er den Rücken durch und stöhnte, sein tiefstes Begehren im Einklang mit Esmes klopfendem Herzen.

Doch dann griff er ein, drängte sie auf das Bett zurück. Sie leistete einen Augenblick Widerstand und gab dann dem Druck seiner starken Hände nach. Als sie auf dem Bett lag und Sebastian hoch über ihr aufragte, kam sie sich wie ein schwaches kleines Mädchen vor. »Ich kann nicht mehr warten«, sagte sie mit einer verräterisch heiseren Stimme. Doch zwischen ihnen war nun kein Platz mehr für Verlegenheit.

Starke Hände zogen sie an die Bettkante. Er beugte sich über sie, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie, bis sie von Sinnen, bis sie im Fieberwahn war, jedoch nicht so von Sinnen, dass sie ihn nicht gespürt hätte.

Dort. Einlass begehrend.

»Du weißt doch wohl noch«, sagte er einige Zeit später, und das sündhafte Lächeln war wieder da, »dass ich unberührt bin, nicht wahr?«

Esme brach in Lachen aus.

»Nicht mehr.«

Seine Stimme war nur ein gedämpftes Flüstern auf ihrer Haut. »Erinnerst du dich an die Nacht, als du mir die Unschuld geraubt hast, Esme?« Seine Hand lag auf ihrem Schoß. »Dieses Kind könnte ebenso gut von mir sein«, flüsterte er in ihr Haar.

»Oder von Miles«, entgegnete sie, doch dieses eigensinnige Beharren wurde ihr allmählich selbst lästig. Sie schloss die Augen und ließ sich an seine Schulter sinken, genoss seine zärtlichen Liebkosungen.

»Es macht mich sehr glücklich, dass du bald dieses Kind bekommen wirst.«

»Und wenn wir verheiratet wären, und es wäre doch Miles’ Kind? Du könntest dir niemals sicher sein!«

»Ich würde es wie mein eigenes Kind lieben«, versicherte er. »Ich würde es niemals im Stich lassen.«

»Ich weiß«, sagte sie, beschämt von dem Ernst in seiner Stimme.

»Wenn du mir gestattest, im Leben dieses Kindes eine Rolle zu spielen«, fuhr er fort und legte seine große Hand auf ihren Bauch, »dann werde ich auf Anstand nicht so großen Wert legen. Ich will beileibe nicht Miles’ Wunsch kritisieren, dass du eine ehrbare Frau werden solltest. Aber ich glaube nicht, dass Achtbarkeit die wichtigste Voraussetzung ist, um ein Kind aufzuziehen.« Eine Locke seines Haares war ihm ins Gesicht gefallen, und Esme konnte seine Augen nicht sehen.

Sebastian beugte sich über sie und drückte Küsse auf ihren Bauch. »Ich habe nämlich nicht die Absicht, meinem Vater nachzueifern, selbst wenn du darauf bedacht bist, deine Mutter mit Ehrbarkeit zu beeindrucken. Mein Vater war ein hoch geachteter Mann. Er war so respektabel, dass es mir schwerfällt, mich an seinen Vornamen zu erinnern.«

Sie strich ihm die Haarlocke aus der Stirn, um seine Augen sehen zu können.

»Du wirst eine wunderbare Mutter sein, Esme.«

Sie biss sich mit aller Macht auf die Lippen, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie hatte sich geschworen, dass sie nicht weinen würde. »Da bin ich mir nicht so sicher«, gestand sie mit versagender Stimme.

»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Das Kind hat Glück, dich als Mutter zu bekommen.«

»Ich würde es nicht … ich weiß aber nicht …« Nun kamen die Tränen doch und trübten ihren Blick.

»Was in aller Welt macht dir denn solche Sorgen, mein Liebling?«

»Benjamin«, erwiderte sie, »mein Bruder Benjamin. Er ist doch gestorben, als er noch ganz klein war, habe ich dir das nicht erzählt? Ich habe Angst. Ich bin … ich habe einfach Angst.«

»Natürlich erinnere ich mich.« Er schloss sie in seine Arme und wiegte sie sanft. »Aber deinem Baby wird nichts zustoßen, das verspreche ich dir.«

Sie schliefen zusammen ein, sie in seine Arme geschmiegt, als könnte er sie vor allen Übeln des Lebens bewahren. Als Esme Stunden später erwachte, hielt Sebastian sie immer noch an seine Brust gedrückt. Das Feuer war heruntergebrannt, und im Zimmer lag ein weißes, durchscheinendes Licht. Er schlief tief und fest. Seine Wimpern lagen auf den Wangen, und sein Haar glänzte wie vergoldet. All ihre Ängste waren wie ausgelöscht.

»Sebastian«, sagte sie. Sogleich schlug er die Augen auf, die im schwachen Licht beinahe schwarz wirkten. Esme fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schmeckte das Salz der Tränen und des Verlangens auf ihnen.

»Wie geht es dir?« Seine Stimme klang tief und schlaftrunken und rief ein Zittern zwischen ihren Schenkeln hervor. »Noch spüre ich nicht den Abdruck deiner Haut auf mir«, flüsterte sie.

»Noch nicht?« Er zog ironisch eine Braue hoch. Wie hatte sie ihn jemals für einen selbstgefälligen Pharisäer halten können? Sie musste blind gewesen sein.

»Überhaupt noch nicht.« In gespielter Traurigkeit schüttelte sie den Kopf. »Es tut mir leid. Deine ganzen Bemühungen haben wohl kein Ergebnis gebracht.«

»Du wirst mir meine Nachlässigkeit vergeben müssen.« Seine Stimme schnurrte verführerisch. »Ich bin praktisch noch unberührt.« Seine Hand strich lockend über ihre Brüste, immer wieder.

Ein erstickter Seufzer entrang sich Esmes Kehle.

»Ich brauche Übung.« Seine Stimme war dunkel, kehlig, besitzergreifend. Ein Schauer der Verzückung rann über Esmes Rücken. »Du wirst mir eine zweite neue Chance geben müssen.«

Esme versagte die Stimme. Sein Mund arbeitete sich an ihrem Leib hinab. Er ergriff Besitz von ihr, und für Worte blieb kein Raum. Esme hatte genug damit zu tun, ihr Stöhnen zu unterdrücken. Doch dafür gab es ja seine glatte Haut, auf die sie ihre Lippen drücken konnte, gab es all diese Muskeln, deren Form sie mit ihrer Zunge erkunden konnte.

Ungefähr eine Stunde später fragte er: »Hast du jemals Romeo und Julia gelesen?«

»Natürlich. Einmal. Sie ist so dumm, sich wegen dieses liebeskranken Jungen umzubringen, so viel habe ich noch behalten.«

»Meine Esme, die Stimme der Vernunft.« Er küsste ihre Nasenspitze. »Was du da hörst, ist das Lied der Lerche vor deinem Schlafzimmerfenster. Ich muss also bald gehen.«

Das Licht, das von draußen durch frühlingsbelaubte Bäume ins Zimmer drang, war von wässerig gelber Farbe. Esme wollte nicht wahrhaben, dass der Morgen schon angebrochen war. »Würdest du mir den Rücken massieren?«, bat sie.

Sebastian drückte seine Daumen in den unteren Ansatz von Esmes Rückgrat. Sie schien vergessen zu haben, dass es stets einen Morgen gab. Dass sie ihm befohlen hatte, sie bei Morgengrauen zu verlassen. Die Sonne schien unter den Vorhängen durch, und jeden Augenblick konnte ihre Zofe hereinkommen. Esme stöhnte wie eine Frau in Ekstase. Ihre prachtvoll geschwungenen Hüften hoben sich von den zerwühlten Laken ab.

»Mein Rücken schmerzt heute Morgen mehr als sonst«, gestand Esme mit dünner Stimme. »Glaubst du, wir haben es verletzt?«

Sebastian drehte sie wieder auf den Rücken und schaute auf ihren geschwollenen Bauch. »Nicht im Geringsten«, beruhigte er sie und legte seine Hände auf ihren Leib, um das Kind zu begrüßen. Sein Kind.

»Ich glaube, du solltest jetzt wirklich gehen«, sagte Esme und sah ihn mahnend an. Sie wirkte gereizt und bitter. »Wohin fährst du eigentlich?«

»Frankreich hat mir immer am besten gefallen«, antwortete er ausweichend.

Wenn er nicht beabsichtigte, ihr seine Adresse zu geben, so sollte es Esme auch recht sein. »Nun, dann trink einen Champagner auf mein Wohl!«

»Möchtest du nicht tränenreich Abschied von mir nehmen?«

»Ich war selbst zu meinen besten Zeiten keine Freundin tränenseliger Abschiede!«, fauchte Esme. Sie stemmte die Ellenbogen aufs Bett, um sich aufzusetzen, und Sebastian half ihr beim Aufstehen. »Bitte geh jetzt. Jeannie muss jeden Augenblick kommen.«

Sebastian musste heimlich grinsen. Esme versuchte ihr Herz zu schützen, das sie unter ihrem verführerischen Getue und ihrer Flirtkunst verbarg. Ihr Herz, das sie nie einem Manne geschenkt hatte – nur ihm, dachte er. Obschon sie sich dessen nicht bewusst zu sein schien.

Er hüllte sie in ihren Morgenmantel und strich ihr die glänzenden schwarzen Locken zurück. »Du bist wunderschön am Morgen.« Er nahm ihr Gesicht in seine Hände.

»Bin ich nicht«, schmollte Esme und wich zurück. »Ich habe einen ganz fürchterlichen Geschmack im Mund, und mein Rücken tut höllisch weh. Ich bin nicht in der Stimmung für Gefühlsergüsse, Bonnington, und wäre dir sehr dankbar, wenn du hinausfändest, bevor das ganze Haus erwacht.«

Sebastian zog sich gehorsam Hemd und Hose an, während Esme zuschaute. Als er den letzten Knopf an seinem Hemd schloss, sah er Tränen über ihre Wangen rinnen. »Mein Liebling.« Er schloss sie in seine Arme. »Weine doch nicht.«

»Ich kann nichts dagegen machen«, schluchzte Esme. »Ich weiß, dass du fortmusst – denn fort musst du! –, aber ich bin so einsam ohne dich. Ich bin eine Närrin, eine schwache, törichte Närrin. Ich bin einfach … einfach …«

»Ich liebe dich, Esme«, sagte er. »Wenn du mich brauchst, gib mir Nachricht. Ich komme, so schnell ich kann – immer.«

»Aber du musst gehen! Es ist unschicklich, dass sich ein als Gärtner getarnter Edelmann auf meinem Anwesen verbirgt. Es wird sich in Windeseile herumsprechen, und dann wäre mein Ruf vollends ruiniert.«

Er reichte ihr sein Taschentuch.

»Danke. Und mir wäre es auch egal«, fuhr sie schniefend fort, »aber was ist mit meinem Kind? Aber das weißt du ja alles, Sebastian, du weißt es, und ich weiß es und … es hilft ja alles nichts. Also geh – bitte.«

Er rührte sich nicht von der Stelle.

»Geh!« Sie schaute ihn mit vor Tränen glänzendem Gesicht an. Ihre Augen waren rot, sie zerknüllte das Taschentuch in den Händen, und Sebastian wusste genau, dass er nie einen anderen Menschen so lieben könnte wie sie.

Er beugte sich vor und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. »Auf Wiedersehen«, sagte er. Dann legte er seine Hände ein letztes Mal auf ihren Bauch. »Und auch dir, mein Kleiner.«

»Oh Gott, ich halte es nicht aus!«, schluchzte Esme. »Geh bitte, oder mein Entschluss gerät ins Wanken. Geh endlich!«

Er schlüpfte aus ihrem Zimmer und sah prüfend nach rechts und nach links. Gestern Abend war er über eine der Leitern in Esmes Zimmer gekommen, doch im Oberstock des Hauses kannte er sich nicht aus.

Plötzlich vernahm er ein diskretes Hüsteln hinter sich. »Kann ich Ihnen behilflich sein, Mylord?«

Sebastian fuhr herum und sah sich Esmes Butler gegenüber, der eine höfliche Verbeugung machte. »Slope, nicht wahr?«, fragte er.

»Ganz recht, Mylord.«

»Ich weiß, dass Ihre Herrin Ihnen vorbehaltlos vertraut. Und ich hoffe, dass sie sich auf Ihre unbedingte Diskretion verlassen kann.«

»Natürlich«, erwiderte Slope, und nur ein Hauch von Gekränktheit lag in seiner Stimme.

»Einer der Arbeiter, Rogers, stiehlt Schieferplatten und verkauft sie im Dorf«, verriet Sebastian dem Butler. »Vielleicht möchten Sie dem Vorarbeiter einen Wink geben? Übrigens scheide ich aus Lady Rawlings’ Diensten, Sie müssen also die Stelle des Gärtners neu besetzen.«

Wieder verneigte sich Slope. »Ich bin Ihnen für den Hinweis äußerst dankbar, Mylord. Darf ich Sie nun zum Seiteneingang führen?«

»Ich bin es, der Ihnen zu danken hat«, protestierte Sebastian freundlich und schritt in der Morgendämmerung davon.