XXVIII.

NACH DEM ESSEN hielten zwei Pick-ups vor dem Haus. Wieder versteckte Salem hastig seine Gitarre. Beide Fahrzeuge waren weiß, aber keiner wurde von dem Mann gesteuert, der Alan verdächtigt hatte, ein CIA-Agent zu sein. In jedem saßen etwa vier Männer, so alt wie Alan oder älter, dazwischen ein paar Teenager.

Alan wurde angeboten, in dem ersten Pick-up vorne zu sitzen, aber er wollte lieber an der frischen Luft sein. Es war ein kühler und klarer Abend, und er wollte alles sehen. Die Männer debattierten laut, doch schließlich schaltete Yousef sich ein und versicherte ihnen, dass Alan das wirklich wollte, dass ihre Gastfreundschaft am besten dadurch zum Ausdruck käme, wenn sie ihm den Wunsch gewährten. Normalerweise hätte er nicht darauf bestanden, aber heute Abend war es ihm wichtig, denn nach Wochen in dem sterilen Hotel war ihm nach Nachtluft und Sternen und er wollte auf der Ladefläche des Pick-ups durchgerüttelt werden.

Also kletterte er hinten drauf zu den zwei jüngsten Cousins und einem älteren Mann. Alle drei hatten Gewehre. Yousef setzte sich auf den Beifahrersitz.

– Kommen Sie mit?, fragte Alan Salem.

– Soll das ein Witz sein?, sagte Salem. Bis später.

Der Pick-up sprang rumpelnd an und holperte dann langsam die Zufahrt hinunter. Der Mann gegenüber von Alan, ungefähr im selben Alter und mit derselben Statur, lächelte ihn an. Alan streckte die Hand aus. – Alan, sagte er.

Der Mann schüttelte sie. – Atif.

Ein Schlagloch ließ sie alle in die Luft fliegen. Als sie wieder landeten, lachten alle. Atif, so hoffte Alan, war nicht von der Möglichkeit in Kenntnis gesetzt worden, dass Alan bei der CIA war. Alan wollte schlicht und ergreifend der sein, der er war: niemand.

Atif zeigte mit dem Kinn auf Alan. – Haben Sie schon mal einen Wolf gejagt, Mr Alan?

Alan schüttelte den Kopf.

– Aber Sie haben …

Der Mann konnte das Wort für schießen nicht finden, daher tat er stattdessen so, als würde er sein eigenes Gewehr abfeuern. – Sie machen das?

– Ja, sehr oft, sagte Alan.

Der Mann legte den Kopf schief, wurde nicht ganz schlau daraus.

– Aber nicht Tier töten?

– Nein, sagte Alan.

Der Mann lächelte. Ihm fehlten die meisten Zähne.

Mensch töten?

Alan lachte. – Nein.

– Tier essen?, fragte der Mann.

– Ja, antwortete Alan.

Der Mann schien einen Moment zufrieden, dann blitzte Verschmitztheit in seinen Augen auf. – Mensch essen?

Alan entschied sich zu lachen. – Nein.

Der Mann lächelte. – Nicht einmal Mensch essen?

Alan entschied sich erneut zu lachen.

Der Mann griff nach Alans Hand und schüttelte sie wieder.

– Gut, sagte er.

Die Straßen waren eine Katastrophe und wurden immer schlimmer, je höher sie in die Berge kamen. Der Pick-up wieherte und grunzte, und Alan fragte sich laut, ob bei dem Lärm, den ihr Konvoi veranstaltete, nicht sämtliche Wölfe längst das Weite gesucht hatten.

Schließlich hielten sie hoch oben auf dem Kamm an, und die Cousins stiegen aus und halfen Alan hinunter. Yousef kam von dem anderen Pick-up. Er lud sein Gewehr.

– Auf dem Hof da unten wurden zuletzt Schafe gerissen.

Alan nahm das Gehege in Augenschein und schätzte, dass sie etwa siebzig Meter entfernt waren.

– Und der Plan?

– Einfach hier warten, schätze ich.

– Aber wittern die uns nicht?, fragte Alan. Niemand antwortete, und er vermutete, dass die Frage irrelevant war.

– Sie und ich gehen da rüber, sagte Yousef.

Sie gingen hundert Meter zu einer Ansammlung Felsbrocken, niedrig und glatt, und Yousef legte sich auf einen. Alan tat es ihm gleich, und beide richteten sie ihre Gewehre auf das Gehege unterhalb von ihnen. Sie hatten freie Schussbahn. Der Bauer hatte einen Scheinwerfer angelassen, der die Wölfe zuvor nicht abgeschreckt hatte, wie die Männer sagten, und es war nur wenig Wind, daher konnte Alan der Schuss gelingen, wenn der Wolf sich langsam und vorhersehbar bewegte. Er hatte nicht viel Erfahrung mit beweglichen Zielen, aber ohne Hindernisse, in einem flutlichterhellten offenen Gehege, glaubte er, das Tier zumindest anschießen zu können.

Er beobachtete, wie der Rest der Jagdgesellschaft sich rings um das Gehege verteilte. Er zählte neun Schützen, einschließlich der jungen Cousins. Sollte ein Wolf sich dem Gehege nähern, waren reichlich Gewehre bereit, ihn zu erlegen.

Alan wollte kein Tier töten. Ihm graute vor dem Moment, wenn der von einer Kugel getroffene Wolf zusammenzucken, herumtorkeln und dann, unfähig, sich zu bewegen, mit Blei vollgepumpt werden würde. Ihm graute davor, den röchelnden Atem des Wolfes zu hören, während sie um ihn herumstanden und darauf warteten, dass er starb. Aber es schien unwahrscheinlich, dass irgendein Tier, und wenn es noch so blöd oder verzweifelt war, das Gehege unter diesen Bedingungen betreten würde, bei den vielen Menschen in der Nähe, bei dem hellen Licht. Andererseits verstand Alan nichts von der Jagd, von der Wolfsjagd, von der Wolfsjagd in den Bergen Zentral-Saudi-Arabiens.

Alans Vater hatte ihm das Schießen beigebracht, das heißt, er hatte ihn immerhin ein paarmal mit auf die Jagd genommen. Er hatte ihm nicht viel beigebracht. Als Alan zehn war, hatte er ihm eine alte Winchester Kaliber .22 in die Hand gedrückt und gesagt: Mach alles so wie ich. Ron benutzte ein halb automatisches Gewehr Kaliber .45, und Alan war hinter ihm hergegangen. Wenn Ron sein Gewehr hob, hob Alan seins. Schließlich brachte Ron ihm bei, in den Schuss hineinzuatmen, das Gewehr möglichst eng am Körper, an der Wange zu halten. Aber Alan war nicht so begeistert, wie Ron gehofft hatte, und nach jenen ersten paar Versuchen war die Sache gegessen.

Auf der anderen Talseite erschien ein weiteres Paar Autoscheinwerfer, ein blauer Sonnenaufgang hinter der zerklüfteten Silhouette des Bergkamms. Alan sah Yousef an. Yousef zuckte die Achseln. – Das hier ist ein großes Ereignis. Alle wollen mitmachen. Es ist wie Weihnachten. Yousef dachte kurz darüber nach. Vielleicht nicht wie Weihnachten.

Alan blickte in das Gehege und sah nichts. Die Schafe hatten unter ihrem Wellblechdach Schutz gesucht, und der Wolf hatte sich noch nicht getraut, die Bühne zu betreten. Yousef senkte sein Gewehr und rieb sich Schulter und Hals.

Er blickte Alan an. – Hey, wie geht’s Ihrem Nacken?

– Gut. Tut weh.

Alan sah, dass Yousef lächelnd den Anblick auf sich wirken ließ, wie Alan über dem Felsen lag, das Gewehr im Anschlag.

– Waren Sie je in der Armee?, fragte er.

– Nein, hab ich Ihnen doch schon gesagt.

– Sie haben gesagt, Sie wären nicht bei der CIA.

– Ich war auch nicht in der Armee. Aber mein Dad.

– Und hat er gekämpft?

– Ja. Im Zweiten Weltkrieg.

Yousef gab einen beeindruckten Laut von sich. – Wo?

Die Mythologie der Veteranen des Zweiten Weltkriegs sieht vor, dass sie nicht gern über den Krieg reden, aber Ron zögerte nie. Alles konnte ihn in Fahrt bringen. Ein italienischer Akzent in irgendeiner Fernsehsendung und schon erzählte er von den beiden Mussolini-Soldaten – er bezeichnete sie nicht als italienische Soldaten, denn, so sagte er, wahre Italiener waren weder Anhänger dieses Wahnsinnigen, noch kämpften sie für ihn –, die er getötet oder zu töten geholfen hatte. Der Anblick einer Krankenschwester löste Geschichten über die deutschen Krankenschwestern aus, die er gekannt hatte, die britischen an Bord seines Schiffes nach Hause, die polnische, die er recht intim gekannt hatte. Diese Geschichte erzählte er erst, nachdem Alans Mutter gestorben war. Ron war im Alter wirklich deftig geworden, was? Aber da waren diese Geschichten, bessere Geschichten, als Alan auf Lager hatte oder je haben würde, Geschichten, die mit irgendeiner Verwundung begannen, Geschichten, die ausgelöst wurden, wenn er Schubert hörte, Wagner, wenn er sich historische Dokumentationen im Fernsehen anschaute.

Alan erzählte Yousef den besten Teil, dass sein Vater von den Nazis gefangen genommen und ins Kriegsgefangenenlager bei Mühlberg gesteckt worden war, und als die Sowjets die Region überrannten, rechneten alle im Lager damit, befreit zu werden, aber nichts geschah. Sie hatten den Verdacht, dass Stalin die Gefangenen irgendwie als Pfand benutzte, dass er sie festhielt, während er seine Optionen auslotete. Ron und ein Mitgefangener wussten, dass da irgendwas nicht stimmte, und obwohl sie Anweisung hatten, sich nicht vom Fleck zu rühren, geduldig zu sein und den Gang der Ereignisse zu respektieren, wollten sie raus. Sie wollten nach Hause. Also klauten sie eines Nachts zwei sowjetische Fahrräder, flitzten zu den Zäunen, suchten sich ein Loch, schlüpften hindurch und fuhren durch die deutsche Landschaft davon.

Yousef fand die Geschichte amüsant.

– Aha, deshalb haben Sie in Fahrrädern gemacht, sagte er.

– Wie meinen Sie das?

– Weil Ihr Vater auf einem Fahrrad geflohen ist.

Alan ließ das kurz auf sich wirken. – Mhm, sagte er schließlich. Auf die Idee bin ich noch nie gekommen.

Yousef glaubte ihm nicht. Er wollte nie einen Bogen geschlagen haben von der Flucht seines Vaters auf einem Fahrrad, dem einzigen Fahrzeug, mit dem das so leise und so schnell möglich war? War da eine Verbindung? Alan versuchte gar nicht, das alles zu analysieren.

– Aber Sie wollten nicht zur Armee?

– Nein.

– Warum? Keine guten Kriege?

– Genau.

– Aber im Zweiten Weltkrieg hätten Sie gekämpft?

– Ich hätte keine Wahl gehabt.

– Und wenn doch?

– Eine Wahl?

– Ja.

– Ich hätte gekämpft. Ich hätte versucht, den Pazifik zu meiden.

– Und wenn Sie jetzt jung wären?

– Ob ich dann zur Armee ginge? Nein.

– Warum? Noch immer keine guten Kriege?

– Wieso die vielen Fragen, Yousef? Überlegen Sie, zur Armee zu gehen?

– Vielleicht. Ich wäre gern Pilot.

– Na, tun Sie das nicht.

– Wieso nicht?

– Weil Sie einfach Ihr Studium abschließen sollten. Sie sind ein heller Kopf. Bleiben Sie in Sicherheit, gehen Sie zur Uni, verschaffen Sie sich Möglichkeiten.

– Aber hier gibt es keine Möglichkeiten. Das hab ich Ihnen doch gesagt.

– Dann gehen Sie woandershin.

– Ich könnte woandershin.

– Dann tun Sie das.

– Aber es wäre besser, hierzubleiben, wenn die Dinge sich ändern würden.

Sie lagen eine Weile schweigend da, Yousef wandte sich ihm zu.

– Alan, würden Sie für uns kämpfen?

– Wen?

– Menschen wie mich, in Saudi-Arabien.

– Wie, für euch kämpfen?

– Wie ihr für die Iraker gekämpft habt. Oder wofür ihr angeblich gekämpft habt. Um ihnen Chancen zu geben.

– Meinen Sie, ob ich persönlich kämpfen würde?

– Ja.

– Vielleicht. Als junger Mann hätte ich es getan.

– Würden andere es tun?

– Yousef, das ist Quatsch. Niemand marschiert in Saudi-Arabien ein.

– Ich weiß. Ich bin einfach neugierig. Mich interessieren einfach einzelne Menschen.

– Sie wollen wissen, ob einzelne Amerikaner herkommen würden, um an eurer Seite zu kämpfen?

– Genau.

– Ich weiß nicht. Wahrscheinlich. Ich glaube, bei uns gibt es eine Menge Leute, die bereit sind zu kämpfen, um die Menschen zu unterstützen, die versuchen, frei zu sein. Amerikaner mögen eine gute Sache. Und sie denken nicht zu viel drüber nach.

Alan lachte über seinen Witz. Yousef nicht.

– Also, wenn ich hier eine demokratische Revolution starte, würden Sie mich unterstützen?

– Ist das Ihr Plan?

– Nein. Ich frage bloß. Würden Sie?

– Natürlich.

– Wie?

– Keine Ahnung.

– Würden Sie Truppen schicken?

– Ich persönlich?

– Sie wissen, was ich meine. Die USA.

– Truppen schicken? Unmöglich.

– Luftunterstützung?

– Nein, nein.

– Shock and Awe.

– Hier? Ausgeschlossen.

– Irgendwelche Berater vielleicht. Spione?

– Hier in Saudi-Arabien? Die gibt es doch schon reichlich.

– Und persönlich? Würden Sie persönlich kommen, um mich zu unterstützen?

– Ja, sagte Alan.

– Das kam prompt.

– Tja, ich bin mir sicher.

– Mit Ihrem Zweiundzwanzig-Kaliber-Gewehr?

– Genau.

Yousef lächelte. – Gut, gut. Wenn ich die Revolution starte, habe ich wenigstens Sie an meiner Seite.

– Das hätten Sie.

– Sie sind verrückt. Yousef schüttelte grinsend den Kopf und widmete sich wieder seinem Gewehr, indem er erneut in Schussposition ging. Dann wandte er sich erneut an Alan.

– Sie wissen doch, dass das ein Witz war, oder?

– Was war ein Witz?

– Dass ich will, dass die USA in unser Land einmarschieren.

Alan wusste nicht, was er sagen sollte. Yousef grinste noch immer.

– Sie sind so leicht bereit, es zu glauben! Das ist ziemlich lustig, finden Sie nicht?

– Ich weiß nicht, ob es lustig ist, sagte Alan. Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass das ein Witz war.

– Schon gut. Ich bin trotzdem froh, dass Sie Ihre Zweiundzwanziger mitbringen würden, um mit mir zu kämpfen. Auch wenn ich nicht vorhabe, eine Revolution zu starten.

Sie beobachteten wieder das Tal vor ihnen, doch Alan war aufgewühlt. Yousefs Fragen waren unbeschwert gewesen, doch unter seinem Lächeln hatte etwas sehr Ernstes und sehr Trauriges gelegen, und Alan wusste, was es war. Es war das Wissen, dass es keinen Kampf geben würde, keine Auseinandersetzung, dass keine Stellung bezogen werden würde und dass sie beide, weil es ihnen materiell an nichts fehlte, weil sie trotz Ungerechtigkeiten in ihren Ländern die Nutznießer absurder Geschenke waren, wahrscheinlich nichts tun würden. Sie waren zufrieden, sie hatten gewonnen. Das Kämpfen würden andere tun, anderswo.

Da unten Bewegung. Alan hob sein Gewehr und drückte die Wange an das glatte Holz. Aber es war eines der Schafe. Irgendwie war es entwischt und wollte jetzt zurück zu seinen Brüdern unter das Dach. Alan hatte es im Visier, und ein großer Teil von ihm wollte dieses Schaf schießen. Er hegte keinen Groll gegen das Tier, und er würde Ärger bekommen, wenn er es erlegte, aber andererseits hatte er ein Gewehr und er hatte vierzig Minuten gewartet. Bloß gewartet, beobachtet. Wenn er es schoss, wäre auf jeden Fall etwas passiert. Das Gewehr will abgefeuert werden. Das Warten muss aufhören.

Ein Wind fegte durchs Tal und zum Kamm hoch, wo sie alle auf der Lauer lagen. Feiner Staub wirbelte auf, erschwerte die Sicht, doch Alan hatte das Gefühl, dass mit dem Wind die seltsame, aber absolute Gewissheit kam, dass er den Wolf töten würde.

Er neigte nicht zu Vorahnungen und hatte auch nie das Gefühl gehabt, irgendeine Art von Bestimmung zu haben, doch jetzt, die Wange an das kalte Holz des Gewehrs gepresst, war er sicher, dass er den Abzug betätigen würde, der die Kugel durch das Herz des Wolfes schicken würde. Er war so sicher, dass er eine wunderbare Ruhe empfand, eine Ruhe, die ein breites Lächeln auf sein Gesicht zauberte.

Das wird sich gut anfühlen, dachte er. Es wird sich gut anfühlen, derjenige zu sein, der den Wolf anvisiert und erschießt. Einen Wolf in den Bergen Saudi-Arabiens zu erlegen wird etwas sein. Der Mann, der den Abzug betätigt, wird etwas geleistet haben.

Er wartete eine Weile so, zufrieden und sicher, selbst als sich Stimmen von hinten näherten. Er drehte sich nicht um, aber anscheinend hatten ein paar von den anderen Jägern ihre Posten aufgegeben und wollten sich hier niederlassen, um auf das Tier zu warten, oder sie waren gekommen, um Yousef und Alan zu holen. Doch als ahnten sie, dass Alan voll konzentriert war, dass er etwas wusste, was sie nicht wussten, blieben sie auf Abstand. In dem stetigen Wind waren ihre Stimmen fern und, für Alan, unerheblich.

Was würden sie machen, wenn er das Tier erschoss? Sie würden ihm die Hand schütteln, mit den Händen auf die Brust schlagen. Sie würden allen sagen, sie hätten gewusst, dass er derjenige sein würde. Auf den ersten Blick hätten sie gewusst, dass er derjenige sein würde, der die Sache erledigen würde.

Plötzlich Bewegung unten. Eine Gestalt geriet ihm ins Visier. Sie war groß, dunkel, schnell. Alans Finger berührte den Abzug. Sein Gewehrlauf war ruhig. Die Gestalt tauchte ganz auf, und Alan sah den Kopf eines Wolfes.

Es war so weit.

Er atmete aus und drückte ab. Das Gewehr schickte die Kugel mit einem leisen Knall in die Nacht, und Alan wusste, dass er der Schütze sein würde. Er würde der Killer sein.

Dann sah er einen Kopf. Volles schwarzes Haar. Es war nicht der Wolf. Es war ein Junge. Der Hirte. Er war aus dem Unterstand gekommen, um das Schaf hineinzuführen. Es verstrich ein Sekundenbruchteil, in dem Alan wusste, dass die Kugel den Jungen treffen könnte, den Jungen töten könnte.

Er wartete. Der Junge blickte zu ihnen hoch, in Richtung des Gewehrknalls, und Alan rechnete damit, ihn zurückzucken oder umfallen zu sehen.

Aber der Junge fiel nicht um. Er war nicht getroffen worden. Er winkte.

Mit hämmerndem Herzen nahm Alan das Gewehr von der Wange und legte es neben sich auf den Felsen. Er wollte den Jungen nicht mehr sehen, und er wollte nicht von dem Jungen gesehen werden, also wandte er sich ab, den Rücken zum Tal. Und dann sah er die Männer.

Yousef war da und die jungen Cousins und der Mann, der ihn gefragt hatte, ob er Tier aß oder Mensch aß, und der Mann, dem er gesagt hatte, er wäre bei der CIA. Sie standen alle da, Gewehre an der Seite. Sie alle hatten gesehen, wie Alan sein Gewehr auf den Hirtenjungen abgefeuert hatte, und keiner schien überrascht.

Auf der Rückfahrt saß Yousef neben Alan im Führerhaus des Pick-ups. Sie sagten nichts, bis sie die Festung erreichten und hineingingen.

– Sie sollten eine Weile schlafen, sagte Yousef.

Er führte Alan in sein Zimmer.

– Es tut mir leid, sagte Alan.

– Ich lass Sie morgen mit einem Wagen zurückbringen.

– In Ordnung.

– Gute Nacht, sagte Yousef und schloss die Tür.

Alan schlief nicht. Er versuchte, seine Gedanken zu beruhigen, doch alles lief darauf hinaus, was er beinahe getan hätte. Weil er nichts getan hatte, seit Jahren oder schon immer, hätte er beinahe das getan. Weil er keine Geschichten voller Tapferkeit hatte, hätte er beinahe das getan. Weil seine Versuche, so etwas wie ein Vermächtnis zu schaffen, gescheitert waren, hätte er beinahe das getan.

Irgendwann kurz vor Morgengrauen kam ein Wagen.

Alan ging zu der Zufahrt, wo Yousef wartete.

– Das ist Adnan. Er bringt Sie nach Dschidda.

Adnan blieb im Wagen. Er sah müde und unglücklich aus. Yousef öffnete die hintere Tür, und Alan stieg ein.

– Es tut mir so leid, sagte er.

– Ich weiß, sagte Yousef.

– Es ist wichtig für mich, dass Sie mein Freund sind.

– Geben Sie mir etwas Zeit. Ich muss mich daran erinnern, was ich an Ihnen mag.

Alan versuchte, auf der Rückfahrt zu schlafen, konnte es aber nicht. Er schloss die Augen unter der weißen Sonne und sah nur das Gesicht des Jungen, die Gesichter der Männer, Yousefs gelassene Miene, als Alan sich von dem Tal abwandte und sie alle sah. Eine Miene, die von bestätigten Ahnungen kündete.

Aber wenn er wieder in Dschidda war, würde er zu Dr. Hakem gehen, und sie würde ihn öffnen. Dann würde er wissen, was mit ihm nicht stimmte, und sie könnte es herausreißen.