XXIII.
ES WAR SAUDISCHES WOCHENENDE, und ein so langer unstrukturierter Zeitraum war nicht gut für Alan. Das hieß zu viel Zeit und zu wenig zu tun. Er guckte fast den ganzen Vormittag fern und ging dann ins Fitnessstudio. Er setzte sich auf drei Geräte, drückte und zog, fühlte sich betäubt und war dreißig Minuten später wieder in seinem Zimmer. Der Nachmittag kam, ohne dass er etwas gegessen hatte, also bestellte er ein Omelette und eine Grapefruit. Er aß auf dem hellen Balkon und schaute den winzigen Männern tief unten am Pier beim Angeln zu.
Drinnen hörte Alan seine Mailbox ab und schmiss weitere 100 Dollar dafür raus zu erfahren, dass Jim Wong, dem er 45.000 Dollar schuldete, zum Anwalt gegangen war.
– Bloß eine Vorsichtsmaßnahme, sagte Jim. Ich weiß, du zahlst das Geld zurück, aber ich will einfach wissen, was für Optionen ich habe.
Das war die erste Nachricht. Die zweite war schlimmer.
Kit hatte beschlossen, den Herbst über bei einer Lebensmittelkooperative in Jamaica Plain zu arbeiten. Sie würde am liebsten gar nicht mehr zurück an die Uni gehen, sagte sie.
Von wegen, dachte Alan.
Annette, Charlie Fallons Frau, bat ihn in der dritten Nachricht um Kopien von sämtlichen Briefen, die Alan vielleicht von ihm erhalten hatte. Wie sollte er ihr sagen, dass er sie weggeworfen hatte? Ich hab gedacht, der Mann verliert den Verstand, könnte Alan ihr sagen. Nein, das würde er ihr nicht sagen.
Er schaute in seine E-Mails und erfuhr, dass die jungen Leute von Reliant nach Riad gefahren waren. Hoffentlich haben Sie nichts dagegen!!!, schrieb Rachel in ihrer Mail. Wir wollten uns mal ein bisschen in diesem verrückten Land umsehen!!, schrieb Brad in seiner.
Irgendwann sah Alan auf die Uhr, und sie hatte eine gute Nachricht für ihn: Es war sechs, und es sprach nichts dagegen, seinen siddiqi zu öffnen. Hanne hatte seinen Vorrat aufgefüllt, und er dachte zärtlich an sie, als er ein neues Glas aus dem Bad holte und sich den ersten Fingerbreit eingoss.
Er nahm einen Schluck, und das Gebräu ging mühelos runter. Tage zuvor hatte es ätzend geschmeckt, widerlich, jetzt dagegen war es beinahe mild, flüsterte ihm sanft mein Freund, mein Freund zu, während er die erste Dosis trank.
Er stand auf und merkte, dass sein Kopf schon leichter war, seine Gliedmaßen schwerer. Das Zeug war stärker als die erste Lieferung. Hanne hatte ihn gewarnt, als sie sich verabschiedeten, er noch immer mit nassen Haaren, vor der Haustür.
– Wir sehen uns auf dem Gelände, hatte sie gesagt.
Alan goss sich wieder einen Schuss ein und ging damit ins Bad. Er leerte das Glas zur Hälfte und nahm den Verband ab, den Dr. Hakem angelegt hatte. Die Wunde fühlte sich roh an, entzündet, und er hatte die plötzliche Erkenntnis, dass die Ärztin sich wahrscheinlich irrte. Die irrten sich doch häufig bei solchen Sachen, oder nicht? Ein Arzt sah sich einen Fleck an, einen Knoten und sagte dann, das wäre harmlos, doch dann eiterte das Ding und wuchs und wurde dunkel, und Tod und eine Prozesslawine waren die Folge.
Alan trank den siddiqi aus und schenkte sich nach. Dieses dritte Glas fühlte sich immer am besten an. Es war wie abheben. Wie Schwerelosigkeit. Jetzt bewegten sich Dinge. Jetzt passierten Dinge. Er ging wieder auf den Balkon und fühlte sich beschwipst, fühlte sich wunderbar.
Charlie Fallon schnappte langsam über, dessen war Alan sicher gewesen. Transzendentale Seiten in seinen Briefkasten stecken? Das war das Werk eines Spinners. Die Briefe und Zeitungsausschnitte, die Kopien, handelten allesamt von Gott, vom Einssein mit der Natur. Das war der Kram, der Charlie bewegte. Größe, Größe – das war das Wort, das ihm gefiel. Größe und Ehrfurcht und Heiligkeit, Verbundenheit, Verbundenheit mit der Außenwelt. »Alan, alle Antworten sind in der Luft, den Bäumen, dem Wasser!«, hatte er auf die Ränder von diesem oder jenem Brook-Farm-Manifest geschrieben. Und dann war er in einen eiskalten See gewatet und hatte sich von ihm umbringen lassen. War das seine Vorstellung von Verbundenheit, seine Idee von Einssein?
Charlie hatte zwei Töchter, Fiona und die andere; Alan kam nicht auf den Namen. Sie waren beide älter als Kit, zu alt, um Spielkameradinnen gewesen zu sein. Sie hatten glattes Haar, weit auseinanderstehende Augen, und jede hielt den Kopf vorgestreckt, tief, wie ein Hut an einem Haken.
Da war die Sache mit Fiona gewesen, das seltsame Feuer im Baum. Der Nachmittag damals war dunkel, mit leichtem Regen und kurzen, aber hysterischen Windstößen. Alan kam früh nach Hause, als er Fiona auf der Straße stehen sah, die Augen nach oben gerichtet. Sie war da etwa sechzehn. Er hielt seinen Wagen an und kurbelte das Fenster runter.
– Ganz schön tapfer von dir, hier draußen zu sein, sagte er. Sie hatte ihr Handy in der Hand und hielt es so, dass das Display zum Himmel zeigte. Machst du irgendein naturwissenschaftliches Experiment?
Sie lächelte. – Hi, Mr Clay. Der Baum da brennt, sagte sie und zeigte auf eine hohe Eiche auf der anderen Straßenseite.
Alan stieg aus dem Wagen und sah ein sehr kleines Feuer in der Gabel des Baumes flackern, in etwa sechs Meter Höhe. Das Feuer hatte die Größe eines Eichhörnchens und sah ganz ähnlich aus.
– Ein Strommast ist umgekippt, sagte sie.
Neben dem Baum war der Mast in zwei Teile gebrochen. Dabei war ein Kabel durchtrennt worden, das jetzt nackt dalag, und ein Funke hatte einen kleinen Haufen welkes Laub entzündet.
Fiona hatte schon die Feuerwehr verständigt, also standen sie beide einfach da und sahen zu, wie das Feuer bei jeder kleinen Windböe weiß aufglühte.
Eine schwache Sirene. Hilfe war unterwegs.
– Tja, das wär’s dann, sagte sie. Bis bald, Mr Clay.
Sie waren jetzt beide erwachsen, Fiona und die andere. Wo waren sie? Alan hatte sie auf der Beerdigung gesehen, fast unverändert, zu jung. Aber sie waren alt genug. Sie hatten einen Vater gehabt, er hatte lange genug durchgehalten. Vaterschaft tötet Väter. Irgendwer hatte das mal im Scherz gesagt, während einer Runde Golf. Aber Charlie hatte genug getan, hatte er wirklich. Das allein zählt. Sie hatten einen Vater gehabt, sie waren zu starken Menschen herangewachsen, und jetzt war er nicht mehr da. Das war doch alles in Ordnung so. Oder auch nicht.
Ein netter Mann, ein lieber Mann, ein erfrorener Mann am schlammigen Ufer eines See, umringt von uniformierten Leuten, die versuchten, ihn wiederzubeleben.
Alan ging rein und nahm sich ein Blatt Papier.
»Kit, leb lange genug und Du enttäuschst jeden. Die Leute denken, Du kannst ihnen helfen, und meistens kannst Du das nicht. Und so läuft es darauf hinaus, dass Du Dir ein oder zwei Menschen aussuchst, die Du möglichst nicht zu enttäuschen versuchst. Der Mensch in meinem Leben, den ich unter keinen Umständen enttäuschen möchte, bist Du.«
Nein, nein. Blödsinn. Mist. Er kippte wieder einen Fingerbreit Schnaps in sich rein und fing neu an.
»Kit. Als ich beruflich viel unterwegs war, bin ich manchmal erst nach Hause gekommen, wenn Du schon im Bett warst, und ich wusste, ich würde am nächsten Morgen schon wieder weg sein, bevor Du wach wurdest. Da warst Du ungefähr drei. Wir wohnten in Greenville, Mississippi. Es hat Dir da eine Zeit lang richtig gut gefallen. Wir hatten ein großes Grundstück. Viertausend Quadratmeter. Deine Mutter hat es gehasst. Mein Gott, sie hasste Mississippi. Aber ich kam meist spät nach Hause. In der Fabrik ging es drunter und drüber. Die Arbeiter hatten keine Ahnung von nichts. Wir hatten Schwinn komplett dahin verlegt, und es war ein Desaster. Du trugst noch Windeln, obwohl Du dafür eigentlich schon zu groß warst. Aber es kam immer mal wieder vor, dass Du wach wurdest, nass, und dann stand ich auf, um Deine Windeln zu wechseln. Ich sorgte dafür, dass Deine Mutter mich das machen ließ, und ich wechselte Deine Windeln, und obwohl ich nicht wollte, dass Du wach wurdest, Dich erschrecktest, hoffte ich doch, Du würdest die Augen lange genug aufmachen, um zu merken, dass ich es war. Ich war zu der Zeit nicht genug da, und ich wollte, dass du mich sahst. Los, mach die Augen auf, dachte ich immer. Nur so lange, dass du merkst, dass ich es bin. Ja, das habe ich gedacht. Mach nur so lange die Augen auf, dass du merkst, dass ich es bin.«
Nein, nein. Wahrscheinlich nutzlos. Das alles. Aber es reicht für heute Abend, dachte Alan und belohnte sich mit einem langen Schluck.
Bald war er zufrieden, sehr zufrieden mit der Glut des siddiqi. Größe, dachte er. Das hier ist Größe. Er machte es sich auf dem Bett bequem, fand ein altes Red-Sox-Spiel im Kabelkanal und war um neun bewusstlos.
Am nächsten Morgen bekam er endlich Yousef ans Handy und fragte, ob er nicht Lust hätte, mit ihm zusammen zu essen. – Nein, kann nicht, sagte Yousef. Vorläufig nicht. Er versteckte sich bei einem Cousin, hatte Angst, das Haus zu verlassen. Die SMS von dem Ehemann und seinen Handlangern hatten einen neuen Grad der Bedrohung erreicht.
Alan aß im Hotelrestaurant zu Mittag, las dabei die Arab News und beobachtete eine Gruppe Geschäftsleute, Europäer und Saudis, an dem Tisch gegenüber. Er hörte ein lautes perlendes Lachen und sah sich um. Zwei Frauen, Westlerinnen, unterhielten sich mit dem Portier. Sie trugen Kopftücher, aber der Rest ihrer Kleidung war kompromisslos – enge Hosen und High Heels. Ihre Stimmen waren zu laut, explosionsartiges Gelächter. Sie erkundigten sich nach Stränden.
Am Nachmittag ging er ins Fitnessstudio und verbrachte eine Stunde dort, tat so, als würde er diverse Geräte ausprobieren, und belohnte sich mit einem saftigen Steak und dem Rest vom Schnaps.
Als er sich gut fühlte, frei von Selbstkritik, bemühte er sich bei Kit um Verständlichkeit. Er versuchte, ihre Sorgen, ihre Klagen nacheinander anzusprechen.
Er schrieb wie verrückt drauflos.
»Kit, in Deinem Brief erwähnst Du die Sache mit dem Hund.«
Kit war sechs. Sie drei waren gerade aus der Kirche gekommen, und die Frau ging vorbei, geführt von ihrem Hund, einem Beagle. Ruby fragte, ob der Hund lieb sei, und die Frau sagte Ja, und prompt sprang der Hund Kit ins Gesicht und biss ihr ins Kinn. Verfluchte Scheiße!, hatte Alan gebrüllt, in Hörweite des Priesters, der Kirchenbesucher. Er hatte den Hund weggescheucht, der sich duckte und winselte, als wüsste er, was er verbrochen hatte und was für ein Schicksal ihn erwartete.
»Dein Mund war voller Blut und Dein blaues Kleid auch, und Du hast wie am Spieß gebrüllt, vor Hunderten Leuten. Ja, Deine Mutter hat gesagt: ›Der Hund ist spätestens Mittwoch tot.‹ Ich war dabei. Ich habe es auch gehört. Und der Hund wurde tatsächlich in der Woche eingeschläfert. Ich weiß, Du denkst, das war ein Zeichen für ihre Kälte oder ihren Sadismus, aber …«
Alan hielt inne. Er nahm wieder einen langen Schluck.
Sie hatte das mit einer schrecklichen, emotionslosen Präzision gesagt, nicht wahr? Aber ein Hund, der einfach so angreift, der ein Mädchen beißt, wird nun mal eingeschläfert. Was war Rubys Verbrechen? Recht zu haben?
Alan erinnerte sich an die Bosheit dieser Worte. Der Hund ist spätestens Mittwoch tot. Was für eine Geistesgegenwart! In den Sekunden nach dem Biss war Alan panisch, kopflos, fragte sich, ob er Kit im Laufschritt die zwölf Blocks zum Krankenhaus tragen sollte oder den Krankenwagen rufen oder sie ins Auto setzen und hinfahren. Aber Ruby verurteilte das Tier bereits zum Tode. Was für eine Berechnung!
Als das Tier tot war, schickten die Besitzer ein Foto von dem Hund. Oder warfen es ein. Ein Umschlag in Alans und Rubys Briefkasten, ein Foto von dem Hund drin, in glücklicheren Zeiten, mit einem Tuch um den Hals.
Aber genug von dem Hund. Er hatte die Sache mit dem Hund abgehakt. Er goss sich wieder was ein, trank wieder was. Jetzt war da nur noch die Alkoholfahrt, der Umstand, dass sie Kits Zimmer leer geräumt hatte, während sie in der Schule war, die befremdliche Anwesenheit von Rubys Liebhabern auf Kits bedeutendsten Festen, darunter ihre Konfirmation und die Highschool-Abschlussfeier …
Er fühlte sich gut, trotz der Briefe. Er fühlte sich beschwingt, flexibel. Er wollte joggen gehen. Er stand auf. Er konnte nicht joggen gehen. Er rief den Zimmerservice an und bestellte einen Korb Brot und Gebäck. Um sich für den Kellner präsentabel zu machen, putzte er sich die Zähne und strich sich das Haar glatt, und während er vor dem Spiegel stand, kam ihm ein Gedanke. Er würde eine Sicherheitsnadel brauchen.
Er durchsuchte die Schubladen im Zimmer und fand nichts. Er sah im Schrank nach und fand ein Nähetui. Noch besser.
Das Brot kam, und er quittierte es mit angehaltenem Atem. Er wollte keinen Ärger mit der Mutawa. Alan hatte sich die Zähne geputzt, ja, aber vielleicht würde der Kellner trotzdem was merken. Alan warf ihm einen Blick zu, als er das Tablett aufs Bett stellte, doch die Augen des Kellners waren milde. Er interessierte sich nicht für Alan, und er ging, und Alan schloss die Tür hinter ihm und fühlte sich prächtig. Er legte sich aufs Bett und aß sein Gebäck und las dabei durch, was er Kit bislang geschrieben hatte. Es ergab keinen Sinn.
»Was Charlie gemacht hat, würde ich nie machen, falls Du Dich das fragst«, schrieb er, strich es dann durch. Kit hätte so was ohnehin nicht gedacht. Bleib konzentriert, dachte er.
»Oh Gott Kit, die Zeit in Greenville, das tut mir leid. Ich war an einer bescheuerten Entscheidung beteiligt. Die Gewerkschaften in Chicago hatten uns total Druck gemacht, und wir beschlossen, alles nach Mississippi zu verlagern, wo uns keine Organisierten behelligen würden. Oh Mann, was für ein Schlamassel. Die Räder, die wir da produzierten, waren Schrott. Wir hatten hundert Jahre Know-how weggeworfen. Wir dachten, es wäre effizienter, und es war das Gegenteil. Und ich war die ganze Zeit nicht da. Ich war schon an Taiwan und China dran. Ich habe da ein paar Jahre verpasst. Ich wollte nicht in Taiwan sein, oder? Aber alle anderen waren da. Ich habe ein paar von Deinen wichtigen Jahren dort verpasst, und das bedauere ich. Gottverdammt. Effizienter ohne die Gewerkschaften, weg mit ihnen. Effizienter ohne amerikanische Arbeiter, basta, weg mit ihnen. Wieso hab ich das nicht kommen sehen? Auch effizienter ohne mich. Mensch, Kit, wir haben es so effizient gemacht, dass ich überflüssig wurde. Ich hab mich selbst bedeutungslos gemacht.
Aber Deine Mutter war da. Was auch immer sie getan hat, dass Du so wütend auf sie bist, eines sollst Du wissen: Du bist die, die Du bist, dank Deiner Mutter, dank ihrer Stärke. Sie wusste, wann sie das Schleppboot sein musste. Den Ausdruck hat sie geprägt, Kit. Das Schleppboot. Sie war der Halt, sie umschiffte die Gefahren, die in der Tiefe lauerten. Du hältst mich jetzt für den Halt, aber hast Du gewusst, dass Deine Mutter es die ganze Zeit war?«
Er wusste, sobald er das geschrieben hatte, dass er nichts davon abschicken würde. Er war völlig fertig. Aber wieso fühlte er sich so stark?
Er ging zum Spiegel und fand die Nadel. Er hatte den Trick vom Kuchenbacken im Kopf – den Zahnstocher reinstecken, sehen, ob was kleben bleibt. Wenn er sauber rauskommt, ist der Kuchen fertig.
Er suchte nach einem Streichholz. Er hatte keine Streichhölzer. Er war betrunken und hatte es satt, nach Sachen zu suchen. Die Nadel kam ihm steril genug vor. Er drehte sich zum Spiegel, hielt die Geschwulst mit der linken Hand, die Nadel in der rechten und zielte. Er wusste, wie es sich anfühlen würde; er hatte die Haut schon einmal eingestochen. Aber jetzt musste er tiefer rein, so tief, dass das, was immer da an Krebs war, dran hängen bleiben würde. Natürlich würde es das. Das Fremde klammert sich an Fremdes.
Es wäre am besten, es schnell zu machen, dachte er und stieß die Nadel hinein. Der Schmerz war heftig, weiß glühend. Er hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Aber er blieb stehen, und er drückte die Nadel weiter. Er wusste, er bräuchte mindestens zwei Zentimeter. Er drückte und drehte, und der Schmerz ließ wie durch ein Wunder nach. Er war jetzt dumpf, pochte überall, pochte im Herzen, in den Fingerspitzen, und es fühlte sich alles sehr gut an.
Er zog die Nadel heraus und blickte darauf, rechnete mit irgendetwas Grauem oder Grünem, die Farben des Verderbens. Doch er sah bloß Rot, dickflüssiges Rot, während das Blut ihm in Ranken den Rücken hinunterlief, wie beim ersten Mal.
Er fühlte sich gut, er fühlte sich zufrieden, als er das Blut auf dem Rücken betupfte und die Nadel abspülte. Das ist Fortschritt, dachte er.
Der nächste Morgen wäre der Beginn der saudischen Arbeitswoche. Er war noch immer halb betrunken, aber bereit, sich am Riemen zu reißen. Er rief Jim Wong an und sagte ihm, er könne ihn mal kreuzweise, es würde bald Geld reinkommen, und wenn er es haben wolle, müsse er Rückgrat zeigen und sich daran erinnern, dass sie eigentlich Freunde seien. Er machte zehn Hampelmannsprünge und rief Eric Ingvall an und sagte ihm, der König käme nächste Woche und es würde alles geregelt. Ingvall konnte nicht das Gegenteil beweisen, und Alan konnte noch immer einen Rückzieher machen. Und überhaupt, sollte Ingvall sich doch mit seinem beschissenen Telefonhörer ins Knie ficken. Alan fühlte sich stark. Er machte zwei Liegestütze und fühlte sich noch stärker.
Er brachte den Verband wieder an, trank den letzten Rest Schnaps und ging ins Bett. Größe, dachte er und lachte. Er blickte sich im Zimmer um, sah das Telefon, die Tabletts, die Spiegel, die blutverschmierten Handtücher. – Das ist Größe, sagte er laut und fühlte sich sehr gut wegen des Ganzen.