Kapitel 25
Sie liebten sich bis in die Morgenstunden, überall und auf jede nur erdenkliche Weise. Die Sonne stand schon am Himmel, als Rebecca und er eng umschlungen und vollkommen erschöpft einschliefen.
Niemand weckte sie. Niemand störte sie. Selbst Stella nicht. Alle wussten, dass heute ihr letzter gemeinsamer Tag war. Lorenzo Savera hatte angeordnet, dass Rebecca mit dem Privatjet nach Berlin zurückgeflogen wurde. Das war eine Geste, die für sich sprach und so noch nie vorgekommen war.
Als Gregorio davon erfuhr, beschloss er, Rebecca bis nach Berlin zu begleiten. Er würde nicht bleiben können, das nicht. Aber wenigstens hatten sie noch den Flug, um einander nah zu sein.
Rebecca war sehr dankbar dafür. Jeder einzelne der Saveras wurde von ihr umarmt, um jeden von ihnen vergoss sie Tränen. Am schlimmsten war es mit Stella. Die Kleine war ihr so ans Herz gewachsen, als wäre sie tatsächlich ihre Tochter. Und sie konnte ihr nicht einmal versprechen, dass sie sich wiedersehen würden. Das Leben war grausam. Aber manchmal eben auch schön. Lebendig eben.
Gemeinsam bestiegen sie erst die Limousine bald darauf die Maschine. Strahlender Sonnenschein herrschte am »Aeroporto Leonardo da Vinci di Roma«. Den ganzen Flug über hielt Gregorio ihre Hand.
»Ich werde eine Lösung finden«, sagte er. »Irgendwie und irgendwann!«
Als er die Tränen in Rebeccas Augen sah, verbesserte er sich: »Nicht irgendwann! So schnell, wie es irgendwie geht.« Nur wusste er nicht wie. Er war Italiener. Er liebte sein Land. Er liebte die Hotels. Zwar war er sich uneinig mit seiner Mutter, aber es war sein Zuhause.
Rebecca studierte. Es war ihre Leidenschaft. Auf keinen Fall wollte er ihr im Wege stehen. Vielleicht gab es nach ihrem Studium eine Möglichkeit für sie, von Italien aus zu arbeiten. Das Land war voller Kunst und Geschichte. Das wäre doch gelacht. Aber bis ihr Studium zu Ende sein würde, wollte und konnte er nicht warten. Seine Gedanken drehten sich im Kreis und er wurde dabei immer verzweifelter.
Rebecca dagegen war ganz still. Sie sagte nichts, sah ihn nur immer wieder an, so als wolle sie sich sein Gesicht gut einprägen.
Schließlich war er da, der unausweichliche Moment: Das Flugzeug setzte an zum Landeanflug auf den »Flughafen Berlin Tegel«. Gregorio war noch nie hier gewesen. Viele Orte hatte er schon besucht, die deutsche Hauptstadt jedoch nicht. Das würde sich von nun an ändern. Von nun an würde diese Stadt für immer ein Teil von ihm sein, denn es war Rebeccas Stadt, und Rebecca war die Frau, mit der er sein Leben teilen wollte - irgendwie.
»Wird dein Bruder dich abholen?«, fragte Gregorio.
»Ja«, sagte sie. »Timo oder Stefan. Sie wussten es noch nicht genau. Aber wenn nicht, macht es auch nichts. Dann nehme ich eben allein den Bus. Wir müssen sowieso mit dem Bus fahren.«
Sie lachte bitter auf, als sie Gregorios verblüfftes Gesicht bemerkte.
»Was hast du denn gedacht? Wir sind Studenten. Wir haben kein Auto. Wir haben ja nicht einmal eine richtige Wohnung.«
»Was soll das heißen?« Gregorio runzelte verständnislos die Stirn.
»Naja, eine Wohnung ist es schon. Aber wir teilen sie uns eben. Jeder hat ein eigenes Zimmer, Bad und Küche benutzen wir zusammen. Dass so eine Wohngemeinschaft mit zwei durchgeknallten Typen, wie mein Bruder und unser gemeinsamer Freund es sind, nicht unbedingt gemütlich ist, kann man sich vorstellen.«
So, wie Gregorio sie anblickte, konnte er es sich anscheinend nicht vorstellen. Wie auch? Er lebte in einer vollkommen anderen Welt. Eine Welt, die Timo und Stefan sich nicht würden vorstellen können.
»Nun mach nicht so ein Gesicht«, sagte sie schließlich tapfer. »Küss mich lieber noch ein letztes Mal!«
Rebecca stand am großen Fenster der Flughafenhalle und sah zu, wie das kleine Flugzeug mit der Aufschrift »Hotel Savera - Venezia - Milano - Roma – Palermo – Paris - London« durchstartete und in der dichten Wolkendecke, die über Deutschland lag, verschwand.
»Ti amo!«, flüsterte sie. »Ich habe vergessen, dir zu sagen, dass ich dich liebe.«