Kapitel 9
Drei Tage waren vergangen, seit sie Gregorio zum letzten Mal gesehen hatte. Die Blumen auf ihrem Tisch waren zwar noch schön, aber sie sorgten auch dafür, dass sie immer wieder an den Hotelierssohn denken musste. Sogar nachts hatte sie von ihm geträumt. In ihrem Traum hatten ihn die Damen der Modenschau nach Rom begleitet und sich dort ausgiebig mit ihm amüsiert. Ganz genau hatte sie gesehen, wie er die kleinen Brüste der Models geknetet und mit seinen vollen Lippen liebkost hatte. Eines der Mädchen hatte beim Tanz ihren Po immer wieder an seinem Körper gerieben, bis Rebecca ganz deutlich diese Beule in seiner Hose gesehen hatte. Schweißgebadet war sie aufgewacht. Und es war nicht das laue Sommerlüftchen vom Fenster gewesen, das ihr die Hitze in den Schoß trieb.
Mittlerweile hatte Rebecca sich an ihre Arbeit gewöhnt. Der Ablauf war immer derselbe, außer es standen besondere Veranstaltungen an. So wie am heutigen Samstag. Zwar trafen auch während der Woche neue Gäste ein. Manche blieben auch nur ein paar Nächte. Dennoch, am Samstagabend wurde gefeiert. Es gab ein Buffet, das vom Küchenpersonal aufgebaut wurde, zahlreiche Sitzgelegenheiten und natürlich eine Liveband, die von rockig bis romantisch für jeden Tanzwilligen etwas parat hatte.
Rebecca half, wo sie nur konnte, legte sich aber in ihrer Mittagspause brav schlafen. Sie wollte mitfeiern, wenn auch nur als Bedienung. Es würde trotzdem ein schöner Sommerabend werden. Morgen war Sonntag, ihr erster freier Tag. Sie hatte inzwischen ihren Reiseführer gelesen, sich mehrere der Seiten markiert und brannte darauf, das Hotel zu verlassen.
Sie machte sich frisch, zog eine saubere Arbeitsbluse an, und band die gerüschte Schürze um, die Ariana ihr geliehen hatte. Sie versicherte Rebecca, dass sie wunderschön aussah mit dem fliederfarbenen Rock, der eine Handbreit über dem Knie endete, weil sie so groß war. Darüber die Schürze, die langen Locken mit fliederfarbener Schleife gehalten. Eine perfekte Servicekraft!
Die Gäste tummelten sich bereits in Buffetnähe, als Rebecca, Ariana und die anderen Frauen sich mit Tabletts voller Gläser und Häppchen unter die Leute mischten. Die meisten Gäste hatten sich fein gemacht: die Herren in hellen Anzügen, die Damen in sündhaft teurer Abendgarderobe. Nicht jeder standen die ausgefallenen Einzelstücke. Bei der einen oder anderen betagten Dame musste Rebecca sich ein Grinsen verkneifen, wenn sie sah, wie Ariana hinter ihr die Augen verdrehte. An diesen Abenden ließen sich sogar die Saveras persönlich blicken. Signor Lorenzo Savera wirkte geradezu riesenhaft neben seiner Gattin Ilaria, die steif, in ein hellgraues Kostüm gepresst, neben ihm herschritt. Ein gekünsteltes Lächeln lag auf ihren schmalen, rosa geschminkten Lippen. Man konnte nicht sagen, dass sie eine hässliche Frau war. Im Gegenteil! Doch die distanzierte, kühle Art nahm ihr die Attraktivität.
Gerade wollte Rebecca auf das Paar zugehen und ihnen ein Glas Spumante anbieten, als sie Gregorio erblickte.
Wieder einmal sah er umwerfend aus in seinem schlichten Outfit. Zur Feier des Tages trug er eine dunkle Stoffhose mit einem hellen Oberhemd. Die Krawatte hing ihm locker um den Hals, offensichtlich fühlte er sich durch sie eingeengt. Sein schwarzes Haar glänzte mit seinen Augen um die Wette. Rebeccas Herz schlug so heftig gegen ihre Brust, dass sie meinte, ein jeder könne es hören. Sanfte Röte überzog ihre Wangen, als seine Augen sie fanden und ihr zuzwinkerten. Fast wäre sie zu ihm geeilt, als eine ebenfalls schwarzhaarige Schönheit sich bei ihm unterhakte und ihn auf die Wange küsste. Gleich hinter der jungen Frau, deren Gesicht von einem Bob-Haarschnitt umrahmt wurde, stürmte ein kleines Mädchen herbei, das etwa vier oder fünf Jahre alt sein mochte. Rebecca sah, wie Gregorio strahlte, sie in die Arme nahm, herzte und küsste. Die Kleine war genauso hübsch wie ihre Mutter. Doch hatte sie im Gegensatz zu ihr keine braunen, sondern helle Augen. Genau genommen hatte sie grüne Augen - Augen wie die von Gregorio.
Rebeccas Magen krampfte sich zusammen, als sie sah, dass Gregorios Blick sie erneut suchte. Er wollte ihr doch nicht etwa Frau und Tochter vorstellen?
Auf einmal war es Rebecca speiübel. Eilig flüchtete sie in die Küche, setzte sich auf die lange Holzbank und trank zwei Gläser Spumante auf einmal. Sofort machte sich Wärme in ihrem Magen breit und der Kopf wurde leicht. Sie wollte nicht, dass dieser Nichtsnutz, wie selbst sein Vater ihn nannte, ihr schlechte Gefühle machte. Sie war bisher eine fröhliche und offene junge Frau gewesen. Sie hatte sich so sehr auf diesen Job und auf diese Stadt gefreut. Auf gar keinen Fall würde sie zulassen, dass dieser Mann, nur weil er groß war und schöne Augen hatte, ihr diesen einmaligen Aufenthalt verdarb. Sollte er sich doch weiter neben Frau und Kind mit seinen Zimmermädchen vergnügen. Sicher wusste sie nicht einmal davon. Rebecca war eine Studentin. Zimmermädchen dagegen war sie nur für ein paar Wochen. Sie brauchte keinen reichen Hotelerben. Sie würde schließlich ihr eigenes Geld verdienen.
Sie nahm das letzte Glas von ihrem Tablett und trank es aus. Nur zur Sicherheit, damit das blöde Gefühl nicht wieder kam. Gerade wollte sie aufstehen und hoch erhobenen Hauptes weiter Getränke verteilen, als sie Matteo im Türrahmen stehen sah.
»Stai bene? Geht es dir gut?«
Besorgnis lag in seinem Blick.
»Sì, certo! Aber klar!« Sie straffte die Schultern, ging wackelig in die Großküche und balancierte ein weiteres Tablett voller Getränke Richtung Ausgang. Es klappte allerdings sichtlich schlechter als zuvor, sodass Matteo ihr das Tablett wieder abnahm.
»Siediti giù! Nun setz‘ dich mal dahin!«
Sanft drückte er sie auf die Bank zurück.
»Ich glaube, mir ist das heute etwas zu viel geworden«, erklärte sie kleinlaut ihr Verhalten. »Ich habe versucht, mich mit ein paar Gläsern Spumante wieder in Stimmung zu bringen ...«
»Was aber nicht geklappt hat«, beendete er ihren Satz. Rebecca war es schwindelig.
»Ihr zwei seid immer so glücklich«, rutschte es ihr heraus. Bei dem Gedanken an das, was sie durchs Schlüsselloch gesehen hatte, musste sie kichern. Matteo runzelte die Stirn. »Ja, wir haben uns gern und zeigen das auch. Aber wir können auch richtig gut streiten, wenn Ariana mal wieder anderer Meinung ist.«
»Was redet ihr da über mich?«
Ariana stellte das leere Tablett auf den Tisch.
»Rebecca hat sich mit Sekt betrunken, weil wir uns so gut verstehen«, scherzte Matteo. Fragend sah Ariana ihre neue Freundin an. Dann küsste sie Matteo und gab ihm ein Zeichen, dass er verschwinden sollte.
»Allora, me ne vado! Ich geh’ mal besser wieder an die Arbeit, bevor der Hausdrachen mich noch erwischt.«
Nun kicherten sie alle.
Als Matteo fort war, holte Ariana zwei Schnapsgläser aus der Anrichte und förderte eine Flasche Amaretto-Likör zu Tage. »Wenn wir schon trinken müssen heute Abend, dann wenigstens etwas, das schmeckt.«
Damit schenkte sie ein und schob eins der Gläser zu Rebecca. Sie wartete, bis sie ihr Glas in der Hand hielt, und prostete ihr dann zu.
»Cin cin!«
Beide tranken.
»Hm, schmeckt das gut!«, fand Rebecca und Ariana lächelte. »Ich liebe Marzipan!«
Noch einmal schenkte sie nach und sie nippten an den Gläsern. Und als Ariana sie fragend ansah, platzte es aus ihr heraus:
»Ich bin so wütend auf Gregorio.«
Überrascht zog Ariana die Augenbrauen hoch.
»Das ist so ein fieser Idiot!«, schimpfte Rebecca weiter, bevor sie das Glas abermals leerte. Sie würde ihr Zimmer nicht mehr finden, wenn sie so weiter machte. Aber das Zeug schmeckte himmlisch und ihr Kopf wurde so watteweich davon. Genau das, was sie brauchte heute Nacht. So würde sie wenigsten schlafen können.
»Erst schenkt er mir Blumen«, berichtete sie ein wenig zu laut. »Und dann ist er einfach weg.«
Sie bekam einen Schluckauf. Ihre Zunge gehorchte nicht mehr so recht. Oder lag es an dieser schwierigen Fremdsprache? Sie nahm Ariana die Flasche aus der Hand und schenkte nach.
»Prost!«, sagte sie auf Deutsch und Ariana wartete.
»Und dann steht er da plötzlich und lächelt mich an. Und dann kommt da so eine total schöne Frau und küsst ihn. Und dann hat er auch noch ein Kind mit denselben schönen Augen wie er.«
»Wer hat schöne Augen?« Emilia kam in die Küche gepoltert. Im Schlepptau hatte sie ... Gregorio! Rebecca schnaubte verächtlich und schob unbeholfen eine blonde Locke aus dem Gesicht.
»Oh, nein, jetzt nicht die auch schon wieder!«
Wütend funkelte Rebecca die Rivalin an.
»Ich habe jetzt Feierabend«, verkündete sie und erhob sich schwankend. »Das heißt, du hast mir gerade gar nichts zu sagen. Jawoll!«
Sie kicherte, als Ariana sie auf die Bank zurückdrückte.
»Entschuldigen Sie bitte, Signor Gregorio! Aber Rebecca hatte eine anstrengende erste Woche. Nun hat sie zum ersten Mal frei und das möchten wir gerade feiern. Und zwar, wenn möglich alleine.«
Sie lächelte ihr süßestes Lächeln. »Ich meine Sie, Sie können sich gern zu uns gesellen, aber die beiden Signorine sind, glaube ich, nicht besonders gut befreundet.«
Emilias Augen funkelten wütend von einer zur anderen.
»Eigentlich sind wir die beiden, die nicht gestört werden wollen. Wir hatten gehofft, hier allein zu sein. Stimmt‘s Gregorio, tesoro mio?«
»Mein Schatz!«, äffte Rebecca sie nach und verdrehte die Augen. Auf Arianas flehenden Blick nahm Gregorio Emilia in den Arm - was sie sofort mit einem lauten Schnurren kommentierte - und schob sie zur Tür hinaus.
»Das ging ja noch schneller, als ich befürchtet hatte«, stöhnte Ariana, als die beiden außer Hörweite waren. Rebecca schwieg und hielt sich an ihrem leeren Glas fest. »Eigentlich hatte ich dich beruhigen wollen«, fuhr Ariana fort. »Die Frau mit dem Kind, das ist Mariella. Mariella Savera!«
Rebecca sackte noch weiter in sich zusammen, als sie den Nachnahmen hörte.
»Sieh mich an!«, befahl Ariana. Als Rebecca gehorchte, schimmerten Tränen in ihren Augen.
»Du Dummchen, es ist seine Schwester! Hörst du? Nur seine Schwester! Und die kleine Stella ist ihre Tochter. Die beiden wohnen zusammen mit ihrem Mann Sebastiano in Rom. Er war Immobilienmakler, aber inzwischen führt er zusammen mit Mariella das Hotel Savera in Rom.«
Fast sah es so aus, als wollte Rebecca sich beruhigen, als sie erneut in sich zusammensackte und sagte: »Aber Emilia!«
Ariana seufzte. »Wenn du mich fragst, ist sie nur ein Zeitvertreib für ihn.«
»Was für ein mieser Charakter!«, konterte Rebecca.
Ariana seufzte. »Schon, ja! Aber er ist jung. Er ist attraktiv. Er ist frei. Und sie schmeißt sich ihm, ehrlich gesagt, immer wieder an den Hals und bietet sich an.«
Rebecca sah die Freundin an, lächelte schief und sagte: »Danke, dass du mich heute Abend ertragen hast, aber ich glaube, ich möchte jetzt lieber allein sein.«
»Soll ich dich zu deinem Zimmer bringen?«
Sie erhoben sich gemeinsam von der Bank.
»No, Grazie! Nein, danke, ich schaffe das schon noch allein.« »Dann versuche, gut zu schlafen! Ciao!«