Kapitel 5
Tatsächlich hatte sie schon nach wenigen Minuten der Schlaf übermannt. Zu anstrengend war die Reise von Berlin bis hierher gewesen. Die ungewohnt hohe Temperatur sowie die vielen neuen Eindrücke taten ihr Übriges.
Als Rebecca schließlich aufwachte, war es bereits Abend. Sie verfluchte sich dafür, nicht wenigstens noch den Wecker an ihrem Handy gestellt zu haben. Als sie danach griff, fand sie eine Nachricht ihres Bruders Timo vor. Natürlich machten sie sich Sorgen. Die weite Reise. Und sie hatte sich noch nicht einmal bei ihm gemeldet. Umgehend wählte sie die Nummer. Nach dem dritten Klingeln nahm Timo ab. Sofort wollte er wissen, ob es ihr gut ginge, ob alles nach Plan verlaufen sei. Sie berichtete ihm bereitwillig von dem liebenswerten Personal und den eher kühlen Hotelbesitzern. Von deren Sohn erzählte sie ihm nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass er toll aussah, aber nichts anderes zu tun hatte, als den weiblichen Bediensteten nachzustellen?
Ihrer Mutter schickte sie eine SMS, dann verschwand Rebecca abermals unter der Dusche. Es war einfach zu heiß. Aber sie würde sich schon daran gewöhnen.
Es war fast 21 Uhr, als sie beschloss, noch einmal in die Küche zu gehen. Sie brauchte etwas zu trinken für die Nacht und vielleicht eine Kleinigkeit zu essen. Auf dem Rückweg machte sie einen Abstecher in den Innenhof. Es war inzwischen dunkel, aber die breiten Fensterfronten gaben ausreichend Licht durch die Flurbeleuchtungen ab.
Rebecca setzte sich auf den Rand des Brunnens und knabberte an einem Panino, einem Brötchen. Die Sterne leuchteten hier viel heller als in Berlin. Wie hell würden sie erst außerhalb der beleuchteten Stadt strahlen? Sie nahm sich vor, es herauszufinden, bevor sie wieder abreiste. Als sie aufgegessen hatte, nahm sie die San Pellegrino Wasserflasche und machte sich auf zu ihrem Zimmer.
In Gedanken versunken durchschritt sie die Flure. Alles war menschenleer. Im Hauptgebäude herrschte sicher noch reges Treiben. Aber die Bediensteten taten gut daran, früh schlafen zu gehen. Denn schon um sechs Uhr begann ihr Arbeitstag. Nur so konnten sie den Hotelgästen den Komfort gewährleisten, für den diese - sicher nicht wenig - bezahlt hatten.
Gerade bog Rebecca in ihren Trakt ein, als sie ein leises Wimmern vernahm. Sie war nicht neugierig, aber möglicherweise benötigte jemand ihre Hilfe. Die Geräusche gingen vom Zimmer Nummer 9 aus. Deutlich konnte sie nun auch eine Männerstimme hören. Vorsichtig legte sie ihr Ohr an die Tür. Wieder wimmerte eine Frau. Der Mann, offensichtlich ein Italiener, sagte Wörter wie: Ja, los, komm, oh und gut. Rebecca runzelte die Stirn. Sie konnte die Geräusche nicht einordnen. Kurzerhand bückte sie sich und spähte durchs Schlüsselloch.
Im Inneren war es schummrig. Kerzenlicht, so vermutete sie. Sie erkannte den entblößten Unterleib einer Frau, der quer auf dem Bett lag. Ein Mann kniete vor ihr. Gerade hielt er seinen steifen Penis fest und setzte ihn zwischen den Beinen der Frau an. Als er ihn tief in ihr versenkte, keuchte diese lustvoll auf. Rebecca erkannte Matteo. Jetzt erst wurde ihr klar, dass niemand ihre Hilfe benötigte. Hier hatten zwei Liebende Spaß miteinander - und Rebecca hatte durchs Schlüsselloch zugesehen. Über sich selbst erschrocken, fuhr sie zurück. Peinlich berührt blickte sie sich um. Im Gang war niemand. Schnell hastete sie weiter. Als sie endlich vor ihrer Tür angekommen war, atmete sie erleichtert auf. Gerade wollte sie die Tür hinter sich schließen, als ihr Blick auf die Fenster der anderen Seite des Innenhofes fiel: Im Obergeschoss brannte noch Licht. Ein Mann hatte seinen Kopf in die Hände gestützt und sah grinsend direkt zu ihr hinunter.
Rebecca stockte der Atem. Hatte er sie etwa die ganze Zeit beobachtet? Hatte er dabei zugesehen, wie sie durch das Schlüsselloch von Matteos Zimmer schaute? Sie würde Gregorio Savera nie wieder in die zugegebenermaßen schönen Augen sehen können, soviel war klar. Was für ein Missverständnis! Und das alles, noch bevor ihre eigentliche Arbeit begonnen hatte.
Rebecca putzte die Zähne und versuchte, noch ein paar Seiten zu lesen, doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Also stellte sie die Weckfunktion ihres Smartphones ein und löschte das Licht. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Möglicherweise hatte sie am Nachmittag zu lange geschlafen. Oder es lag an dem schwarzhaarigen Mann mit den smaragdgrünen Augen, der immer wieder durch ihre Gedanken huschte? Es war weit nach Mitternacht, als der Schlaf sie endlich von ihm erlöste.