Kapitel 4
Keine Sekunde später öffnete sich die Tür. Offensichtlich verfügte Signor Savera über einen eigenen Butler. Am Ende des geschmackvoll eingerichteten Großraumbüros sah Rebecca einen stattlichen Herrn mittleren Alters an einem ausladenden Mahagonischreibtisch sitzen.
»Permesso!«, sagte Rebecca höflich. Der Butler verbeugte sich leicht und bat sie mit einer Geste herein.
Der Weg bis zum Schreibtisch kam ihr endlos vor. Sie hatte plötzlich Angst, über einen der teuren Teppiche zu stolpern. Sie fühlte sich klein, was wohl an der ausgeprägten Präsenz des Hotelbesitzers lag, die sie fast körperlich spüren konnte. Scharf musterte er sie mit seinen ungewöhnlich grünen Augen, als er sich von seinem Platz erhob, den Schreibtisch umrundete und auf Rebecca zuschritt.
»Buon giorno, Signor Savera!« Sie räusperte sich.
»Ich bin Rebecca Hauser aus Berlin und fange morgen in Ihrem Hotel als Zimmermädchen an«
»Si. Ich erinnere mich. Meine Frau wartet schon darauf, sie mit Ihren neuen Aufgaben vertraut zu machen.«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Was führt Sie nach Venedig, Signorina Hauser? Gab es in Berlin kein Hotel, das ein Zimmermädchen sucht?«
Rebecca war es, als habe sie einen Hauch von Verachtung in seiner Stimme wahrgenommen, ging aber nicht darauf ein.
»Oh, doch, das gibt es bestimmt!«, erwiderte sie und zwang sich zu einem freundlichen Gesichtsausdruck. »Aber ich studiere Kunstgeschichte. Daher interessiert mich Italien, insbesondere Venedig, sehr.«
»Davvero? Tatsächlich?« Signor Savera musterte sie skeptisch. »Na, dann hoffe ich, dass Ihnen neben Ihrer Beschäftigung hier bei uns noch genügend Zeit bleiben wird, durch unsere alten Gassen zu streifen.«
Wieder ein kurzes Schmunzeln. »Aber verlaufen Sie sich nicht!«
Wenig später meldete der Butler die Ankunft von Signora Ilaria. Hatte ihr Mann Rebecca herablassend gemustert, so lief sie nun Gefahr, unter dem Blick der Gattin zu einem Eisblock zu gefrieren. Klein und rund zwar, aber stocksteif in ihrem sündhaft teuren, taubengrauen Kostüm, grüßte sie nur kurz. Sie schnippte mit den Fingern, woraufhin der Butler ihr eilig ein Papier reichte. Signora Ilaria griff nach der Lesebrille, die in ihrem akkuraten Kurzhaarschnitt steckte, und las Rebecca vor, welches ihre Aufgaben waren. Dann wandte sie sich an ihren Mann.
»Lorenzo, lass Emilia, das Zimmermädchen vom rechten Flügel, rufen. Sie soll der Neuen Arbeitskleidung besorgen und sie morgen früh einweisen. Ab Samstag wird sie dann die zweite Etage übernehmen.«
Ohne ein weiteres Wort rauschte sie zur Tür hinaus. Signor Savera seufzte und griff zum Telefon.
Wenig später erschien eine junge Frau in einem schmalen, fliederfarbenen Rock und frisch gestärkter, weißer Bluse. Über der linken Brust war passend zum Rock das Logo der Savera Hotelkette aufgestickt. Das Zimmermädchen trug einen schulterlangen, blond gefärbten Pagenkopf und sah Rebecca interessiert mit dunkelbraunen Augen an.
»Ist sie das?«, fragte sie an Signor Savera gerichtet.
»Si, das ist Signorina Rebecca aus Deutschland.«
»Kann sie mich überhaupt verstehen?«, fragte sie weiter. »Si, ich kann dich sehr gut verstehen«, antwortete Rebecca selbst.
»Oh, o.k!« Einen Moment lang sah das Zimmermädchen von einem zum anderen.
»Allora, also ich bin Emilia«, sagte sie betont langsam.
»Und das ist deine Arbeitskleidung.«
Sie hielt Rebecca einen Stapel mit je drei Röcken und Blusen hin. »Ich hoffe doch, sie werden dir passen.«
Skeptisch wanderte Emilias Blick über ihren Körper.
»Es wird schon gehen, grazie.«
Sie nahm die Sachen entgegen. Einen Moment herrschte Stille, dann lachte Emilia gekünstelt auf.
»Allora, devo scappare! Ich muss schnell los. Der Signor Gregorio erwartet mich.« Sie knickste kurz, dann war auch sie verschwunden.
»Il Signor Gregorio?«
Fragend sah Rebecca den Hotelbesitzer an.
»Ist das ein besonderer Gast? Sollte ich etwas in Bezug auf ihn beachten?«
Signor Savera verdrehte genervt die Augen.
»No, figuriamoci! Nein, das wäre ja noch schöner! Er ist mein Sohn. Dieser Nichtsnutz will sich sicher nur wieder mit einem der Mädchen vergnügen.«
Er schnaubte verächtlich.
»Oh, entschuldigen Sie! Ich wollte nicht indiskret werden.« Beschämt sah Rebecca zu Boden.
»Ma non fa niente! Das macht nichts. Sie konnten es ja nicht wissen.« Signor Savera fuhr sich mit der Hand durch sein graumeliertes Haar.
»Wenn es nichts mehr zu besprechen gibt, dann dürfen Sie jetzt gehen«, sagte er schließlich. Erleichtert verabschiedete Rebecca sich und verließ das Büro.
Nun stand sie wieder im großen Vorflur, diesmal leider ohne Matteo. Wie sollte sie nun zu ihrem Zimmer gelangen? Das Hotel kam ihr vor wie das reinste Labyrinth. Als sie sich der Treppe näherte, hörte sie Gekicher. Sie glaubte, die Stimme von Emilia zu erkennen. Die tiefe Stimme der anderen Person kannte sie nicht. Vorsichtig spähte sie um die Ecke. Es war tatsächlich Emilia. Und vor ihr ein hochgewachsener Italiener, die Hand gerade in Emilias halb geöffneter Bluse. Rebecca war geschockt und fasziniert zugleich. Emilia kicherte aufreizend und rieb dabei ihre runden Hüften an seinem Schritt. Rebecca wurde es warm. Sie räusperte sich laut, doch keiner der beiden nahm Notiz von ihr. Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an dem Pärchen vorbeizuschlängeln. Als sie gerade glaubte, noch einmal unbemerkt davon gekommen zu sein, griff eine Hand nach ihr.
»Stopp!«, sagte die wohlklingende Stimme. »Wer bitte sind Sie? Und was haben Sie auf meiner Etage zu suchen?«
Rebecca wollte sich losreißen, aber die Finger umspannten ihr Handgelenk wie ein Eisenring.
»Was soll das heißen: Ihre Etage?« Wütend blickte sie auf. Und hätte er sie nicht so fest gehalten, sie wäre auf der Stelle umgefallen.
Smaragdgrüne Augen, wie sie noch keine zuvor gesehen hatte, das markante Gesicht umrahmt von schwarzem, widerspenstigen Haar. Dies war eindeutig der Mann aus der Lobby, der sie fast umgerannt hatte. Dies war also Gregorio Savera.
»Soweit ich weiß, gehört diese Etage dem Signor Lorenzo Savera und seiner Frau Ilaria.«
Trotzig sah sie zu ihm auf. Er überragte sie um gut fünfzehn Zentimeter, obwohl sie keine kleine Frau war.
»Ich bin Gregorio Savera!«
Endlich ließ er von Emilias Brust ab und baute sich in voller Größe vor ihr auf. Auch Rebecca streckte sich.
»Und ich bin Rebecca Hauser. Studentin der Kunstgeschichte und ab morgen eines der neuen Zimmermädchen. Es wäre nett, wenn Sie mich jetzt loslassen würden. Sie tun mir weh.«
Tatsächlich ließ er ihr Handgelenk los. Ohne sich noch einmal umzusehen, eilte sie die Stufen hinab. Nur weg von hier. Nur weg von ihm.
Sie fand den Innenhof, dann die Küche und schließlich auch das Zimmer Nummer 13, in dem sich ihr neues Zuhause befand. Erleichtert schloss sie die Tür hinter sich. Sie streifte die Sandalen ab. Das Kleid glitt von ihren Schultern und sie ließ sich in Unterwäsche aufs Bett fallen.