Kapitel 8
Die rauchige Stimme Gianna Naninis brachte sie sacht in die Realität zurück: 5:30 Uhr zeigte der Wecker an. Die Raumluft hatte sich über Nacht merklich abgekühlt und auch der Anblick der schönen Blumen weckte Rebeccas Lebensgeister. Diesmal war sie schon fertig angezogen, als es an der Tür klopfte. Emilia nahm kommentarlos zur Kenntnis, dass Rebecca schon bereit war.
»Ich möchte noch schnell auf einen Espresso in der Küche vorbei schauen und mir eine Brioche holen«, sagte Rebecca. »D‘ accordo! Ok! Wie du meinst«, erwiderte diese schnippisch. »Wenn du dafür Zeit hast? Ich fange jedenfalls schon an mit meiner Etage.«
Damit drehte sie sich um und rauschte davon.
In der Küche wurde sie schon von Ariana erwartet. Fröhlich zog sie Rebecca in ihre Arme und küsste ihr zur Begrüßung beide Wangen. »Ciao, bella! Hai dormito bene? Hast du gut geschlafen? Rebecca nickte und nahm dankbar die winzige Tasse in Empfang, die Ariana ihr anbot. Sie nippte kurz an dem dampfenden Getränk.
»Hast du noch eine der leckeren Brioche für mich? Du weißt doch, wir Deutschen brauchen immer etwas im Magen, bevor wir mit unserer Arbeit beginnen.«
Gerade stellte Rebecca die leere Tasse auf dem Rollwagen ab und stopfte sich die letzten Reste der Brioche in den Mund, als Matteo um die Ecke kam.
»Da bist du also!«, stellte er erfreut fest, küsste Rebecca auf die Wangen und hob dann Ariana auf seine Arme, küsste sie und schwang sie dabei herum, dass sie quiekte wie ein Schweinchen. Dann wendete er sich wieder Rebecca zu.
»Ich habe gestern Abend gesehen, wie Emilia mit der Signora gesprochen hat, konnte aber nicht verstehen, worum es ging. Allerdings sah Emilia danach zufrieden aus, was immer ein schlechtes Zeichen ist. Und eben habe ich Gregorio zum Ausgang begleitet. Er fliegt für ein paar Tage nach Rom, wisst ihr.«
Unwillkürlich krampfte sich Rebeccas Magen zusammen. Warum, das wusste sie nicht genau. Ihr gefiel der Gedanke nicht, dass Gregorio fort war. Wenigstens hatte er Emilia hier gelassen.
»Hast du mir überhaupt zugehört?«
Matteo schnipste mit dem Finger vor Rebeccas Nase.
»Oh, scusa, Matteo. Ich fragte mich gerade, was sie wohl Schreckliches über mich berichtet haben könnte. Ich habe mir Mühe gegeben gestern, aber es war mein erster Tag.«
»Wenn man etwas finden will, findet sich immer etwas. Niemand von uns ist ohne Fehler«, mischte sich Ariana ein und lachte, als Matteo empört die Arme in die Hüften stemmte. Schnell gab sie ihm einen Kuss, damit er ihr wieder gut war.
»Was auch immer sie gesagt hat, gleich wirst du es erfahren. Denn die Signora erwartet dich in ihrem Dienstzimmer. Dai, vieni, ti accompagno! Komm, ich bringe dich hin!«
Rebecca sah Ariana hilflos an, zuckte mit den Schultern und folgte Matteo. Wieder geleitete er sie durch den halben Palazzo bis zu dem großen Vorraum mit dem flauschigen Teppich.
»Es ist diese Tür, gleich rechts neben der Treppe«, flüsterte er ihr zu. »Buona Fortuna! Viel Glück!« Und schon war auch er verschwunden.
Rebecca atmete tief durch, klopfte beherzt an und öffnete die Tür.
»Permesso!«, sagte sie laut und deutlich.
»Bitte, bitte, Signorina! Treten Sie ein!«, forderte Signora Ilaria mit ausladender Geste. »Ich will auch gar nicht lange herumreden. Sie haben mehr als genug zu tun. Die anderen Mädchen haben schon vor einer halben Stunde mit ihrer Arbeit begonnen.«
Missbilligend musterte Signora Ilaria Rebeccas Arbeitskleidung und ihre mit einem Haargummi zusammengefassten Locken.
»Signorina Emilia hat befunden, dass Sie bereits heute Ihren eigenen Flur in der zweiten Etage übernehmen können.«
»Davvero? Tatsächlich?« Rebecca war sichtlich überrascht. Sicherlich wollte Emilia nur alleine arbeiten. Damit sie sich zwischendurch mit Gregorio treffen konnte oder mit wem auch immer. Wenn sie ehrlich war, war es ihr nur recht, eigenständig zu arbeiten. So schwer würde es schon nicht werden.
»Donnerstags werden Sie Signorina Ariana zum Wochenmarkt begleiten«, ordnete Signora Ilaria weiter an. »Samstags abends findet immer ein kleines Willkommensfest für die neuen Gäste statt. Dafür müssen Vorbereitungen getroffen werden, bei denen Sie helfen.«
»Molto volentieri! Sehr gerne!« Rebecca knickste, wie sie es bei den anderen Bediensteten gesehen hatte. Erfreut nickte die Signora.
»Sonntags und montags haben Sie frei. Ich habe von meinem Sohn gehört, dass Sie sich für die Geschichte unserer Stadt interessieren.«
Rebecca nickte eifrig.
»Na, an den Tagen haben Sie dann ja Zeit dafür.«
Damit war das Gespräch beendet. Signora Ilaria griff nach ihrem Telefon und verlangte nach Signorina Stefania. Die kannte Rebecca schon aus der Küche. Sie war zumindest freundlich.
Kurz darauf erschien das Mädchen und holte Rebecca ab. Sie brachte sie in den zweiten Stock, zog aus einer Abstellkammer einen Handwagen mit dem nötigen Arbeitsgerät hervor, übergab Rebecca den Schlüssel für die Kammer, wünschte ihr viel Erfolg und entschuldigte sich. Auch sie hatte ihre Arbeit abzuleisten. Sie war zuständig für die Etage der Saveras. Eine Pause war da nicht drin.
Rebecca betrachtete die gefüllten Regale ihrer Abstellkammer genau. Da lagen ordentlich gestapelte Handtücher, Duschtücher und Bettlaken, sogar ein paar Überdecken für den Notfall. Auf der anderen Seite war ein großer Korb, in den sie die schmutzige Wäsche abladen konnte. In der Mitte war Platz für den Arbeitswagen. Dieser war ausgestattet mit Besen und Schaufel, Wischeimer und Mob, Reinigungsmitteln, Schwämmen und Müllbeuteln. Ganz vorn hing ein großer Schlüsselbund, mit dem sie Eintritt in jedes der Zimmer bekam. Sie schloss die Kammer, atmete noch einmal tief durch und machte sich dann mit ihrem Handwagen an die Arbeit.