Kapitel 21

 

Es war schon fast Schlafenszeit. Rebecca hatte mit den Saveras zu Abend gegessen, wollte dann aber nicht aufdringlich sein und hatte sich früh zurückgezogen. Nun lag sie in ihrem Nachthemd auf dem Bett und betrachtete die Zeichnung vom Blumenmarkt. Als gerahmtes Werk wirkte es noch professioneller. Es war der größte Schatz, den sie besaß - zusammen mit der Kette und den Erinnerungen an die schönsten Momente, die sie bisher erlebt hatte.

Ein leises Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Sie erhob sich, zupfte ihr Nachthemd zurecht und öffnete die Tür. Einer der Portiers stand davor. In seiner behandschuhten Hand hielt er ihr einen Brief entgegen.

»Für mich?«, fragte sie ungläubig?«

»Sì, Signora!« Der Mann deutete eine Verbeugung an und verschwand.

Ihr Herz klopfte angstvoll in der Brust, als sie den Umschlag aufriss. Der Brief war von Signor Lorenzo Savera.

 

Sehr geehrte Signorina Hauser,

 

Sie werden sich wundern, dass ein eingebildeter alter Schnösel wie ich zu Papier und Stift greift, doch möglicherweise irren Sie sich, was meine Person betrifft.

 

Seit ich Sie an meinen treuen Chauffeur Franco übergeben habe, hat sich einiges getan in meinen alten Gemäuern, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

 

Sollten Sie denken, dass mein Sohn es war, der Sie als Erstes vermisst hat, so muss ich Sie enttäuschen. Es war Signorina Emilia, die sich noch am selben Abend bei meiner Gattin über Ihr Fehlen beschwert hat. Es sieht so aus, als hätte sie fest damit gerechnet, Ihnen auch die Arbeiten für die abendliche Feier gänzlich zuzumuten. Da Sie aber nicht auffindbar waren - denn Sie waren ja bei mir - musste sie noch einmal selbst die Schürze umbinden.

 

Als Sie sich schon auf dem Weg nach Rom befanden, ist sie also zu Signora Ilaria geeilt, woraufhin beide sich auf Ihre sofortige Entlassung geeinigt haben. Vielleicht wäre ihr Vorhaben sogar erfolgreich gewesen, wäre ich nicht der eigentliche Capo die Casa, der Chef dieses Palazzo. So bestätigten mir die beiden nur, dass die Geschichte, die Sie mir erzählt hatten, den Tatsachen entsprach. Was nicht bedeuten soll, dass ich jemals an Ihrer Aufrichtigkeit gezweifelt hätte.

 

Ich verschob die Diskussion auf den folgenden Tag. Das war der Sonntag. Für meinen Sohn anscheinend ein besonderer Tag. Ihr gemeinsamer Tag? Er muss wohl überall nach Ihnen gefragt haben. Bis Signorina Emilia ihm schließlich berichtet haben soll, dass Sie mit einem Gast, den Sie auf der Feier kennengelernt haben, verschwunden sein sollen. Gregorio wollte das keineswegs glauben, fragte auch Signorina Ariana und Signor Matteo, da er wusste, dass Sie ein gutes Verhältnis zu den beiden hatten.

 

Leider konnten die Beiden unter anderem nur berichten, dass Signorina Emilia Rebecca in der letzten Woche so viel Arbeit zu Teil werden ließ, dass sie quasi zu müde war, um an den gemeinsamen Mahlzeiten teilzunehmen. Mein Sohn soll außer sich gewesen sein, als er davon hörte.

 

Nachdem seine Mutter ihm dann auch noch offenbarte, dass, wenn Sie nicht von allein verschwunden wären, sie Ihnen sowieso die Stelle gekündigt hätte, ist ihm endgültig der Kragen geplatzt. Zum ersten Mal seit Jahren hat er meine Frau lautstark in ihre Schranken verwiesen. Etwas, das, wenn Sie mich fragen, schon lange überfällig war.

 

Schlussendlich kam er dann auch in meinem Büro an. Ich bin ja immer der Letzte, der gefragt wird. Aufgrund seiner schlechten Verfassung sah ich mich leider gezwungen, ihm von unserem Gespräch zu berichten. Darf ich darauf hoffen, dass Sie mir vergeben? Er konnte es erst nicht fassen, dann bat er mich inständig um die Erlaubnis, Signorina Emilia auf der Stelle eigenständig hinauszuwerfen, was ich ihm selbstverständlich nicht verwehren konnte.

 

Seither redet meine Frau nicht mehr mit mir. Aber ich denke, ich werde es überleben. Wenn ich ehrlich sein soll: Ich genieße die seltenen Momente, wenn meine Ehefrau schweigt.

 

Es folgte noch eine unschöne Szene, da Signorina Emilia sich keineswegs einsichtig zeigen wollte. Sie sah sich wohl schon seit Monaten als die neue Hausherrin an.

Endlich jedoch fängt mein Sohn an, sich dagegen zu wehren, dass andere für ihn Entscheidungen treffen. Dank Ihnen beginnt er dadurch, in meiner Achtung zu steigen.

 

Gerade eben erst bat er mich, ihm eine Woche frei zu geben. Ich teilte ihm meine Bedingungen mit, die ihn sichtlich überraschten. Ich sagte, dass ich ihm nur dann freigäbe, wenn er mir seine Galerie zeigte, die er mir jahrelang vorenthalten hatte.

 

Während ich Ihnen schreibe, Signorina Hauser, erwarte ich, dass er klopft, um mir seine Entscheidung mitzuteilen. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass, egal wie er sich entscheidet, ich ihn nicht davon abhalten werden kann, morgen nach Rom aufzubrechen. Wie es aussieht, würde er sich auch zu Fuß auf den Weg machen, wenn ich ihn heute noch enterbte.

 

Ich hoffe, die o.g. Neuigkeiten konnten Ihre Stimmung ein wenig aufhellen.

 

Hochachtungsvoll,

 

Lorenzo Savera

 

Rebecca musste den Brief zweimal lesen, bevor sie glauben konnte, was ihr der Chef der Hotelkette Savera da persönlich und von Hand geschrieben hatte.

 

Gregorio hatte Emilia gefeuert. Er hatte sich gegen seine Mutter durchgesetzt und er bat seinen Vater um Erlaubnis, die Frau, die er eigentlich liebte - und das war offensichtlich sie - eine Woche lang besuchen zu dürfen.

 

Sie griff nach dem Murano-Anhänger, den sie immer an ihrem Hals trug, und küsste ihn. Den Brief hielt sie fest an ihr Herz gepresst. So saß sie da und starrte auf den gerahmten Blumenmarkt, der vor ihr an der Wand hing. Langsam sickerte es auch in ihre letzte Hirnzelle: Morgen würde Gregorio kommen.