Kapitel 3
Nachdem Rebecca sich noch einen Moment lang umgesehen hatte, wuchtete sie den Koffer aufs Bett und öffnete ihn. Mit ihrer Kulturtasche, einem leichten olivgrünen Kleid und frischer Unterwäsche unter dem Arm betrat sie kurz darauf das Bad. Es bot kaum Platz für mehr als eine Person: Dusche, WC, Bidet und ein zierliches Waschbecken, alles in schlichtem Weiß. Sie stellte die Kulturtasche auf die Ablage unterhalb des Wandspiegels, entnahm Duschgel und Shampoo, stellte beides in die Dusche. Dann entledigte sie sich ihrer verschwitzten Sachen und warf diese achtlos in den kleinen Vorflur. Ein flauschiges Badetuch hing für sie bereit. Ein passendes Handtuch hing an einem Haken über dem Bidet und neben dem Waschbecken. Ein wenig Hotelservice gab es also auch für die Bediensten. Rebecca lächelte und als das Wasser auf ihren Kopf zu prasseln begann, fühlte sie sich schon fast zuhause. Sie stellte sich vor, der schöne Mann, der sie fast umgerannt hatte, hätte sich ihr vorgestellt und sie zu einem Cocktail eingeladen. Sie genoss das Kribbeln, dass diese Fantasie in ihr auslöste ebenso wie den cremigen Schaum, den sie auf ihrer Haut verteilte .
Pünktlich um dreizehn Uhr klopfte es an der Tür. Mit noch feuchten Locken öffnete Rebecca und herein kam ein strahlender Matteo.
»Sei pronta?«, fragte er und sah sich um.
»Klar bin ich fertig. Es kann losgehen.«
Der junge Mann führte sie den Gang zurück, den sie zuvor genommen hatten. Kurz vor der verzierten Tür, die wieder zum Hauptgebäude führte, bog er jedoch links ab. Auch dieser Gang bestand zur Linken aus einer breiten Fensterfront. Erst jetzt schenkte Rebecca dem Innenhof ihre Aufmerksamkeit. Alles grünte und blühte in den wundervollsten Farben, schmale Sandwege verliefen rund um die Anlage. Die Mitte bildete ein alter, steinerner Brunnen.
Fasziniert war Rebecca stehengeblieben, doch nun zupfte Matteo sie am Kleid.
»Dai, vieni! Komm! Wir müssen uns beeilen! Wenn wir zu spät kommen, bleibt uns keine Zeit mehr zum Essen. Die Hotelgäste müssen dann bedient werden. Wir essen immer kurz vor ihnen.«
»Oh, scusa, tut mir leid.« Widerstrebend wendete Rebecca sich von dem Ausblick ab.
Nur wenige Schritte später öffnete Matteo eine Tür. Augenblicklich empfing sie der unverkennbare Duft der mediterranen Küche und das Klappern von Geschirr. Im Raum selbst befand sich nur ein langer, massiver Holztisch mit passenden Bänken rundherum. Einige Plätze waren noch frei, an anderen wurde gegessen und diskutiert. Ein Mädchen, nur wenig jünger als Rebecca selbst, erhob sich. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und kam mit offenen Armen auf die beiden zu.
»Ma guardate quanto è bella questa ragazza! Was für ein schönes Mädchen hast du uns da mitgebracht?«, sagte sie lachend. Schon schloss sie Rebecca in die Arme und küsste sie auf beide Wangen. Dann trat sie zu Matteo und küsste ihn auf den Mund. Er errötete, was das Küchenmädchen nur noch mehr erfreute.
»Ich bin Ariana. Ich bin Matteos Freundin und ich arbeite in der Hotelküche. Wenn du also Hunger oder Durst hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden.«
Dann begann sie, Rebecca jeden Einzelnen des anwesenden Personals vorzustellen, bevor sie ihr einen Sitzplatz zuwies.
Ein Teller mit Pasta wurde ihr vor die Nase gestellt, ein Schälchen mit Oliven sowie ein Korb mit warmem Brot gereicht. Rebecca wusste gar nicht, woran sie sich zuerst erfreuen sollte. Einen derart herzlichen Empfang hatte sie nicht erwartet. Zwar wusste sie, dass die Italiener für ihre Warmherzigkeit bekannt waren, aber dies war fast schon zu viel des Glückes. Als sie sich satt und zufrieden reckte, ergriff Matteo wieder das Wort.
»Jetzt, wenn die Küche fertig ist, halten wir alle eine Siesta. Du kannst dich ausruhen in deinem Zimmer oder dich im Garten umsehen, wie du magst. Ab vier Uhr nachmittags geht der Hotelbetrieb dann wieder los. Der Abend ist besonders anstrengend, das kannst du mir glauben.«
Die Anwesenden nickten zustimmend.
»Jetzt gleich soll ich dich jedoch noch zu Signor Savera begleiten. Er will dich umgehend sehen.«
Rebeccas Hände wurden feucht. Nun also würde sie den großen Signor Savera persönlich kennenlernen. Er musste steinreich sein. Dieses Hotel allein war schon eine unbezahlbare Kostbarkeit. Soweit sie aus Stefans Unterlagen wusste, besaß die Familie allerdings noch weitere Luxushotels: in Mailand, Rom, Palermo, Paris und London. Das war zu viel für Rebecca, um es sich wirklich vorstellen zu können.
»Non avere paura, hab‘ keine Angst!«, flüsterte Matteo ihr zu. Sie schenkte ihm ein gequältes Lächeln und rang die Hände. Er hatte sie in das Obergeschoss des Hotels begleitet, das ausschließlich den Familienmitgliedern vorbehalten war. Dort befanden sich die Wohn- und Schlafräume der Saveras ebenso wie das Büro, vor dem Matteo sie ablieferte.
»Buona Fortuna! Viel Glück!«
Matteo zwinkerte ihr zu und verschwand um die nächste Ecke.
Obwohl es mehr als warm war, fröstelte Rebecca. Noch einmal sah sie sich in dem weitläufigen Vorraum um. Alles wirkte kostbar und war perfekt arrangiert. Die handgearbeiteten Holztüren waren allesamt mit Goldklinken versehen. Sechs Türen zählte sie. Noch einmal atmete sie tief durch, dann klopfte sie beherzt an.