Kapitel 18

 

Die Pizza war köstlich. Sie schmeckte genauso, wie man sich Italien vorstellte, und man hätte meinen können, die Italiener hätten ihre Flagge genau nach dieser Pizza entworfen: grün wie das Basilikum, weiß wie der Mozzarella, rot wie die Tomaten.

Zu vier Kirchen und durch ein Museum führte Gregorio Rebecca, ehe er sie endlich in sein privates Heiligtum eintreten ließ: seine Suite. Rebecca war beeindruckt. Die Suite war riesig. Eine eigene komfortable Wohnung in der obersten Etage eines original venezianischen Palazzo. Die drei Räume, aus denen die Suite sich zusammensetzte, waren groß und lichtdurchflutet, die Möbel in barockem Stil gehalten. In Gregorios Schlafzimmer befand sich tatsächlich eins dieser gewaltigen Himmelbetten, wie man sie sonst höchstens noch aus historischen Hollywood-Streifen kannte. Es wirkte wie eine einzige Einladung.

 

Doch als hätte Gregorio ihre Gedanken erraten, nahm er ihre Hand und führte sie zu einer Wendeltreppe, die vom hinteren Teil des Wohnzimmers nach oben führte. Neugierig folgte Rebecca ihm. Was sie dann erblickte, raubte ihr schier den Atem: der Raum war über und über voll mit den schönsten Zeichnungen aller möglichen historischen Bauwerke Italiens. Ihr blieb der Mund offen stehen. Als Liebhaberin historischer Gebäude begriff sie spätestens jetzt, dass sie in Gregorio den perfekten Mann gefunden hatte. Es war unglaublich, wie sehr sich ihre Interessen ähnelten, wie sehr ihre Körper und Seelen miteinander harmonierten.

Sie hörte, wie er eine Flasche Wein entkorkte, zwei Gläser füllte und sie auf einen kleinen Bistrotisch unter dem Fenster stellte. Sie setzten sich und genossen den Wein, während Rebeccas Blick abwechselnd über die Zeichnungen, über Gregorios markantes Gesicht und zum Fenster glitt, durch das man einen einzigartigen Ausblick genießen konnte.

 

Später hielt Gregorio, was er versprochen hatte: Er liebte Rebecca zwischen den weichen Kissen des massiven Bettes in jeder nur erdenklichen Art. Irgendwann war sie tatsächlich so erschöpft und befriedigt, dass sie einfach einschlief.

Als sie am Morgen erwachte, lag sie noch immer in Gregorios Armen. Er hatte sie die ganze Nacht gehalten. Nichts wünschte sie sich mehr, als diesen Moment des vollkommenen Glücks für immer festhalten zu können.

Doch leider waren ihre freien Tage vorbei. Sie musste sich sputen, um noch halbwegs rechtzeitig ihren Dienst antreten zu können. Leise, um Gregorio nicht zu wecken, zog sie ihr Kleid über und nahm ihre Riemchensandalen in die Hand.

Fast hätte sie ihren Rucksack vergessen.

Sie schlüpfte zur Tür hinaus, schlich über den flauschigen Teppich des großen Flures der Saveras und erreichte schließlich die Treppe, wo sie nur wenige Wochen zuvor Gregorio zusammen mit Emilia erwischt hatte. Und genau da stand sie jetzt auch: Emilia!

 

»Was zum Teufel tust du hier?«, keuchte Rebecca erschrocken auf. Emilias braune Augen verengten sich zu Schlitzen.

»Was bitte geht es ausgerechnet dich an, was ich hier tue?«, gab Emilia mit drohendem Unterton zurück.

»Dies ist mein Land und mein Zuhause«, erklärte sie weiter. »Du bist von irgendwo her gekommen und denkst, du kannst dir einfach alles nehmen. Ich habe ewig lange daran gearbeitet, dass Gregorio mit mir ins Bett geht. Ich werde nicht zulassen, dass du hier eindringst und meine Zukunftspläne durchkreuzt.«

Böse funkelte die Italienerin Rebecca an. »Er gehört mir! Ist das klar? Vögle ruhig ein wenig mit ihm herum. Doch schon bald bist du fort und dann wird er zu schätzen wissen, dass ich im Gegensatz zu dir nicht wieder verschwinde und ihn allein lasse. Ich werde seine Frau. Wir werden gemeinsam das Hotel führen. Es ist alles schon mit Signora Ilaria abgemacht.«

Sie grinste böse, als sie sah, dass Rebecca sie wie vom Donner gerührt anstarrte.

 

Rebecca wollte weiter, doch Emilia war noch nicht fertig. »Wenn ich Signora Ilaria erzähle, wo du dich heute Nacht herumgetrieben hast, wird ihr das gar nicht gefallen. Da gehe ich jede Wette ein. Wenn du also willst, dass dieser One-Night-Stand unter uns bleibt, dann tust du für den Rest deiner Tage hier, was ich sage. Das Erste, was du zu tun hast, ist, dass du die Hälfte meiner Etage mitreinigst, damit ich wieder mehr Zeit finde, mich um Signor Gregorio zu kümmern. Das Zweite, was du ab sofort tun darfst, ist, aufhören meinem Verlobten den Kopf zu verdrehen.«

Rebecca schluchzte laut auf, hielt sich die Ohren zu und stürmte an dem Zimmermädchen vorbei.

Sie zitterte am ganzen Körper, als sie in ihrem Zimmer ankam. Obwohl es auch heute sommerlich warm war, klapperte sie mit den Zähnen. Erst die glühend heiße Dusche linderte ein wenig das taube Gefühl der Leere in ihr. Emilia war seine Verlobte. Emilia tat mit ihm die gleichen Dinge, von denen sie heute Nacht geglaubt hatte, dass sie etwas ganz besonderes seien und nur ihnen gehöre.

 

Rebecca zog sich an und ging mechanisch ihrer Arbeit nach. Irgendwann am späten Vormittag kam Matteo mit einem Becher Latte macchiato vorbei.

»Ariana schickt mich, nach dir zu sehen«, sagte er und musterte ihr blasses Gesicht. »Du warst nicht beim Frühstück heute Morgen.«

»Tut mir leid, ich habe verschlafen. Es war schon zu spät, um noch in der Küche vorbeizuschauen«, log Rebecca. »O.k.« Matteo wirkte wenig überzeugt. »Dann kündige ich dich bei Ariana zum Mittagessen an?«

Rebecca schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke nicht. Ich habe viel zu tun. Emilia hat mich gebeten, noch die Hälfte ihres Flurs mitzureinigen.

»Das kann sie dir doch nicht einfach so aufhalsen«, empörte sich Matteo.

»Ist schon in Ordnung.« Damit stellte sie den Becher ab, drehte sich um und ging weiter ihrer Arbeit nach. Nachdenklich zog Matteo von dannen.

 

In den nächsten zwei Tagen versuchte Rebecca, sich nichts von ihrem Schmerz anmerken zu lassen. Sie gab acht, dass sie pünktlich zu den Mahlzeiten erschien, ansonsten putzte sie erst ihren, dann den halben Gang von Emilia. Davon war sie abends so erledigt, dass sie einschlief, sobald sie sich auf ihr Bett legte. Das Kissen roch noch nach Gregorio, aber anstatt sich daran zu erfreuen, krampfte sich ihr der Magen zusammen, wenn sie daran dachte, dass sie nichts weiter als eine Ferienliebe füreinander sein würden. Gregorio besuchte sie nicht. Offenbar war er auch diese Woche beruflich eingespannt. Am Donnerstag Nachmittag - sie war gerade mit Emilias Arbeit fertig - kam sie zufällig am Fitnessraum vorbei. Erst erkannte sie Emilias schrilles Lachen, dann hörte sie die Stimme, die sie so liebte. Im Vorbeigehen sah sie Gregorio, der auf dem Laufband schwitzte. Er lief mit dem Rücken zur Tür. Vor ihm stand Emilia, in winzigen Hotpants und einem enganliegenden, bauchfreien Top, das ihre Brüste nur dürftig bedeckte, während sie auf Teufel komm raus mit ihm flirtete.

 

Rebecca wurde erst übel, dann wütend. Wollte sie sich das wirklich weiterhin gefallen lassen? Nein!

Verschwitzt und in ihrer Arbeitskleidung machte sie sich auf zum Büro von Signor Savera. Sie konnte nur hoffen, dass er ihr öffnete und nicht seine Frau. Zwar war auch er ein reservierter Karierretyp, dennoch schien er noch einen Funken Menschlichkeit zu besitzen. Vorsichtig schlich sie die Treppen hinauf. Wenigstens Gregorio war für den Moment beschäftigt. Sie lachte bitter auf. In dem großen Flur war alles still. Sie atmete noch einmal tief durch und klopfte dann beherzt an die Tür des Hoteliers.

Umgehend erschien der Butler. Überrascht zog er eine Augenbraue hoch, als er Rebecca sah.

»Wäre es vielleicht möglich, mit Signor Savera zu sprechen? Vi prego! Ich bitte Sie! Es ist wirklich wichtig«, fügte sie hastig hinzu.

»Un‘ attimo solo! Einen Augenblick!« Er schloss die Tür, doch wenig später wurde sie erneut geöffnet: vom Chef persönlich.

»Permesso!«, sagte Rebecca höflich und er gebot ihr, einzutreten.

 

»Was kann ich für Sie tun, Signorina Hauser?«, fragte er, nachdem er ihr einen Platz vor seinem gewaltigen Schreibtisch angeboten hatte. Rebecca räusperte sich.

»Ich habe ein Problem mit einem ihrer Zimmermädchen«, begann sie zögernd. Signor Savera verdrehte genervt die Augen.

»Lassen Sie mich raten, Signorina: Ist es wegen meines Sohnes? Dann stehlen Sie mir gerade meine Zeit.

»Es ist in der Tat wegen ihres Sohnes. Allerdings nicht so, wie sie möglicherweise denken.«

»Sondern?«, gab er unbeeindruckt zurück.

»Ich habe einige sehr schöne Tage mit ihrem Sohn verbracht. Besondere Tage. Er hat mir Venedig gezeigt, die Sehenswürdigkeiten, die mir als angehende Kunsthistorikerin so viel bedeuten, den Blumenmarkt, die italienische Küche«, begann sie zu erklären.

»Dafür haben wir ihn ausgebildet, ebenso wie ein paar andere Personen, die für unsere Hotels arbeiten. Sie sollen so unseren Gästen einen  angenehmen Aufenthalt gewährleisten.«

»Ich bin keine Touristin. Ich arbeite hier. Ich spreche Ihre Sprache«, versuchte sie sich zu rechtfertigen. »Es ist anders. Ich glaube, ich liebe ihn.«

»Das tun viele«, gab Signor Savera kalt zurück.

»Ja, das mag sein«, gab Rebecca zu. »Aber ich bitte darum, ihn verlassen zu dürfen. Weil ich ihn liebe, bin ich bereit, ihn loszulassen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie das verstehen können. Daher will ich es Ihnen kurz erläutern.«

 

»Nun, ich bin ganz Ohr«, sagte der Hotelier und suchte in seinem Ledersessel nach einer bequemeren Position.

»Das Zimmermädchen, Signorina Emilia, sie lässt mich sehr viel mehr arbeiten, als vorgesehen war. Sie nötigt mich, die Hälfte ihrer Arbeit mit zu erledigen«

»Come? Wie bitte?« Signor Savera lief rot an und wollte schon nach dem Telefonhörer greifen, als Rebecca ihn mit einer Geste bat innezuhalten.

»Das ist gar nicht das Problem«, sagte sie. »Das Problem ist, warum sie es tut. Sie möchte damit bewirken, dass ich abends zu müde bin, mit Gregorio auszugehen. Sie möchte mehr Zeit haben, um ihn ganz für sich zu gewinnen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, dann hatte sie eine Affäre mit ihrem Sohn, bevor ich hier anfing zu arbeiten.«

»Das mag sein«, unterbrach Signor Savera sie. »Er ist ein junger Mann. Und er ist mir - zumindest optisch - ganz gut gelungen.« Er lächelte selbstgefällig.

»Zweifellos ist er das. Warum nur sehen Sie nie, wie wunderbar er auch von innen ist?«

»Das ist ganz einfach, Signorina Hauser. Ich sehe es an dem, was er finanziell am Monatsende für mich erwirtschaftet hat. Und das ist meilenweit entfernt von dem, was ich in seinem Alter geleistet und aufgebaut habe.«

»Aber er ist nicht wie Sie.«

»Das kann man wohl sagen«, schnaubte er verächtlich.

»Er ist anders, aber keinesfalls schlechter! Er ist mitfühlend und warmherzig.«

»Pah, als ob man damit Geld verdienen könnte!«

»Haben Sie eigentlich jemals seine Zeichnungen gesehen, Signor Savera?«

»Was für Zeichnungen? In seiner Jugend hat er ständig rumgeträumt und alles Mögliche gemalt. Aber es war nicht von Wichtigkeit für mich. Ein Kinderspleen. Als einziger männlicher Hotelerbe sollte er ganz andere Dinge beherrschen.«

Rebecca seufzte. »Das ist alles so furchtbar, was ihm hier widerfährt. Ich kann es nicht mehr ertragen, das mit anzusehen. Alles in seinem Leben scheint schon von anderen verplant zu sein. Er hat gar keine Chance sich zu entfalten.« Missbilligend schüttelte sie den Kopf.

 

»Nun jedoch zurück zu meinem eigentlichen Grund: Signorina Emilia hat mir unmissverständlich klargemacht, dass Ihre Gattin, Signora Ilaria, ihr Gregorio versprochen hat. Offenbar ist Ihre Frau mit der Arbeitsleistung Emilias sehr zufrieden. Sicher ist sie gebürtige Venezianerin, keine dahergelaufene Ausländerin. Kurz und gut: Es ist unter den beiden bereits ausgemacht, dass sie einmal Gregorios Frau werden soll, damit sie gemeinsam irgendwann dieses Hotel weiterführen können. Dem möchte ich nicht im Wege stehen. Ich teile die Meinung von Signorina Emilia insofern, als dass auch ich denke, dass ihre Bemühungen, ihn erneut in ihr Bett zu locken, erfolgversprechender sein werden, wenn ich nicht mehr da bin.«

 

Obwohl Rebecca sich fest vorgenommen hatte, sachlich zu bleiben, liefen ihr nun erste Tränen durchs Gesicht.

»Mi scusi, Signor! Entschuldigen Sie! Da ich, wie schon erwähnt, ehrliche Gefühle für Ihren Sohn hege, ist ein wenig Trauer an dieser Stelle wohl menschlich.«

Signor Savera reichte ihr ein Stofftaschentuch mit Hotelemblem, das er aus einer seiner Schubladen angelte. Nachdenklich sah er sie an.

»Heißt das, Sie möchten vorzeitig nach Deutschland zurückkehren?«

Rebecca schnäuzte sich. »Von wollen kann gar keine Rede sein. Ich liebe es, hier in Italien zu sein. Ich liebe die Herzlichkeit der Menschen, die alten Bauwerke, dieses Hotel ... und Ihren Sohn!« Neue Tränen bahnten sich einen Weg auf ihre Bluse.

 

Signor Savera kratzte sich am Kinn, fuhr sich mit der Hand durch sein graumeliertes Haar - genauso, wie Gregorio es zu tun pflegte - und sagte schließlich: »Dass meine Frau derartige Versprechen abgibt, traue ich ihr durchaus zu. Genauso ist es mir mit ihr ergangen. Es geht Sie zwar nichts an, Signorina, aber im Nachhinein bin ich nicht glücklich mit dieser Entscheidung. Wenngleich sie zweifellos die perfekte Haushälterin abgibt. Ich denke, Sie verstehen, was ich meine.«

Rebecca nickte.

»Ich muss nachdenken«, sagte er dann. »Ich werde jemanden schicken, wenn ich zu einem Ergebnis gelangt bin.«

Damit stand er auf und Rebecca wusste, dass sie seine Zeit genug in Anspruch genommen hatte.

»Ich danke Ihnen sehr dafür, dass Sie mich angehört haben«, sagte sie, knickste und ging.

 

Wie auch immer Signor Saveras Entscheidung ausfiel, Rebecca würde anfangen, ihren Koffer zu packen, und zwar sofort! Sie wollte Gregorio auf keinen Fall mehr sehen. Er sollte ihr in guter Erinnerung bleiben. Sie brauchte keine Entschuldigungen und Ausflüchte von ihm. Es war nicht seine Schuld. Sein Stand in der Familie ließ ihm keine Wahl. Rebecca wollte es weder ihm noch sich selbst schwerer machen, als es ohnehin schon war.