Kapitel 7
Keine zehn Minuten später klopfte es erneut. Vor der Tür stand eine mürrisch dreinblickende Emilia.
»Wo bleibst Du denn? Wie soll ich denn bis zum Mittag fertig werden, wenn man mir so eine lahme Ente wie dich zur Seite stellt?«
Offenbar war Emilia nicht besonders erfreut über die Hilfe aus Deutschland. Dabei kannte sie Rebecca gar nicht. Wenigstens einen Tag sollte sie ihr schon lassen, um sich einzuarbeiten. Die anderen hatten Rebecca so freundlich in ihrer Runde aufgenommen. Wie konnte diese Emilia nur so genervt sein, wo sie doch einen attraktiven Hotelerben zum Freund hatte? Rebecca seufzte, nahm den Schlüssel von der Kommode und zog die Tür ins Schloss. Emilia war schon fast am Ende des Flurs angekommen, als Rebecca sie einholte.
»Könntest du bitte wenigstens auf mich warten? Ich kenne mich hier noch nicht aus. Ich verlaufe mich sonst.«
Emilia verdrehte die Augen: »Und da behaupten sie immer, die Deutschen seien so schnell und präzise. Na, das werden wir ja gleich feststellen, ob wenigstens das Zweite auch auf dich zutrifft.«
Rebecca öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Sie würde sich nicht die Laune verderben lassen. Sie war in Venedig, in einem wundervollen Hotel. Sie würde ihren Job erledigen und während der Freizeit das Gemäuer, die Geschichte und die Sonne dieser Stadt erforschen und genießen.
Das erste Zimmer war geräumig und in barockem Stil eingerichtet. Es gab eine Menge Schnörkel und Verzierungen an den massiven Möbeln, die mit dem Staubwedel bearbeitet werden mussten. Das Bett war so groß, dass Rebecca beim Herrichten der Decken ins Schwitzen kam. Und so sah es in fast allen Zimmern aus. Sie saugten Staub und reinigten die eleganten Badezimmer.
»Jeden Dienstag werden frische Blumengebinde auf die Tische gestellt«, erklärte Emilia. »Es ist Signor Gregorios Aufgabe, die Gebinde einen Tag vorher auszuwählen. Die Gäste erwarten Abwechslung.«
Während des Vormittags fragte Rebecca sich immer wieder, was sie von dem Hotelierssohn halten sollte. Was von dem, was er darstellte, war echt? Wer war er wirklich? Um Blumen auszuwählen, bedurfte es Geschmackes. Mit seiner Hand in Emilias Bluse, war Rebecca sein Auftreten plump und geschmacklos vorgekommen. Wie er ihr das Frühstück serviert hatte, zeugte dagegen von durchaus feinen Umgangsformen. Wie sollte es anders sein. Er war der Sohn eines der reichsten Hoteliers Europas. Möglicherweise war er sogar der einzige Erbe. Bisher jedenfalls waren Rebecca keine weiteren Nachkommen vorgestellt worden. So konnte sie es den weiblichen Angestellten sogar ein wenig nachempfinden, dass diese sich ihm buchstäblich an den Hals warfen. Wer wollte schon sein Leben lang die Betten reicher Urlauber machen? Und auch für Gregorio wäre es nicht die schlechteste Partie, ein Mädchen zu wählen, das mit dem Ablauf des Hotelbetriebes bereits vertraut war.
»Wo bleibst du denn?«, hörte sie Emilia aus dem Flur rufen. Rebecca seufzte, bückte sich, um den letzten Müllbeutel zu wechseln, und folgte dem Zimmermädchen auf den Gang hinaus.
Nach einem leichten Mittagessen, das im Hinterzimmer der Großküche für die Angestellten bereitstand, wollte Rebecca ihre zweistündige Ruhepause nutzen. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sich in dem Gärtchen des Innenhofes ein wenig mit ihrem Venedig-Reiseführer vertraut zu machen. Sie war schon auf halbem Weg, als sie Gregorio dort mit Emilia reden sah. Er stand da, die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben und blickte auf Emilia herab. Als diese Rebecca bemerkte, zog sie Gregorio zu sich hinab und tuschelte ihm etwas ins Ohr. Dann lachte sie anzüglich und drehte sich in Rebeccas Richtung. Rebecca stellte sich vor, wie Emilia ihm davon berichtete, wie sie sich bei der Arbeit angestellt hatte. Auch war sie sicher, nicht gut dabei wegzukommen. Sie spürte plötzlich, wie müde sie war. Die ungewohnte körperliche Arbeit hatte sie angestrengt. Sie ging zurück in ihr Zimmer, legte sich aufs Bett und blätterte im Reiseführer.
Italienische Rockmusik riss sie aus ihren Träumen. Oh mein Gott! Sie war eingeschlafen. Die Arbeit! Emilia! Entsetzt riss sie die Augen auf und starrte direkt in das Gesicht von Gregorio.
»Ma, che cavolo ... was zum Teufel tust du hier?«
Sie setzte sich auf und strich ihren Rock glatt.
»Das frage ich dich!«, erwiderte er. »Hat Emilia dir für den Nachmittag freigegeben?«
Unglücklich schüttelte Rebecca den Kopf.
»Natürlich nicht! Jetzt wird sie noch mehr an mir auszusetzen haben.«
»Ecco! Genau! Und deshalb bin ich hergekommen, um dir meinen Radiowecker zu borgen. Ich kann dich schließlich nicht jedes Mal wecken kommen.«
Er zwinkerte ihr zu. »Und außerdem möchte ich, dass Emilia so wenig Gründe wie möglich findet, dich bei meiner Mutter in schlechtem Licht dastehen zu lassen.«
Dankbar lächelte Rebecca ihn an, stand auf und trank einen Schluck aus der Wasserflasche.
»Ich muss mich erst an die körperliche Arbeit gewöhnen«, sagte sie. »Ich arbeite sonst mehr im Sitzen.«
Sie stand vor dem Spiegel und entwirrte ihre weizenblonden Locken mit den Fingern, während der Italiener das Radio auf ihrem Nachtschränkchen platzierte und die Musik leiser stellte.
»Du bist kein Zimmermädchen aus Deutschland? Eine Hotelfachfrau?« Gregorio rieb sich das markante Kinn, auf dem sich bereits am frühen Nachmittag wieder ein leichter Bartschatten zeigte. »Was bist du dann?«
»Ich bin Studentin. Mein Bruder und sein Freund, mit denen ich in Berlin zusammenwohne, haben mir diesen Job besorgt. Ich wollte unbedingt Venedig kennenlernen.«
»Das wollen viele«, bemerkte Gregorio.
»Aber ich studiere Kunstgeschichte. Und ich dachte mir, wenn ich in einem Hotel wie diesem arbeiten kann, ist das eine Chance, etwas über diese Stadt zu erfahren. Ich möchte durch die engen Gassen streifen, ich möchte die alten Mauern sehen, riechen und fühlen ...«
Leidenschaft blitzte in Rebeccas Augen auf und sie fühlte, wie ihre Wangen rot wurden. Sichtlich fasziniert hing Gregorio an ihren Lippen.
Eine Faust hämmerte gegen die Tür. Emilias Stimme zerschnitt den Moment. Genervt riss Gregorio die Tür auf. »Sie kommt gleich«, knurrte er.
Noch bevor Emilia etwas erwidern konnte, zeigte er auf den Wecker.
»Den habe ich ihr gebracht. Damit sie nicht jeden Tag verschläft.«
Grußlos ließ er die beiden Frauen stehen und verschwand um die Ecke. Emilia starrte hinterher, wirkte dann aber sichtlich zufrieden.
»Gregorio hat also auch schon bemerkt, dass du keine Leuchte bist.«
Sie lächelte zufrieden. Dann seufzte sie. »Allora, vieni! Also komm! Wir müssen die Hotellounge herrichten. Heute Abend findet eine kleine Modenschau statt. Alles muss perfekt sein, wenn die Gäste eintreffen«.
Nur wenig später klopften sie Sessel aus, wischten die flachen Tische ab und reinigten die Böden, bis sie glänzten. Rebecca sah, wie Matteo und weiteres männliches Hotelpersonal eine kleine Bühne mit Laufsteg aufbauten. Zum Schluss tippelte Signora Savera persönlich durch die Reihen, um noch einmal alles zu prüfen. Kerzengerade schob sie ihren runden, aber stocksteifen Körper voran. Hier und da rümpfte sie die Nase.
»Wo bleibt nur dieser Taugenichts mit den Blumen?« Hektisch blickte sie sich um. Rebecca ahnte, dass Signora Savera ihren Sohn meinte. Und irgendwie machte diese Frau sie wütend.
Als Rebecca vom Abendessen - eine Suppe, ein wenig Pasta, Fleisch und ein Salat - aufbrach, gestattete sie sich noch einen flüchtigen Blick in die Hotellounge. Die ersten Gäste strömten aus dem Speisesaal, um sich die besten Plätze für die Show zu sichern. Auf jedem der Tische stand jetzt ein kleines Blumenbouquet, links und rechts der Bühne jeweils ein üppiges Arrangement mit den gleichen, sommerlich bunten Blüten. Alles duftete. Wären Rebeccas Beine und Augenlider nicht so schwer gewesen, hätte sie gern noch ein wenig der Unterhaltungsshow beigewohnt. Da ihr aber ein weiterer anstrengender Tag bevorstand, zog sie sich lieber in ihr kleines Reich zurück. In ihrem Zimmer streifte sie sich gähnend die Sandalen von den Füßen und kickte sie unter die Garderobe. Im Bad putzte sie die Zähne, steckte die Locken mit einer großen Klammer hoch und stellte sich noch einmal kurz unter die Dusche. Nur mit einem winzigen Negligé - für alles andere war es definitiv zu warm - betrat sie ihr Zimmer.
Auf ihrem Tisch stand in einer Vase eines der kleinen Blumenbouquets. Rebecca lächelte und vergrub ihre Nase darin, bevor sie das Fenster weit öffnete. In dem kleinen Gärtchen unter dem Fenster zirpten die Grillen. In der Ferne hörte sie das Plätschern von Wasser gegen Kanalwände. Von der Modenschau hörte sie nichts, denn die Wände des Palazzo waren dick und das Haupthaus weit genug entfernt.
Wenig später lag sie in ihrem weichen Bett. Schon das dünne Laken war als Zudecke zu viel. Die dicken Vorhänge wehten vor den geöffneten Fensterflügeln. Der neue Radiowecker war gestellt und würde sie rechtzeitig mit aktueller italienischer Musik wecken. »Wie schön die zarten Blüten sind und wie angenehm sie duften. Das war wirklich aufmerksam von Gregorio, auch ihr ein Sträußchen aufs Zimmer zu stellen«, dachte sie noch, bevor sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.