23
Seengen, 2010
Die antike Dusche war Anouk heute schon einmal aufgefallen, als sie schwimmen gegangen war. Die kleine Halle, in der sie angebracht war, bestand aus weißem Marmor, erinnerte ein wenig an einen griechischen Tempel und war nach drei Seiten hin offen. An ihrer Vorderseite und den beiden Längsseiten befanden sich Säulen, nur die Rückwand war aus festem Stein. An dieser war auch der Duschkopf, aus dem es tröpfelte, auf halber Höhe angebracht worden.
»Das Wasser ist eiskalt«, sagte sie keuchend, als sie bei dem Bauwerk ankamen. »Ich habe heute hier geduscht, nachdem ich eine Runde im See geschwommen bin.«
Max umrundete währenddessen die Halle. »Es existiert keine verborgene Tür oder sonst eine Öffnung auf der Rückseite. Das Ding kann außerdem nicht im achtzehnten Jahrhundert erbaut worden sein. Damals gab es noch kein fließendes Wasser.«
»Vielleicht doch, und die Dusche wurde nur nachträglich installiert, und die Halle diente zu Bernhardines Zeit zu etwas ganz anderem«, mutmaßte Anouk. »War der Brestenberg nicht für sein Heilwasser bekannt? Möglicherweise sprudelte hier eine Quelle.« Sie zog ihre Schuhe aus, stieg in das rechteckige Wasserbecken unter dem Duschkopf und drehte den Griff zu. Das Tröpfeln hörte auf. »Hier ist etwas eingemeißelt«, wandte sie sich an Max und zeigte mit dem Finger an die Decke. »Ich kann es aber nicht entziffern.«
»Warte!« Er rannte zum Kiosk und kam mit der Laterne zurück. Dann schlüpfte er ebenfalls aus seinen Schuhen, kam zu Anouk in das Becken und hielt die Lampe in die Höhe.
»Sieht aus wie ein Wappen«, bemerkte Anouk und kniff die Augen zusammen.
»Stimmt«, rief Max aufgeregt, »das ist ein Wappen! Und zwar das der Herren von Hallwyl. Wäre es nicht nur eingemeißelt, sondern auch noch ausgemalt, würden wir ein Paar schwarze Flügel auf gelbem Grund erkennen können. Es prangt auch auf dem Einband von Ruflis … Anouk? Was ist denn?«
Anouk hatte sich auf den Beckenrand gesetzt und schaute entsetzt zu Max hoch.
»Ich kenne das Zeichen auch«, wisperte sie. »Rufli hatte es sich auf die Stirn gepinselt, als er mich im Garten angegriffen hat. Und erinnerst du dich daran, was Tati uns erzählt hat? Sie sagte, Walter und Herbert hätten so komische Zeichen auf der Stirn gehabt, als ob sie Indianer gespielt hätten. Die haben nicht Indianer gespielt, Max. Die haben sich ein Wappen auf die Stirn gemalt. Ihr Wappen! Das Wappen derer von Hallwyl.«
Max schnappte nach Luft. »Das kann nicht sein«, stieß er hervor und schüttelte den Kopf, »denn wenn es so wäre, wären die Ruflis ja mit dem Adelsgeschlecht der Hallwyls verwandt. Wäre ich mit dem Adelsgeschlecht verwandt!« Er lachte, aber es klang unsicher. »Deine Fantasie geht mit dir durch.«
Anouk blickte noch einmal zu dem Wappen hinauf. Auch wenn Max ihrer Schlussfolgerung keinen Glauben schenkte, war sie sicher, dass sie zutraf. Wieso sollte ein kleiner Knabe auch sonst jemandem dabei helfen, eine tote Frau beiseitezuschaffen? Doch nur, wenn er eine tiefe Beziehung zu diesem Jemand hatte und ihm viel daran lag, diesem zu Diensten zu sein. Und wem waren kleine Buben am meisten verbunden?
»Er war sein Vater«, sagte Anouk und erhob sich. Ihre Shorts waren pitschnass; sie griff nach dem Stoff und wrang ihn mit beiden Händen aus.
»Wie?« Max runzelte die Stirn. »Wer war wessen Vater?«
»Der Böse im Stück, der die Rolle des Eusebius spielt, war Huldrichs Vater. Der Dichter war vermutlich das uneheliche Kind eines Grafen von Hallwyl. Erinnere dich an unseren Theater-Flyer und was dort über Huldrich Erismann, den Verfasser des Stückes, zu lesen war. Ich weiß den genauen Wortlaut nicht mehr, aber dort stand, dass er ein Waisenkind war. Dass er in Bern Theologie studiert hat und dass er ein inniges Verhältnis zu den von Hallwyls pflegte. Denk mal nach! Wie und wovon hätte ein Waisenjunge jemals die Mittel für ein Studium aufbringen können? Und was hätten deiner Meinung nach die Hallwyls davon, eine innige Beziehung zu einem einfachen Pfarrer zu unterhalten? Und wieso sollten sie einen solchen auf dem Schlossfriedhof bestatten? Doch nur aus dem einzigen Grund, weil er einer von ihnen war. Ein Bastard zwar, aber dennoch einer, in dessen Adern das gleiche Blut floss. Das gleiche Blut, das auch in deinen Adern fließt, Max.«
Anouk hatte sich warmgeredet. Ihr Mund war staubtrocken, und sie hatte plötzlich einen unheimlichen Durst. Aber Max blieb stumm. Sie gab ihm Zeit, das Gehörte zu verdauen. Es war sicher nicht leicht für ihn. Zuerst die Erkenntnis, dass er mit den Ruflis verwandt war, und jetzt, dass es vermutlich einen, nein, sogar zwei Mörder in seiner Familie gab: diesen Bösewicht aus dem Stück, der für einen der von Hallwyls stand, und Herbert Rufli. Wie musste er sich fühlen?
Vom Kirchturm schlug es zwölf. Geisterstunde. Genau die passende Zeit, um ein Skelett zu finden. Anouk spürte auf einmal eine große Ruhe in sich aufkommen, als wäre sie nach einer langen Reise endlich zu Hause angekommen. Sie sah sich plötzlich aus großer Höhe auf sich selbst hinabblicken, als würde sie über der Szenerie schweben. Max und Anouk, wie sie in dem Wasserbecken der Halle standen. Max mit der Laterne in der Hand, Anouk neben ihm, sprechend, gestikulierend.
Sie blinzelte verwirrt. Was war das eben gewesen? Sie schaute zum Firmament; sah den Vollmond mit seinen Kratern und den dunklen, samtenen Himmel mit seinen Sternen. Hatte sie gerade eben dort oben geschwebt? Sie schüttelte den Kopf. Sie brauchte dringend Schlaf.
»Ich fühle, dass wir beinahe am Ziel sind«, sagte sie leise zu Max und berührte seinen Arm. Im Schein der Laterne wirkte sein Gesicht angespannt.
»Ich hoffe es, Anouk. Am Ende findest du sogar noch heraus, was ich denke. Du wirst mir langsam unheimlich.« Sie schlang ihre Arme um seinen Hals, küsste seine Lippen und schmiegte sich an ihn. Max aber löste sich behutsam aus ihrer Umarmung und sagte: »Okay, Frau Morlot, bringen wir’s zu Ende.«
Sie leuchteten jede Stelle der Halle ab, fanden aber keinen Hinweis auf Bernhardines Grab. Der kleine Tempel schien aus einem einzigen Stück Stein gemeißelt zu sein. Nirgendwo war eine Vertiefung oder ein Riss zu sehen. Max klopfte sogar jeden einzelnen Zentimeter Stein ab, um zu überprüfen, ob es irgendwo dahinter einen Hohlraum gab. Fehlanzeige. Am Ende gab es nur noch eine Stelle, die sie noch nicht untersucht hatten: das gemauerte Wasserbecken unter dem Duschkopf, das ganz sicher nicht aus Bernhardines Zeit stammte. Die bräunlichen Fliesen sahen eher nach den Siebzigern des letzten Jahrhunderts aus. In der Mitte des Beckens befand sich ein Abfluss, der mit einem runden Metallgitter abgedeckt war. Max drückte Anouk die Lampe in die Hand und entfernte das im Becken liegende, hereingewehte Herbstlaub. Dann bückte er sich und löste den Ablaufschutz aus der Verankerung.
»Holst du mir bitte die Spitzhacke?«
Anouk stellte die Laterne ab und rannte zum Kiosk, an dem sie ihre Werkzeuge zurückgelassen hatten.
»Hier«, sagte sie, als sie wieder zurück war, und reichte ihm den Pickel.
»Wenn wir mit unserer Annahme falschliegen, bekommen wir eine Anzeige wegen Vandalismus, das ist dir doch klar?«
Anouk nickte und meinte trocken: »Presse ist immer gut.«
Max schüttelte den Kopf. »Also dann.«
Er führte die Spitze der Hacke in das Loch ein und stemmte sich anschließend mit seinem ganzen Gesicht gegen den Stiel. Die Kacheln knirschten, bewegten sich aber nicht. Anouk trat hinzu, und gemeinsam drückten sie die Stange in Richtung Boden. Mit einem Scheppern gaben die Bodenplatten nach und zersprangen. Mehrere kleinere Einzelteile spritzten in die Halle, das Becken oder fielen in die Tiefe hinab. Unter dem Gitter und den Fliesen musste also so etwas wie ein großes Rohr oder ein Schacht verborgen sein. Max hebelte noch weitere Kacheln heraus, bis zuletzt ein ansehnliches Loch zu ihren Füßen gähnte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, ging in die Knie und leuchtete mit der Laterne in die Finsternis.
»Ich kann leider nichts erkennen«, sagte er. »Dazu bräuchte ich ein Seil.«
Anouk zuckte die Achseln. Wo sollten sie jetzt auf die Schnelle ein Seil herbekommen?
»Warte!«, rief sie und rannte abermals zum Kiosk hinüber. Auf seiner dem See zugewandten Seite war eine lange Rettungsstange mit einem gebogenen Ende an der Wand befestigt. Sie diente dazu, Ertrinkende aus dem Wasser zu ziehen. Anouk riss die Stange aus der Halterung und lief zurück. »Geht das?«
»Perfekt!«
Max sicherte die Laterne an dem hakenförmigen Ende des Stabes und ließ sie langsam in das Loch hinab.
»Siehst du etwas?« Anouk blickte über seine Schulter, konnte jedoch nichts erkennen.
»Nicht viel. Aber an der Wand sind Griffe eingelassen.« Er wandte sich um. »Man kann da runtersteigen.«
Anouk schluckte. Das war sicher gefährlich. Ihre Neugier und die Besorgnis um Max kämpften miteinander. Doch schon hatte er die Laterne wieder heraufgezogen und von der Stange gelöst. Er stand auf, befestigte die Sturmlaterne an seinem Gürtel und hockte sich dann neben den Rand des Loches.
»Du willst …?« Anouk brach ab.
Er nickte. »Wird schon schiefgehen! Ansonsten weißt du ja jetzt, wo du den Pfarrer findest.« Er zwinkerte ihr zu und rutschte noch näher an die Öffnung heran. »Hoffentlich halten die Griffe! Wenn die brüchig sind …«
Er beendete den Satz nicht, doch Anouk wusste genau, was er meinte.
»Nein, warte! Das ist zu gefährlich.« Sie hielt ihn am Arm fest. »Lass es! Wir kommen morgen wieder. Heuern einen Bautrupp an oder einen Höhlenforscher.«
»Ich passe schon auf«, unterbrach er sie. »Wenn die Griffe lose sind, komme ich sofort wieder rauf. Versprochen.«
Anouk schluckte. »Max, das kann doch wirklich warten. Bitte lass es!«
Doch er tastete mit den Füßen bereits nach dem ersten Wandgriff, testete kurz dessen Trittfestigkeit und verschwand in der Dunkelheit.
»Alles bestens!«, rief er. »Die Dinger sind prima erhalten.«
Seine Worte kamen verzerrt bei Anouk oben an. Im Schein der Laterne sah sie eine Art Schacht aus roh behauenen Steinen. Der Ablauf des Duschbeckens war früher also tatsächlich ein Brunnen gewesen.
»Bist du dort unten, Bernhardine?«, flüsterte sie. »Wenn ja, dann pass auf ihn auf. Ich liebe ihn. Du weißt, was Liebe ist, nicht wahr? Du wirst ihn beschützen. Um meinetwillen.« Sie faltete die Hände und presste sie gegen ihre Lippen. »Lieber Gott, lass ihn heil wieder heraufkommen!«
»Ich bin unten«, tönte es in diesem Moment aus dem Schacht.
Anouk rutschte auf ihren Knien bis an den Rand des Loches. Weit unter sich sah sie den Schimmer der Laterne.
»Und?«
»Nichts«, kam es nach oben. »Nur ein Kanal. Vermutlich führt er in den See. Viel Schlamm und Dreck. Ansonsten …«
»Was?«, schrie Anouk. »Was?«
Bern, Stadtresidenz derer von Diesbach, 1746
»Wer?«
»Ein Kurier, Herr. Er hat etwas abzugeben.«
Franz Ludwig von Diesbach wedelte genervt mit der Hand. »Dann nimm es ihm halt ab, Herrgott! Bin ich denn von lauter Dummköpfen umgeben?«
Der Diener machte einen Kratzfuß. »Entschuldigt bitte, aber der Mann will das Päckchen nur der Gräfin überreichen … persönlich.«
Franz Ludwig hob die Augenbrauen. Seit wann bekam sein Weib denn Botschaften, ohne dass er davon wusste? Hatte sie etwa Geheimnisse vor ihm? Das wäre ja noch schöner! Er erhob sich ächzend.
Der Kurier stand in der Halle neben dem Kamin und wärmte sich die Hände. Er drehte sich um, als Franz Ludwig eintrat.
»Gebe Er mir das Ding!«, befahl Franz Ludwig und streckte die Hand aus.
Der Bote kniff die Augen zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Mir wurd aufgetragn, es der Madame zu gebn. Und nur ihr.«
Franz Ludwig verdrehte die Augen.
»Papperlapapp!«, zischte er. »Ich bin der Herr hier, und deshalb geht auch alles an mich. Ich halte nichts von den neumodischen Sitten, dass Weiber selbst Post erhalten. Er etwa?«
Der Kurier setzte ein schiefes Grinsen auf. »Ned wirklich. Die solln gefälligst am Herd stehn und die Brut aufziehn.«
Franz Ludwig nickte zustimmend. »Also her damit. Und dann kann Er sich in der Küche einen Teller Suppe geben lassen.«
Die Augen des Boten leuchteten auf. Er langte in seine Umhängetasche, zögerte kurz und reichte Franz Ludwig anschließend schnell das eingeschnürte Päckchen. Dieser steckte es in seine Westentasche und drehte sich um.
Plötzlich schlug sich der Kurier an die Stirn. »Entschuldigt, da isch noch was.« Er griff abermals in seine Jackentasche und holte einen mehrfach gefalteten Zettel hervor. »Der ghört dazu.«
Doch Franz Ludwig hatte die Tür bereits hinter sich geschlossen. Der Bote betrachtete das Papier eine Weile, zog schließlich die Schultern hoch und warf es ins Feuer.
»Hans, einen Glühwein, aber hurtig!«
Franz Ludwig setzte sich an seinen Arbeitstisch und griff nach dem Verzeichnis der Jungpferde. Wenn das braune Hengstfohlen über den Winter kam, würde es ein hübsches Sümmchen einbringen. Er zog Speichel hoch und spuckte ihn in den Messingnapf auf dem Tisch. Wenigstens entwickelten sich seine Zuchtpferde hervorragend, wenn es seine eigenen Nachkömmlinge schon nicht taten. Ein Haufen Taugenichtse waren sie, die ihm immer noch auf der Tasche lagen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, hatte er darüber hinaus noch eine Hexe an seiner Brust genährt.
Franz Ludwig knurrte. Er wollte nicht mehr an Bernhardine denken. Zu tief saß die Schmach, die sie ihm angetan hatte und die wie ein Damoklesschwert über seinem Adelsgeschlecht hing. Schwarze Kunst und Selbstmord! Franz Ludwig schüttelte sich vor Entsetzen. Er konnte Gerold von Hallwyl für seine Umsicht, Bernhardine aus allen kirchlichen Registern zu streichen, um dadurch den Namen derer von Hallwyl und letztlich natürlich auch den derer von Diesbach rein zu halten, nur dankbar sein. Nur wenige verhielten sich so edel wie der Bruder seines verstorbenen Schwiegersohns. Gerold hatte dessen gesamten Besitz geerbt und ihm versprochen, Bernhardines Nachkommen der ersten Frau von Johannes zuschreiben zu lassen. So würden diese wenigstens im Tod noch zu einer anständigen Mutter kommen.
Die Blattern! Franz Ludwig fröstelte. Dem Himmel sei Dank, dass Gerold nicht verlangt hatte, dass sie zum Begräbnis der Zwillinge anreisen sollten. Was mit Bernhardines Leichnam geschehen war, wollte Franz Ludwig gar nicht wissen. Amandine hatte zwar Zeter und Mordio geschrien, weil er ihr verboten hatte, in den Aargau zu fahren, sich mit der Zeit aber wieder beruhigt. Nun, die von Morlots waren eben schon immer etwas … exzentrisch gewesen. Man hatte ihn ja auch vor einer Heirat mit Amandine gewarnt. Aber dass sogar Hexen aus dem Geschlecht der Morlots hervorgehen würden, hatte er doch nicht wissen können.
Das Päckchen! Beinahe hätte er es vergessen. Er griff in seine Westentasche und holte es heraus, entfernte den Bindfaden darum herum und faltete das brüchige Leder auseinander. Ein tropfenförmiger Perlenanhänger kam zum Vorschein. Franz Ludwigs Augenbrauen schnellten in die Höhe. Wer zum Teufel machte seiner Gattin solche Geschenke? Amandine hatte doch nicht etwa einen Galan? Er schüttelte den Kopf. Was für eine abstruse Idee! Sie war schließlich schon siebenundvierzig.
Franz Ludwig schürzte die Lippen und lehnte sich zurück. Ein schönes Schmuckstück, in der Tat. Und sicher nicht billig. Sollte er vielleicht …? Aber ja, warum denn nicht?
Er erhob sich, verließ das Zimmer und ging den Gang hinunter. Als er vor der Tür zu Amandines Schlafgemach stand, hörte er Cembalomusik. Sie spielte also wieder. Immerhin hatte sie das Klagen aufgegeben. Dieses ewige Gejammer um ihre Jüngste war ja nicht zum Aushalten gewesen! Franz Ludwig klopfte, und die Musik brach ab.
»Ja, bitte?«
Er trat ein. Amandine saß vor ihrem Spinett, die Augen gerötet. Vor ihr, auf dem Instrument, stand eine Miniatur Bernhardines, die diese im Alter von fünfzehn Jahren zeigte. Franz Ludwig schnaubte. Er hatte doch angeordnet, alle Bilder seiner Jüngsten zu verbrennen. Nichts sollte mehr an diesen Wechselbalg erinnern. Ein falsches Wort ins richtige Ohr, und der Name von Diesbach trüge für alle Zeiten einen Makel. Doch das gramverzerrte Gesicht seiner Gattin besänftigte seinen Ärger.
»Liebste, wie schön, dass es Euch besser geht. Seht her, ich habe ein Geschenk für Euch. Ich habe es extra für Euch anfertigen lassen, damit es Euch ein wenig tröstet.«
Er trat zu seiner Gattin und legte den Anhänger auf die Klaviatur. Amandine griff mit zitternder Hand nach dem Schmuckstück, warf aber nur einen flüchtigen Blick darauf und drehte es geistesabwesend zwischen den Fingern.
»Es ist reizend«, sagte sie tonlos. »Ihr seid zu gütig.«
Franz Ludwig machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nicht der Rede wert, Madame.«
Amandine nickte und betrachtete den Anhänger genauer. Dann runzelte sie plötzlich die Stirn, schauderte und griff sich ans Herz.
»Madame?« Franz Ludwig trat schnell näher. »Ist Euch nicht wohl?«
Sie schüttelte den Kopf und sah zu ihm hoch. »Es ist nichts, Monsieur.« Sie lächelte und presste das Schmuckstück an ihre Brust. »Habt vielen Dank!«