20

Seengen, 2010

So kurz war meine Reise in der Welt,
doch lang ist dieser Gang im Nebel.
Mein Sein wurd von dem Teufel dargestellt,
mein Gehn trug böser Wille Knebel.

Die Meinen sind an fremder Brust,
mein Name floh und ward vergessen,
an einer einzgen Nacht voll Lust,
wurd meiner Sünden Krug bemessen.

Drum kann ich nicht zu meinen Lieben,
ein Fluch treibt mich ins Nimmertal,
bis mich Erbarmen frommer Erden
erlöset von der Seelenqual.

Du, Schwester meines eignen Blutes,
geh hin und suche mein Gebein,
und meines Lebens einzig Gutes
soll immer dir im Herzen sein.

Anouk erwachte wie aus einer Art Trance und schaute verblüfft auf die altmodisch klingenden Verse. Poesie, schon wieder! Sie fröstelte plötzlich. Diese Zeilen mussten eine Botschaft sein, aber was bedeutete sie? Interpretiere, Anouk!, hörte sie ihren ehemaligen Deutschlehrer sagen. Spüre den Worten nach. Versetz dich in das lyrische Ich. Empathie, Anouk, Empathie! Finde den richtigen Schlüssel, und das Gedicht wird dir seinen tieferen Sinn offenbaren.

»Ja, ja«, knurrte sie. »Als wenn das so einfach wäre.«

Sie schlug ein neues Blatt ihres Spiralblockes auf und wartete. Doch ihre Hand blieb ruhig, es wurden ihr keine weiteren Verse mehr aus der Geisterwelt diktiert. Ihr erster Impuls war, Max anzurufen, doch als sie zum Handy griff, stockte sie. Nein, er hatte zu arbeiten, und sie würde ihn heute Abend sehen. Dann könnte sie ihm das Gedicht immer noch zeigen. Vielleicht wäre sie bis dahin sogar schon hinter den Sinn der Zeilen gekommen.

Anouk stand auf, um sich ein Glas Saft aus der Küche zu holen. Als sie am Wohnzimmer vorbeikam, hörte sie erneut Debussy. Ihre Großtante saß auf dem Sofa, hatte die Hände im Schoß gefaltet und starrte zum Fenster hinaus.

»Tati? Alles in Ordnung?« Valerie wandte den Kopf. Ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen. Anouk runzelte die Stirn und trat näher. Sie berührte sie sanft an der Schulter. »Tati?«

Ihre Großtante blinzelte. »Oh, Liebes. Heiß heute, nicht wahr?«

Anouk nickte und setzte sich neben sie. »Alles in Ordnung?«, fragte sie erneut.

»Aber ja doch«, erwiderte Valerie, »alles bestens. Weshalb fragst du?«

»Du wirktest so … geistesabwesend. Soll ich dir eine Erfrischung holen?«

Ohne die Antwort ihrer Großtante abzuwarten, stand sie auf und wollte in die Küche gehen.

»Du siehst das Kind auch, nicht wahr?« Anouk schnellte herum und schnappte nach Luft. »Ich habe also recht«, lächelte Valerie und fuhr sich über die Augen. »Macht dir das Angst?«

Anouk schüttelte den Kopf. Sie war außerstande, sich zu bewegen. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Tati sah die Kleine also auch? Aber wieso hatte sie ihr gegenüber dann nie irgendetwas darüber verlauten lassen?

»Komisch«, stellte ihre Großtante fest. »Ich habe mich auch nie gefürchtet.«

»Nie?«, echote Anouk. »Wie oft hast du das Mädchen denn gesehen?«

Valerie schürzte die Lippen. »Das erste Mal muss ich so sechs Jahre alt gewesen sein.« Anouk war sprachlos. »Ich dachte damals, es sei ein Nachbarskind, und wollte mit ihm spielen. Aber es verschwand immer, sobald ich es angesprochen habe.«

Anouk schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein! Ihre Großtante legte ihr eine Hand auf den Arm. Sie war kühl, trotz der brütenden Hitze draußen und der stickigen Luft im Wohnzimmer.

»Ich habe nie jemandem davon erzählt«, fuhr Valerie fort. »Ich wollte ja nicht für meschugge gehalten werden.« Sie kicherte. »Aber ich weiß, dass Viola das Kind auch gesehen hat. Sie machte einmal so eine Bemerkung. Ich kann mich aber auch getäuscht haben. Es tauchte ja auch nur auf, wenn ich in Seengen war, und in den letzten Jahren immer seltener. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich ihm bei irgendetwas helfen sollte, aber dafür nicht die richtige Person war.« Sie schüttelte seufzend den Kopf.

»Und die Frau im roten Kleid? Siehst du die auch?« Anouk wagte kaum zu atmen.

Ihre Großtante runzelte die Stirn. »Nein, Schatz, eine Frau habe ich nie gesehen. Nur dieses kleine Mädchen mit dem weißen Nachthemd und den roten Locken.« Sie griff nach Anouks Haaren. »Locken wie diesen! Und jetzt würde ich gerne etwas trinken, wenn es dir nichts ausmacht.«

Anouk verließ ihre Großtante nur widerwillig. Am liebsten hätte sie sie weiter ausgefragt, um auch jede noch so kleine Einzelheit in Erfahrung zu bringen, an die sie sich erinnern konnte. Doch Valerie hatte sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Und als Anouk mit zwei Gläsern Orangensaft kurze Zeit später wieder ins Wohnzimmer zurückkehrte, war ihre Großtante eingeschlafen. Ihr Kopf lag auf der Lehne des Sofas, und sie schnarchte leise. Sollte sie sie wecken? Sie musste unbedingt wissen, was sie noch alles gesehen und erlebt hatte.

»Tati«, sagte sie leise und schubste ihrer Großtante behutsam an. »Dein Orangensaft.«

Valerie öffnete die Augen. »Oh, das ist lieb, danke.« Sie griff nach dem Glas und nippte daran. »Heiß heute, nicht wahr?«

Anouk nickte zerstreut. »Hast du dich nie gefragt, was es mit diesem Kind auf sich hat?«

Valerie blinzelte. »Mit welchem Kind?«, fragte sie und strich ihr Kleid glatt.

»Dem Kind, von dem wir eben gesprochen haben. Das Mädchen im weißen Nachthemd, mit den roten Locken, das immer bei den Brombeerbüschen steht.«

Anouk wies mit der Hand zum Fenster.

Valerie folgte ihrer Bewegung und schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Liebes. Ich habe dort noch nie ein Kind gesehen.«

Anouk hätte gerne laut geschrien. Doch sie zählte leise bis zehn und mahnte sich zur Geduld.

»Gerade eben«, sie betonte jedes einzelne Wort, »hast du von diesem Kind gesprochen, das sowohl von dir als auch von meiner Großmutter gesehen worden ist.«

Valerie blinzelte und schien angestrengt nachzudenken. Sie schüttelte den Kopf.

»Es tut mir wirklich leid, Anouk. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, davon gesprochen zu haben. Ich werde langsam alt, da vergisst man eben ab und zu ein paar Dinge.«

Anouk stieß die Luft aus. Es hatte keinen Zweck. Die Tür zu Tatis Erinnerung war bereits zugefallen. Sie würde sich wieder öffnen, nur wusste man leider nicht wann. Die Altersdemenz schien immer rascher fortzuschreiten.

Valerie studierte Anouks Gesichtsausdruck. »Bist du mir jetzt böse?«, fragte sie kleinlaut, und ihre Stimme zitterte dabei.

Anouk nahm ihre Hand. »Aber nicht doch, Tati. Auf keinen Fall. Ich hätte nur zu gerne gewusst … aber das hat Zeit. Ruh dich aus, okay?«

Ihre Großtante nickte und stellte den Orangensaft auf den Couchtisch. Anouk half ihr, die Beine auszustrecken. Sie waren dünn wie Streichhölzer und genauso leicht.

»Ich bin übrigens heute Abend mit Max verabredet«, erklärte sie, »du musst also nicht kochen. Außer natürlich, der Belgier wäre hungrig – wovon ich ausgehe.«

Valerie unterdrückte ein Gähnen. »Ist gut, Liebes. Ich freue mich, dass ihr beide, Max und du, ein Paar seid. Liebe ist etwas Kostbares.«

Anouk schluckte. Von Liebe hatte Max noch nie gesprochen. Und plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie wandte sich hastig ab, damit Valerie es nicht bemerkte. Doch ihre Großtante war bereits eingeschlafen.


Anouk steckte sich die Stöpsel ihres MP3-Players in die Ohren und schaltete das Gerät ein. Sie war durcheinander und musste sich ablenken. Mit dem Fuß wippte sie zum Rhythmus der dröhnenden Rockmusik. Doch unwillkürlich kehrten ihre Gedanken zu den merkwürdigen Versen und den Geschehnissen der letzten Tage zurück. Es war alles so verworren, schien aber doch irgendwie miteinander zusammenzuhängen.

Schwester meines eigenen Blutes. Waren diese Worte der Schlüssel zu allem anderen? Wenn sie davon ausging, dass die Frau im roten Kleid die Verfasserin dieser Zeilen war, würde das bedeuteten, dass sie, Anouk, mit dieser Frau verwandt war. Doch soweit sie wusste, gab es keine Adligen in ihrer Familie. Und die Zinnengängerin war auf alle Fälle eine Blaublütige gewesen. Eine verwandtschaftliche Beziehung würde jedoch erklären, weshalb sich das Kind den Frauen der Morlot-Familie zeigte: ihr, Tati Valerie und ihrer Großmutter Viola. Die Antwort musste im Stammbaum ihrer Familie liegen.

Anouk schaltete den MP3-Player aus, zog die Stöpsel aus ihren Ohren und griff nach ihrem Handy. Sie schaute auf die Uhr. Es war kurz vor fünf. Wenn sie Glück hatte, würde sie ihren Schwager noch zu Hause erwischen.

»Oui, allô?«

»Hi, Schwesterchen!« Anouk lächelte. »Wie geht’s denn so?« In den nächsten Minuten kam Anouk nicht dazu, irgendetwas zu fragen, denn Aimée erzählte ihr von den neuesten Streichen der Zwillinge und den Fortschritten ihres Patenkindes Charlotte.

»Aimée? Entschuldige, wenn ich dich unterbreche. Aber ist Julien noch da? Ich weiß, dass er am Sonntag meist Visite hat, aber vielleicht … Oh, tatsächlich? Dann hol ihn mir doch bitte an den Apparat.«

Während Aimée ihren Mann suchte, realisierte Anouk mit einem Mal, dass sie jetzt ebenfalls mit einem Arzt liiert war. Und noch etwas anderes fiel ihr auf. Dass es in ihrer Familie wie auch in der der Ruflis Zwillinge gab. Ein Zufall? Sie fröstelte plötzlich und zündete sich eine Zigarette an.

»Salut, Beauté, ça va?« Hallo, Schönheit, wie geht es dir?

Anouks Schwager Julien war der Inbegriff des Südfranzosen: charmant, stets gut gelaunt und ein Ausbund an Hilfsbereitschaft. Er brachte sie immer zum Lachen. Aimée hatte wirklich Glück! Und ich? Anouk schüttelte energisch den Kopf und drückte die halb gerauchte Zigarette aus. Es ging jetzt nicht um sie.

»Hör mal, liebster aller Schwager! Du hast für unsere Eltern zu ihrem fünfundzwanzigsten Hochzeitstag doch einen Stammbaum der Morlots anfertigen lassen. Ja, ich weiß, dass ich wie auch alle anderen Familienmitglieder ein eigenes Exemplar erhalten habe, aber das liegt in meinem Loft in Zürich. Ich müsste jedoch ganz dringend etwas wissen. Kannst du das bitte kurz heraussuchen? Ich bringe dir dafür das nächste Mal auch ein Kilo Schweizer Schokolade mit, versprochen.«

Anouk grinste, als sie Juliens Antwort hörte. Er legte den Hörer neben das Telefon. Sie vernahm Kindergeschrei im Hintergrund. Wie schön, eine Familie zu haben und einen Ort, an dem man sich zu Hause fühlte. Und wieder kamen ihr die Tränen. Verdammt, was war nur los mit ihr? Seit wann hatte sie denn so nahe am Wasser gebaut?

»Ja, ich bin noch da. Okay, hör zu. Es geht ums achtzehnte Jahrhundert. Dix-huitième siècle, exact! Lies mir doch bitte mal alle Familienmitglieder vor, die damals in der Schweiz ansässig waren. Und bei den Frauen bitte auch noch deren Geburts- und Todesdaten.«

Anouk lauschte und machte sich fleißig Notizen. Als sie einen Namen hörte, stockte sie, und ihre nackten Arme überzogen sich mit einer Gänsehaut.

»Julien? Wiederhole das bitte noch mal! Ja, genau. Okay. Und die Kinder? Ah, verstehe.« Sie konnte kaum noch den Kugelschreiber halten. Ihre Hand zitterte, als hätte sie Schüttelfrost. »Danke«, krächzte sie, »du hast mir sehr geholfen. Ja, ich komme bald. Gib deinem Nachwuchs einen dicken Kuss von mir. A bientôt.«

Sie starrte auf ihre Notizen. Das war es! Sie hatte die Frau in Rot gefunden.


Franz Ludwig von Diesbach, Freiherr zu Liebistorf, verheiratet mit Amandine von Diesbach, geborene von Morlot ( 1690 1748 )


Kinder:

Wilhelm Alexander von Diesbach

Alfonse Peter von Diesbach

Charlotta Louise von Diesbach-von Morlot (1715–1760), verh. mit Karl Melchior von und zu Elfenau

Elisabeth Klara von Diesbach-von Morlot (1720–1772), verh. mit Fritz Christoph von Salis


Und an letzter Stelle:


Bernhardine Amalia von Diesbach- von Morlot ( 1728 -?), verh. mit Johannes von Hallwyl


Anouk schluckte. Bernhardine Amalia! Verheiratet mit diesem Johannes von Hallwyl, den sie auf dem Porträt in der Ahnengalerie des Schlosses gesehen hatte. Das musste die Frau im roten Kleid sein, die Zinnengängerin, die Mutter von Désirée, ihre Blutsverwandte.

Anouk runzelte die Stirn. In keiner Chronik außer dem Stammbaum, den Julien erstellt hatte, wurde erwähnt, dass Johannes nach Viktoria noch eine weitere Ehefrau gehabt hatte. Was war da los?

Die Meinen sind an fremder Brust, mein Name floh und ward vergessen.

Anouk betrachtete das Gedicht und begann zu kombinieren. Der Sinn des Satzes war eindeutig und besagte, dass die Verfasserin von ihren Kindern sprach. Handelte es sich dabei um Désirée? Aber »die Meinen« war Mehrzahl. Konnte es denn sein, dass sie mit der Vermutung, die sie Max gegenüber schon einmal geäußert hatte, richtig lag, und Bernhardines Kinder dieser Viktoria – Johannes’ erster Frau – untergejubelt worden waren? Und man Bernhardines Name aus allen Registern getilgt hatte? Aber wieso? Was hatte die Frau um Himmels willen angestellt, dass die von Hallwyls so mit ihrem Andenken verfahren waren?

Bis mich Erbarmen frommer Erden erlöset von der Seelenqual. Anouk überlegte fieberhaft. Wieso war bei Bernhardine kein Sterbedatum angegeben? Und »frommer Erden«? Was bedeutete das? Hatte man die Frau etwa in ungeweihter Erde bestattet? Und konnte sie deshalb nicht zur Ruhe kommen? Das würde einen Sinn ergeben. Anouk hatte schon mehrere Filme gesehen, in denen es um dieses Thema gegangen war. Zugegeben, das waren Mystery-Schinken gewesen, aber trotzdem. Vor diesem Hintergrund ergab es auf jeden Fall Sinn, dass die Zinnengängerin darum bat, ihre Gebeine zu suchen. Sie brauchte eine richtige Bestattung. Aber wieso hatte man ihr ein christliches Begräbnis verweigert? Was hatte im achtzehnten Jahrhundert als ein so schreckliches Vergehen gegolten, dass man es auf diese Weise geahndet hatte? Ehebruch? Selbstmord? Mord? Sie schauderte.

An einer einzgen Nacht voll Lust wurd meiner Sünden Krug bemessen.

Natürlich, das war es! Es stand wirklich alles da, sie musste es nur richtig interpretieren. Bernhardine hatte offenbar eine Liaison gehabt – eine Nacht voll Lust. Als Anouk an das Porträt dieses Johannes zurückdachte, konnte sie diesen Umstand durchaus nachvollziehen. Der Mann war bedeutend älter als seine Frau gewesen. Ehebruch war damals aber eine schwerwiegende Sünde. Vor allem, wenn eine Frau ihn beging. Ob man Bernhardine deswegen exkommuniziert hatte? Anouk schürzte die Lippen. Aber der Aargau war zu dieser Zeit doch schon reformiert gewesen. Und die Reformierten kannten keine Exkommunikation. Zu diesem Thema würde sie den Pfarrer wohl nochmals bemühen müssen. Sie atmete tief durch und massierte sich den verspannten Nacken. Und jetzt noch der letzte, besser gesagt, der erste Vers.

Mein Sein wurd von dem Teufel dargestellt, mein Gehn trug böser Wille Knebel.

»Das sagt mir nichts, Bernhardine«, flüsterte Anouk und schaute sich unwillkürlich im Zimmer um, als ob dort jeden Moment irgendein Zeichen, etwa eine Flammenschrift an weißer Wand, wie bei Belsazar auftauchen könnte. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Anouk beugte ihren Kopf wieder über die Notizen. Ein Teufel hatte Bernhardines Sein – war damit ihr Leben gemeint? – falsch dargestellt. Also Lügen verbreitet. Und ihr Gehen, sicher der Tod, trug einen Knebel. Mord? Nein, das konnte nicht sein. Wenn sie sich in Erinnerung rief, wie sich die Frau im roten Kleid während des Konzerts von den Zinnen hatte fallen lassen, dann hatte das eher nach Selbstmord ausgesehen. Und Selbstmord galt in jeder Religion als Todsünde. Vermutlich hatte dieser Teufel – ein Mann? – Bernhardines Freitod eher dazu benutzt, ihr ein angemessenes Begräbnis zu verweigern. Ja, das schien logisch. Es fehlten zwar noch einige kleinere Details, aber Anouk war sich sicher, dass sie mit ihren Überlegungen der Wahrheit sehr nahe gekommen war. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, welche Rolle die Familie der Ruflis und speziell der Kurator in dieser Tragödie spielte … die des jugendlichen Helden aber vermutlich nicht.

Schloss Hallwyl, 1746

Die Stunden verstrichen. Marie hatte sich bereits zu Bett begeben, Gerold Bibelstudien vorgeschürzt. Bernhardine saß allein in der riesigen Empfangshalle und wusste nichts mit sich anzufangen. Sie hatte versucht, in Sidonias Gedichten Trost zu finden, den Lyrikband aber bald beiseitegelegt, als ihr die Worte vor den Augen zu verschwimmen begonnen hatten. Zum Sticken war sie zu nervös, bei den Zwillingen konnte sie nicht wachen, weil ihr deren Gewimmer durch Mark und Bein ging und sie in Weinkrämpfe ausbrechen ließ. So saß sie nun abermals in der ungemütlichen Halle, lauschte auf jedes Türenschlagen und wurde fast wahnsinnig dabei. Lediglich Johannes’ Hunde leisteten ihr Gesellschaft. Die beiden waren ebenso unruhig wie sie selbst. Sie schnüffelten in jeder Ecke, legten sich nieder, um nach nur kurzer Zeit wieder aufzustehen und das gleiche Prozedere von vorne zu beginnen.

»Er wird kommen«, sprach sie sich Mut zu. »Es kann nicht mehr lange dauern.«

Die Pendule schlug Mitternacht. Bernhardine erwachte aus ihrer Lethargie und griff nach ihrem Schultertuch. Es war kalt geworden. Das Feuer nahezu niedergebrannt. Ein Klopfen ließ sie zusammenzucken. Endlich! Sie lief zur Tür, schob den Riegel zurück und öffnete. Ein Diener und ein ihr unbekannter Mann standen vor dem Eingang. Beide hatten den Blick gesenkt.

»Wo ist der Herr? Wo der Arzt?«, stieß sie hervor. »Sprecht!«

Die Männer sahen sich verstohlen an. Bernhardine war, als legte sich eine kalte Hand auf ihr Herz. So sah keiner aus, der eine gute Nachricht überbrachte.

»Herrin«, der Diener fing an zu sprechen, »dies ist Jakob, ein Fischer aus Meisterschwanden. Er hat …« Der Bedienstete brach ab und räusperte sich.

»Herrgott!« schrie sie. »So sprecht doch endlich!«

»Er hat …«, der Mann wischte sich über die Stirn, »den Gaul … Verzeihung, das Pferd unseres Herrn eingefangen.«

Bernhardine runzelte die Stirn. »Ja, und? Wo ist mein Mann? Hat er den Arzt mitgebracht?«

Der Diener räusperte sich. »Sie verstehen nicht, Herrin. Der Mann hat das Pferd am Seeufer gefunden. Es hat eine tiefe Schnittwunde in der Flanke, war tropfnass und … ohne Reiter.«


Der Schlosshof war mit Fackeln beleuchtet. Die Szenerie erinnerte Bernhardine an den Tag, an dem man nach Désirée gesucht hatte. Doch damals war Tagesanbruch gewesen, jetzt herrschte tiefe Nacht. Zwanzig Männer standen beisammen und besprachen das weitere Vorgehen. Da sich der Verwalter nicht im Schloss befand, hatte der Stallmeister das Kommando übernommen. Er zählte die Helfer durch und teilte sie in Gruppen ein. Dann marschierten sie durch das offene Schlosstor hinaus in die Winternacht, um ihren Herrn, Johannes von Hallwyl, aus den eisigkalten Armen des Sees zu befreien.

Bernhardine stand in ihrem Zimmer, starrte mit trockenen Augen auf das Geschehen und zupfte an ihren Haaren herum.

Ich verliere alles!, ging es ihr durch den Kopf. In ein paar Tagen, vielleicht schon in wenigen Stunden, sind die Zwillinge tot, dann bin ich ganz allein. Meine ganze Familie ausgelöscht. Und ich trage die Schuld daran.

In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und ein wutentbrannter Gerold stürmte herein.

»Hexe!«, kreischte er. »Dirne, Ungläubige! Da seht Ihr, was Ihr angerichtet habt!« Er packte sie grob an den Schultern, drehte sie um und drückte ihr Gesicht gegen die kalte Scheibe. »Meinen Bruder habt Ihr in den Tod geschickt. Verflucht seid Ihr! Verflucht sei Eure ganze Familie!«

»Welche Familie?«, murmelte sie leise.

Gerold ließ sie abrupt los, als hätte er sich die Finger an ihr verbrannt. »Was schwafelt Ihr da?«, zischte er.

Bernhardine lächelte. Es gab nichts mehr zu verheimlichen. Jetzt, da ihr Gatte tot war und ihre Söhne kaum Aussichten hatten zu überleben, spielte es keine Rolle mehr, was aus ihr wurde.

»Die Pocken. Die Zwillinge haben die Blattern. Johannes wollte den Arzt vom Kloster Baldegg holen, damit er ihnen hilft.« Gerold wich entsetzt zurück. »Nicht doch, mein lieber Schwager!« Sie trat einen Schritt näher. »Es ist sinnlos. Wenn die Buben angesteckt sind, dann bin ich es ebenso. Und der Kuss hat das Band zwischen uns beiden besiegelt.«

Gerold keuchte. Er holte aus. Der Schlag traf Bernhardine mitten ins Gesicht und schleuderte ihren Kopf zur Seite. Sie lachte und fasste sich an die Lippen. Ein warmes Rinnsal lief ihr über das Kinn und tropfte auf ihren Busen. Sie betrachtete das Blut nachdenklich und hob den Kopf.

»Es ist nicht blau«, sagte sie sinnend. »Schaut, Gerold, es ist rot, wie das aller anderen Menschen auch.« Sie streckte ihrem Schwager die Hand hin. »Wir sind nichts Besseres als sie … auch Ihr nicht.«

»Wagt es nicht, so mit mir zu sprechen, Hexe!«, schleuderte er ihr entgegen. »Mit Euch kam das Verderben über uns. Gott hat uns gestraft, weil mein Bruder Eurer hübschen Larve verfallen ist. Herr, Herr, weshalb hast du mich verlassen?«

Er faltete die Hände und fiel auf die Knie, seine Lippen bewegten sich lautlos. Er verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Bernhardine schauderte.

Plötzlich schnellte er wieder hoch. Hass loderte in seinen Augen. Er bleckte die Zähne und sah dabei wie der leibhaftige Teufel aus. Sie stolperte rückwärts, bis sie die kalte Wand in ihrem Rücken spürte.

»Bei allem, was mir heilig ist«, krächzte Gerold und fixierte sie dabei, »schwöre ich auf das Grab meiner geliebten Mutter, dass Ihr dafür bezahlen werdet! Auge um Auge, Zahn um Zahn. Noch in dieser Nacht werdet Ihr vor Euren Schöpfer treten. Euer Name aber wird getilgt werden. Alle, die nach uns kommen, werden Euch vergessen, als hättet Ihr nie existiert. Kein Papier, kein Bild, kein Grab wird an Euch erinnern. Bernhardine von Hallwyl, geborene Diesbach-von Morlot, Ihr werdet zu Erde und Staub werden und immer zwischen den Welten wandeln, bis zum Jüngsten Tag! Alea iacta est! Die Würfel sind gefallen!«

Bernhardine stockte der Atem. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, und eine eisige Kälte durchzog ihren Körper. Der helle Raum um sie herum begann, sich zu drehen, und sie sank mit einem Schrei zu Boden.

Sie erwachte, weil ihr kalt war, und tastete nach ihrer Bettdecke, doch da war nichts. Als sie die Augen öffnete, umgab sie Dunkelheit. Sie wusste im ersten Moment nicht, wo sie sich befand, bis ihr bewusst wurde, dass sie auf dem Fußboden ihres Zimmers lag. Beim Aufstehen fuhr ihr ein stechender Schmerz durch den Kopf. Sie befühlte ihre Wange; sie war geschwollen. Mit aller Härte kam die Erinnerung zurück: Johannes’ Tod, Gerolds Drohung. Sie wusste, er würde seine Ankündigung wahr machen. Und sobald sich alle zu Bett begeben hätten, würde er vermutlich sogleich zurückkehren und sie umbringen. Er hatte die Mittel, ihren Tod wie einen Unfall aussehen zu lassen. Angst bemächtigte sich ihrer und schnürte ihr die Kehle zu. Was sollte sie tun? Ihr blieb nur wenig Zeit. Auf alle Fälle nicht hier warten, bis ihr Henker zurückkehrte.

Bernhardine tastete sich an der Wand entlang zur Tür. Sie war von außen verschlossen. Natürlich. Es gab nur diesen einen Ausgang – sie war gefangen. Marie schlief zwei Räume weiter. Selbst wenn sie schrie, ihre Amme würde sie nicht hören. Die dicken Mauern schluckten jedes Geräusch. Und wie sollte die alte Frau ihr auch helfen? Unter Umständen hatte Gerold ihre ehemalige Amme sogar bereits beseitigt. Cornelis? Der Himmel wusste, wo er war, vermutlich schon abgereist. Oder vielleicht hatte Gerolds Zorn auch ihn getroffen. Sie sah keinen Ausweg mehr. Wie Gerold gesagt hatte: Die Würfel waren gefallen.


Den rückwärtigen Verschluss ihres roten Kleides hatte Bernhardine ohne fremde Hilfe nur behelfsmäßig zuschnüren können, weshalb ihr das Oberteil nun ständig von den Schultern rutschte. Unschicklich? In der Tat.

Es war nur ein kleiner Sprung vom Fenstersims ihres Gemachs auf die quadratischen Zinnen der Begrenzungsmauer, die direkt unterhalb ihres Zimmer entlanglief. Ein Wehrgang hätte ihr die Flucht erleichtert, aber es musste auch so gehen. Was die Bediensteten im Frühling schafften, wenn sie die Zinnen jeweils nach neuen, durch die Winterkälte entstandenen Bruchstellen absuchten, musste auch ihr gelingen. Bernhardine suchte mit den Füßen sicheren Halt auf dem verharschten Schnee des Fensterbretts und hielt sich mit einer Hand am Fensterflügel fest. Eisstücke lösten sich vom Sims und fielen in die Dunkelheit. Sie klammerte sich mit der anderen Hand an einen Mauervorsprung. Die Haut an ihren Fingerspitzen riss auf, und Blut tropfte auf den eiskalten Stein. Sie konnte nicht mehr länger warten, ihre Muskeln erlahmten bereits. Sie holte tief Luft, ging leicht in die Knie und sprang.

Hart prallte sie auf der ihrem Zimmer zunächst liegenden, abgeflachten Zinne auf und hielt sich an ihr fest, bis sie mit beiden Füßen auf dem Zinnenfenster zu stehen kam. Geschafft. Gerold würde Augen machen, wenn er ihr Gemach leer vorfände. Sie fühlte ein hysterisches Lachen in ihrer Kehle aufsteigen.

»Ich bin ein Vogel!«, rief sie. »Ein roter Vogel. Bald werde ich in den Himmel steigen, übers Tal fliegen und nach Désirée Ausschau halten können. Sie wartet auf mich. Ja, meine kleine, süße Dédée, Mama kommt bald!«

Auf den Zinnen und Zinnenfenstern lag kein Schnee mehr. Der Westwind hatte ihn in den vergangenen Tagen weggeweht. Trotzdem musste Bernhardine höllisch achtgeben, um nicht abzurutschen. Denn die Quader waren an einigen Stellen vereist und boten ihren Händen und Füßen kaum Halt. Trotz der eisigen Temperatur begann sie zu schwitzen, während ihr gleichzeitig schrecklich kalt war. Ein Schweißtropfen rann zwischen ihren Brüsten hinab. Sie presste eine Hand auf ihr Mieder, kam dadurch aus dem Gleichgewicht und trat mit einem Fuß ins Leere. Im letzten Moment konnte sie sich gerade noch an der Zinne vor sich festhalten. Als sie ihren immer noch frei schwebenden Fuß wieder nach oben zog, verlor sie einen Schuh. Bernhardine hörte ihn unten ins Wasser des Aabachs fallen. Sie hielt einen Augenblick inne, weil sie von einem Hustenanfall geschüttelt wurde. Ihre Lunge schmerzte entsetzlich. Doch mit nur einem Schuh konnte sie nicht weitergehen. Das war zu gefährlich. Also streifte sie sich kurz entschlossen auch noch den anderen vom Fuß, der dem ersten in die Dunkelheit folgte. An das Überziehen von Strümpfen hatte sie bei ihrer überstürzten Flucht nicht gedacht, genauso wenig wie an ihren pelzgefütterten Mantel, der sie bei der Kletterei vermutlich aber sowieso nur behindert hätte. Bereits nach wenigen Augenblicken spürte sie ihre Füße kaum noch. Aber das war unwichtig, Désirée wartete schließlich auf einer Blumenwiese auf sie, auf der sie auch barfuß laufen konnte. Sie musste eben die Zähne zusammenbeißen.

Die Fackeln im Schlosshof spendeten kaum noch Licht. Bernhardine keuchte und blieb kurz stehen, um zu verschnaufen und die Anzahl der Zinnen zu zählen, die auf ihrem Weg zur anderen Seite des Schlosses vor ihr lagen. Es waren sicher noch an die zehn Stück bis zum Westbau. Ob sie die Kraft besaß, diese auch noch zu bezwingen? Sie musste es einfach schaffen, denn dort befanden sich die Dienstbotenkammern. Irgendjemand wäre um diese Zeit bestimmt schon auf. Sie würde um Schuhe, warme Kleidung und ein Pferd bitten. Bitten? Nein, sie war schließlich immer noch die Herrin hier! Sie würde ein Pferd verlangen und fliehen. Bis nach Seengen war es zu schaffen. Dort würde sie beim Pfarrer um Asyl ersuchen und danach ihre Söhne holen.

»Maman, je t’attends. Viens chez moi!« Mama, ich warte auf dich. Komm zu mir!

Bernhardine erbebte. »Désirée?«, fragte sie ungläubig, »bist du es?«

Ihr Kopf schnellte herum, und sie kniff die Augen zusammen. Dort? War da nicht eine Gestalt auf den Zinnen? Hatte ihre Kleine hier die ganze Zeit über auf sie gewartet? Bernhardine kletterte hastig weiter. Das rote Kleid blieb an einem Mauervorsprung hängen, und der Stoff riss in der gesamten Länge ihres Rocks entzwei. Ihre Lungen brannten wie Feuer, Hände und Füße waren zu Eisklumpen erstarrt. Und sie war müde … so müde.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung unten im Hof. Ein Schatten huschte zwischen den Fackeln umher. Bernhardine hielt schwer atmend inne. Sie kannte den Jungen, der sich einen Jackenärmel in den Hosenbund gestopft hatte, doch von irgendwoher. Aber ja, es war der Krähenjäger! Wie hieß er doch noch gleich? Ob er ihr vielleicht helfen könnte? Aber ihre Stimme besaß nicht mehr genug Kraft, um laut nach ihm zu rufen. Bernhardine blickte um sich, erspähte ein vereistes Stück Schnee und schabte es von der Zinne. Ihre Fingernägel brachen dabei ab, und ein scharfer Schmerz schoss durch ihren Handballen. Doch endlich hatte sie das Eisstück losgelöst und warf es mit letzter Kraft in den Hof hinunter. Es traf unweit der Fackeln auf dem schneebedeckten Hofpflaster auf. Der Junge hielt kurz inne, drehte sich um und blickte über den verlassenen Schlosshof. Dann schüttelte er den Kopf und setzte seinen Weg fort.

Bernhardine begann zu schluchzen. Er hatte sie nicht bemerkt. Sie kauerte zwischen zwei Zinnen; zu erschöpft, um vorwärtszugehen, zu geschwächt, um den Rückweg anzutreten. Sie lehnte ihre Stirn an das kalte Mauerwerk. »Ausruhen«, murmelte sie, »ich muss mich ein wenig ausruhen«, und schloss die Augen.

Eine Tür schlug zu. Bernhardine blinzelte mühsam und gewahrte den Einarmigen, wie er vom Abort zurück zu den Unterkünften eilte. Beim Gehen knöpfte er sich die Hose zu. Huldrich! Genau, so hieß er. Und sie teilten ein Geheimnis miteinander, welches, wusste sie jedoch nicht mehr.

»Hier«, keuchte sie und hob eine Hand. »Huldrich, hier oben!«

Der Junge musste sie gehört haben, denn er drehte sich um und schaute wieder in alle Richtungen. Endlich hob er seinen Blick und suchte die Mauern ab. Bernhardine winkte mit der Hand und sah, wie sich der Mund des Knaben öffnete und seine Gestalt erstarrte. Er trat noch einen weiteren Schritt nach vorne und riss die Augen auf, dann drehte er sich um und rannte los.

Bernhardine atmete auf. Gott sei Dank! Er würde Hilfe holen. Sie fing an, unkontrolliert zu zittern. Jetzt würde alles gut werden. Der Knabe würde den Stallmeister holen, der wüsste, was zu tun war. Doch halt, der war ja mit den anderen Knechten unterwegs! Hatten sie Johannes denn bereits gefunden? Waren sie sogar schon zurück?

Die Tür zum Palas wurde aufgerissen. Warmes Licht fiel als schmaler Streifen auf den Schnee. Zwei Gestalten stürmten über die Brücke in den Schlosshof. Der Krähenjunge und … ihr Schwager! In Bernhardine zog sich alles zusammen. Nein, wollte sie schreien, nicht Gerold!

Der hatte sich einen Mantel von Johannes über sein Nachthemd geworfen. Also hatte er bereits seines Bruders Kleider in Besitz genommen. Er verlor wirklich keine Zeit. Langsam kam er auf die Mauer zugeschritten, pflanzte sich breitbeinig unter den Zinnen auf und stemmte die Hände in die Hüften.

»Madame«, rief er spöttisch, »was treibt Ihr denn da oben für lustige Sachen? Ist es nicht etwas zu unwirtlich für Versteckspiele?«

Er lachte hämisch und schüttelte den Kopf. Ihr fehlte die Kraft, um ihm eine passende Erwiderung an den Kopf zu schleudern. Stumm und ohne jede Bewegung starrte sie auf ihn hinab.

Gerold wandte sich an den Knaben, sprach auf ihn ein und zeigte dann auf den Palas. Huldrich wich einen Schritt zurück und schüttelte heftig den Kopf.

»Ich habe die Krähenjagd aufgegeben«, stieß er hervor, »wie Ihr es mir befohlen habt. Doch das werde ich nicht tun.«

»Du wagst es, dich mir zu widersetzen?«, schrie Gerold, und sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. »Soll ich dich wieder in die Armut zurückschleudern, du elender Wurm? Du bist mir Gehorsam schuldig, vergiss das nicht. Sie ist eine Hexe! Hab also kein Erbarmen mit ihr! Sie hat mich beim Pfarrer angeschwärzt. Hätte ich dem Pfaffen kein Geld für die neue Kirche versprochen, würde ich schon längst am Galgen baumeln. Also tu gefälligst, was ich dir aufgetragen habe.«

Daraufhin holte er aus und verabreichte Huldrich eine kräftige Backpfeife. Der Junge fing an zu schluchzen, fasste sich mit der einen Hand an die Backe und lief los. Als er im Gebäude verschwunden war, drehte sich Gerold erneut zur Mauer.

»So, Madame«, sagte er. »Es ist sehr freundlich von Euch, es mir so leicht zu machen. Es wird alles wieder gut werden. Seid unbesorgt!«

Die Frau in Rot: Roman
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