Wen der Herr liebt, den weist er zurecht und hat doch Wohlgefallen an ihm.

20:00

Der Raum roch nach Waschpulver und ôl. Licht drang durch ein kleines Fenster mit Milchglasscheibe, genauso vergittert wie das Fenster im Bad. Also befand sie sich auf der Hinterseite des Hauses, Richtung Garten, und es war noch hell. Sie richtete sich auf. Ihr war schwindelig. Die Hüfte stach und ihr Handgelenk brannte. Niemand hatte ihr bisher absichtlich so wehgetan! Sie kauerte auf dem Boden, ihre Knie schmerzten höllisch. Wie schnell die Dinge aus dem Ruder laufen konnten!

Sie rollte sich auf die Seite, hielt sich die Hände auf den Bauch. Der kalte Steinboden an der Wange und Schläfe tat gut. Sie schloss die Augen.

Plötzlich stand Robert neben ihr, sie hatte ihn nicht kommen hören, konnte ihn nur verschwommen wahrnehmen. Er lächelte und wiegte seinen Kopf hin und her und fing an zu singen:

Schlafe sanft, süß und fein,

will dein Schutzengel sein!

Sink nur in tiefen Schlummer,

schwebe dahin im Traum.

Langsam umgibt dich

Vergessen,

doch das spürst du kaum!

Dann streckte er die Zunge heraus. Sie war lang, dünn und rot und am Ende gespalten. Sie zischelte auf sie zu, blitzschnell berührte sie sie an der Wange, durchfuhr ihren Körper wie ein elektrischer Schlag. Sie schreckte hoch.

War sie ohnmächtig gewesen? Hatte sie geschlafen? Waren Stunden vergangen? Saß Robert neben ihr? Sie traute sich nicht zu atmen, sich nicht zu bewegen. Früher hatte sie sich immer tot gestellt, wenn sie aus einem Albtraum aufgewacht war und noch die furchtbaren Gestalten im Zimmer hockten, bereit, sie zu zerfleischen, und sie nur ihren Herzschlag hörte, als würde jemand eine Trommel schlagen. Dann hatte sie sich in der Bettdecke festgekrallt und versucht, sich nicht durch ihr Atmen zu verraten, so lange, bis das Grauen verdunstet war und sie ganz vorsichtig die Augen öffnen und die Bettdecke lüften konnte, um Luft an ihren von Angstschweiß verklebten Körper zu lassen und zu fühlen: Sie hatte alles überlebt – es war nur ein Traum gewesen.

So lag sie jetzt da, starr und mit aufgerichteten Nackenhärchen, die ihr signalisierten, dass sie noch tot bleiben musste, die Gefahr nicht vorbei war. Aber da war nicht einmal ein Luftzug, nichts zu hören, keine fremden Atemzüge, nur ihr eigener Herzschlag; Robert war nicht da. Wie lange hatte sie hier gelegen? Sie war ganz steif, ihr war kalt und pinkeln musste sie auch.

»Licht – an!«, sagte sie und wunderte sich, wie klar und bestimmend ihre Stimme noch sein konnte, aber es tat sich nichts. Klar, sie war ja nicht in irgendeiner spacigen Geschichte. Es würde auch keine Fee kommen und ihr drei Wünsche schenken.

Neben einem schmalen, vergitterten Fenster war eine Außentür aus Stahl. Sie stand auf, machte Licht an und rüttelte an der Klinke. Auch abgeschlossen.

»Verdammte Scheiße!« Sie stampfte mit dem Fuß auf. Davon tat ihr die Hüfte wieder weh.

Was sollte das? War Robert jetzt völlig durchgeknallt? Warum sperrte er sie ein? Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie musste sich beruhigen. Überlegen. So, wie es aussah, war sie in einer Art Waschküche. In der Ecke standen Waschmaschine und Trockner. Daneben ein alter Kleiderschrank und an der Wand gegenüber stapelten sich Bananenkartons. Sie musste etwas finden, womit sie das Fenster einschlagen konnte, damit sie um Hilfe rufen konnte. Sie ging zum Schrank, rüttelte an den Türen. Wenigstens war er nicht abgeschlossen. Sie fand Gartenklamotten, Sitzkissen, Blumenzwiebeln, Tischdecken, Gartenfackeln. Unten im Schrank lag eine große, schwarze Tasche. Sie zurrte den langen Reißverschluss auf. Ein modriger Geruch kam ihr entgegen und erinnerte sie an die alte Bademütze ihrer Oma. Sie nahm eine Taucherbrille aus der Tasche, Schnorchel, Schwimmflossen – alles viel zu weich, um die Milchglasscheibe einzuschlagen. Sie zog einen Taucheranzug aus der Tasche. Er sah genauso aus wie der von dem Meeresforscher Jacques Cousteau. Weißer Puder rieselte heraus und stieg ihr in die Nase. Sie musste niesen und warf den Anzug in den Schrank zurück. Eine Puderwolke stob auf. Sie knallte die Schranktür zu.

Zu einer Taucherausrüstung gehört doch auch ein Messer, ging es ihr durch den Kopf. Das hatte sie oft genug in Filmen gesehen. Sie öffnete den Schrank noch mal und wühlte die ganze Tasche durch, fand keins. Mist!

»Robert!«, brüllte sie und hämmerte mit den Fäusten gegen die Holztür, lief gegenüber zur Stahltür und trat dagegen. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken an die Wand und rutschte langsam runter.

Da saß sie nun, taub, dreckig und schwindelig vor Wut. Alles tat ihr weh. Sie fühlte sich ganz klein, wie früher, als sie hingefallen war, die Knie aufgeschrammt, und Mama sie hochgehoben und getröstet hatte. »Mama!«, weinte sie. »Hilf mir doch! – Papa, wo bist du? – Lou!« Es kroch ihr eiskalt den Hals hinauf.

Sich selbst zu bedauern brachte auch nichts. Ihr musste was einfallen! Wieso fiel ihr nichts ein, verdammt noch mal!

»Max!«, schrie sie. Hätte sie doch wenigstens Max Bescheid gesagt, wohin sie fuhr. Hatte er am Telefon etwas von dem Kampf mitbekommen? Er machte sich bestimmt Sorgen. Wahrscheinlich hatte er Barbara schon angerufen, weil ihr Handy tot war. Und Barbara würde ihm sagen, dass sie bei Miriam sei. Würde er sich damit zufriedengeben? »Max«, sagte sie und versuchte, ganz stark an ihn zu denken. Vielleicht klappte ja eine Verständigung durch Gedankenübertragung. Wie oft hatte sie schon an jemanden gedacht und genau in dem Moment meldete sich der andere.

»Max! Ich bin hier! Hol mich hier raus! Ich bin nicht bei Miriam! – Hörst du mich, Max!«

Sie lauschte. Es war still, wie in einem schalldichten Raum. Sie schaute sich um. Neben der Waschmaschine stand eine Packung Persil Megaperls. Daneben Weichspüler und Fleckenmittel in Plastikflaschen. Sie ging zu den Bananenkartons und fand jede Menge Zeitschriften, Reiseführer und eine Einmal-Unterwasser-Kamera. Auch aus Plastik. Sie warf sie mit voller Wucht Richtung Fenster und traf noch nicht mal die Scheibe.

Draußen war es jetzt dunkel. Sie sackte in sich zusammen, saß wieder auf dem Fußboden. Sie musste einen klaren Kopf behalten. Wie spät mochte es jetzt sein?

Wenn Max bei Barbara nachgefragt hatte, warum ihr Telefon tot sei, würde Mama bestimmt Miriam anrufen und erfahren, dass sie gar nicht dort gewesen war. Und dann? Dann würde sie die Polizei anrufen, nach all dem, was in den letzten Tagen passiert war. Wahrscheinlich lief schon eine Suche nach ihr. Aber würde Barbara auch auf die Idee kommen, dass sie zu Robert gefahren war?

Josi überlegte, ob sie das Adressbuch offen gelassen hatte, die Seite mit Roberts neuer Adresse. – Und wenn nicht? Sie fing wieder an zu weinen. Die Tränen liefen einfach.

Das hatte sie nun davon, dass sie Robert nie treffen wollte, sich immer eine Ausrede hatte einfallen lassen, obwohl Mama ihr mehrmals mitgeteilt hatte, dass Robert immer nach ihr frage und sich sehr freuen würde, sie einmal wiederzusehen. Nun hatte sie ihre Strafe, weil sie insgeheim froh gewesen war, als Robert in die andere Familie ging, endlich weg war und nichts mehr durcheinanderbringen konnte.

»Hör gefälligst auf zu heulen und tu was!«, schnauzte sie sich an und erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Sie versuchte, klar zu denken, sich vorzustellen, was Thomas in ihrer Situation tun würde, aber so weit reichte ihr Vorstellungsvermögen nicht. Ob er schon in U-Haft war?

Sie schmeckte Talg im Hals, von dem Puder, und Angst. Sie hatte Angst vor Robert! War es das, was er wollte? Dass endlich mal jemand Angst vor ihm hatte? Dabei hatte sie seine Angst nie ausgenutzt. Warum war er nur so aggressiv und ließ sie dafür büßen, was man ihm angetan hatte?

Josi versuchte sich zu erinnern, was ihn so wütend gemacht haben könnte. Dass sie Lou erwähnt hatte? Aber er war doch wegen seinen Computern ausgeflippt, nicht wegen ihr.

Doch. Auch wegen ihr. Er hatte sie beobachtet, am Samstag, als Max da war. Er musste also im Garten gewesen sein, hinten, beim Baumhaus, und von da aus ins Fenster geguckt haben. Ob der alte Mann mit der Glatze auch dabei gewesen war? Vielleicht war das ein Spanner und Robert wollte ihm was zeigen. Vielleicht waren sie schon öfter da. Manchmal hatte sie so ein Gefühl gehabt, als würde sie beobachtet. Da war also tatsächlich jemand gewesen! Wie widerlich!

Sie schauderte. Aber aus der Entfernung konnte man nicht viel erkennen und aufs Bett konnte man auch nicht sehen.

Max und sie. Maxi. Wie kam Robert nur auf diesen bescheuerten Namen. Niemals würde Josi Max so nennen!

Die Grübelei nützte ihr gar nichts, ihr wurde nur schwindlig davon und übel. Robert hatte sie als Schlange beschimpft, gesagt, sie sei genauso verdorben wie Marina und seine Mutter. Sie sollte Buße tun, um wieder auf den rechten Weg zu kommen. Wie kam er auf so einen Schwachsinn? Ob Robert schizophren war? Er hatte in verschiedenen Stimmlagen mit ihr gesprochen, als wären es verschiedene Personen gewesen. So was nannte man doch Schizophrenie, oder?

Sie durfte nicht weiter darüber nachdenken, die Angst lähmte sie nur noch mehr. Sie musste vorwärts denken, irgendwas finden, was sie hier rausbrachte.

Was war mit der Alarmanlage? Wie konnte sie die Alarmanlage aktivieren? Thomas hatte auch eine Alarmanlage – hatte er sie nicht auch einmal aus Versehen ausgelöst? Wie war das noch mal passiert?

Plötzlich sprang etwas aus der halb geöffneten Schranktür heraus und klackerte und kullerte über den Steinboden. Es dauerte eine Weile, bis Josi begriff: ein Tischtennisball. Er rollte auf sie zu, sie schoss ihn mit Schwung weg. Er flog gegen die Wand und kullerte schräg unter den Kleiderschrank, prallte ab und kam zurück.

Wovon war er so schnell abgeprallt? Josi bückte sich und sah zwei Schuhkartons unter dem Kleiderschrank. Sie musste sich auf den Bauch legen, um an sie heranzukommen. Sie zog die erste Schachtel heraus, öffnete sie – und sah einen roten Schuh. Sie öffnete die zweite Schachtel. Dann brauchte sie eine Weile, bis sie verstand, was sie da vor sich hatte. Und als sie es verstand, öffnete sie noch mal den ersten Karton: Einer von Marinas roten Riemchenstöckelschuhen lag in dem Karton – aber ohne Absatz. Nur – und die Erkenntnis sickerte jetzt langsam zu ihr durch – war es nicht Marinas Schuh, sondern Lilli Sanders. Der Schuh der Toten, von dem Lou den anderen mitgebracht hatte, ohne Absatz! Es schnürte ihr die Kehle zu, sie konnte kaum atmen. Der andere Karton war voll mit Absätzen, genau solche, wie sie in Lous Detektivkoffer auch gefunden hatte – abgesägte Absätze von High Heels.

Ihre Gehirnsynapsen sprühten Funken, so schnell versuchte sie, logisch zu denken, um sich einen Reim auf alles zu machen. Der alte Mann, der Lou entführt hatte, war auch Lillis Mörder! Er wohnte hier im Haus! Was, wenn er gar nicht auf Weltreise war, sondern hier irgendwo herumspukte und wusste, was sie inzwischen über ihn wusste …

22:31

Der kleine Spatz – er hatte auf der Straße gelegen, Flaum auf dem Kopf und immer am Piepen. Sie hatten ihn mitgenommen. Robert hatte ihn nach Hause getragen, behutsam, in den Händen. Zu Hause hatten sie ihm ein Nest in einem Schuhkarton gebaut und den Rest des Tages mit Fliegen und Mücken gefüttert, selbst gefangenen. Sie hatten auch Käfer gesucht, Kellerasseln, und sogar eine Raupe gefunden. Alles hatte der kleine Piepmatz gierig geschluckt. Als sie am nächsten Morgen nach ihm sahen, war er tot. Der Magen war aus seinem Schnabel gestülpt und lag vor ihm, schwer und voll wie ein Fischernetz.

Warum dachte sie jetzt daran? Den Anblick hatte sie all die Jahre verdrängt, aber jetzt stülpte er sich über sie wie der übervolle Magen aus dem kleinen Schnabel vom Piepmatz.

Ihre Zähne klapperten. Es war plötzlich eiskalt in dem Raum, als säße sie in einer Tiefkühltruhe. Der alte Mann müsste nur kommen und den Deckel zumachen, dann wäre er sie los. Sie sprang auf, holte tief Luft, trat auf den Tischtennisball. Wo ein Tischtennisball war, mussten auch Tischtennisschläger sein!

Josi fand auch welche, unter der Tasche mit der Tauchausrüstung. Sie nahm einen Schläger, hielt ihn an der Schlagfläche, ging zum Fenster und knallte den Griff an die Scheibe. Der Schläger flog ihr aus der Hand und schlidderte über den Boden. Sie versuchte es noch ein paarmal. Nichts. Die Scheibe hielt stand. – Der Schuh der Toten. Die Stöckel! Sie brauchte dringend einen Schluck Wasser.

Es dauerte, bis sie den Schlauch von der Waschmaschine vom Hahn losgeschraubt hatte. Dann trank sie kaltes Wasser, wusch sich das Gesicht, die Hände. Sie war jetzt ganz klar. Und da fiel es ihr wieder ein: Thomas hatte einmal durch einen Kurzschluss die Alarmanlage ausgelöst. Das war's! Sie schaute sich um. Die Waschmaschine! Sie musste am Stromkabel nur die Plastikisolierung abkriegen und Plus und Minus miteinander verbinden. Aber wenn die Alarmanlage davon nicht losging? Robert würde es auf jeden Fall bemerken und nachschauen. Und dann würde sie ihm mit dem Tischtennisschläger voll eins überziehen und weglaufen, raus aus diesem Haus, bevor der alte Mann kam. Oder steckte Robert sogar mit ihm unter einer Decke?

Ihr wurde schwarz vor Augen. Bloß jetzt nicht schlappmachen. Bloß das nicht!

Die Steckdose war hinter der Waschmaschine. Sie ruckte die Waschmaschine ein Stück von der Wand. Ganz schön schwer, das Teil! Josi biss die Zähne zusammen und ruckte weiter, bis sie gut an die Steckdose kam. Sie musste die Isolierung des Stromkabels entfernen, das rote Kabel mit dem blauen Kabel zusammenbringen und dann den Stecker zurück in die Steckdose stecken. Sie versuchte, mit den Zähnen die weiße Isolierschicht abzubeißen. Da könnte sie lange dran kauen, bis sich etwas tat. »Denk nach!«, ermahnte sie sich laut und starrte auf das Kabel.

»Ja, ich hab's!« Sie musste nur das Kabel hinten aus der Waschmaschine reißen, dann waren die Pole schon freigelegt! Sie hielt das Kabel mit beiden Händen und zog mit aller Kraft daran, aber ihre Hände waren zu rutschig. Sie wischte sie an der Hose ab, aber das nützte nichts.

»Der Puder!«

Sie lief zum Schrank, rieb die Hände über den Tauchanzug, verteilte den Puder in ihren Handflächen, wie im Sportunterricht beim Reckturnen oder am Barren. Das Kabel war jetzt viel besser greifbar. Sie stemmte sich mit einem Fuß gegen die Waschmaschine und zog das Kabel mit einem Ruck aus der Maschine, stolperte rückwärts und landete auf den Hintern. »Aua!«

Aus der dicken, weißen Isolierung stakten drei dünne Kabel heraus, blau, rot und braun, mit dünnem Kupferdraht darin. Sie wischte sich die Puderhände an der Hose ab und versuchte, den roten und den blauen Draht zu verknoten, aber ihre Finger zitterten zu sehr.

»Ganz ruhig«, redete sie sich zu und atmete tief. »Ganz ruhig!« Normalerweise redete sie nicht so viel mit sich selbst, das machten doch nur alte Leute oder Verrückte, aber es beruhigte sie. Es war, als würde Papa mit ihr reden. Der Gedanke an ihn gab ihr Kraft und Zuversicht, das Richtige zu tun.

Die Kupferenden waren sehr kurz, aber sie kriegte es schließlich mit den Zähnen hin, sie umeinanderzuschlingen. Sie nahm den Stecker in die Hand, wollte ihn gerade in die Dose stecken, da hielt sie inne. Wo war der Tischtennisschläger – ihre einzige Waffe? Sobald jemand den Raum betrat, würde sie ihm mit der Kante auf den Kehlkopf schlagen und ihm dann ein Knie voll in die Eier rammen. Den Überraschungsmoment ausnutzen und abhauen.

Sie zählte bis drei und steckte den Stecker ein. Es funkte, zischte, als hätte sie ein riesiges Streichholz entzündet. Sie konnte gerade noch erkennen, dass sich die miteinander verknoteten Drähte voneinander gelöst hatten, auseinanderstakten wie Kaas gespaltene Zunge, dann ging das Licht aus. Es stank nach verbranntem Plastik. Sie sah gar nichts mehr, tastete nach dem Tischtennisschläger, nahm ihn in beide Hände und lief zur Tür. Horchte.

Ihre Ohren waren keine Ohren mehr, sondern Scanner, bereit, jedes kleinste Geräusch von der anderen Seite der Tür zu analysieren.

Nichts.

Wieso kam Robert nicht?

Das Licht ging wieder an. Sie fuhr zusammen. Er hatte also nur die Sicherung wieder eingeschaltet.

Sie hämmerte mit dem Schläger gegen die Tür, schrie: »Robert, lass mich raus, bitte, ich muss dir was sagen!« Sie schrie es so oft und so laut, bis sie keinen Ton mehr rausbrachte. – Wieso kam er denn nicht?

Er ließ sie einfach zappeln. Warum?

Weil man ihn früher hatte zappeln lassen? Eingesperrt, in einen Kleiderschrank, während seine Mutter die Männer bediente?

Plötzlich seine Stimme, ganz nah: »Was machst du da für einen Blödsinn?«

Um ein Haar wäre ihr der Schläger aus der Hand gefallen. Sie antwortete nicht, konzentrierte sich auf das Schloss. Gleich würde er den Schlüssel umdrehen und die Tür aufmachen, und sie würde zuschlagen. Sie umklammerte den Schläger noch fester.

Nichts bewegte sich. Nur ihre Hände. Sie zitterten. Stille.

Dann hörte sie Schritte. Badelatschen. War er allein? Ging er wieder weg?

»Robert?«, rief sie. In dem Moment flog die Tür auf und Robert stand im Raum. Sie hatte keinen Schlüssel im Schloss gehört. Josi hielt die Luft an. Hieß das etwa …

»War die Tür gar nicht abgeschlossen?«, hörte sie sich sagen und schaute auf den Schläger in ihrer Hand.

»Nein. Warum?«, fragte Robert und lächelte sie an.

Sie musste sich zusammenreißen, um nicht in die Knie zu sacken. Roberts freundliches Lächeln wich aus seinem Gesicht.

»Wie sieht das hier denn aus?« Er guckte sich um. »Man kann dich auch keine Minute aus den Augen lassen! Los, komm mit. Es gibt was zu essen. Bevor ich es mir anders überlege! – Und eins kann ich dir sagen: Das räumst du schön alles wieder auf!«