Siebzehn
Als sie vor Laurels Haus vorfuhren, zögerten sie nur einen Augenblick, ehe sie die Türen aufrissen und losstürmten. Kaum waren sie drinnen, drehte Laurel sich um und schloss die Haustür – ein wenig zu laut, sodass der Knall durch das ganze Haus hallte.
»Laurel?«
David und Laurel zuckten zusammen. Laurels Mutter stand verschlafen auf der Treppe.
»Ist alles in Ordnung? Du hast die Tür so zugeknallt.«
»Sorry, Mom. Das war keine Absicht. Wir wollten dich nicht wecken.«
Ihre Mutter winkte ab. »Ich war noch wach. Hinterm Haus haben sich irgendwelche Tiere gebalgt. Hunde, schätze ich. Immer wenn ich gerade am Einschlafen war, ging es von vorne los. Jetzt wollte ich gerade runtergehen und mir einen Tee kochen. Aber nun ist es still geworden. Hoffentlich bleibt es so.«
David und Laurel tauschten einen Blick. Sie bezweifelten, dass es Hunde waren, die hinter dem Haus kämpften.
»War es schön?«
»Was?«, fragte Laurel verwirrt.
»Auf der Party? War es schön?«
Die Party hatte Laurel schon fast vergessen. »Aber ja«, sagte sie mit aufgesetzter Fröhlichkeit. »Es war großartig. Ryans Haus ist einfach wunderschön. Und riesig«, fügte sie hinzu. Sie hoffte, sie klang nicht allzu seltsam. »Geh ruhig wieder ins Bett«, fügte sie schnell hinzu. »Ich will mir mit David noch einen Film ansehen. Das ist doch okay, oder?«
»Meinetwegen«, sagte ihre Mutter gähnend. »Aber nicht so laut, ja?«
»Wir sind ganz leise«, sagte Laurel und zog David hinter sich her ins Wohnzimmer.
»Kämpfende Hunde?«, fragte David skeptisch, nachdem Laurels Mutter die Tür ihres Zimmers geschlossen hatte.
»Von wegen.« Er hörte die Sorge in ihrer Stimme. »Die Orks waren heute Abend schwer aktiv.« Laurel spähte durch einen Spalt in den Jalousien, obwohl sie wusste, dass es zu dunkel war, um etwas zu erkennen. Sie fühlte sich schrecklich schuldig und wollte gar nicht erst darüber nachdenken, wie viele Menschen und Elfen sie heute Nacht in Gefahr gebracht hatte.
David umarmte sie von hinten und drückte sie an sich.
»Bitte nicht«, flüsterte sie.
Er betrachtete seine Hände an ihrer Taille und zog sie zurück. Dann verschränkte er die Arme und sah Laurel verwirrt an.
»Nein, nein«, beruhigte sie ihn. »Es hat nichts mit dir zu tun, es ist wegen meiner Blüte.« Sie stöhnte. »Mein Rücken tut schrecklich weh.«
Nachdem sich die Aufregung der Nacht gelegt hatte, konnte sie nur noch an ihre gepeinigte Blume denken. Sie fummelte an dem Knoten herum, um die Blüte zu befreien, aber ihre Hände zitterten zu sehr. Laurel kamen die Tränen, als sie an der Schärpe zerrte.
»Lass mich mal«, sagte David sanft.
Sie gab auf und stand stocksteif da, während David behutsam ihre eilig geknüpften Knoten löste. Er wickelte die Schärpe ab, schob die Bluse hinten ein wenig hoch und half den Blütenblättern in Position. Laurel biss die Zähne zusammen und schnappte nach Luft. Die Blätter loszubinden, war fast so schlimm, wie sie festzubinden. Sie drückte ihre Handflächen gegen die Augen, um nicht loszuheulen. »Kannst du irgendwelche Schäden erkennen?«, fragte sie.
Als sie keine Antwort bekam, drehte sie sich zu ihm um. David schaute erschrocken auf ihren Rücken.
»Was?« Laurel konnte nur noch flüstern.
»Sieht so aus, als hätte er eine Handvoll Blütenblätter rausgerissen. Von einigen sind nur noch zerfetzte Stiele zu sehen.«
Mit großen Augen schaute Laurel über ihre linke Schulter, wo eigentlich die vertrauten hellblauen Blütenblätter hätten schweben sollen. Auf der rechten Seite war alles in Ordnung, aber links war fast nichts übrig geblieben. Die riesigen Blütenblätter waren einfach … verschwunden. Ein sonderbares Gefühl schrecklichen Verlusts überwältigte Laurel und die Tränen liefen ihr über die Wangen. Laut schluchzend drehte sie sich um und vergrub das Gesicht in Davids Hemd. Dann weinte sie die ganze Verzweiflung, den Schrecken und den Schmerz dieser Nacht heraus.
David umarmte sie sanft, wobei er sorgsam darauf achtete, ihre Blüte nicht zu berühren. Seine Wärme vertrieb die kalte Furcht und das kühle Wetter gleichermaßen, und als er mit der Wange über ihre Stirn strich, spürte sie seine Bartstoppeln. In diesem Augenblick gab es keinen Ort der Welt, wo sie lieber gewesen wäre.
»Komm«, flüsterte er und zog sie zum Sofa. Er legte sich auf die Seite, sie schmiegte sich an seine Brust und legte den Kopf an seine Schulter. Er sprach erst wieder, als Laurel ruhiger atmete. »Was für eine Nacht!«
Sie stöhnte. »Kann man wohl sagen.«
»Und was machen wir jetzt?«
Laurel umklammerte seine Hand. »Geh nicht weg!«
»Natürlich nicht.« Er zog sie dichter an sich.
»Wenn die Sonne aufgeht, wird alles gut«, sagte Laurel, auch um sich selbst Mut zu machen.
»Dann bleibe ich bis morgen früh«, sagte David. »Meine Mom versteht das bestimmt. Ich erzähle ihr einfach, dass wir über einem Film eingeschlafen sind.«
Laurel gähnte. »Das kommt der Wahrheit ziemlich nahe. Ich bin total fertig.«
»Außerdem schäme ich mich nicht zuzugeben, dass ich das Haus heute Nacht nur ungern wieder verlassen würde.«
»Weichei«, sagte Laurel und kicherte über ihren lahmen Witz, bis sie wieder gähnen musste. David würde nie wirklich verstehen, wie schwer es ihr fiel, so spät noch wach zu sein. Sie fühlte sich wie ein Sieb, aus dem alle Energie ständig abfloss, ohne wieder aufgefüllt zu werden. Im Augenblick hielt sie nur noch ihr eiserner Wille wach.
»Schlaf jetzt«, sagte David tröstend. »Ich bin bei dir.«
Laurel schmiegte sich an seine warme Brust und entspannte sich. Trotz ihrer Schmerzen und der immerwährenden Angst schlief sie sofort ein. Doch sie träumte von Orks mit Messern, Menschen mit Pistolen und Jeremiah Barnes.
Bei Sonnenaufgang wachte auch Laurel auf. Sie wollte David nicht
aufwecken, aber er schlief nie besonders tief. Er öffnete die
Augen, sah Laurel an und schloss sie wieder. Kurz darauf schlug er
die Augen neuerlich auf.
»Das ist ja gar kein Traum«, sagte er mit rauer Stimme.
»Eher ein Albtraum«, entgegnete Laurel, die versuchte, ihre Bluse glatt zu streichen. »Ich will gar nicht wissen, wie ich aussehe.« Ihre Blüte tat immer noch weh, aber der Schmerz war nicht mehr so stechend. Sie gab es auf, ihre Bluse nach unten zu ziehen, das machte es nur schlimmer.
David grinste beim Anblick ihres nackten Bauchnabels und strich mit den Händen über ihre Taille, dann weiter über ihren Rücken und die heilen Blütenblätter auf der rechten Seite. Laurel fragte sich, ob er eine Ahnung hatte, wie intensiv sie das spürte – als seien die Blüten eine Fortsetzung ihrer Haut. Manchmal berührte er sie eher willkürlich, wie zufällig, aber manchmal ruhte seine Hand auch länger dort, wo die Blütenblätter unter ihrer Kleidung verborgen waren. Es war ein komisches Gefühl, auf diese Weise von ihm berührt zu werden. So intim. Das war mehr als Händchenhalten, es ging sogar weiter als Küssen.
»Bald fallen sie wieder aus, oder?«, fragte er mit Bedauern, als er die große Blüte bewunderte.
Sie nickte und verdrehte den Hals, um die blaue Blüte anzusehen. »In ein, zwei Wochen, denke ich.« Im Gegensatz zu ihm konnte sie es kaum abwarten. »Vielleicht geht es nach der letzten Nacht auch schneller.«
»Findest du es wirklich so lästig?«
»Manchmal schon.«
David streichelte eins der Blütenblätter von unten nach oben, hielt es kurz an seine Nase und atmete den Duft ein. »Schade, ich finde sie einfach … sexy.«
»Echt? Aber sie sind so … pflanzenhaft.«
»Pflanzenhaft?«, fragte David lachend. »Ist das ein Fachbegriff?«
Laurel verdrehte die Augen. »Du weißt genau, was ich meine.«
»Nein, ich habe keinen Schimmer. Du hast da ein Ding auf dem Rücken, das hübscher ist als jede Blume, die ich je gesehen habe. Es duftet herrlich und fühlt sich wunderbar weich und kühl an. Dazu kommt«, ergänzte er, »dass die Blüte magisch ist. Warum sollte sie also nicht sexy sein?«
Sie grinste. »Wenn du es so ausdrückst …«
»Danke.« David leckte sich die Finger und gab sich selbst einen Punkt auf einer imaginären Tafel.
»Aber nur, weil es eben nicht deine Blüte ist«, wandte sie ein.
»Teilweise doch«, sagte er anzüglich und zog sie fest an sich.
»Aber nur, weil ich dich daran teilhaben lasse«, sagte Laurel.
Er küsste sie sanft und sah gerade so lange auf sie hinunter, bis Laurel sich in seinen Armen wand. »Hat deine Mutter angerufen?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
David schüttelte den Kopf. »Noch nicht, aber ich fahre jetzt lieber. Ich habe nicht einmal eine Nachricht«, sagte er nach einem Blick auf sein Handy. »Also hat sie wahrscheinlich noch nicht gemerkt, dass ich nicht nach Hause gekommen bin. Wenn ich mich beeile, bekommt sie es vielleicht gar nicht mit.« Er reckte und streckte sich. »Und deine Freude am frühen Aufstehen kann ich auch nicht so richtig nachvollziehen. Bevor ich zur Arbeit muss, würde ich gerne noch ein paar Stunden schlafen.«
»Wann sollst du denn anfangen?«
»Meine Schicht geht von zwölf bis fünf, halb so schlimm.« David half stundenweise in der Drogerie aus, die seine Mutter, eine Apothekerin, betrieb. Es hatte eindeutig Vorteile, der Sohn der Chefin zu sein. Er konnte sich die Arbeitszeit aussuchen und arbeitete deshalb nur an zwei Samstagen im Monat und hin und wieder sonntags. Laurel hatte es natürlich ähnlich gut und musste nur in den Geschäften ihrer Eltern aushelfen, wenn sie ihr Taschengeld aufbessern wollte.
»Wahrscheinlich hat es wenig Zweck zu hoffen, dass deine Mutter nachts mal nicht ausgeht?«, fragte Laurel.
David rollte mit den Augen. Seine Mutter war berüchtigt dafür, dass sie gerne Partys aufmischte.
»War ja nur eine Frage.«
»Hast du Kleas Karte noch?«, fragte David.
Laurel senkte den Blick. »Ja.«
»Darf ich mal sehen?«
Laurel zögerte, zog dann aber die Karte aus der Tasche. Sie hatte sie bereits auswendig gelernt. Klea Wilson stand in großen schwarzen Buchstaben darauf und darunter eine Nummer. Keine Berufsbezeichnung, keine Adresse, kein Bild, kein Logo. Nur ihr Name und ihre Telefonnummer.
David holte sein Handy heraus und gab ihre Nummer ein. »Nur zur Sicherheit«, sagte er. »Für den Fall, dass du sie verlierst oder so.«
»Das wird nicht passieren.« Höchstens dass ich sie absichtlich wegwerfe. Irgendetwas gefiel ihr an Klea nicht, aber sie konnte nicht genau sagen, was. Vielleicht lag es nur an der bescheuerten Sonnenbrille.
»Ach, übrigens«, sagte Laurel zaghaft, »ich habe mir überlegt, zum Grundstück zu fahren. Heute oder spätestens morgen.«
David versteifte sich. »Und warum?«
»Sie müssen erfahren, was vorgefallen ist.« Laurel mied seinen Blick.
»Du meinst, Tamani soll erfahren, was vorgefallen ist.«
»Shar auch«, sagte Laurel zu ihrer Verteidigung.
David steckte die Hände in die Hosentaschen und schwieg.
»Darf ich mitkommen?«, fragte er schließlich.
»Es wäre mir lieber, wenn du es nicht tätest.«
Er hob ruckartig den Kopf. »Wieso nicht?«
Seufzend fuhr Laurel sich mit den Händen durchs Haar. »Tamani verhält sich immer merkwürdig, wenn du da bist, und ehrlich gesagt bist du auch nicht besser. Ich muss mich mit ihm zusammensetzen und ernsthaft mit ihm über diese Klea reden. Dabei kann ich es überhaupt nicht gebrauchen, dass ihr euch am liebsten an die Gurgel gehen würdet. Außerdem musst du arbeiten.«
»Das könnte ich absagen«, sagte er eingeschnappt.
Jetzt sah Laurel zu ihm auf. »Das ist nicht nötig. Ich schaffe das auch allein. Und es gibt keinen Grund zur Sorge. Ich bin mit dir zusammen. Ich liebe dich. Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, damit du mir glaubst.«
»Du hast recht, es tut mir leid.« David seufzte und umarmte sie. Dann trat er einen Schritt zurück und schaute sie an. »Ich will ehrlich zu dir sein. Es gefällt mir nicht, wenn du rausfährst, um ihn zu treffen. Vor allem nicht allein – ich wäre lieber dabei.« Er zögerte. »Aber ich vertraue dir. Versprochen.« Er zuckte die Achseln. »Ich bin einfach eifersüchtig, voll das Klischee.«
»Ich fühle mich geschmeichelt.« Laurel stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. »Es geht mir nur darum, mit ihm zu reden.« Sie zog die Nase kraus. »Und putzen muss ich. Also mindestens lüften. Seit Monaten hat kein Mensch das Haus betreten.«
»Nimmst du das Auto?«
»Nun, eigentlich wollte ich fliegen«, sagte sie und zeigte neckisch auf ihren Rücken, »aber anscheinend funktioniert das so nicht.«
»Ich meinte es ernst.«
»Bitte.« Laurel hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte. »Ja, ich nehme das Auto.«
David sah sie gestresst an. »Und wenn sie dich verfolgen?«
Laurel schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Erstens fahre ich am helllichten Tag und zweitens fast die ganze Zeit auf dem Highway. Tja, und wenn sie mir wirklich bis auf das Grundstück folgen würden, hätte ich eine böse Überraschung für sie parat.«
»Das stimmt.« David runzelte die Stirn.
»Ich werde ganz vorsichtig sein«, versprach Laurel. »Hier stehe ich unter Schutz, und ich werde nicht anhalten, ehe ich angekommen bin.«
David zog sie an sich. »Es tut mir leid, dass ich mir solche Sorgen mache«, sagte er. »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass dir etwas passiert.« Er machte eine Pause. »Ich gehe davon aus, dass du nicht bereit bist, das … Ding, das Klea uns gegeben hat, mitzunehmen, oder?«
»Nein«, antwortete Laurel scharf. »Das reicht. Raus!«, sagte sie und scheuchte ihn zur Haustür. »Geh jetzt!«
»Ist ja gut«, sagte David lachend. »Ich bin ja schon weg.«
Laurel grinste und zog ihn an sich, um ihn zu küssen. »Tschüs«, flüsterte sie. Als er gegangen war, schloss sie die Tür hinter ihm ab.
»Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich dir das extra sagen muss, aber David darf hier nicht übernachten. Ich dachte, die Regel wäre klar.«
Laurel zuckte zusammen und sah zu ihrer Mutter hoch, die wieder auf der Treppe stand. »Sorry. Wir sind über dem Film eingeschlafen. Es ist nichts passiert.«
Ihre Mutter lachte. »Und deshalb sind deine Haare so verwuschelt? Vom Filmegucken?«
Laurels Müdigkeit, der Stress und die Vorstellung, wie sie aussehen musste, kamen zusammen, und auf einmal fand sie das alles nur noch lustig. Sie lachte, sie schnaubte und musste immer mehr lachen. Sie konnte gar nicht aufhören, zu kichern.
Ihre Mutter ging die letzten Stufen hinunter. Sie konnte sich offenbar nicht entscheiden, ob sie sauer werden oder mitlachen sollte.
»Dann muss ich ja wirklich schlimm aussehen«, sagte Laurel und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Es knisterte immer noch ein wenig von dem Haarspray, das sie für die Party benutzt hatte.
»Sagen wir mal, du hast schon besser ausgesehen.«
Laurel seufzte und holte eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank. »Wir sind wirklich einfach eingeschlafen.«
»Weiß ich doch«, sagte ihre Mutter lächelnd. Sie zerstieß Vitamin-Kautabletten in einem Mini-Mörser. »Ich habe nach euch gesehen.« Sie streute das Vitaminpulver in die Erde der Usambaraveilchen. Diesen Trick hatte sie vor Jahren von einem Mann gelernt, der in seiner Wohnung Marihuana angebaut hatte – ausgerechnet. Laurel schaute ihrer Mutter zu und merkte auf einmal, dass sie beide bisher nichts Blödes oder Gemeines gesagt hatten. Noch nicht, jedenfalls. Laurel wusste nicht, ob sie es genießen sollte, solange es dauerte, oder sich darüber beklagen sollte, dass es so selten vorkam.
»Tut mir leid«, sagte Laurel noch mal. »Nächstes Mal werfe ich ihn eher raus, versprochen.«
»Ja, mach das«, neckte ihre Mutter sie.
Als sie Laurels Vater auf der Treppe pfeifen hörten, drehten sie sich zu ihm um. Er begrüßte sie, küsste seine Frau auf die Wange und bekam eine Tasse Kaffee.
»Geht ihr heute beide arbeiten?«, fragte Laurel.
»Ist heute etwa Samstag?«, fragte ihre Mutter süßsauer.
»Die Bösen haben keine Pause verdient«, sagte ihr Vater und grinste. Er sah ihre Mutter an. »Und wir sind sehr, sehr böse.« Sie lachten, und einen Augenblick lang fühlte Laurel sich so wie früher, bevor sie zum ersten Mal geblüht hatte. Bevor alles merkwürdig wurde, wie früher eben, als noch alles normal war.
Ihr Lächeln schmolz dahin, als sie merkte, dass ihr Vater sie seltsam ansah. »Was ist?«, fragte sie, als er um sie herumging.
»Was ist mit deiner Blüte passiert?«, fragte er besorgt. »Da fehlen ja Blätter!«
Eine Familiendiskussion über ihre Blüte hatte Laurel gerade noch gefehlt. »Manchmal fallen sie einfach aus«, sagte sie. »Es ist auch nicht gut für sie, dass ich sie jeden Tag abbinden muss. Ich wollte fragen …«
»Wäre es besser, wenn du nicht zur Schule gingest, solange du blühst?«, unterbrach ihr Vater sie.
Laurel sah, wie ihre Mutter große Augen machte.
»Auf keinen Fall«, protestierte Laurel. »Ich habe das voll unter Kontrolle. Alles in Ordnung.«
»Du musst es wissen.« Ihr Vater war noch nicht richtig überzeugt. Er trank weiter seinen Kaffee, musterte sie jedoch skeptisch über den Tassenrand hinweg.
»Wenn ihr arbeiten geht«, brachte Laurel das Gespräch auf das Thema zurück, »hättet ihr was dagegen, wenn ich zum Grundstück fahre?«
»Wie kommt’s?«, fragte ihre Mutter mit einem Seitenblick.
»Ich muss putzen.« Laurel versuchte, ganz normal zu gucken. »Bei meiner Rückkehr aus … als ich im August da war, sah das Haus ziemlich mitgenommen aus. Ich muss dringend für Ordnung sorgen, damit nicht irgendein Penner meint, er könnte da einziehen«, sagte sie und lachte komisch.
»Ich dachte, sie würden sich darum kümmern, dass so etwas nicht passiert«, sagte ihre Mutter.
»Äh, ja, wahrscheinlich, aber ich habe nicht vor, einen Haufen Wächter darum zu bitten, Putzfrau zu spielen.«
»Das verstehe ich«, kam Laurels Vater ihr zu Hilfe. »Und im Haus muss bestimmt mal wieder gründlich gekehrt werden.« Er sah ihre Mutter an. »Findest du nicht auch?«
Ihre Mutter brachte ein angespanntes Lächeln zustande. »Ja, sicher.«
»Danke.« Laurel wandte den Blick ab. Irgendwie wünschte sie, sie hätte gar nicht erst gefragt.