Zwölf
Laurel und David standen nebeneinander im Chemielabor und beobachteten, wie ihr erstes Experiment im neuen Schuljahr spektakulär misslang. David überprüfte die Rechenwege darauf, ob sie etwas ausgelassen oder falsch berechnet hatten, während Laurel angesichts der stinkenden Mischung auf ihrem Bunsenbrenner die Nase rümpfte.
»Haben wir Schwefelsäure reingetan?«, fragte David. »Haben wir doch, oder?«
»Ja«, antwortete Laurel. »Fünfzig Milliliter. Die Gleichung haben wir dreimal nachgerechnet.«
»Das verstehe ich nicht!«, schimpfte David leise. »Es hätte blau werden müssen, vor genau zwei Minuten!«
»Wir können ja noch ein bisschen warten. Vielleicht passiert es ja noch.«
»Nein. Es ist eindeutig zu spät. Hier steht’s: ›Die Lösung soll eine Minute nach Erreichen der Siedetemperatur blau werden.‹ Wir haben es vermasselt. Und das soll einfach sein?« Er fuhr sich durch die Haare. Aus irgendeinem Grund wollte David in diesem Schuljahr unbedingt vier Förderkurse belegen. Für Laurels Geschmack war das mindestens einer zu viel. Das Schuljahr war erst zwei Wochen alt und seine Nerven waren jetzt schon nicht mehr die besten.
»Das ist doch nicht schlimm, David«, flüsterte sie.
»Doch«, flüsterte er zurück. »Wenn ich in diesem Kurs keine Eins bekomme, lässt Mr Kling mich nicht in seinen Physikkurs, und das muss ich einfach schaffen.«
»Das klappt schon«, versuchte sie, ihn zu beruhigen, und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ein misslungenes Experiment wird dich kaum für immer von Mr Klings Kurs fernhalten.«
David zögerte kurz, aber dann konzentrierte er sich wieder auf ihren gemeinsamen Versuch. »Ich prüfe das jetzt noch einmal, vielleicht finde ich unseren Fehler doch noch.«
Es passte eigentlich nicht zu David, wegen einer Kleinigkeit auszurasten, aber er war offenbar kurz davor, auszuflippen. Laurel seufzte. Sie holte tief Luft und hielt die Hand gerade so hoch über den dampfenden Becher, dass sie sich nicht verbrannte.
»Es soll einfach nur blau werden?«
Ihr ruhiger Tonfall ließ David aufhorchen. »Ja, wieso?«
Laurel wies ihn an, leise zu sein, während sie sich konzentrierte und einige Sekunden lang die Finger über dem Dampf bewegte. Nach einem raschen Seitenblick auf David, der immer noch alles nachrechnete, schloss sie die Augen und versuchte, sich unter tiefen Atemzügen daran zu erinnern, was sie in Avalon gelernt hatte. Ihre Finger kribbelten leicht, als sie die Bestandteile der Lösung durchging, aber sie konnte keinen pflanzlichen Stoff identifizieren. Das könnte schwierig werden.
»Laurel«, flüsterte David ihr ins Ohr. »Was machst du da?«
»Du lenkst mich ab«, sagte sie ganz ruhig, während sie ihre ohnehin schon schwache Konzentration zu wahren versuchte.
»Machst du was Elfenmäßiges?«, fragte er.
»Kann sein.«
David ließ hektisch den Blick durch das Labor schweifen. »Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«
»Wieso, weil ich unser supergelungenes Experiment ruinieren könnte?«, fragte sie ärgerlich.
»Ich habe Angst, dass du die Schule in die Luft jagst«, murmelte er.
Sie riss ihre Hand aus dem Dampf. »Ich werde die Schule nicht in die Luft sprengen«, sagte sie ein wenig zu laut. Das Team am Tisch hinter ihnen schaute hoch und tauschte amüsierte Blicke.
»Das sagst du so.« David legte ihr die Hand auf den Arm. »Mit den Zaubertränken klappt es doch auch nicht sonderlich gut.«
Da hatte er recht. Sie hatte das Gefühl, seit ihrer Rückkehr aus Avalon keine wesentlichen Fortschritte mehr gemacht zu haben, obwohl sie jeden Tag mindestens eine Stunde geübt hatte. Jamison hatte ihr aufgetragen, wachsam zu sein, und sie tat ihr Bestes. Leider reichte das nicht. Noch nicht. »Heißt das, ich soll einfach aufgeben?«
»Nein, natürlich nicht. Aber findest du wirklich, dass du ausgerechnet in der Schule experimentieren solltest, noch dazu an einer Aufgabe, die benotet wird?«
Laurel hörte nicht zu. »Steh Schmiere, ja?«
»Was?«
»Sag mir einfach Bescheid, wenn Ms Pehrson zu mir guckt.«
»Was hast du denn vor?«, fragte er, ohne den Blick von der Chemielehrerin zu wenden.
Laurel griff in ihren Rucksack und öffnete den Verschluss ihrer Ausrüstung – die sie stets bei sich trug. Sie kramte darin herum, entkorkte schließlich ein Fläschchen Baldrianöl und ließ einen Tropfen auf ihre Fingerspitze fallen. Dann nahm sie ein anderes Fläschchen und schüttete ein Häufchen pulverisierter Zimtrinde auf ihre Handfläche. Nachdem sie einmal darauf gepustet hatte, verrieb Laurel das Öl in ihrer Handfläche mit dem grobkörnigen Pulver. »Jetzt gib mir das Löffelchen«, flüsterte sie David zu.
»Das kannst du nicht machen, Laurel.«
»Doch! Diesmal klappt es bestimmt.«
»Das meine ich nicht. Wir haben eine Aufgabe bekommen. Da sollten wir …«
Laurel schnitt ihm das Wort ab, als sie sich über den Tisch beugte, um an den langstieligen Messlöffel aus Stahl zu gelangen, den er ihr nicht geben wollte. Damit kratzte sie die Mischung aus ihrer Hand und beförderte sie, ehe David sie davon abhalten konnte, in die kochende Mixtur. Dann rührte sie sorgfältig erst in die eine und dann in die andere Richtung.
»Laurel!«
»Psst«, befahl Laurel und konzentrierte sich auf das Gebräu, das langsam einen bläulichen Farbton annahm.
Je länger sie rührte, umso blauer wurde es.
»Ist es so gut?«, fragte Laurel.
David hatte es die Sprache verschlagen.
Laurel warf einen Blick nach hinten, wo zwei weitere Schüler ihr Experiment abgeschlossen hatten. Ihr Blau sah genauso aus. Laurel hörte auf zu rühren.
»Versuch mal, Ms Pehrson als Nächstes an unseren Tisch zu holen«, sagte Laurel. »Die Mischung ist so heiß, dass die Farbe nicht lange halten wird.«
Sie konnte Davids Miene nicht deuten, aber erfreut sah er nicht gerade aus.
»Sehr gut, David und Laurel«, sagte Ms Pehrson, die überraschend hinter ihnen aufgetaucht war. »Und gerade rechtzeitig, gleich wird es läuten.«
David blickte auf, als Ms Pehrson etwas in ihr Büchlein eintrug. »Warten Sie, Ms Pehrson!«
Als die Lehrerin sich umdrehte, warf Laurel ihm einen warnenden Blick zu.
»Äh …«
Laurel und Ms Pehrson starrten David an.
Einen Augenblick sah er noch entschlossen aus, dann entspannte er sich. »Ich wollte nur fragen, ob es den Sicherheitsbestimmungen genügt, wenn wir das Zeug ins Becken kippen.«
»Aber ja. Habe ich das nicht auf dem Aufgabenzettel vermerkt? Passt nur auf, dass ihr euch nicht verbrennt.« Sie ging weiter zum nächsten Experimentiertisch.
Laurel und David räumten schweigend auf und zuckten zusammen, als es klingelte. Im Flur nahm Laurel Davids Hand. »Wieso bist du sauer?«, fragte sie. »Ich habe dir gerade eine Eins verschafft.«
»Du hast gemogelt«, sagte David leise. »Und ich habe es zugelassen, dass sie mir eine Eins gegeben hat, weil es absolut keine vernünftige Erklärung dafür gibt, wie du gemogelt haben könntest.«
»Das war nicht gemogelt«, widersprach Laurel beleidigt. »Ich habe überlegt, wie die Lösung blau werden könnte. Darum ging es doch, oder etwa nicht?«
»Es ging darum, die Anweisungen zu befolgen.«
»Ach wirklich? Ich dachte, es ginge darum, herauszufinden, was man miteinander kombinieren muss, damit etwas Blaues dabei herauskommt. Das ist doch genauso wichtig, oder?«
David seufzte. »Keine Ahnung. Ich bin voll schlecht in Chemie.«
»Das stimmt nicht«, sagte Laurel wenig überzeugend.
»Doch. Ich kapiere es einfach nicht so gut wie Bio. Ich verstehe nicht, worum es geht. Der Kurs läuft erst seit zwei Wochen und ich bin schon völlig überfordert. Wie soll das bloß weitergehen?« Er seufzte. »Ich gebe mir so viel Mühe.«
»Das weiß ich«, sagte Laurel. »Und du hast gute Noten verdient. Was macht das schon, dass ich dir ein bisschen geholfen habe? Ich finde, wer so viel lernt, darf auch ein bisschen schummeln. Außerdem«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, »habe ich es nur dir zu verdanken, dass ich in diesem Chemiekurs gelandet bin. Da ist es doch nur gerecht, wenn ich dir zu deinem Physikkurs verhelfe.« Sie schwiegen, bis Laurel ihm sanft den Ellbogen in die Seite stupste. »Sie hat gesagt, wir sollen unseren Laboratoriumspartner wie ein Teammitglied behandeln.«
»Bist du sicher, dass es nicht gemogelt war?«
»David, soweit ich weiß, ist das Experiment gescheitert, weil ich …«, sie senkte die Stimme, »eben weil ich eine Elfe bin. Sie hat gesagt, beim ersten Mal gibt sie uns extra eine leichte Aufgabe. Wir mussten nur die Anweisungen befolgen. Es hätte funktionieren müssen. Ich glaube wirklich, dass es meinetwegen nicht geklappt hat.«
Er sah sie lange an. »Da könntest du recht haben«, sagte er. »Mit Anweisungen hat es bei mir bisher immer geklappt.«
»Na also.«
David musste lachen. Er ließ sich rückwärts an sein Schließfach sinken und glitt zu Boden. Erschöpft setzte Laurel sich neben ihn. »Es muss echt schlimm um mich stehen, dass ich nicht weiß, ob ich sauer sein soll oder ob die Sache nicht supercool ist.« Er umarmte sie. »Aber du hast es geschafft. Du hast es richtig gut hinbekommen.«
Laurel lächelte. »Stimmt, ich hab’s geschafft.« Jetzt lachte sie auch. »Ich bin gar nicht so schlecht.«
»Finde ich auch.« David zog sie an sich und küsste sie auf die Stirn. »Bravo.«
»Habt ihr kein Zuhause?«
David hob rasch den Kopf, aber es war nur Chelsea, die sie von der anderen Seite des Flurs angrinste, ehe sie sich wieder Ryan widmete.
»Daran habe ich mich immer noch nicht gewöhnt«, sagte David und schüttelte lächelnd den Kopf.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Laurel, die es aufdringlich fand, anderen beim Küssen zuzusehen, den Blick jedoch nicht abwenden konnte.
»Mal sehen, wann sie aufhören müssen, um Luft zu holen.«
»Du kannst ruhig netter sein«, sagte Laurel mit einem Hauch Ernsthaftigkeit. »Sie ist glücklich.«
»Hoffentlich.«
»Wir könnten doch mal was mit ihnen machen. Zu viert, meine ich.«
»Ein Doppeldate, oder was?«
»Ja. Seit sie zusammen sind, haben wir überhaupt noch nichts gemeinsam unternommen. Ich finde, es wird Zeit. Ryan ist nett. Er hat einen guten Mädchengeschmack.«
David lachte. »Meiner ist besser.«
Laurel zog die Augenbrauen hoch. »Und ich glaube, dass jeder, der mich je geküsst hat, zugeben muss, dass ich den besten Geschmack für mich gepachtet habe.«
»Wir können nicht alle nach Nektar schmecken«, neckte er sie, während er beim Küssen mit der Hand ihren Nacken stützte. »Das ist ungerecht«, murmelte er an ihrem Mund. Mit der anderen Hand strich er über ihren Rücken und zog sie noch fester an sich.
»Aua.« Sie wich zurück.
Als David auf sie hinuntersah, war ihm die Verwirrung anzumerken. »Entschuldigung?«, sagte er halb fragend.
Laurel sah sich um. »Ich glaube, ich blühe bald«, flüsterte sie. »In zwei, drei Tagen, schätze ich.«
David grinste und hustete dann, um es zu verbergen. Vergeblich.
»Schon gut«, sagte Laurel. »Ich weiß, dass es dir gefällt. Und da ich dieses Mal weiß, wie es ist, macht es mir auch nichts aus. Die Stelle ist nur sehr empfindlich.«
»Dann werde ich schön vorsichtig sein«, sagte David und beugte sich vor, um sie noch mal zu küssen.
Sie zuckten zusammen, als die Tür des Chemielabors aufsprang und laut an die Wand knallte. Der schrille Alarm des Rauchmelders gellte durch den Flur, dann drang blauer Rauch aus der Tür und hustende Schüler stolperten hinaus. »Raus, raus!«, versuchte Ms Pehrson, den Lärm zu übertönen, während sie ihre Schutzbefohlenen aus der Klasse scheuchte. Der blaue Nebel verbreitete sich im Flur, bis jemand den Feueralarm und damit die ohrenbetäubende Alarmanlage der Schule auslöste.
David betrachtete den blauen Dunst und die Schüler, die zum Ausgang rannten. Er stand auf und half Laurel auf die Beine. »Und?«, fragte er zuckersüß an ihrem Ohr. »Wessen Experiment könnte das wohl gewesen sein?«
Sie sahen sich an und brachen in lautes Gelächter aus.
Laurel stand vor dem Spiegel in ihrem Zimmer und betrachtete die
blassblauen Blütenblätter, die schulterhoch an ihrem Rücken
aufragten. Seit ihr Vater im letzten Jahr aus dem Krankenhaus
entlassen worden war, war die Familie sich einig, dass Laurel sich
zu Hause sicher fühlen und nie wieder das Bedürfnis haben sollte,
etwas von sich zu verbergen. Doch nun nach unten zu gehen, ohne
ihre Blütenblätter zu verstecken, war etwas ganz anderes. In einer
halben Stunde musste sie in die Schule; vielleicht würden sie es
verstehen, wenn sie ihre Blütenblätter bereits abgebunden
hatte.
Aber ihr Vater wäre wahrscheinlich enttäuscht.
Ihre Mutter hingegen wäre sicherlich erleichtert.
Laurel senkte den Blick auf die Schärpe, die sie in der Hand hielt. In diesem Jahr blieb ihr die Angst vor einer unheimlichen Krankheit erspart, aber irgendwie hatte die Beklemmung angesichts der Blüte nicht nachgelassen.
Zähneknirschend schlang Laurel die Schärpe um ihr Handgelenk. »Ich schäme mich nicht«, verkündete sie ihrem Spiegelbild. Aber sie hatte trotzdem Bauchschmerzen, als sie die Tür öffnete und ihre Blütenblätter für alle Welt sichtbar wurden.
Nachdem sie auf Zehenspitzen die halbe Treppe hinuntergegangen war, überlegte sie es sich anders. Es sollte nicht so aussehen, als schliche sie durch ihr eigenes Haus, also trampelte sie den Rest der Treppe hinunter.
»Wow!«
David stand vor ihr. Sein Blick zuckte zu ihrem nackten Bauchnabel und zurück zu ihrem Gesicht. Wenn sie die Blütenblätter offen trug, rutschte ihr T-Shirt vorne und hinten ein wenig nach oben. Das schien David zu gefallen, aber Laurel hatte vergessen, wie unbequem es war, wenn das T-Shirt sich an ihren Rippen bündelte und die Blättchen zerdrückte, wo die Blüte spross. Aus Avalon hatte sie mehrere Tops mit einem tiefen Rückenausschnitt mitgebracht, die sich bestens für die Blütezeit eigneten, aber heute ging es ihr darum, sie zu verbergen.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen, danke«, erwiderte David und zog eine Augenbraue hoch.
»Tut mir leid.« Laurel nahm seine Hand. »Du hast mich überfallen.«
»Ich wusste, dass es gestern fast so weit war, und dachte, ich komme vorbei, um dir meine Hilfe anzubieten. Oder was auch immer.«
Laurel umarmte ihn lächelnd. Es ging ihr tatsächlich besser, weil er da war. Auch wenn er eigentlich gekommen war, um einen ersten Blick auf ihre neue Blüte zu werfen.
In der Küche machte sich Laurels Mutter an der Kaffeemaschine zu schaffen, eifrig bemüht, den Blickkontakt mit Laurel zu vermeiden. Aus dem Augenwinkel sah Laurel dennoch, wie ihre Mutter ihr verstohlene Blicke zuwarf, während sie den frisch gebrühten Kaffee in einen Thermosbecher goss. Nach ihrem Streit im Geschäft hatte sich nichts geändert. Es gab weder eine Entschuldigung noch war es schlimmer geworden. Als wäre Laurel an jenem Tag gar nicht dort gewesen, was die Sache aus irgendeinem Grund noch unerträglicher machte. Ihre Beziehung schien immer stärker in einem Kreislauf gefangen zu sein, in dem Probleme ignoriert wurden, weil jeder hoffte, sie würden von allein verschwinden. Was sie leider nicht taten.
»Wo ist Dad?«, fragte Laurel.
Ihr Vater wedelte mit der Zeitung. Er saß auf dem Sofa, das man von der Wohnzimmertür nicht sehen konnte. »Hier bin ich«, rief er zerstreut.
»Sie blüht«, verkündete David.
Laurel legte eine Hand an die Stirn, als sie hörte, wie rasch ihr Vater aufstand. »Oh, echt? Lass sehen!«
»Petze«, flüsterte sie David zu.
Laurels Mutter nahm eine Leinentasche und ging an ihr vorbei, als ihr Vater in die Küche kam. »Ich muss ins Geschäft«, sagte sie, ohne ihn anzusehen.
»Aber willst du nicht …?«
»Ich bin spät dran«, beharrte sie leise. Sie klang seltsam, als würde sie eigentlich lieber bleiben, es aber nicht fertigbringen. Gemeinsam mit ihrem Vater sah Laurel ihr zu, bis sie das Haus endgültig verlassen hatte.
Laurel konnte den Blick nicht von der Tür wenden, so sehr hoffte sie, ihre Mutter würde es sich anders überlegen und zurückkommen.
»Wahnsinn«, sagte ihr Vater, der sich wieder auf sie konzentrierte. »Das … ist ja riesig.«
»Habe ich dir doch gesagt.« Als Mensch wäre sie mittlerweile knallrot im Gesicht. Es hatte auch Vorteile, eine Pflanze zu sein.
»Ja, ja, aber ich dachte …« Er kratzte sich im Nacken. »Ehrlich gesagt dachte ich, du übertreibst ein bisschen.« Als er um sie herumging, wurde sie immer verlegener. »Wie hast du das bloß vor uns versteckt?«
Super Timing. »So«, sagte sie, nahm die Schärpe vom Handgelenk und band die Blütenblätter um ihren Bauch und ihre Rippen. Dann zog sie ihre Bluse mit Blümchenmuster an und warf mit Schwung ihre Haare darüber. Sie reichten ihr bis zur Taille. »Ta-da!«
Ihr Vater nickte. »Beeindruckend.«
»Ja«, sagte Laurel und nahm Davids Hand. »Komm, wir gehen.«
»Wollt ihr denn nicht frühstücken?«, fragte ihr Vater, als sie ihren Rucksack vom Tisch nahm.
Laurel warf ihm einen erstaunten Blick zu.
»Entschuldigung, reine Gewohnheit.«
»Nehmen wir mein Auto oder deins?«, fragte David, nachdem Laurel die Tür hinter sich zugezogen hatte.
»Deins. Es ist bestimmt nicht sonderlich bequem, mit einer zerquetschten Blüte zu fahren.«
»Gutes Argument.« David hielt ihr die Beifahrertür auf. Selbst nach einem Jahr vergaß er das nie.
»Und jetzt?«, fragte er, als er den Motor anließ. »Wir haben noch eine viertel Stunde Zeit bis zum ersten Klingeln. Sollen wir trotzdem direkt zur Schule fahren?«
Laurel lächelte, als David sich rüberbeugte und sie auf den Hals küsste.
»Mmmm, den Duft habe ich echt vermisst.« Er ließ seinen Mund zu ihrem Kinn wandern.
»David, mein Vater guckt uns vom Küchenfenster aus zu.«
»Das macht mir nichts aus«, murmelte er.
»Klar, weil er nicht dein Vater ist. Lass mich los!«, rief sie lachend.
David lehnte sich zurück und legte den Rückwärtsgang ein. »Vielleicht halte ich es noch aus, bis wir zwei Blocks weiter gefahren sind.« Er sah zum Haus hinüber und winkte zu dem kleinen Spalt in den Vorhängen.
»David!«
Der Vorhang wurde zugezogen.
»Du bist unmöglich.«
Er grinste. »Deine Eltern lieben mich.«
Das stimmte. Laurel hatte es immer gut gefunden. Im Moment war sie sich jedoch nicht so sicher.