Zwei

Während sie auf die Akademie zugingen, entdeckte Laurel – sobald sich eine Lücke im Wald auftat – ein weiteres Gebäude. Es handelte sich um die verfallenen Ruinen eines Schlosses, das ehemals etwas höher als die gewaltige Akademie oben auf einem hohen Hügel gestanden hatte. Laurel spähte hinauf. Das Schloss verfiel nicht tatsächlich – denn grüne Taue schlängelten sich wie Nähte durch den weißen Marmor und hielten die Mauern zusammen. Das Blätterdach eines riesigen Baumes breitete sich darüber und legte die Hälfte des Bauwerks in Schatten. »Ist das da ein Schloss?«, fragte Laurel, als es erneut in ihr Blickfeld geriet.

»Das ist der Winterpalast«, sagte Jamison. »Dort wohne ich.«

»Ist das nicht ein bisschen zu gefährlich?«, fragte Laurel zweifelnd.

»In einem gewissen Sinne schon«, antwortete Jamison. »Das ist einer der gefährlichsten Orte in ganz Avalon. Nur ich bin dort sicher – das heißt, alle, die dort wohnen.«

»Fällt er eines Tages zusammen?«, fragte Laurel und beäugte skeptisch eine Ecke des Palastes, die von einem Korsett aus blaugrüner Spitze gehalten wurde.

»Nein«, erwiderte Jamison. »Wir Winterelfen kümmern uns seit über dreitausend Jahren um das Schloss. Die Wurzeln des Rotholzes wachsen inzwischen in und mit dem Schloss und sind Teil des Bauwerks, so wie der Marmor. Der Baum würde es niemals fallen lassen.«

»Warum baut Ihr nicht einfach ein neues?«

Jamison schwieg einen Moment, und Laurel fürchtete schon, sie hätte ihn mit ihrer Frage beleidigt. Als er antwortete, klang er jedoch nicht ungehalten. »Das Schloss ist nicht nur unser Zuhause, Laurel. Es ist auch der sichere Ort für eine Menge Sachen – Dinge, die wir nicht einfach anderswo hinbringen können, nur weil es dort bequemer wäre oder wir lieber in einem neuen Gebäude wohnen würden.« Dann zeigte er lächelnd auf das graue steinerne Ziel ihres Wegs. »Dafür haben wir die Akademie.«

Laurel blickte zurück auf den Winterpalast. Anders als beim ersten Anblick, als sie nur wild durcheinanderlaufende Schlingen wahrgenommen hatte, konnte sie jetzt eine Ordnung, ja Methode, in dem grünen Gitterwerk ausmachen. Die Mauerecken waren sorgfältig bandagiert und ein ausgedehntes Wurzelgeflecht stützte große Teile des Mauerwerks. Der Baum war tatsächlich zum Bestandteil des Schlosses geworden. Oder umgekehrt, das Schloss war ein Teil des Rotholzes. Das gesamte Gebäude schien sich zufrieden in den Armen der weit verzweigten Wurzeln zu räkeln.

Nach einer weiteren Kurve erblickte Laurel etwas, das sie zunächst für ein schmiedeeisernes Tor hielt, das sich jedoch bei näherem Hinsehen als eine lebende Mauer entpuppte. Zweige bogen und wanden sich in komplizierten Schnörkeln umeinander wie bei einem unendlich komplexen Bonsai. Vor einem Tor standen zwei Wachtposten – eine Frau und ein Mann in voller Montur in einem kräftigen Blauton und mit glänzenden, gefiederten Helmen auf dem Kopf. Sie verbeugten sich tief vor Jamison und machten Platz.

»Komm«, forderte Jamison Laurel auf, hindurchzugehen, als sie zögerte. »Sie warten auf uns.«

Auf dem Gelände der Akademie herrschte lebhaftes Treiben. Dutzende Elfen arbeiteten im Hof. Einige von ihnen waren in zarte, fließende Gewänder oder leichte Seidenhosen gekleidet und hielten Bücher im Arm. Andere trugen Kleider aus einfacher Baumwolle und waren mit Graben, Schneiden und Stutzen beschäftigt. Wieder andere pflückten Blumen und suchten die vielen üppigen Büsche nach besonders schönen Blüten ab. Als Jamison und Laurel an ihnen vorübergingen, hielten die meisten Elfen in ihrer Arbeit inne und verbeugten sich oder neigten zumindest respektvoll den Kopf.

»Verbeugen sie sich … vor mir?«, wagte Laurel dumm zu fragen.

»Kann schon sein«, erwiderte Jamison. »Aber die meisten verbeugen sich wahrscheinlich vor mir.«

Sein lässiger Ton traf Laurel unerwartet. Doch offenbar war es für ihn ganz normal, dass man sich vor ihm verbeugte. Und er reagierte nicht einmal darauf. »Hätte ich mich auch vor Euch verbeugen sollen, als Ihr zum Tor kamt?«, fragte Laurel unsicher.

»Oh nein«, antwortete Jamison sofort. »Du bist eine Herbstelfe. Du verbeugst dich ausschließlich vor der Königin. Ein leichtes respektvolles Kopfnicken reicht völlig aus.«

Laurel ging schweigend und leicht irritiert weiter. Dabei beobachtete sie jene Elfen, die Jamison nur mit dem Kopf zunickten. Sie erwiderten ihren Blick, und Laurel wusste nicht recht, wie sie ihren Gesichtsausdruck verstehen sollte. Einige schienen neugierig zu sein, andere eher wütend. Viele Mienen waren verschlossen. Schüchtern senkte sie den Kopf und beeilte sich, Jamison wieder einzuholen.

Als sie auf die gewaltigen Eingangstüren zugingen, wurden diese von einer Gruppe Diener aufgezogen, die Jamison und Laurel in eine geräumige Empfangshalle geleiteten. Durch eine riesige Glaskuppel fiel das Sonnenlicht und nährte Hunderte von Topfpflanzen, die die Halle schmückten. Hier ging es weniger hektisch zu als draußen auf dem Gelände. Da und dort saßen einige Elfen auf Sofas, vor sich niedrige Tische mit Büchern darauf.

Eine ältere Elfe – nicht so alt wie Jamison, dachte Laurel, obwohl man das bei Elfen nie so genau schätzen konnte – kam auf sie zu und verneigte sich. »Jamison, wie schön, Euch zu sehen!« Dann lächelte sie Laurel an. »Du bist Laurel, nehme ich an – meine Güte, wie du dich verändert hast!«

Laurel erschrak kurz, doch dann erinnerte sie sich, dass sie sieben Jahre in Avalon gelebt hatte, bevor sie zu ihren Eltern gekommen war. Dass sie sich an niemanden erinnern konnte, bedeutete ja nicht, dass man sie hier vergessen hatte. Sie fremdelte plötzlich bei dem Gedanken, wie viele der Elfen, an denen sie vorbeigegangen war, sich wohl an eine Vergangenheit erinnerten, die ihr verschlossen blieb.

»Ich heiße Aurora«, sagte die Elfe. »Ich unterrichte die Eingeweihten – die in der Klasse unter und über dir.« Sie lachte wie über einen privaten Witz. »Komm, ich zeige dir dein Zimmer. Wir haben es renoviert und nur ein paar alte Dinge gegen neue eingetauscht – ansonsten blieb es bis heute unangetastet.«

»Ich habe hier ein Zimmer?« Laurel konnte sich die Frage nicht verkneifen.

»Natürlich!«, antwortete Aurora über ihre Schulter hinweg. »Dies ist schließlich dein Zuhause.«

Zuhause? Laurel blickte sich in der schmucklosen Eingangshalle um, betrachtete das aufwendig gearbeitete Geländer an der sich nach oben windenden Treppe, die glitzernden Fenster und Dachluken. Das war ihr Zuhause gewesen? Es sah so unbekannt aus, fühlte sich so fremd an. Sie blickte hinter sich und sah, wie Jamison ihr folgte – natürlich ohne zu gaffen. Seine Umgebung im Winterpalast war sicher noch viel prächtiger als diese hier.

Auf der dritten Etage betraten sie einen Flur mit zahlreichen dunklen Kirschholztüren. Auf jeder stand in funkelnden, verschnörkelten Buchstaben ein Name: Mara, Katya, Fawn, Sierra, Sari. Aurora hielt vor einer Tür, auf der unmissverständlich der Name Laurel stand.

Laurel wurde mulmig, und die Zeit schien zu kriechen, bis Aurora die Tür öffnete. Lautlos glitt sie über einen dichten cremefarbenen Teppich in einen großen Raum mit einer Wand aus Glas. Die anderen Wände waren vom Boden bis zur Decke mit blassgrünem Satin überzogen. Ein Oberlicht erhellte den halben Raum, und das Licht fiel auf ein riesiges Bett mit einer Seidendecke und hauchfeinen Vorhängen, die so leicht waren, dass sie sich beim leisesten Windhauch von der Tür her kräuselten. Schlichte, doch vollendete Möbelstücke vervollständigten das Zimmer: ein Schreibtisch, ein Stuhl, eine Kommode, ein Kleiderschrank. Laurel trat ein und sah sich um – auf der Suche nach etwas Bekanntem, Vertrautem.

Es war eines der schönsten Zimmer, die sie je gesehen hatte, aber sie erkannte es nicht wieder. Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung regte sich in ihr. Nichts. Eine Welle der Enttäuschung brach über sie herein. Sie versuchte, sie zu verbergen, während sie sich zu Jamison und Aurora umdrehte. »Danke«, sagte sie mit einem Lächeln, das hoffentlich nicht zu steif war. Was machte es schon, wenn sie sich nicht erinnerte? Schließlich war sie jetzt hier – und das war das Wichtigste.

»Du kannst auspacken und dich frisch machen«, sagte Aurora. Ihr Blick huschte über Laurels Tanktop und die kurzen Jeans. »Hier in der Akademie kannst du anziehen, was du möchtest, allerdings sind die Sachen im Kleiderschrank bestimmt bequemer. Wir haben deine Größe geschätzt – aber wenn du willst, können bis morgen neue Sachen genäht werden. Deine Kniehose … der Stoff sieht aus, als würde er schrecklich scheuern.«

Aurora versteifte sich bei Jamisons leisem Kichern. »Läute die Glocke, wenn du irgendetwas brauchst«, sagte sie. »Das Personal steht dir zur Verfügung. Du hast eine Stunde Zeit – dann kommt dein erster Lehrer, um mit dem Unterricht zu beginnen.«

»Heute schon?«, fragte Laurel ein bisschen lauter als beabsichtigt.

Aurora warf Jamison einen fragenden Blick zu. »Jamison und die Königin selbst haben uns angewiesen, deine Zeit bei uns aufs Beste zu nutzen – sie ist sowieso viel zu kurz.«

Laurel nickte und war plötzlich aufgeregt. »In Ordnung«, sagte sie. »Ich werde bereit sein.«

»Dann lasse ich dich jetzt allein«, sagte Aurora, wandte sich zur Tür und sah Jamison an, der jedoch abwinkte. »Ich bleibe noch einen Moment, bevor ich in den Palast zurückgehe.«

»Natürlich«, erwiderte Aurora, nickte ihm zu und ließ die beiden allein.

Jamison stand in der Tür und betrachtete das Zimmer. Als Auroras Schritte im Flur verhallten, sagte er: »Ich war nicht mehr hier, seit ich dich vor dreizehn Jahren zu deinen Eltern gebracht habe.« Dann sah er Laurel an. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, so schnell wie möglich mit der Arbeit zu beginnen. Wir haben so wenig Zeit.«

Laurel schüttelte den Kopf. »Nein, gar nicht – ich habe nur … so viele Fragen.«

»Die meisten werden noch warten müssen«, sagte Jamison, und ein Lächeln ließ seine Worte sanfter klingen. »Deine Zeit ist zu kostbar, um sie mit den Sitten und Gebräuchen in Avalon zu verschwenden. Vor dir liegen noch viele Jahre, in denen du all das kennenlernen kannst.«

Laurel nickte, doch sie war nicht sicher, ob sie wirklich einverstanden war.

»Außerdem«, fuhr Jamison mit einem verschmitzten Lächeln fort, »wird dein Freund Tamani dir gerne jede Frage beantworten, vorausgesetzt du findest die Zeit dazu.« Damit wandte er sich zum Gehen.

»Wann sehe ich Euch wieder?«, fragte Laurel.

»Ich komme, wenn die acht Wochen vorüber sind«, antwortete er. »Und ich sorge dafür, dass wir genügend Zeit haben werden, um noch einiges zu bereden«, versprach er. Dann verabschiedete er sich und zog die Tür hinter sich zu.

Laurel fühlte sich plötzlich schrecklich einsam. Sie stand in der Mitte des Zimmers, drehte sich im Kreis und versuchte, jedes Detail in sich aufzunehmen. Sie erinnerte sich überhaupt nicht an diesen Ort, doch sie fühlte sich sofort wohl – und nahm das als Bestätigung, dass sich auf einer bestimmten Ebene ihr Geschmack nicht geändert hatte. Grün war immer ihre Lieblingsfarbe gewesen und sie zog das Schlichte stets aufwendigen Mustern und Designs vor. Nur das Himmelbett fand sie ein bisschen mädchenhaft, doch das hatte sie schließlich in ihrem anderen Leben ausgesucht.

Sie ging zum Schreibtisch und setzte sich. Der Stuhl war ein wenig zu niedrig eingestellt. Sie zog die Schublade auf und fand darin stabiles Papier, Farbe, mehrere Federhalter und ein Schulheft mit ihrem Namen. Laurel brauchte einen Moment, um zu begreifen, warum ihr der Schriftzug so bekannt vorkam. Er war in ihrer eigenen kindlichen Handschrift geschrieben. Mit zitternden Händen schlug sie die erste Seite auf. Darauf stand eine Liste mit lateinischen Wörtern — Pflanzennamen, wie Laurel vermutete. Sie blätterte weiter und fand noch mehr davon. Doch selbst mit den englischen Namen dahinter konnte sie kaum etwas anfangen. Wie niederschmetternd, zu erkennen, dass sie offenbar mit sieben mehr gewusst hatte als heute, mit sechzehn! Vielmehr zwanzig, korrigierte sie sich, oder wie alt ich angeblich bin. Sie versuchte, nicht an ihr tatsächliches Alter zu denken – denn das erinnerte sie nur an die sieben Elfenjahre, die ihr nicht mehr im Gedächtnis waren. Sie fühlte sich wie sechzehn – also war sie sechzehn. Laurel legte das Heft zurück in die Schublade und ging zum Kleiderschrank.

Darin hingen verschiedene leichte Sommerkleider und knöchellange Röcke aus leichtem, fließendem Stoff. In einer Reihe von Schubladen fand sie ländliche Blusen und passende Tops mit Flügelärmeln. Laurel drückte den Stoff an ihre Wange und genoss das seidige Gefühl. Sie probierte Verschiedenes an und entschied sich für ein leichtes pinkfarbenes Sommerkleid, ehe sie mit der Erkundung ihres Zimmers fortfuhr.

Sie ging zum Fenster, wo ihr bei der Aussicht der Atem stockte. Unter ihr erstreckte sich der größte Blumengarten, den sie jemals gesehen hatte. Blumenbeete bildeten ein Farbenmeer, das beinahe so groß war wie das ganze Akademiegelände. Sie legte die Finger an die Glasscheibe und versuchte, die Aussicht in einem einzigen Blick einzufangen. Es kam ihr wie eine ungeheure Verschwendung vor, ein Zimmer mit so einer fantastischen Aussicht dreizehn Jahre lang leer stehen zu lassen.

Als es klopfte, schreckte Laurel auf, zog ihr Kleid zurecht und eilte an die Tür. Bevor sie öffnete, strich sie schnell noch ihr Haar glatt.

Vor der Tür stand ein großer Elf mit strenger Miene. Sein braunes Haar ergraute allmählich an den Schläfen. Hinter ihm stand ein jüngerer, schlichter gekleideter Elf, der einen großen Bücherstapel balancierte.

»Laurel, wenn ich mich nicht irre?«, sagte der Ältere mit sanfter, tiefer Stimme und betrachtete sie aufmerksam. »Na – so sehr hast du dich gar nicht verändert.«

Laurel starrte den Elfen verdattert an. Sie hatte Bilder von sich als Kind gesehen – und wie sie sich verändert hatte!

Der Elf trug eine yogamäßige Leinenhose und ein dunkelgrünes Hemd aus seidigem Stoff, das an der Brust auf eine Weise offen stand, die nicht im Leisesten sinnlich wirkte. Laurel dachte an ihre eigene Vorliebe für Tanktops, um mehr von ihrer fotosynthetischen Haut zu entblößen – das musste der Grund sein. Sein Auftreten war vorbildlich – außer dass er weder Schuhe noch Socken trug.

»Yeardley, Professor für Grundlagenwissen — darf ich hereinkommen?«, sagte er mit einer leichten Verbeugung.

»Ach, natürlich!« Laurel riss die Tür weit auf.

Yeardley schlenderte herein und der Jüngere folgte ihm auf dem Fuße. »Dorthin«, sagte der Professor und zeigte auf Laurels Schreibtisch. Der andere Elf lud einen Stapel Bücher darauf ab, verbeugte sich tief vor Laurel und Yeardley und verschwand rückwärts aus dem Zimmer.

Laurel wandte sich wieder dem Professor zu, der sie noch immer ansah.

»Ich weiß, dass Jamison darauf drängt, sofort mit deinem Unterricht anzufangen, doch ehrlich gesagt sehe ich mich außerstande, selbst mit den allerersten Dingen zu beginnen, bevor du nicht einige Grundlagen hast.«

Laurel wollte etwas sagen, wusste jedoch nicht, wo sie anfangen sollte, und schwieg.

»Ich habe dir mitgebracht, was ich für die einfachsten und wichtigsten Informationen halte. Die musst du verinnerlicht haben, um mit dem richtigen Unterricht überhaupt beginnen zu können. Ich schlage vor, du fängst sofort an.«

Laurels Blick glitt über den Bücherstapel. »Die alle?«, fragte sie.

»Das ist nur die erste Hälfte. Ich habe noch einen Stapel für dich, sobald du mit dem hier durch bist. Glaube mir«, fuhr er fort, »weniger hätte ich wirklich nicht verantworten können.« Er konsultierte einen Zettel, den er aus einer Umhängetasche gezogen hatte. »Eins unserer Lehrmädchen, was du unter normalen Umständen auch wärest«, sagte er und sah zu ihr auf, »aus der entsprechenden Klasse wird deine Tutorin sein. Sie steht dir tagsüber zur Verfügung. Es wird ihr nicht schwerfallen, dir die grundlegenden Dinge zu erklären – mach also hinreichend Gebrauch davon. Wir hoffen, dass du nicht mehr als zwei Wochen brauchst, um all das wieder zu erlernen, was du vergessen hast, seit du uns verlassen musstest.«

Laurel stand mit geballten Fäusten da und wäre am liebsten im Boden versunken.

»Sie heißt Katya«, fuhr Yeardley fort, ohne Laurel zu beachten. »Sie wird bald kommen und sich selbst vorstellen. Lass dich nur nicht durch ihre Redseligkeit vom Lernen abhalten.«

Laurel nickte steif und konnte ihre Augen nicht von dem Bücherstapel losreißen.

»Ich überlasse dich jetzt deiner Lektüre«, sagte der Professor und drehte sich auf den nackten Fersen um. »Wenn du mit den Büchern durch bist, können wir mit dem Unterricht beginnen.« An der Tür hielt er noch einmal an. »Benachrichtige mich, sobald du fertig bist. Aber bemühe dich nicht, bevor du nicht jedes einzelne Buch von vorne bis hinten gelesen hast – das hat gar keinen Zweck.« Ohne sich zu verabschieden, trat er hinaus auf den Flur und zog energisch die Tür hinter sich zu.

Laurel atmete tief durch, ging zum Schreibtisch und starrte auf die Buchrücken der ehrwürdig wirkenden Bände: Grundlagen der Kräuterkunde, Entstehung der Zaubertränke, Die Enzyklopädie der Verteidigungskräuter sowie Anatomie der Orks. Beim letzten Titel zog sie eine Grimasse.

Eigentlich las sie gern, aber diese Bücher waren keine Jugendromane. Sie blickte hinüber zum Panoramafenster – im Westen ging bereits die Sonne unter.

Laurel stöhnte. So hatte sie sich diesen Tag wahrhaftig nicht vorgestellt.