Vier

Laurel fröstelte – sie empfand Angst und Verlegenheit zugleich. »Deine Mutter?«

»Ist … das ein Problem?«

»Aber du hast mir erzählt, Elfen hätten keine Mütter!«

Tamani setzte an, etwas zu sagen, dann legte er die Stirn in Falten – so sah er immer aus, wenn er bei einer Halbwahrheit erwischt wurde. »Ich habe nie gesagt, dass Elfen keine Mutter haben«, begann er langsam. »Nur dass bei uns die Dinge anders sind. Und so ist es auch.«

»Aber du … ich … ich meine, wenn Elfen aus Samen entstehen … du hast gesagt, ihr wachst alleine auf!« Laurels Stimme nahm einen fordernden Ton an.

»Das tun wir auch«, versuchte Tamani, sie zu beschwichtigen. »Meistens jedenfalls. ›Bemuttern‹ bedeutet bei uns etwas anderes als bei den Menschen.«

»Aber du hast eine Mutter, oder?«

Tamani nickte, und sie sah ihm an, dass er wusste, was als Nächstes kam.

»Habe ich eine Mutter – eine Elfenmutter, meine ich?«

Tamani schwieg. Laurel sah, dass er nicht antworten wollte. Schließlich zuckte er kaum sichtbar mit den Achseln und schüttelte den Kopf.

Schreck und Enttäuschung loderten in ihr auf. Trotz der Spannungen zu Hause vermisste sie ihre Mutter schrecklich und hatte plötzlich mehr als nur ein bisschen Heimweh. Tränen kündigten sich an, doch Laurel verkniff sie sich. Sie ging einfach weiter – gut, dass niemand in der Nähe war. »Und warum nicht?«, fragte sie gereizt.

»Du hast eben keine.«

»Aber du! Warum habe ich dann keine?« Sie wusste, dass sie kindisch und bockig klang, aber das war ihr egal.

»Weil ich kein Herbst- oder Winterelf bin.«

Laurel blieb stehen und drehte sich zu Tamani um. »Und? Heißt das, wir werden anders geboren?«

Tamani schüttelte den Kopf.

»Der Samen, in dem ich zur Welt kam, wurde von zwei Elfen erzeugt, richtig?«

Tamani zögerte, dann nickte er.

»Wo sind sie dann? Vielleicht kann ich …«

»Ich weiß es nicht«, unterbrach er sie. »Niemand weiß es. Die Aufzeichnungen wurden vernichtet«, sagte er schließlich leise.

»Warum?«

»Herbst- und Winterelfen bleiben nicht bei ihren Eltern. Sie sind Kinder von Avalon – Kinder der Krone. Das ist nicht wie bei den Menschen«, fuhr er fort, »Verwandtschaft ist hier anders geregelt.«

»Heißt das, so wie du mit deiner Mutter verwandt bist, ist das etwas anderes als bei mir und meiner Mutter zu Hause?« Laurel wusste, es würde ihn ärgern, wenn sie von einem anderen Ort als Avalon als ihrem »Zuhause« sprach, doch sie war zu wütend, um darauf Rücksicht zu nehmen.

»Das meine ich nicht. Wenn du einen Samen erzeugst, ist das einfach nur ein Samen. Der ist zwar sehr wertvoll – weil er die Möglichkeit eines neuen Lebens in sich trägt –, aber Verwandtschaft entsteht bei uns nicht durch den Samen, sondern wenn der Trieb aufgeht und der Keimling nach Hause kommt, um bei den Eltern zu leben. Aber nur Frühlings- und Sommerelfen leben bei ihren Eltern. Deine … Samenerzeuger …«

»Eltern«, verbesserte ihn Laurel.

»Meinetwegen. Deine Eltern wären vielleicht enttäuscht gewesen, als sie begriffen, dass du niemals ihr Keimling sein und nie zu ihnen nach Hause kommen würdest, doch die meisten wären in deinem Fall stolz auf ihren Beitrag zur Gesellschaft. Aus ihrer Sicht warst du noch keine Person – und sie hätten dich nicht vermisst, weil sie dich nicht gekannt hätten.«

»Soll es mir damit jetzt etwa besser gehen?«

»Ja.« Tamanis Hand berührte sie an der Schulter und hielt sie davon ab, in eine breite Hauptstraße abzubiegen. »Weil ich weiß, wie selbstlos du bist. Was wäre dir lieber? Die Erfahrung, ein Elternpaar wiederzusehen, das jahrelang darunter gelitten hat, dich zu lieben und dich zu vermissen – oder zu wissen, dass niemandem dadurch wehgetan wurde, dass du bei Menscheneltern, die dich grenzenlos lieben, aufgewachsen bist?«

Laurel schluckte. »So habe ich das bisher nie betrachtet.«

Tamani lächelte sanft und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht hinters Ohr – sein Daumen verweilte auf ihrer Wange. »Glaube mir, es ist alles andere als leicht, dich zu vermissen – ich wünsche es niemandem.«

Ohne es zu wollen, schmiegte Laurel ihr Gesicht in seine Hand. Er beugte sich vor, bis seine Stirn ihre berührte. Erst als seine Nasenspitze ganz zart über ihre streifte, merkte sie, dass er drauf und dran war, sie zu küssen. Und dass sie nicht wusste, ob sie ihn davon abhalten wollte.

»Tam«, flüsterte sie. Er war ihr so nah.

Tamani verstärkte kurz den Druck seiner Hände, aber dann ließ er sie los und trat einen Schritt zurück.

»Tut mir leid.« Stattdessen küsste er sie auf die Stirn und deutete dann auf die breite Straße, die durch die Aue führte. »Lass uns weitergehen. In etwa einer Stunde muss ich dich in die Akademie zurückbringen.«

Laurel nickte. Sie wusste nicht, welches Gefühl stärker war. Erlösung? Enttäuschung? Einsamkeit? Bedauern? Sie suchte nach einem neutraleren Thema. »Wie … wie konnten sie wissen, dass ich eine Herbstelfe bin?«

»Dein Trieb ging im Herbst auf«, sagte Tamani schlicht. »Alle Elfen sprießen – in der Jahreszeit ihrer Kräfte.«

»Trieb?«

»Die Blume, aus der du geboren wurdest.«

»Oh.«

Laurel wollte kein anderes Thema anschneiden. Also schwieg sie und versuchte, die neuen Erkenntnisse zu verdauen. Tamani folgte ihr. Nach einer Weile begegneten ihnen mehr und mehr Fußgänger und die Häuser standen immer dichter beieinander. Sie sahen anders aus als die um den Sommerplatz herum. Dieselben Kletterpflanzen wie an den Akademiegebäuden zierten hier die Außenmauern – mit Blüten, die sich erst im Mondschein öffneten. Anders als die Häuser mit den lichtdurchlässigen Wänden bestanden diese hier aus Holz und Rinde – robuste Anbauten, kleine Häuschen, ein paar Hütten mit Strohdächern. Sie waren beschaulich und malerisch – und so, wie kleine Häuser in Märchen beschrieben wurden. Doch es fühlte sich auch sehr anders an.

»Warum lassen diese Häuser kein Licht ins Innere?«, fragte Laurel.

»Hier wohnen Frühlingselfen«, erwiderte Tamani.

»Und?«

»Und was?«

»Was bedeutet das?«

»Sommerelfen benötigen Unmengen von Sonnenlicht zur Fotosynthese und zur Erzeugung ihrer vielfältigen Illusionen und prächtigen Feuerwerke. Deshalb setzen sie sich immerfort dem Sonnenschein aus. – Außerdem«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »sind diese Häuser hier viel leichter zu bauen und instand zu halten. Schließlich sind wir in der Überzahl.«

»Wie viele Frühlingselfen gibt es?«

Tamani zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht genau – um die achtzig Prozent der Bevölkerung.«

»Achtzig Prozent? Echt? Und wie viele Sommerelfen?«

»Oh – ich schätze mal, so fünfzehn Prozent, wahrscheinlich ein paar mehr.«

»Oh.« Laurel fragte lieber nicht nach der Zahl der Herbstelfen; so weit konnte sie selbst rechnen. Tamani hatte ihr erzählt, dass Winterelfen am seltensten waren – oft nur eine oder einer in jeder Generation, aber auch Herbstelfen waren offenbar ziemlich selten. Unbewusst hatte Laurel wohl schon bemerkt, dass es nur wenige Herbstelfen gab – doch wie wenige, war ihr bisher nicht klar gewesen. Kein Wunder, dass sie keinen eigenen Marktplatz besaßen. Das hätte sich für sie gar nicht gelohnt …

Die Häuserreihen wurden immer dichter und jetzt wimmelte es von Elfen. Einige trugen Handschuhe und hatten Gartengeräte bei sich, die teilweise recht merkwürdig aussahen, obwohl sich Laurel wegen der Leidenschaft ihrer Mutter für Pflanzen ganz gut auskannte. Andere Elfen waren vor dem Haus mit Waschen beschäftigt – Wäsche allerdings, die bestimmt nicht ihre eigene war, dazu war sie zu fein. Laurel sah mit Essen beladene Karren – Früchte und rohes Gemüse, aber auch vorbereitete Mahlzeiten, die in Wein- oder riesige Blütenblätter gewickelt waren, deren Duft von fern an Gardenien erinnerte.

Ein Frühlingself, der es ziemlich eilig hatte, trug eine Art Hirtenstab bei sich, an dessen Griff ein kleiner Topf hing. Mindestens ein Dutzend Fläschchen und Phiolen baumelten an Bändern quer über seiner Brust. Laurel blickte fragend über ihre Schulter zu Tamani, der lächelte und mit dem Finger nach vorn zeigte.

Laurel drehte sich um und merkte, wie das leise Murmeln der Menge plötzlich lauter und lebendiger wurde. Aber erst als sie die Wolke schwirrender Insekten, die aus dem Nichts aufzutauchen schien, erblickte, verstand sie das Geräusch. Gleich darauf fand sie sich von summenden Bienen umzingelt – und verkniff sich einen Schrei.

So schnell, wie sie gekommen waren, so schnell verschwanden sie auch wieder. Laurel sah dem Schwarm nach, der dem Frühlingselfen mit dem Hirtenstab folgte und rasch in der Menge verschwand. Sie erinnerte sich, gelesen zu haben, dass Tiere, Insekten und »andere niedere Lebensformen« durch Gerüche beeinflusst, ja kontrolliert werden konnten. Einen Augenblick lang überlegte sie, warum man in einer Pflanzengesellschaft Bienen züchtete, doch sie wurde abgelenkt, weil Tamani sie auslachte.

»Tut mir leid«, gluckste er belustigt. »Aber dein Gesicht hättest du sehen sollen.«

Normalerweise wäre Laurel sauer geworden, doch wahrscheinlich war ihr Gesichtsausdruck tatsächlich ziemlich dämlich gewesen. »Sind wir noch richtig hier?«, fragte sie, als wäre nichts passiert.

»Ja – ich sage dir Bescheid, wenn wir abbiegen müssen.«

»Wir sind jetzt im Frühlingsviertel, oder? Warum gehst du dann immer noch hinter mir her? Ich fühle mich so allein.«

»Entschuldige bitte«, sagte Tamani angespannt. »So ist es hier nun mal. Man geht hinter einer Elfe, die mehr als einen Rang über einem steht.«

Als Laurel anhielt, wäre Tamani beinahe mit ihr zusammengestoßen. »Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.« Sie drehte sich zu ihm um. »Da mache ich nicht mit!«

Tamani seufzte. »Du kannst dir deine Prinzipien wahrscheinlich leisten – ich nicht.« Er blickte in die Menge und sagte schließlich leise: »Wenn ich es nicht tue, bekommst nicht du Ärger, sondern ich.«

Laurel wollte nicht aufgeben, doch dass Tamani für ihre Ideale bestraft wurde, konnte sie auch nicht zulassen. Sie sah seine niedergeschlagenen Augen – und ging weiter. Allmählich wurde ihr bewusst, was für eine Ausnahme sie hier war – viel mehr noch als im Sommerviertel. Abgesehen davon, dass die Elfen Arbeitsgeräte der verschiedenen Handwerke mit sich herumtrugen, sah hier jedermann aus … nun ja – wie Tamani. Alle trugen einfache Leinenkleidung – meistens Kniehosen oder wadenlange Röcke. Aber wie alle Elfen sahen auch sie attraktiv und gepflegt aus. Statt wie typische Vertreter einer Arbeiterklasse – mit verhärmten Gesichtern und schäbiger Kleidung – wirkten die Frühlingselfen eher wie Schauspieler, die Arbeiter spielten.

Weniger angenehm war, dass jeder, der sie sah, zu reden aufhörte, lächelte und sich genauso verbeugte wie Tamani, als er sie in der Akademie abgeholt hatte. Erst wenn sie an ihnen vorbeigegangen waren, setzten die Elfen ihre Gespräche fort. Einige grüßten Tamani und wollten etwas sagen. Doch mit einer Handbewegung brachte er die meisten zum Schweigen. Nur ein Wort drang wiederholt an Laurels Ohr.

»Was ist ein Mixer?«, fragte sie, als niemand sie hören konnte.

Tamani zögerte. »Das ist ein bisschen merkwürdig, dir das zu erklären.«

»Dann gib dir keine Mühe – mir merkwürdige Dinge zu erklären, wäre ja was ganz Neues.«

Das brachte ihn zum Lächeln. »Wir Frühlingselfen haben gewisse Geheimnisse«, sagte er ausweichend.

»Na komm schon«, bat sie und fuhr stichelnd fort. »Sag’s mir oder ich gehe neben dir!«

Als er nicht gleich antwortete, verlangsamte sie ihren Schritt, entwand sich mit einer schnellen Drehung seiner Hand und stellte sich direkt neben ihn.

»Schon gut«, flüsterte er und schob sie erneut sanft vor sich her. »Mixer sind Herbstelfen. Nicht dass es ein Schimpfwort wäre oder Ähnliches«, fügte er schnell hinzu. »Eher eine Art Spitzname. Aber das würden wir ihnen nie ins Gesicht sagen.«

»Mixer?« Laurel probierte das Wort aus; es fühlte sich gar nicht schlecht an. »Weil wir etwas herstellen und zusammenbrauen«, lachte sie. »Das passt.«

Tamani zuckte die Achseln.

»Und wie nennt ihr die Sommerelfen?«

Nun zuckte er leicht zusammen. »Funkler.«

Als Laurel lachte, blickten einige lebhaft gekleidete Frühlingselfen in ihre Richtung, bevor sie sich – ein bisschen zu auffällig – wieder ihrer Arbeit zuwandten. »Und Winterelfen?«

Tamani schüttelte den Kopf. »Die würden wir nie auf die Schippe nehmen. Niemals.«

»Und wie nennt ihr euch selbst?«

»Locker«, antwortete er, »das weiß jeder.«

»Vielleicht jeder in Lockerhausen«, erwiderte Laurel. »Ich kannte die Bezeichnung bisher nicht.«

Tamani prustete los, als sie »Lockerhausen« sagte.

»Nun – jetzt kennst du sie.«

»Und was bedeutet es?«

»Locker – von ›anlocken, verlocken‹. Das tun wir – jedenfalls können wir es. Aber meistens nutzen nur wir Wachtposten diese Fähigkeit.«

»Ach so«, grinste Laurel, »verstehe. Und warum nur die Wachtposten?«

»Hm«, begann Tamani unsicher, »erinnerst du dich an letztes Jahr – als ich versuchte, dich anzulocken?«

»Ja – genau, das hatte ich schon fast vergessen.« Sie drehte sich mit gespielter Wut zu ihm um. »Ich war unheimlich sauer auf dich!«

Tamani kicherte und zuckte die Achseln. »Bei dir hat es eben nicht funktioniert – weil du eine Elfe bist. Deshalb erhalten nur Wachtposten – vor allem die, die außerhalb Avalons arbeiten – überhaupt Gelegenheit, ihre Fähigkeit an Nichtelfen zu erproben.«

»Klingt nachvollziehbar.« Als ihre Neugier befriedigt war, setzte sich Laurel wieder in Bewegung. Sie spürte eine sanfte Berührung in der Taille, die sie durch die Menge geleitete.

»Hier rechts«, flüsterte Tamani. »Wir sind gleich da.«

Laurel war froh, nun in eine ruhigere Straße einzubiegen. Sie fühlte sich beobachtet und daher befangen. Vielleicht hätte sie den Verkäufer doch bitten sollen, den Haarschmuck in eine Schachtel zu packen. Hier trug niemand etwas annähernd Luxuriöses. »Sind wir schon da?«

»Da vorn«, antwortete Tamani mit einer Handbewegung. »Das Haus mit den großen Blumenkästen.«

Sie kamen zu einem hübschen Häuschen, das aus einem ausgehöhlten Baum entstanden war. Laurel hatte noch nie so einen Baum gesehen. Statt eines dicken Stammes, der in die Höhe wuchs, war dieser breit und rund gewachsen wie ein riesiger hölzerner Kürbis. Nur oben lief er wieder zusammen und wuchs weiter in die Höhe. Die Äste und Blätter spendeten dem Haus Schatten. »Wieso wächst der so komisch?«

»Zauberei. Dieses Haus war ein Geschenk der Königin an meine Mutter. Winterelfen können Bäume ganz nach ihren Wünschen wachsen lassen.«

»Und warum hat die Königin deiner Mutter etwas geschenkt?«

»Als Dankeschön für jahrelange besondere Dienste – als Gärtnerin.«

»Als Gärtnerin? Ich dachte, hier gibt es massenhaft Gärtner?«

»Oh nein – das ist eine ganz besondere Aufgabe. Weiter können es Frühlingselfen kaum bringen.«

»Echt jetzt?«, fragte Laurel skeptisch. Allein rund um die Akademie hatte sie schon Dutzende von Gärtnern gesehen.

Tamani sah sie zweifelnd an, aber dann dämmerte es ihm und seine Miene hellte sich auf. »Sie lassen sich mit menschlichen Gärtnern nicht vergleichen; die nennen wir Hüter – und es stimmt, davon gibt es hier viele. Bei euch wäre meine Mutter wahrscheinlich … eine Hebamme.«

»Eine Hebamme?«

Wenn Tamani die Frage gehört hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Er klopfte an die Eschentür des merkwürdigen Baumhauses und öffnete sie, ohne auf Antwort von drinnen zu warten. »Hallo – ich bin da.«

Ein Aufschrei war zu hören und gleich darauf wickelte sich ein bunter flatternder Rock um Tamanis Beine. »Meine Güte, was ist das denn?« Er entwirrte das Knäuel zu seinen Füßen und hob die junge Elfe hoch über seinen Kopf. »Was ist das bloß? … Ah, ich weiß, eine Blume namens Rowen!« Die Kleine schrie begeistert auf, als Tamani sie an seine Brust drückte.

Das kleine Mädchen schien kaum älter als ein Baby zu sein, vielleicht ein Jahr alt, aber es lief schon sicher. Die Augen verrieten Intelligenz und – wie Laurel fand, ohne dass sie hätte sagen können, warum – Übermut.

»Warst du heute brav?«, fragte Tamani.

»Und ob«, antwortete das Elfenkind und klang älter, als Laurel erwartet hätte. »Ich bin immer brav.«

»Bestens.« Sein Blick wanderte ins Hausinnere. »Mutter? «, rief er.

»Tam! Was für eine Überraschung! Ich wusste nicht, dass du heute kommst.«

Laurel war auf einmal ganz verschüchtert, als sie die ältere Elfe auf sich zukommen sah. Sie hatte, wie Laurel selbst auch, blassgrüne Augen und ein schönes Gesicht mit nur wenigen Falten. Während sie Tamani anstrahlte, schien sie Laurel, die noch halb in der Tür stand, nicht zu bemerken.

»Bis heute Morgen wusste ich es auch noch nicht.«

»Unwichtig«, sagte die Frau, nahm Tamanis Gesicht in beide Hände und küsste seine Wangen.

»Ich habe jemanden mitgebracht«, sagte er plötzlich viel leiser.

Die Frau wandte sich Laurel zu und für einen Moment verfinsterte sich ihr Blick. Dann kam die Erinnerung zurück und sie lächelte. »Laurel. Nun schau sich das einer an, du hast dich kaum verändert.«

Laurel lächelte zurück, doch ihre Miene wurde finster, als Tamanis Mutter den Kopf neigte und sich tief verbeugte.

Tamani hatte wohl gemerkt, wie Laurel sich verkrampfte, denn er drückte die Hand seiner Mutter und sagte: »Laurel hat heute schon genug Formalitäten aushalten müssen. In diesem Haus sollte sie ganz sie selbst sein dürfen.«

»Umso besser.« Tamanis Mutter kam lächelnd auf Laurel zu, nahm ihr Gesicht, wie zuvor das ihres Sohnes, in die Hände und küsste ihr beide Wangen.

»Herzlich willkommen.«

Laurel kamen die Tränen. So herzlich hatte sie in Avalon bisher niemand begrüßt – außer Tamani. Sofort vermisste sie ihre eigene Mutter. »Danke schön«, sagte sie zaghaft.

»Komm rein, komm rein – kein Grund, noch länger in der Tür stehen zu bleiben.« Tamanis Mutter scheuchte die beiden ins Haus. »Und da wir dabei sind, auf Formalitäten zu verzichten – nenn mich einfach Rhoslyn.«