48. Kapitel

 

Auf dem Weg zu Ellens Haus gab Ryan kräftig Gas. Er wusste, dass er viel zu schnell fuhr, aber das interessierte ihn momentan nicht. Er konnte nur daran denken, in welcher Gefahr Tess schwebte.

Wenn er recht hatte und Shannon wirklich für all die Morde verantwortlich war, hatte sie sicherlich keine Skrupel, einen Mitwisser aus dem Weg zu räumen, selbst wenn es sich dabei um eine langjährige Freundin handelte. Aber das waren Joanna und Millie schließlich auch gewesen. Tess wusste eindeutig zu viel, auch wenn sie im Augenblick noch Justin für den Täter hielt.

In diesem Moment war er froh, dass Shadow Lake ein so kleiner Ort war. Weite Wege gab es hier nicht. Zu Ellens Haus würde er nur ein paar Minuten brauchen.

Er hoffte inständig, dass Shannon sich verspätet hatte und vielleicht noch gar nicht bei Tess angekommen war. Doch als er den Wagen um die Kurve lenkte, hinter der Ellens Haus stand, sah er bereits ein fremdes Auto, das hinter dem Wagen von Tess geparkt war. Also war Shannon vermutlich schon da. Alle Gedanken daran, dass Shannon eventuell auch Susannah umgebracht haben könnte, rückten in diesem Augenblick in den Hintergrund. Jetzt zählte nur, dass Tess nichts zustieß.

Er stellte den Wagen vor Tess` weißem VW ab, stieg aus und rannte zum Haus. Die Haustür war geschlossen. Er überlegte, ob er klingeln oder anklopfen sollte. Aber was war, wenn Shannon Panik bekam und Tess sofort etwas antat?

Es war sicher besser, sich erst einmal einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Daher lief er ums Haus herum zum Wohnzimmerfenster. In der Scheibe klaffte noch immer das Loch, das der Pflasterstein mit der unfreundlichen Botschaft hineingeschlagen hatte. Ryan fragte sich, ob das ebenfalls Shannons Werk gewesen war.

Eigentlich ist das aber auch egal, entschied er dann. Es gab jetzt wirklich Wichtigeres.

Leider waren die Vorhänge vor dem Wohnzimmerfenster zugezogen, sodass Ryan nicht sehen konnte, was im Inneren des Hauses vorging. Er streckte sich und griff vorsichtig durch das Loch in der Fensterscheibe. Dabei schnitt er sich an den scharfkantigen Rändern des Glases das Handgelenk auf. Blut lief ihm über den Arm und sickerte in den Ärmel seiner Jacke, aber er bemerkte es kaum. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, die Vorhänge so unauffällig wie möglich auseinanderzuschieben.

Mit einiger Mühe und noch mehr Schnittwunden im Arm schaffte er es schließlich, die eine Seite des Vorhangs ein Stück zur Seite zu bekommen, sodass ein schmaler Spalt entstand, durch den er ins Innere des Hauses sehen konnte. Er streckte den Kopf so weit wie möglich ans Glas heran und ließ seinen Blick durch Ellens Wohnzimmer schweifen. Er suchte das Sofa ab, aber da war Tess nicht. Auch am Esstisch konnte er niemanden entdecken.

Doch dann sah er etwas im Sessel. Es war nicht leicht zu erkennen, da der Sessel seitlich zu ihm stand. Aber als er genauer hinsah, sah er einen Kopf, der leicht angewinkelt und nach hinten geneigt auf der Sessellehne lag. An den kurzen schwarzen Haaren erkannte er sofort, dass es sich um Tess handeln musste. Sie schien bewusstlos zu sein, und über ihrem Mund klebte ein breiter Streifen Klebeband. Auch ihre Füße, die neben dem Sessel hervorlugten, waren mit Klebeband gefesselt.

Ryan merkte, dass sich in ihm alles zusammenkrampfte. Hoffentlich war er nicht zu spät gekommen! Er machte sich schon jetzt schwere Vorwürfe, dass er Tess hatte allein zu dem Treffen mit Shannon gehen lassen. Wie hatte er nur so dumm sein können?

Allein bei dem Gedanken daran, dass Tess diesen Wahnsinn nicht überleben könnte, wurde er fast verrückt. Das könnte er sich niemals verzeihen.

Suchend sah er sich noch einmal durch den Spalt zwischen den Vorhängen in Ellens Wohnzimmer um. Er wunderte sich, dass er Shannon nirgendwo entdeckte. Sie musste eigentlich noch im Haus sein.

Er reckte noch einmal den Kopf, sodass er auch die Seite des Raumes sehen konnte, die vorher verdeckt gewesen war, aber auch da war Shannon nicht zu sehen.

Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich. Es war ein leises Knacken, als wäre jemand auf einen dünnen trockenen Zweig getreten, der auf dem Rasen lag.

Ruckartig fuhr er herum, aber es war schon zu spät. Er spürte nur noch etwas Hartes, Schweres, das ihn am Kopf traf. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, dann wurde es rings um ihn herum dunkel.

See der Schatten - Kriminalroman
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