43. Kapitel

 

Tess hatte die Hand vor den Mund gepresst und starrte Ryan wortlos an, als er das Gespräch beendete. Sie war schreckensbleich im Gesicht. »Das gibt es doch nicht«, murmelte sie dann fassungslos. »Das ist doch nicht möglich.«

»Ich fürchte doch«, gab Ryan leise zurück. Er holte einmal tief Luft. »Inzwischen kann ich jedenfalls nicht mehr an einen Zufall glauben.« Er sah Tess ernst an. »Jede der Frauen auf der Liste hatte eine Verbindung zu Justin Ciprati. Ich denke, es wird Zeit, dass wir mit dem Sheriff sprechen.«

Tess verzog unglücklich das Gesicht. »Ich kann trotzdem nicht glauben, dass Justin etwas mit den Morden zu tun hat. Er ist so ein sympathischer Mensch.« Sie blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten, die ihr in die Augen gestiegen waren.

Ryan legte tröstend die Hand auf ihren Unterarm. »Ich weiß, dass du ihn magst, aber es spricht nun mal alles gegen ihn. Wir müssen unbedingt die Polizei informieren. Das ist jetzt nicht mehr nur unsere Angelegenheit.«

»Ich weiß.« Tess nickte bekümmert. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Heute ist im Büro des Sheriffs nur noch die Notbesetzung da. Lass uns morgen früh zusammen hingehen und alles erzählen, was wir herausgefunden haben, okay?«

»Okay. Ich denke, das wird ein hartes Stück Überzeugungsarbeit werden, damit uns überhaupt einer ernst nimmt, aber gemeinsam schaffen wir das schon.« Ryan lächelte sie aufmunternd an. »Möchtest du jetzt endlich dein Sandwich essen?«, fragte er und schob ihr den Teller hin, auf dem das appetitlich angerichtete Essen lag.

Tess schüttelte den Kopf. »Mir ist der Appetit erstmal vergangen«, erklärte sie. Dann aber stutzte sie plötzlich und kniff die Augen zusammen. »Shannon!«, brachte sie schließlich hervor.

Verwirrt sah Ryan sie an. »Was ist los? Was meinst du?«

»Shannon«, wiederholte Tess bestürzt. »Ich muss sie unbedingt warnen. Sie ist immer noch meine Freundin, auch wenn wir lange keinen Kontakt mehr hatten. Sie ist vielleicht mit einem Serienmörder verheiratet und hat keine Ahnung davon.«

»Ich glaube nicht, dass das eine besonders gute Idee ist«, wandte Ryan in skeptischem Tonfall ein, aber Tess hörte nicht auf seinen Widerspruch.

»Stell dir vor, sie fängt an, ihm Fragen wegen Millie zu stellen. Vielleicht bringt er sie dann auch um. Das kann ich auf keinen Fall zulassen.« Noch bevor Ryan etwas dagegen sagen konnte, nahm sie ihr Handy, suchte im Adressspeicher nach Shannons Nummer und rief ihre alte Schulfreundin an.

Sie hatte Glück. Schon nach dem zweiten Klingeln nahm Shannon ab.

»Oh, hallo Tess. Freut mich, von dir zu hören«, sagte Shannon, nachdem Tess sich gemeldet hatte. »Wie geht es dir denn?«

»Ich muss ganz dringend etwas mit dir besprechen, am besten allein. Geht das?«, begann Tess ohne Umschweife.

Shannon zögerte einen Moment. »Geht es um Millie?«, fragte sie vorsichtig.

»Das auch«, gab Tess vage zurück. »Aber ich möchte das ungern am Telefon erzählen. Können wir uns treffen?«

Eine Weile herrschte am anderen Ende der Leitung Stille.

»Ja klar«, antwortete Shannon dann. Tess hatte das Gefühl, dass ihre Freundin angestrengt nachdachte, bevor sie fortfuhr: »Ich habe noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen, aber das dauert nicht lange. Was hältst du davon, wenn ich anschließend zum Haus von deiner Tante komme? Dann können wir ganz in Ruhe quatschen. Justin hat heute und morgen noch mehrere Geschäftstermine und bleibt über Nacht in Portland. Wir haben also so viel Zeit, wie wir wollen.«

Tess atmete erleichtert auf. Das war leichter gewesen, als sie erwartet hatte. »Ja, gern«, entgegnete sie. »So machen wir` s. Bis nachher dann.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, musterte Ryan sie skeptisch. »Ich glaube nicht, dass du Shannon einweihen solltest. Vielleicht kommt sie dann auf die Idee, Justin zu warnen«, wandte er ein.

»Nein, das würde sie nie tun.« Tess schüttelte entschieden den Kopf. »Nicht bei dem, was wir ihm vorwerfen. Ich weiß, dass sie ihn liebt, aber so weit würde sie nicht gehen.«

Ryan Gesicht war anzusehen, dass er davon nicht überzeugt war. »Dann lass uns wenigstens zusammen mit ihr treffen. Vielleicht können wir sie gemeinsam überzeugen, das Richtige zu tun.

Einen Moment lang überlegte Tess. Sie war nicht gerade erpicht darauf, jetzt im Dunkeln noch einmal allein ins Haus ihrer Tante zu gehen. Dann aber sagte sie: »Das geht nicht. Ich muss allein mit Shannon sprechen. Es wird schon so schwer genug für sie, ohne dass ein Wildfremder dabei ist. Wenn du mitkämst, würde sie wahrscheinlich alles sofort abblocken.«

Ryan nickte. »Vermutlich hast du recht«, seufzte er schließlich.

Tess stand auf und schnappte sich ihre Jacke. »Am besten mache ich mich gleich auf den Weg. Ich will ja nicht, dass Shannon wieder geht, weil ich noch nicht da bin, wenn sie zu Ellens Haus kommt.«

»Warte.« Ryan hielt sie am Arm zurück. Als Tess sich zu ihm umdrehte, zog er sie ganz nah zu sich heran, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie. Dann sah er sie eindringlich an. »Versprich mir, dass du vorsichtig bist, ja?«

See der Schatten - Kriminalroman
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