Kapitel 26

In diesem Winter ging ich kein einziges Mal zum Riff. Ich lebte von meinen Vorräten und verließ das Haus nur, um an der Quelle frisches Wasser zu holen. Es war ein Winter mit stürmischen Winden und Regen und wildem Wasser, das an den Klippen zerschellte, sodass ich ohnehin nicht oft ausgegangen wäre, selbst wenn Rontu noch gelebt hätte. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich aus gekerbten Zweigen vier Schlingen herstellte. Einmal, im Sommer, als ich den Ort aufsuchte, wo die SeeElefanten lebten, hatte ich einen jungen Hund gesehen, der Rontu glich. Er lief mit einem der beiden wilden Rudel, und obgleich ich nur einen Blick auf ihn erhaschen konnte, wusste ich bestimmt, dass er Rontus Sohn war. Er war größer als die anderen Hunde und hatte ein dickeres Fell und seine Augen waren gelb und er lief auf die gleiche geschmeidige Art wie Rontu. Im Frühling wollte ich ihn mit den Schlingen, die ich angefertigt hatte, fangen. Die wilden Hunde kamen nun wieder häufig auf das Hochland, nachdem Rontu gestorben war, und als die schlimmsten Stürme nachließen, legte ich die Schlingen vor den Zaun, mit Fischen als Lockspeise. Schon das erste Mal fing ich mehrere Hunde, aber der Hund mit den gelben Augen befand sich nicht darunter, und da ich nicht wagte, mich mit den gefangenen Tieren zu befassen, musste ich sie wohl oder übel wieder laufen lassen. Ich fertigte weitere Schlingen an und setzte auch diese. Die wilden Hunde kamen wieder, doch sie rührten die Fische nicht an. Ich fing nur eine kleine rote Füchsin. Sie biss mich, als ich sie aus der Schlinge befreite, überwand jedoch bald ihre Scheu und lief mir, um Abalonen bettelnd, auf Schritt und Tritt nach. Sie war eine abgefeimte Diebin. Wann immer ich mich vom Hause entfernte machte sie sich an meine Vorräte heran; wie gut ich diese auch verstecken mochte, sie fand stets Mittel und Wege, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Schließlich brachte ich sie in die Schlucht zurück. Das hinderte sie jedoch nicht, in den Nächten um mein Haus zu streichen und am Zaun zu kratzen, damit ich ihr Futter brächte. Ich konnte den jungen Hund nicht mit einer Schlinge fangen und wollte meinen Plan gerade aufgeben, als mir das Toluachekraut einfiel, mit welchem wir bisweilen in den Tümpeln fischten. Es war eigentlich kein Gift, aber wenn man es ins Wasser streute, drehten sich die Fische auf den Rücken und ließen sich treiben. Ich erinnerte mich an dieses Kraut und fand auch welches an einer bestimmten Stelle am anderen Ende der Insel. Ich brach es in kleine Stücke, die ich in den Bach warf, wo die wilden Hunde zu trinken pflegten. Ich wartete einen ganzen Tag. Am Abend kam das Rudel an den Bach. Es trank, bis jeder Hund seinen Durst gestillt , hatte, doch es geschah nichts, oder nicht viel. Die Hunde tollten eine Zeit lang umher, während ich sie vom Gestrüpp aus beobachtete; dann trotteten sie davon. Nun kam mir ein anderes Betäubungsmittel in den Sinn. Xuchal, das einige Männer unseres Stammes benutzten und das aus zerkleinerten Meermuscheln und wildem Tabak hergestellt wird. Ich bereitete davon eine große Schale voll zu, indem ich das Pulver mit Wasser mischte, und leerte es in die Bachtränke. Darauf versteckte ich mich im Gestrüpp und wartete. Die Hunde kamen, als die Sonne unterging. Sie schnupperten am Wasser, wichen zurück, schauten einander an; endlich begannen sie zu trinken. Bald darauf sah ich, wie sie im Kreise umherliefen. Und plötzlich legten sich alle nieder und schliefen ein. Es waren neun Hunde, die da schlafend am Bach lagen. In dem schwachen Licht konnte ich sie kaum voneinander unterscheiden, doch nach einer Weile fand ich den, den ich mitnehmen wollte. Er schnarchte, als hätte er eben eine große Mahlzeit verzehrt. Ich hob ihn auf und lief, so schnell ich konnte, die Klippe entlang nach Haus, voll Angst, er könnte unterwegs aufwachen. Ich zog ihn durch das Loch unterm Zaun, band ihn an einen Pfahl und stellte Futter und frisches Wasser vor ihn hin. Nicht lange danach stand er schon wieder auf den Füßen und kaute an dem Riemen, mit welchem ich ihn festgebunden hatte. Er heulte und lief auf dem Platz hin und her, während ich mein Essen kochte. Er heulte die ganze Nacht, doch in der Frühe, als ich das Haus verließ, schlief er fest. Während er dort am Zaun lag und schlief, dachte ich mir verschiedene Namen für ihn aus. Ich versuchte es zuerst mit diesem, dann mit jenem, indem ich jeden laut vor mich hersagte. Da er seinem Vater so ähnlich sah, nannte ich ihn schließlich “Rontuaru”, das heißt Sohn des Rontu. Nach kurzer Zeit waren wir Freunde. Er war nicht so groß wie Rontu, aber er hatte das dicke Fell seines Vaters und dessen gelbe Augen geerbt. Oft, wenn ich sah wie er die Möwen von der Landzunge verjagte oder die Otter vom Riff herab anbellte, vergaß ich, dass er nicht Rontu war. Wir verbrachten viele glückliche Tage in jenem Sommer, wir fischten oder wir fuhren in unserem Kanu zum Hohen Felsen, aber ich dachte jetzt mehr und mehr an Tutok und an meine Schwester Ulape. Manchmal hörte ich ihre Stimmen im Wind oder, wenn ich auf dem Meer war, in den Wellen, die sachte an mein Kanu stießen.