Kapitel 23

Die Jäger ließen viele verwundete Otter zurück. Einige trieben an Land, wo sie verendeten, andere tötete ich mit meinem Speer, weil sie Schmerzen hatten und nicht weiterleben konnten. Ich fand jedoch einen jungen Otter, der nicht schwer verletzt war. Er lag auf einer Salzkrautbank, und wenn Rontu nicht gebellt hätte, wäre ich achtlos an ihm vorbeigepaddelt. Eine Salzkrautsträhne schlang sich um seinen Körper. Ich dachte erst, der Otter schlafe, denn ich hatte schon oft gesehen, wie die Otter sich zum Schlafen auf diese Weise festbinden, um nicht fortgeschwemmt zu werden. Dann aber sah ich die klaffende Wunde an seinem Rücken. Der Otter machte keinen Versuch davonzuschwimmen, als ich nahe an ihn heranfuhr und mich seitlich aus dem Kanu beugte. Otter haben große Augen, besonders wenn sie jung sind, die Augen dieses Tieres aber waren so groß von Angst und Schmerzen, dass ich mein Spiegelbild in ihnen sehen konnte. Ich schritt das Salzkraut von seinem Körper und nahm ihn mit zu einem stillen Fluttümpel hinter dem Riff. Nach dem Sturm hatte sich das Meer geglättet und ich fing zwei Fische beim Riff. Ich achtete darauf, sie lebend zu fangen, denn Otter fressen keine toten Dinge. Ich warf die Fische in den Tümpel. All dies geschah am frühen Morgen. Am Nachmittag kehrte ich zum Tümpel zurück. Die beiden Fische waren verschwunden und der Otter lag schlafend auf dem Rücken im Wasser. Es war nutzlos, seine Wunden mit Kräutern zu behandeln; im salzigen Meerwasser würden sie am ehesten heilen und die Kräuter wären ohnehin gleich wieder fortgeschwemmt worden. Jeden Tag fing ich zwei Fische, die ich in den Tümpel warf. Der junge Otter fraß nichts, solange ich dabeistand und ihm zuschaute. Später brachte ich vier Fische täglich, die ebenfalls verschwanden, und zum. Schluss brachte ich sechs. Das schien die richtige Zahl zu sein. Ich fischte jeden Tag, bei schönem und bei stürmischem Wetter. Der Otter wuchs zusehends und seine Wunde begann zu heilen, doch er blieb im Tümpel und jetzt wartete er jedes Mal auf mich, wenn ich kam, und nahm mir den Fisch aus der Hand. Der Tümpel war nicht groß. Der Otter hätte leicht ins offene Meer hinausschwimmen können. Aber er blieb und schlief oder wartete, bis ich mit seinem Fressen kam. Er war jetzt so lang wie mein Arm und hatte ein spiegelglattes, schimmerndes Fell. Seine lange Nase endete in einer Spitze und darunter wuchs ein dichter Schnauzbart. Er hatte die größten Augen, die ich je gesehen habe. Sie beobachteten mich die ganze Zeit, während ich mich am Tümpel aufhielt, sie folgten mir, was immer ich tat, und wenn ich etwas sagte, verdrehten sie sich auf eine sehr komische Art. Und doch verspürte ich einen sonderbaren Schmerz in der Kehle, wenn ich dies sah. Die Augen waren fröhlich und traurig zugleich. Lange nannte ich ihn einfach Otter, wie ich Rontu einst Hund genannt hatte. Dann beschloss ich, ihm einen Namen zu geben. Ich nannte ihn Mon-a-nee, das bedeutet “kleiner Junge mit großen Augen”. Es war anstrengend, jeden Tag sechs Fische zu fangen, besonders wenn ein starker Wind wehte und die Wellen hoch gingen. Einmal, als ich nur zwei Fische fangen konnte und sie in den Tümpel warf, verschlang Mon-a-nee sie hastig und wartete auf mehr. Als er sah, dass dies alles war, was ich besaß, schwamm er im Kreise umher und schaute mich vorwurfsvoll an. Am folgenden Tag gingen die Wellen so hoch, dass ich selbst bei Ebbe nicht auf dem Riff fischen konnte, und da ich nicht mit leeren Händen zum Tümpel gehen wollte, ließ ich es bleiben. Drei Tage vergingen, ehe ich wieder Fische fing, und als ich zum Tümpel kam, war Mon-a-nee nicht mehr da. Ich hatte gewusst, dass er eines Tages fortgehen würde, aber es tat mir leid, dass er ins Meer zurückgeschwommen war und dass ich nun nie mehr Fische für ihn fangen konnte. Ich würde ihn auch nicht wiedererkennen, wenn ich ihn im Salzkraut sah, denn jetzt war er ausgewachsen und seine Wunde war verheilt und er sah aus wie alle anderen Otter. Bald nachdem die Aleuter fortgegangen waren, kehrte ich in mein Haus zurück. Außer dem Zaun, den ich sogleich ausbesserte, war nichts beschädigt worden und nach wenigen Tagen sah es im Hause wieder wie früher aus. Das Einzige, worüber ich mir Sorgen machte, waren die Abalonen. Ich hatte die Ernte eines ganzen Sommers fortwerfen müssen und jetzt würde ich auf das, was ich täglich erbeutete, angewiesen sein. Ich musste also an den Tagen, da ich fischen gehen konnte, so viel zu fangen versuchen, dass es auch für Zeiten reichte, in denen ich nichts fing. In den ersten Wintermonaten, bevor Mon-a-nee fortgeschwommen war, fiel mir dies bisweilen schwer. Später ging es leichter und Rontu und ich hatten immer genügend zu essen. Solange die Aleuter auf der Insel hausten, war es für mich zu gefährlich gewesen, die kleinen Sai-saiFische zu fangen und zu trocknen. Ich besaß daher eine Lampen und die Nächte in diesem Winter waren finster. Ich ging früh zu Bett und arbeitete nur am Tag. Immerhin flocht ich eine zweite Schnur für meinen Fischspeer, schnitzte eine Menge Widerhaken aus Abaloneschalen und fertigte mir sogar ein Paar Ohrringe an, die zu Tutoks Halskette passten. Die Ohrringe beschäftigten mich viele Tage lang. Ich weiß nicht, wie oft ich morgens zur Ebbezeit den Strand absuchte, bis ich endlich zwei Kieselsteine fand, die die gleiche Farbe wie die Steine an der Halskette hatten und weich genug zum Schleifen waren. Noch länger dauerte es, bis ich die Löcher in die Ohrringe gebohrt hatte, denn die Steine entschlüpften immer wieder meinen Händen; aber als ich damit fertig war und die Steine mit feinem Sand und Wasser blank gerieben und mit Häkchen aus Knochen an meinen Ohren befestigt hatte, sahen sie sehr hübsch aus. An sonnigen Tagen steckte ich sie mir an, schlüpfte in das Kormorankleid und legte mir die Halskette um und so ging ich’ mit Rontu auf den Klippen spazieren. Ich dachte oft an Tutok, besonders aber, wenn ich ihre Kette trug. Ich schaute nach Norden und wünschte, sie wäre hier und könnte mich sehen. Ich konnte sie in ihrer seltsamen Sprache reden hören und ich erfand Wörter, die ich ihr sagen oder die sie mir sagen würde.