Kapitel 24

Wieder war der Frühling eine Zeit des Blühens, das Wasser rauschte in den Schluchten und floss hinab ins Meer. Viele Vögel kamen auf die Insel zurück. Tainor und Lurai bauten sich ein Nest in dem Baum wo sie geboren waren. Sie bauten es aus trockenem Tang und Blättern und auch aus Haaren von Rontus Rücken. Sooft Rontu in diesen Tagen vors Haus trat, flogen sie herbei, und wenn er nicht hinschaute, zupften sie einen Schnabel voll Haar aus seinem Pelz und suchten damit das Weite. Dies verdross ihn sehr. Schließlich versteckte er sich vor ihnen, bis das Nest fertig war. Ich hatte recht gehabt, als ich Lurai einen Mädchennamen gab, denn sie legte gefleckte Eier und brütete mit der gelegentlichen Hilfe ihres Gatten zwei hässliche Küken aus, die sich bald zu hübschen Geschöpfen entwickelten. Ich erfand Namen für sie und stutzte ihnen die Flügel, bis sie so zahm geworden waren wie ihre Eltern. Ich fand auch eine junge Möwe, die aus einem Nest an der Klippe in die Tiefe gefallen war. Die Möwen bauen sich ihre Nester hoch oben in den Küstenfelsen und ich hatte mich oft gewundert, weshalb die Jungen, die ich bisweilen auf dem Nestrand kauern sah, nicht hinunterfielen. Doch dies geschah selten. Die Möwe, die ich fand, hatte ein weißes Gefieder und einen gelben Schnabel. Sie war nicht schwer veretzt, nur ein Bein war gebrochen. Ich nahm sie mit ins Haus und band die Knochen mit zwei kleinen Hölzern und einer Sehne zusammen. Eine Zeit lang wollte sie sich nicht auf die Füße stellen. Aber da sie noch nicht alt genug zum Fliegen war, begann sie eines Tages, doch auf dem Platz vor dem Haus herumzuhinken. Mit den jungen und den alten Vögeln, der weißen Möwe und Rontu, der mir ständig auf den Fersen blieb, herrschte ein munteres Treiben auf dem Vorplatz. Hätte ich bloß nicht so oft an Tutok denken müssen! Und an meine Schwester Ulape, wo sie wohl sein mochte und ob das Zeichen, das sie sich auf die Wangen gemalt hatte, seine Zauberkraft entfaltet hatte. Wenn ja, so war sie jetzt wohl mit Nanko verheiratet und Mutter vieler Kinder. Hätte sie alle meine Kinder sehen können, sie hätte gelacht, weil sie so ganz anders waren als die, die ich mir gewünscht hatte. Schon früh begann ich wieder Abalonen zu sammeln und ich sammelte viele, die ich auf die Klippe trug und vor dem Haus trocknen ließ. Ich wollte einen genügend großen Vorrat beisammenhaben, ehe die Aleuter kamen. Eines Tages, als ich mein Kanu auf dem Riff volllud, erblickte ich eine Otterherde im nahen Salzkraut. Die Otter jagten hintereinanderher, steckten die Köpfe ins Salzkraut, tauchten unter und kamen an einer anderen Stelle wieder hoch. Es war wie das Spiel, das wir als Kinder im Busch gespielt hatten. Ich schaute nach Mon-a-nee aus, doch einer sah aus wie der andere. Ich lud mein Kanu mit Abalonen voll und paddelte dem Festland entgegen, während einer der Otter hinter mir herschwamm. Als ich im Rudern innehielt, tauchte er unter und kam weit vor mir wieder hoch. Die Entfernung zwischen ihm und mir war groß, und doch wusste ich, wer er war. Nie hätte ich gedacht, dass ich ihn von den anderen würde unterscheiden können, aber ich wusste so bestimmt, dass es Mon-a-nee war, dass ich einen der Fische, die ich gefangen hatte, in die Höhe hielt. Otter schwimmen schnell. Ehe ich einmal atmen konnte, hatte er mir den Fisch aus der Hand geschnappt. Zwei Monde lang sah ich ihn danach nicht mehr, aber eines Morgens, als ich auf dem Riff fischte, kam er plötzlich aus dem Salzkraut geschwommen. Hinter ihm schwammen zwei kleine Otter. Sie waren nicht größer als neugeborene Hunde und sie kamen so langsam voran, dass Mon-a-nee sie von Zeit zu Zeit zur Eile antreiben musste. Die neugeborenen Seeotter können nicht schwimmen; sie müssen sich an ihre Mütter klammern. Nach und nach bringt die Mutter den Jungen das Schwimmen bei, indem sie sie mit ihren Flossen wegschiebt und dann im Kreise um sie herumschwimmt, bis sie ihr folgen. Mon-a-nee schwamm nahe an das Riff heran und ich warf einen Fisch ins Wasser. Er schnappte ihn nicht gleich, wie er es sonst zu tun pflegte; anscheinend wollte er wissen, was die Jungen damit anfangen würden. Als er sah, dass sie sich mehr für mich als für das Fressen interessierten und der Fisch davonzuschwimmen begann, packte er ihn mit seinen scharfen Zähnen und warf ihn den Jungen vor die Schnauze. Ich warf einen zweiten Fisch für Mon-anee ins Wasser, doch er tat das Gleiche wie vorher. Auch jetzt wollten die Kleinen nichts davon wissen, und als sie des Spiels endlich müde waren, schwammen sie dicht an ihren Vater heran und gruben ihm zärtlich ihre Schnauze ins Fell. Erst da erkannte ich, dass Mon-a-nee nicht ihr Vater, sondern ihre Mutter war. Die Otter paaren sich auf Lebenszeit, und wenn die Mutter stirbt, erzieht meist der Vater die Jungen, so gut er es versteht. Ein solches Schicksal hatte ich auch hinter Mon-a-nee vermutet. Ich schaute auf die kleine Familie hinunter. “Mona-nee”, sagte ich, “du musst einen neuen Namen haben. Ich werde dich Won-a-nee nennen, das passt zu dir, denn es bedeutet >das Mädchen mit den großen Augen<. ” Die jungen Otter wuchsen rasch heran und schnappten mir bald die Fische aus der Hand, aber Won-a-nee fraß lieber Abalonen. Sie ließ die Abalone, die ich ihr zuwarf, auf den Meeresgrund sinken, dann tauchte sie unter und kam, die Muschel an sich gepresst und in der Schnauze einen Stein, wieder zum Vorschein. Sie drehte sich im Wasser auf den Rücken, legte sich die Abalone auf die Brust und hämmerte mit dem Stein auf die Schale, bis diese zersprang. Dies brachte sie auch den Jungen bei. Ich saß bisweilen einen ganzen Morgen lang auf dem Riff und sah zu, wie die drei die harten Muscheln auf ihrer Brust zertrümmerten. Hätten nicht alle Otter die Abalone auf diese Weise gefressen, so hätte ich es für ein Spiel gehalten, das Won-a-nee mir zuliebe erfunden hat. Doch sie taten es alle und ich wunderte mich darüber und wundere mich heute noch. Nach jenem Sommer, nach meiner Freundschaft mit Won-a-nee und ihren Jungen, brachte ich nie mehr einen Otter um. Ich besaß einen Umhang aus Otterfell und ich trug ihn, bis er alt und schäbig geworden war, doch danach nähte ich mir nie wieder einen neuen. Ich tötete auch keine Kormorane mehr um ihrer schönen Federn willen, wenngleich sie lange, dünne Hälse haben und hässliche Laute von sich geben, wenn sie miteinander schwatzen. Ich tötete auch keine Robben wegen ihrer Sehnen, sondern benutzte Salzkraut, wenn ich etwas zusammenbinden musste. Ich tötete auch keinen wilden Hund mehr und versuchte kein zweites Mal, einen SeeElefanten mit dem Speer zu erlegen. Ulape hätte mich ausgelacht, auch andere hätten gelacht - am meisten mein Vater. Dennoch konnte ich nicht mehr anders empfunden für Tiere, die meine Freunde geworden waren, und auch für die, die es nicht waren, aber es noch werden konnten. Selbst wenn Ulape und mein Vater und alle anderen zurückgekommen wären und mich ausgelacht hätten, ich hätte nicht anders empfinden können; denn Tiere und Vögel sind wie Menschen, mögen sie auch nicht die gleiche Sprache sprechen oder die gleichen Dinge tun wie wir. Ohne sie wäre die Erde ein freudloser Ort.