Kapitel 13

In der Nacht, ehe ich meinen Plan ausführte, fand ich nicht viel Schlaf. Wieder und wieder dachte ich an das Gesetz, das den Frauen die Herstellung von Waffen verbot. Was würde geschehen, wenn mein Pfeil plötzlich von seiner Bahn abschwenkte? Oder wenn er an der dicken Haut des Elefanten abprallte? Oder wenn der Bulle mich angriffe? Ich stellte mir vor, wie ich mich verwundet nach Hause schleppen und wie die wilden Hunde gerade in diesem wehrlosen Augenblick über mich herfallen würden. Bis zum Morgengrauen sann ich über diese Dinge nach, aber als die Sonne aufging, war ich schon unterwegs zum Tummelplatz der SeeElefanten. Als ich zur Klippe kam, sah ich, dass die Tiere das Riff verlassen und sich am Strand zusammengeschart hatten. Die Bullen hockten wie graue Felsklumpen im Geröll, das den unteren Teil des Abhangs bedeckte. Die Kühe und ihre Kleinen wälzten sich im seichten Wasser. Vielleicht ist es nicht richtig, von “Kleinen” zu sprechen, denn schon ein sehr junger SeeElefant ist so groß wie ein ausgewachsener Mann. Andererseits gleicht er in vielem einem kleinen Kind. In der ersten Zeit ihres Lebens bleiben die jungen Tiere ihren Müttern dicht auf den Fersen. Sie watscheln auf ihren Flossen daher wie Kinder, die ihre ersten Schritte versuchen. Sie geben weinerliche und freudige Laute von sich, ganz wie kleine menschliche Geschöpfe. Und wenn sie zum ersten Mal den festen Boden verlassen müssen, um schwimmen zu lernen, stoßen und schieben ihre Mütter sie ins Meer, was bei ihrer Größe ein ordentliches Stück Arbeit bedeutet. Die Bullen saßen in einem gewissen Abstand voneinander entfernt, denn sie sind von Natur bösartig, eifersüchtig und immer gleich bereit, Streit anzufangen, wenn ihnen etwas nicht passt. Es waren ihrer sechs, die da am Abhang hockten, jeder für sich allein, jeder wie ein großer Häuptling, der ein scharfes Auge auf seine Familie hält. Die Elefantenkuh hat ein glattes Fell und einen Kopf wie eine Maus, mit spitzer Nase und Schnurrbarthaaren. Der Bulle ist ganz anders. Seine Nase wölbt sich wie ein riesiger Buckel über den Kiefern, ein Fell ist rau und von einer Farbe, die an ausgerissige Erde erinnert. Alles in allem ist er ein hässliches Tier. Vom Rand der Klippe aus betrachtete ich der Reihe nach alle Elefantenbullen und versuchte herauszufinden, welcher von ihnen der kleinste war. Sie hatten alle ungefähr die gleiche Größe bis auf einen, der ganz außen, von einem Felsblock halb verdeckt, im Geröll hockte. Er musste noch sehr jung sein, etwa halb so groß wie die anderen Bullen. Im Wasser unter ihm spielten weder Kühe noch Kälber, woraus ich schloss, dass er noch keine eigene Herde besaß. Und das bedeutete, dass er nicht so arglistig war und auch nicht so schnell in Wut geriet wie seine älteren Artgenossen. Ich ließ mich so lautlos wie möglich über den Rand der Klippe fallen. Um zu dem jungen Bullen zu gelangen, musste ich hinter den anderen vorbeischlüpfen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Die Bullen lassen sich durch nichts erschrecken und würden sich kaum bewegen, wenn sie mich sahen, dennoch hielt ich es für besser, ihre Nähe zu meiden. Ich hatte meinen neuen Bogen bei mir und fünf Pfeile. Der Bogen war fast so groß wie ich selbst. Vorsichtig bewegte ich mich den schmalen Pfad hinunter. Bei jedem Schritt fürchtete ich, an einen der vielen losen Steine zu stoßen, die dann lärmend in die Tiefe kollern und mich verraten konnten. Auch die Kühe durften mich nicht sehen, denn sie erschrecken leicht und hätten mit ihrem Geschrei die ganze Herde gewarnt. Endlich hatte ich den Felsblock erreicht, hinter welchem der junge Bulle saß. Ich richtete mich auf und legte einen Pfeil an die Bogensehne. Dabei kamen mir die warnenden Worte meines Vaters wieder in den Sinn, dass der Bogen in der Hand einer Frau zerbricht, wenn sie ihn zum Töten erhebt. Die Sonne stand im Westen. Ein Glück für mich, dass ich von der Stelle, wo ich mich befand, keinen Schatten auf den jungen Bullen warf. Er hockte nur wenige Schritte vor mir und drehte mir den breiten Rücken zu. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich zielen sollte, ob zwischen seine Schultern oder auf seinen Kopf. Der Nacken bot ein besseres Ziel als der verhältnismäßig kleine Kopf, aber in der dicken Fettschicht unter der Nackenhaut würde mein Pfeil vermutlich einfach stecken bleiben, ohne größeres Unheil anzurichten. Noch während ich hinter dem Felsen stand, unschlüssig und der Mahnung meines Vaters eingedenk, dass der Bogen in der Hand einer Frau zerbricht, wenn sie ihn am dringendsten braucht, erhob sich der junge Bulle von seinem Platz und trottete gemächlich auf die Küste zu. Mein erster Gedanke war, dass er aus irgendeinem Grund meine Nähe gewittert hatte. Ich erkannte jedoch bald, dass er nur zu den Kühen gehen wollte, die zur Herde seines Nachbarn gehörten. Trotz seines Umfanges bewegte er sich flink, wobei er seine riesigen Watschelflossen wie Hände benutzte. Als er sich dem Wasser näherte, schoss ich den Pfeil ab. Er flog schnurgerade, drehte jedoch im letzten Augenblick ab und fiel lahm ins Meer. Der Bogen war nicht gebrochen, aber der Pfeil hatte sein Ziel verfehlt. Ein Knirschen hinter mir ließ mich aufhorchen. Mich umwendend gewahrte ich den alten Bullen, den Anführer der Herde, auf welche der junge Bulle es anscheinend abgesehen hatte. Er watschelte an mir vorbei auf seinen Rivalen zu und stieß ihn mit einer einzigen Bewegung seiner mächtigen Schultern zu Boden. Die Wucht des Stoßes war so groß, dass der junge Bulle sich trotz seines beachtlichen Umfangs zweimal überschlug und wie betäubt im Wasser liegen blieb. Jetzt fiel der alte Bulle mit wiegendem Kopf über ihn her. Er bellte dazu so laut, dass es von den Klippen widerhallte. Die Kühe und Kälber, die sich, die Rücken mit ihren Flossen kratzend, in den Wellen vergnügten, richteten sich auf, um dem Kampf zuzusehen. Zwei Kühe standen dem Bullen im Weg, als er auf seinen Nebenbuhler zuwatschelte, aber er trat über sie hinweg, als wären sie Kieselsteine. Mit seinen spitzen Hauern riss er lange Hautfetzen aus der Flanke des jungen Bullen. Irgendwie gelang es dem jungen Bullen, wieder hochzukommen. In seinen blutunterlaufenen Äuglein glitzerte es gefährlich. Der alte Bulle holte zu einem neuen Stoß aus, doch der andere wich geschickt zur Seite und bohrte seine Zähne tief in den Nacken seines Gegners. Er ließ auch nicht locker, als beide wie ein einziger riesiger Knäuel ins Meer rollten. Wasser spritzte nach allen Seiten. Die Kühe waren erschrocken davongelaufen, die anderen Bullen dagegen hockten stumm und unbeteiligt an ihren Plätzen. Eine Zeit lang hielten die beiden Tiere im Kämpfen inne, um Atem zu schöpfen. In diesem Augenblick hätte ich einen Pfeil auf den jungen Bullen abschießen können. Er lag auf dem Rücken, die Zähne immer noch im Nacken seines Rivalen vergraben, und bewegte sich nicht. Aber ich hatte keine Lust mehr, ihn zu töten. Ich war auf seiner Seite. Ich wollte, dass er den Kampf gewann. Der Kopf und die Schultern des alten Bullen waren von vielen tiefen Narben bedeckt, die wohl von früheren Kämpfen herrührten. Ich sah sie deutlich, während er über dem Gegner lag und sich aus dessen Biss zu befreien versuchte. Ich sah auch, wie sein Schwanz suchend nach einer Stütze tastete, sich plötzlich gegen einen Felsblock stemmte und der mächtige Körper mit einem Ruck hochkam. Nachdem er seinen Gegner abgeschüttelt hatte, lief er keuchend den Abhang hinauf. Der junge Bulle folgte ihm dicht auf den Fersen. Jetzt kam der alte auf mich zu. In meiner Hast, ihm auszuweichen - ich konnte ja nicht wissen, ob er mich angreifen würde, trat ich einen Schritt zurück, strauchelte und fiel auf die Knie. Ich verspürte einen stechenden Schmerz im Bein, sprang jedoch gleich wieder auf die Füße. Inzwischen hatte der alte Bulle kehrtgemacht und war mit einer Schnelligkeit, auf die der junge Bulle nicht gefasst sein konnte, wieder über seinen Verfolger hergefallen. Zum zweiten Mal wurde die Flanke des jungen Bullen aufgeschlitzt und zum zweiten Mal stürzte er unter der Wucht des Stoßes ins Wasser. Die Wellen färbten sich rot von seinem Blut, doch er kam gleich wieder auf die Füße zu stehen, bereit, den nächsten Stoß aufzufangen. Der alte Bulle prallte gegen seine Schultern. Es krachte, als stürzte eine Felswand ein. Wieder packte der junge Bulle den anderen beim Nacken und wieder überschlugen sich beide im Wasser. Als sie hinter einer hohen Welle verschwanden, waren sie noch immer ineinander verkeilt. Die Sonne war untergegangen und es wurde so dunkel, dass ich nichts mehr sehen konnte. Der Schmerz in meinem Bein wurde stärker. Da ich einen langen Heimweg vor mir hatte, verließ ich den Schauplatz des Kampfes. Das wütende Bellen der beiden Bullen verfolgte mich, als ich die Klippe hinaufkletterte; es verfolgte mich, als die Küste schon weit hinter mir lag.