Kapitel 17

Die Stürme setzten früher als gewöhnlich ein und mit ihnen kam der Regen. Heftige Winde fegten über die Insel. Die Luft war voll Sand. In dieser Zeit nähte ich mir ein neues Kleid, vor allem aber arbeitete ich an dem Speer, mit dem ich den Riesenteufelsfisch fangen wollte. So, wie ich meinem Vater zugeschaut hatte, wenn er seine Pfeile und Bogen schnitzte, so hatte ich auch gesehen, wie die Männer ihre Fischspeere anfertigten, und dabei doch nichts gelernt. Nun, ich wusste wenigstens, wie ein Speer aussah und wie man damit umging. Aus meinen spärlichen Erinnerungen und nach vielen vergeblichen Versuchen brachte ich meine neue Waffe schließlich zustande. Auf dem Hüttenboden sitzend hatte ich unzählige Stunden daran gearbeitet, während Rontu neben mir schlief und die Stürme an dem Dach rüttelten. Ich besaß noch vier SeeElefanten-Zähne. Drei zerbrachen mir unter den Fingern. Aus dem letzten schnitzte ich einen Speerkopf mit einem Widerhaken an der Spitze. Ich steckte ihn in den steinernen Ring am Schaftende und befestigte daran eine lange Schnur aus geflochtenen Sehnen. Wenn der Speer den Teufelsfisch traf, fiel der Speerkopf aus dem Schaft. Der Schaft trieb auf dem Wasser, aber der spitze Widerhaken blieb im Fisch stecken und ich konnte den Fisch an der Schnur, die ich mir um das Handgelenk gebunden hatte, an Land ziehen. Diese besondere Art von Speer eignete sich gut zum Fischen, da man die Waffe aus großer Entfernung schleudern konnte. Am ersten Frühlingstag kehrte ich mit meinem neuen Speer in die Korallenbucht zurück. Dass es Frühling war, verrieten mir die kleinen schwarzen Vögel, die schon seit den ersten Morgenstunden durch die Luft schwirrten und die nur in dieser Jahreszeit auf die Insel kamen. Sie kamen aus dem Süden und blieben meist zwei Sonnen lang. Sie suchten in den Schluchten nach Nahrung und dann flogen sie in einem einzigen großen Schwarm weiter nach Norden. Rontu begleitete mich nicht zur Bucht. Ich hatte ihn aus der Umzäunung gelassen und er war nicht zurückgekommen. Im vergangenen Winter waren die wilden Hunde oft um das Haus gestrichen. Rontu hatte sich nie um sie gekümmert, doch am vergangenen Abend, als sie kamen und wieder verschwanden, war er winselnd am Zaun auf und ab gelaufen. Sein sonderbares Verhalten beunruhigte mich. Und da er jede Nahrung verweigerte, hatte ich ihn schließlich hinausgelassen. Ich schob das Kanu ins Wasser und ließ mich auf das Riff zutreiben, wo die Teufelsfische hausen. Das Wasser war klar wie die Luft über mir. Das Farnkraut in der Tiefe flatterte, als wehte eine Brise darüber hin, und zwischen den Blättern schwammen die Teufelsfische mit schaukelnden Armen. Es tat gut, nach den Winterstürmen wieder auf dem Meer zu sein, und ich freute mich über meinen neuen Speer; dennoch musste ich den ganzen Morgen an Rontu denken und deshalb war ich nicht so glücklich, wie ich es hätte sein sollen. Während ich nach dem Riesenteufelsfisch jagte, fragte ich mich ständig, ob Rontu wohl zurückkommen würde oder ob er fortgegangen war, um wieder mit den wilden Hunden zu leben. Vielleicht würde er wieder mein Feind sein. Doch selbst wenn dies geschähe, wenn Rontu wieder mein Feind würde, könnte ich ihn nicht mehr töten, da er doch mein Freund gewesen war. Als die Sonne am höchsten stand, ruderte ich zurück und versteckte das Kanu in der Höhle, die wir entdeckt hatten, Rontu und ich. Denn die Zeit war gekommen, da die Aleuter wieder in die Korallenbucht einfahren konnten, um Otter zu jagen. Anstelle des Riesenfisches hatte ich nur zwei Barsche gefangen. Damit kletterte ich die Klippe empör. Den Plan, zwischen der Höhle und meinem Haus einen Pfad auszutreten, hatte ich längst aufgegeben. Jeder Fremde, der an dieser Stelle der Küste landete oder sich auf die Bergkuppe verirrte, hätte ihn von Weitem gesehen und sogleich gewusst, dass jemand hier wohnte. Es war eine mühsame Kletterei. Als ich oben ankam, blieb ich eine Weile liegen, um Atem zu schöpfen. Die Insel lag still und friedlich in der Frühlingssonne. Das Einzige, was den Frieden störte, war das Kreischen der Möwen, die sich über die fremden kleinen Vögel ärgerten. Dann aber hörte ich plötzlich wütendes Hundegebell. Der Lärm kam von sehr weit her, aus der Richtung der Schlucht, und es schienen viele Hunde zu sein. Ich riss den Bogen von der Schulter und begann zu laufen. Ich lief den Pfad entlang, der zur Quelle führte. Überall sah ich die Spuren der wilden Hunde und dazwischen die breiten Pfotenabdrücke Rontus. Die Spuren zogen sich durch die Schlucht bis zu den Klippen. Von dort her kam der Kampflärm. Bogen und Pfeile behinderten mich auf dem schmalen, gewundenen Schluchtenpfad, weshalb ich nur langsam vorwärtskam. Endlich erreichte ich die Stelle, wo der Pfad am Fuß der Klippe in eine kleine Wiese mündete. Auf dieser Wiese hatten meine Leute einst einen Sommer verbracht. Sie hatten sich dort fast ausschließlich von Muscheln ernährt, deren Schalen mit der Zeit einen ansehnlichen Hügel bildeten. Jetzt war der Muschelhügel mit Gras bewachsen und da und dort wucherte ein Kraut mit fleischigen Blättern, das wir Gnapan nennen. Auf der Spitze des Hügels, zwischen den Gräsern und Gnapan-Kräutern, stand Rontu, den Rücken der Küste zugewendet. Die wilden Hunde bildeten einen Halbkreis um ihn. Erst dachte ich, das Rudel habe ihn gegen die Klippe gedrängt und werde nun von allen Seiten über ihn herfallen, doch dann erblickte ich die beiden Hunde, die zwischen Rontu und dem Rudel standen, und ich sah das Blut an ihren Schnauzen. Einer der beiden Hunde musste der neue Anführer des Rudels sein. Er hatte Rontus Nachfolge angetreten, nachdem dieser zum Feind übergelaufen war. Der Feind war ich. Den anderen Hund hatte ich noch nie gesehen. Sein Fell war scheckig braun. Der Kampf fand zwischen Rontu und diesen beiden Hunden statt. Die anderen warteten, bis sie über den Besiegten herfallen konnten. Das Pack vollführte einen solchen Lärm, dass es mich nicht kommen hörte und mich auch nicht sah, als ich am Rand der Wiese stehen blieb. Bellend hockten die Hunde im Kreis, die Blicke unverwandt auf die Kämpfenden gerichtet. Und doch musste Rontu meine Nähe gespürt haben, dann ein paarmal hob er witternd den Kopf. Die beiden Hunde liefen am Fuß des Hügels auf und ab, ohne Rontu aus den Augen zu lassen. Ich vermutete, dass der Kampf oben an der Quelle begonnen und dass die wilden Hunde Rontu bis hierher gehetzt hatten, wo er sich ihnen stellte. Hinter Rontu ragte der Küstenfelsen empor. Da sie ihm von dieser Seite nicht beikommen konnten, versuchten sie es auf andere Weise. Für Rontu wäre es ein aussichtsloser Kampf gewesen, wenn seine beiden Feinde ihn gleichzeitig von hinten und von vorn hätten angreifen können. Er schien dies gewusst und den Platz mit Bedacht ausgesucht zu haben. Er rührte sich nicht von der Stelle. Dann und wann senkte er den Kopf, um eine Wunde an seinem Bein zu lecken, doch auch während er dies tat, behielt er seine beiden Gegner scharf im Auge. Ich hätte Rontus Angreifer mit Pfeilen töten können, sie waren mir nahe genug. Ich hätte das ganze Rudel verjagen können. Aber ich tat nichts dergleichen. Ich stand hinter einem Busch und schaute gespannt zu. Dies war ein Kampf zwischen den wilden Hunden und Rontu. Wenn ich jetzt dazwischentrat, würden sie bestimmt ein andermal auf ihn losgehen, an einem Platz, der für ihn vielleicht weniger günstig war. Wieder leckte Rontu seine Wunde und dabei schien er die beiden Hunde für kurze Zeit vergessen zu haben. Sie taten erst, als merkten sie es nicht. Ich ahnte jedoch gleich, dass dies nur eine Finte war, und ich täuschte mich nicht, denn plötzlich schnellten sie herum und sprangen mit zurückgelegten Ohren und entblößtem Gebiss von beiden Seiten des Hügels auf Rontu los. Rontu wartete den Angriff nicht erst ab. Mit einem Satz warf er sich herum und schnappte mit gesenktem Kopf nach dem Vorderbein seines ersten Gegners. Das Rudel war verstummt. In der Stille hörte ich das Geräusch zersplitternder Knochen und dann wich der erste Angreifer auf drei Beinen humpelnd zurück. Inzwischen aber hatte auch der scheckige Hund die Anhöhe erreicht. Rontu ließ von dem verwundeten Gegner ab und drehte sich um. Aber er war nicht schnell genug, um dem ersten Anprall auszuweichen. Spitze Zähne gruben sich erst in seine Kehle, dann in seine Flanke, und er stürzte zu Boden. Ohne zu wissen, was ich tat, legte ich einen Pfeil an die Bogensehne. Rontu lag im Gras, von seinem Gegner bewacht, während das Rudel sich langsam in Bewegung setzte. Drei Schritte trennten Rontu von seinem Angreifer und ich konnte dem Kampf ein Ende machen, noch ehe ihm weitere Wunden zugefügt wurden und das Rudel sich auf ihn stürzte. Doch auch jetzt schoss ich den Pfeil nicht ab. Dergefleckte Hund setzte von Neuem zum Sprung an. Diesmal warf er sich von hinten auf Rontu. Rontu lag noch immer mit angezogenen Pfoten im Gras und ich fürchtete schon, er habe den Angriff nicht kommen sehen, doch im gleichen Augenblick schnellte er hoch und packte den anderen Hund an der Gurgel. Beide rollten in einem Knäuel den Abhang hinunter. Rontu ließ nicht locker. Das Rudel bewegte sich unruhig im Gras. Bald kam Rontu wieder auf den Füßen zu stehen. Den gefleckten Hund ließ er liegen. Er richtete sich auf und schritt bedächtig den Hügel hinan. Oben blieb er stehen, legte den Kopf in den Nacken und ließ ein lang gezogenes Geheul ertönen. Ich hatte diesen Laut noch nie vernommen. Es klang nach vielen Dingen, die mir unbegreiflich waren. Später lief er an mir vorbei die Schlucht hinauf. Als ich nach Hause kam, wartete er dort auf mich, als wäre er nie fort gewesen und als wäre nichts geschehen. Danach ging Rontu nie mehr fort, solange er lebte, und die wilden Hunde, die sich seit jenem Tag aus irgendeinem Grunde in zwei Rudel aufgespaltet hatten, wagten sich nie mehr bis zu meinem Hause vor.