Kapitel 11

Als ich erwachte, lagen meine Füße im Wasser und die Sonne war untergegangen. Ich fühlte mich so erschöpft, dass ich beschloss, die Nacht auf der Landzunge zu verbringen. Nachdem ich den Strand hinaufgekrochen war, um von der Flut nicht überrascht zu werden, schlief ich auch schon wieder ein. Am nächsten Morgen galt mein erster Blick dem Kanu. Es lag ganz in der Nähe auf dem sandigen Grund. Ich holte die Körbe, meinen Speer, den Bogen und die Pfeile und drehte das Kanu um, sodass der Kiel nach oben ragte. Dies tat ich, damit es von der Flut nicht ins Meer hinausgetrieben würde. Danach verließ ich die Küste und kletterte hinauf zur Bergkuppe, wo ich vor der großen Fahrt gehaust hatte. Als ich oben auf dem Felsblock stand und hinunterschaute, war mir, als sei ich sehr lange fort gewesen. Ich war glücklich, wieder daheim zu sein. Alles, was ich sah, machte mich glücklich - die lustigen Otter auf den Salzkrautbänken, die Schaumringe an den Küstenfelsen, die flatternden Möwen, die Strömung an der sandigen Inselspitze. Dieses Glücksgefühl überraschte mich, denn noch vor wenigen Tagen hatte ich auf dem gleichen Felsblock gestanden und gedacht, ich würde es hier keinen Augenblick länger aushalten. Meine Blicke schweiften über das blaue Wasser, das sich in der Ferne verlor, und jäh verstummte die Freude in mir. Ich hatte wieder Angst. Es war die gleiche Angst, die ich auf meiner Reise empfunden hatte. An dem Morgen, da mir die Insel wie ein Fisch auf dem Meer erschienen war, hatte ich mir vorgetellt, wie ich das Kanu eines Tages ausbessern und ch von Neuem auf die Fahrt machen würde, nach dem Land, das hinter dem Ozean lag. Jetzt aber wusste ich, ich würde es nie wieder versuchen. Meine Heimat war hier, auf der Insel der blauen Delfine. Eine andere Heimat besaß ich nicht. Ich würde auf der Insel leben, bis die weißen Männer mit ihrem Schiff zurückkämen. Doch selbst wenn sie bald kämen, noch ehe es wieder Sommer wurde, konnte ich nicht länger so leben, ohne ein Dach über dem Kopf und ohne einen geschützten Ort, wo ich meine Vorräte unterbringen konnte. Ich musste mir ein Haus bauen. Aber wo? Die Nacht verbrachte ich auf dem Felsen und am nächsten Tag machte ich mich auf die Suche. Der Morgen war sonnig, doch im Norden hingen dunkle Wolkenbänke. Eine kleine Weile noch und sie würden den ganzen Himmel verdunkeln. Und hinter ihnen lauerten die Stürme. Ich durfte keine Zeit verlieren. Vor allem brauchte ich einen windgeschützten Platz, nicht zu weit von der Korallenbucht entfernt und in der Nähe einer brauchbaren Quelle. Ich kannte zwei Plätze auf der Insel, die sich zum Wohnen eigneten. Der eine befand sich hier auf der Bergkuppe, der andere eine Meile weiter drüben, im Westen. Die Kuppe erschien mir als der Bessere von beiden, doch da es schon lange her war, seit ich den anderen Platz aufgesucht hatte, beschloss ich, hinzugeben und ihn mir anzusehen. Ich wollte meiner Sache sicher sein. Unterwegs fiel mir etwas ein, das ich in meinem Eifer vergessen hatte: Der Platz, den ich jetzt aufsuchte, befand sich in der Nähe der Höhle, wo die wilden Hunde hausten. Und wirklich, kaum hatte ich mich der Felswand bis auf wenige Schritte genähert, erschien auch schon der Anführer des Rudels im Höhleneingang und beobachtete mich mit seinen gelben Augen. Wenn ich mir hier eine Hütte bauen wollte, würde ich zuerst ihn und danach das ganze Pack töten müssen. Das hatte ich zwar schon immer beabsichtigt, aber es würde mich viel Zeit kosten und viel Zeit blieb mir nicht. Die Quelle hier war besser als die, von der ich kam; das Wasser war nicht so verschlammt und sprudelte in immer gleichen Mengen aus der Erde. Sie war auch viel leichter zugänglich, weil sie sich am Abhang eines Hügels befand und nicht in einer Schlucht wie die andere. Außerdem ragten gleich in der Nähe ein paar Klippenfelsen empor, zwischen denen es mehrere geschützte Winkel gab. Diese Felsen waren vielleicht nicht ganz so hoch wie jene auf der Kuppe und boten daher weniger Schutz vor dem Wind; immerhin konnte ich von ihrem Rücken aus die ganze Nordküste und die Korallenbucht überblicken. Was mich schließlich bewog, nicht an dieser Stelle mein Haus zu bauen, waren die SeeElefanten. Die Klippen fielen schräg bis zur Küste ab und endeten in einem breiten Felsenband, das bei Flut teilweise unter Wasser stand. Es war ein günstiger Platz für die SeeElefanten, denn an stürmischen Tagen konnten sie sich bis fast zur Hälfte der Klippe hinaufflüchten. Bei schönem Wetter dagegen konnten sie in den Wassertümpeln fischen oder sich auf den Steinen sonnen. Der Elefantenbulle ist sehr groß und wiegt etwa so viel wie dreißig Männer zusammen. Die Kühe sind viel kleiner, aber sie machen mehr Lärm als die Bullen; sie kreischen und bellen den ganzen Tag, manchmal auch während der Nacht. Und die Elefantenjungen tun es ihren Müttern nach. Jetzt war Ebbezeit und die SeeElefanten tummelten sich weit draußen im Meer. Ich konnte sie eben noch als schwarze Pünktchen erkennen. Zu Hunderten tanzten sie zwischen den Wellen auf und ab und der Lärm, den sie dabei vollführten, war trotz der Entfernung ohrenbetäubend. Den Rest des Tages und die Nacht über blieb ich in der Gegend, um mich gründlich umzusehen. Am folgenden Morgen, als das Gebrüll und Gekreisch wieder anhob, verließ ich den Ort und kehrte zu meinem alten Lagerplatz zurück. Ich hätte mein Haus auch im Süden der Insel bauen können, aber dort hatte einst das Dorf Ghalasat gestanden und ich wollte nicht auf Schritt und Tritt an die Menschen erinnert werden, die tot oder die fortgegangen waren. Auch spürte man dort den Wind stärker als anderswo. Er fegte über die Dünen, die sich bis in die Mitte der Insel erstrecken, sodass man ständig in glitschigem Sand watete. In der Nacht begann es zu regnen. Danach regnete es zwei Tage lang ohne Unterlass. Ich errichtete aus Buschwerk einen notdürftigen Unterstand am Fuß des Felsblocks und verzehrte meine ganzen Vorräte. Ich fror entsetzlich, weil ich wegen des Regens kein Feuer anzünden konnte. Am dritten Tag hörte der Regen auf und ich begann, mich nach Material für mein Haus umzusehen. Vor allem brauchte ich Pfähle für einen Zaun. Die wilden Hunde würde ich so bald wie möglich umbringen, doch außer ihnen gab es auch Rotfüchse auf der Insel, und zwar so viele, dass ich nicht die geringste Aussicht hatte, ihnen je mit Fallen oder Pfeilen beizukommen, und vor diesen schlauen Dieben würde nichts, das sich auch nur halbwegs zum Fressen eignete, sicher sein, solange ich keinen festen Zaun besaß. Nach dem Regen roch der Morgen frisch. Die Tümpel dampften. Die wilden Kräuter in den Schluchten und die Sandpflanzen auf den Dünen verbreiteten süße Düfte. Singend wanderte ich zur Bucht hinunter und die Küste entlang bis zur Landzunge. Es war ein guter Tag, um mir ein neues Heim zu bauen.