Kapitel 19

Mittlerweile war es Sommer geworden und noch immer hatte ich den Teufelsfisch nicht fangen können. Tag für Tag gingen Rontu und ich zur Höhle, um ihm aufzulauern. Ich schob das Kanu ins Wasser und paddelte langsam von einer Öffnung zur anderen, bisweilen mehrere Male. Dort, wo das schwarze Wasser vom Tageslicht erhellt wurde, tummelten sich viele Teufelsfische, aber der große war nicht darunter. Des Wartens müde, gab ich die Suche auf und begann, Abalonen für den Winter zu sammeln. Die roten Schalen enthalten das süßeste Fleisch. Diese Sorte eignet sich auch am besten zum Trocknen. Aber die grünen und die schwarzen Muscheln schmecken nicht minder gut. Auf das Fleisch der roten Abalone ist der Sternfisch besonders erpicht. Dieses sternförmige Tier lässt sich auf der Abalone nieder, stemmt seine fünf Arme gegen den Stein, an welchem die Abalone klebt, zieht die Schale mit seinen Saugnäpfen an sich und richtet sich langsam auf, indem es mit den Beinen nachhilft, bis die schwere Schale sich vom Muschelkörper löst. Das dauert manchmal mehrere Tage. Eines Morgens paddelten wir zum Riff hinaus, das unter Wasser mit dem Festland verbunden ist. Ich hatte seit vielen Tagen in der Korallenbucht nach Schalentieren gesucht, dabei aber immer das Riff im Auge behalten, um den richtigen Zeitpunkt für die Ernte nicht zu versäumen. Dieser Augenblick kommt, wenn sich nur noch wenige Sternfische blicken lassen, denn solange sie in Scharen über die Abalonen herfallen, kann man nicht viel ausrichten. Es ist viel mühsamer, einen Sternfisch von einer Abalone loszureißen, als eine Abalone von einem Stein zu lösen. Es war Ebbe und das Riff ragte hoch aus dem Wasser. Eine Menge roter Abalonen klebte an den nassen Felsen, doch Sternfische waren fast keine zu sehen, und so konnte ich das Kanu füllen, ehe die Sonne zu heiß herniederbrannte. Der Tag war windstill. Nachdem ich so viele Abalonen gesammelt hatte, wie ich zu tragen vermochte, machte ich das Kanu am Riff fest und kletterte mit Rontu auf die gezackten Felsen, um nach Fischen für unser Abendbrot Ausschau zu halten. Jenseits der Salzkrautbänke schlugen blaue Delfine ihre Purzelbäume. Auf den Bänken selbst trien die unermüdlichen Otter ihre Späße. Und rings um mich her jagten die Möwen nach Kammmuscheln, von denen es in diesem Sommer erstaunlich viele gab. Die Kammmuscheln wachsen auf den schwimmenden Salzkrautblättern. Sie waren so zahlreich, dass sich das Salzkraut längs des Riffs unter ihrem Gewicht bis auf den Meeresgrund bog. Daneben blieben jedoch genügend Muscheln an Stellen übrig, wo die Möwen sie aufpicken konnten. Die Möwen nahmen die Muscheln in ihre Schnäbel, flogen damit hoch über das Riff und ließen sie auf die Felszacken fallen. Dann stürzten sie hinter ihrer Beute her und pickten das Fleisch aus den zerbrochenen Muschelschalen. Es regnete geradezu von Kammmuscheln. Ich hatte meinen Spaß daran, aber Rontu knurrte. Er wurde nicht klug aus dem Treiben der Möwen und das ärgerte ihn. Unter dem Muschelregen lief ich geduckt bis ans Ende des Riffs, wo sich die großen Fische aufhalten. Mit einer Sehnenschnur und einem Haken aus Abaloneschalen fing ich zwei Fische. Sie hatten große Köpfe und lange Zähne und gehörten einer besonders schmackhaften Sorte an. Einen davon gab ich Rontu. Auf dem Rückweg zum Kanu fing ich auch ein paar rote Seeigel, die ich zum Färben verwenden wollte. Rontu trabte vor mir über das Riff. Plötzlich sah ich, wie er seinen Fisch fallen ließ, stehen blieb und über den Felsrand hinunter ins Wasser starrte. Das Wasser war an dieser Stelle ganz klar. In der Mitte schwamm ein Teufelsfisch: Es war der Fisch, auf den ich schon so lange gewartet hatte. Der Riesenteufelsfisch. Die Teufelsfische verirrten sich selten auf diese Seite des Riffs, denn hier war das Wasser seicht und sie lieben die Tiefe. Ich vermutete, dass der Riesenfisch für gewöhnlich in der Höhle blieb und nur hierherschwamm, wenn er woanders keine Nahrung fand. Rontu gab keinen Laut von sich. Ich befestigte den Speerkopf am Schaft und band mir die lange Schnur ums Handgelenk. Dann kroch ich auf allen vieren bis zum Rand des Riffs. Der Riese war noch da. Er schwamm dicht unter der Wasseroberfläche und ich konnte deutlich seine Augen sehen. Sie waren wie kleine Kieselsteine und sie quollen ihm beinahe aus dem Kopf. Sie hatten schwarze Ränder, goldene Augäpfel und in der Mitte einen schwarzen Punkt. Sie erinnerten mich an die Augen eines Geistes, den ich. eines Nachts gesehen hatte, als es regnete und der Blitz den Himmel spaltete. Gerade unter meinen Händen öffnete sich eine tiefe Spalte und zuunterst in der Spalte bewegte sich ein Fisch. Der Teufelsfisch befand sich etwa eine halbe Speerlänge vom Riff entfernt. Ich sah, wie einer seiner langen Arme wie eine Schlange vorschnellte und suchend durch die Felsspalte tastete. Der Arm bewegte sich am Fisch vorbei auf die Wand zu, berührte diese mit der Spitze und glitt wieder zurück. Im Augenblick, da er sich von hinten um den Fisch legte, erhob ich mich auf ein Knie und warf den Speer. Ich hatte nach dem Kopf des Riesen gezielt, denn er war groß, größer als meine beiden Fische zusammen genommen, und bot ein gutes Ziel für meinen Speer. Aber ich verfehlte ihn. Der Speer schwirrte ins Wasser und glitt seitlich ab. Sofort umgab sich der Teufelsfisch mit einer schwarzen Wolke. Das Einzige, was ich noch von ihm sah, war der lange Arm, der seine Beute umklammerte. Ich sprang auf die Füße, um den Speer an der Schnur hereinzuholen, da ich es ein zweites Mal versuchen wollte. Aber als ich an der Schnur zog, tauchte nur der Schaft an die Oberfläche; die gekrümmte Spitze steckte nicht mehr im Ring. Dann straffte sich mit einem Mal die Schnur und glitt mir mit einem Ruck aus der Hand. Ich hatte den Teufelsfisch also doch erwischt. Sofort ließ ich die losen Schlingen, die ich noch hielt, fallen, denn wenn die Schnur zu schnell abrollt, verbrennt sie einem die Hand oder sie verheddert sich. Der Teufelsfisch schwimmt nicht wie andere Meerestiere mit den Flossen. Er nimmt durch ein Loch vorn am Körper Wasser auf und stößt es hinten durch zwei Schlitze wieder aus. Wenn er langsam schwimmt, kann man diesen doppelten Wasserstrahl aus seinem Körper fluten sehen; bewegt er sich dagegen schnell, so sieht man nichts als einen glitzernden Streifen. Die Schlingen hüpften und sirrten auf dem Felsen, während die Schnur abrollte. Plötzlich waren sie nicht mehr da. Das Schnurende an meinem Handgelenk spannte sich. Um den Ruck abzufangen, sprang ich über die Felsenspalte und lief ein Stück weit in der Richtung, wo ich den Riesenfisch vermutete. Die Schnur jetzt mit beiden Händen packend, stemmte ich die Füße gegen den glitschigen Felsen und lehnte mich zurück. Ich spürte das federnde Gewicht des Teufelsfisches am anderen Ende. Die Schnur war jetzt so gespannt, dass ich fürchtete, sie werde zerreißen; um sie etwas zu lockern, tat ich ein paar Schritte vorwärts. Ich würde mich vom Riesenfisch so lange und so weit wie möglich ziehen lassen, damit er rasch ermüdete. Er schwamm den Rand der Klippe entlang auf die Höhle zu. Bis zum Eingang war es noch ein gutes Stück Weges, doch wenn er ihn erreichte, würde er mir entwischen. Das Kanu lag unmittelbar vor mir auf dem Wasser. Saß ich erst einmal darin, dann konnte mich der Teufelsfisch ziehen, bis ihm der Atem ausging. Ich sah jedoch keine Möglichkeit, das Kanu loszubinden und gleichzeitig die Schnur festzuhalten. Rontu lief die ganze Zeit auf und ab oder sprang bellend an mir hoch, was meine Aufgabe nicht eben erleichterte. Schritt um Schritt ließ ich mich ziehen, bis der Teufelsfisch im tiefen Wasser vor der Höhle angelangt war. Er war jetzt dem Eingang so nahe, dass ich stehen bleiben musste, selbst auf die Gefahr hin, dass die Leine riss und ich ihn verlor. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, stemmte die Füße gegen einen Stein und blieb, nach hinten gelehnt, stehen. Tropfen spritzten von der Schnur. Sie war jetzt aufs Äußerste gespannt, ich konnte sie geradezu ächzen hören und ich war überzeugt, dass sie im nächsten Augenblick reißen würde. Blut tropfte von meinen Händen, aber ich spürte nichts. Plötzlich ließ die Spannung nach. Ich dachte schon, der Fisch sei entwischt, als die Schnur unvermutet einen weiten Bogen ins Wasser schnitt. Der Fisch hatte sich wieder von der Höhle entfernt. Er schwamm jetzt auf ein paar Felsblöcke zu, die etwa zwei Schnurlängen weiter westlich aus dem Wasser ragten. Dort hoffte er, in Sicherheit zu sein, denn zwischen den Blöcken gab es viele Stellen, wo er sich verstecken konnte. Während er sich auf die Felsen zubewegte, zog ich die Schnur zur Hälfte herein; ich musste sie jedoch bald wieder loslassen, da sie sich von Neuem zu strecken begann. Das Wasser war hier nicht sehr tief, es würde mir kaum bis zu den Hüften reichen. Ich kletterte vom Riff herunter. In der Nähe der Felsblöcke befand sich eine Sandbank. Vorsichtig die Löcher im seichten Grund umgehend, hielt ich darauf zu. Rontu schwamm neben mir her. Ich erreichte die Sandbank, bevor der Teufelsfisch sich zwischen den Felsblöcken verstecken konnte. Die Schnur hielt seinem Gewicht stand und er schwamm in einem Bogen wieder auf die Höhle zu. Dies tat er noch zweimal. Jedes Mal holte ich die Leine ein Stück weit herein. Als er zum dritten Mal im seichten Wasser auftauchte, schritt ich rückwärts auf die andere Seite der Sandbank, damit er mich nicht sah, und zog mit aller Kraft an der Schnur. Bäuchlings glitt der Riese auf den Sand. Er lag mit ausgebreiteten Armen halb im Wasser, halb auf festem Grund, und ich glaubte, er sei tot. Dann sah ich, wie seine Augen sich bewegten. Rontu war über ihm, ehe ich einen Warnruf ausstoßen konnte. Er packte ihn irgendwo mit den Zähnen, doch der Teufelsfisch war kein Ding, das man einfach vom Boden aufheben und schütteln konnte. Während Rontu einen besseren Halt für seine Zähne suchte, wanden sich drei lange Arme um seinen Nacken. Die Teufelsfische sind nur im Wasser gefährlich. Die vielen Arme sind an der Unterseite mit langen Reihen von Saugnäpfen versehen und damit können sie einen unter Wasser ziehen und dort festhalten, bis man ertrinkt. Aber auch an Land kann einem der Teufelsfisch üble Wunden zufügen, denn er ist ungemein stark und stirbt nicht schnell. Mit den Armen wild um sich schlagend, versuchte der Riese ins Wasser zurückzugleiten. Bei jedem Ruck zerrte er Rontu mit sich. Mit der Schnur konnte ich jetzt nichts mehr anfangen, da Rontus Beine sich darin verstrickt hatten. An meinem Gürtel hing noch das Messer aus Walfischbein, mit welchem ich Abalonen von den Steinen schnitt. Vorn war es stumpf, aber es hatte eine scharfe Schneide. Ich ließ die Schlingen meiner Leine fallen und band das Messer im Laufen los. Ich lief am Teufelsfisch vorbei ins Wasser, um ihm den Rückzug abzuschneiden. Einer seiner fuchtelnden Arme traf mich am Bein. Es brannte wie ein Peitschenhieb. Ein anderer Arm, den Rontu abgebissen hatte, wand sich am Rand des Wassers, als suchte er nach einem Halt. Der Kopf ragte wie ein riesiger Stängel aus dem Gewirr der zuckenden Glieder. Die goldenen Augen starrten mich aus ihren schwarzen Rändern an. Sein Schnabel, der schärfer war als das Messer in meiner Hand, klappte auf und zu und dieses Geräusch übertönte das Klatschen und Tosen der Wellen und Rontus wütendes Gebell. Ich bückte mich und stieß ihm das Messer in den Leib. Fast im gleichen Augenblick war mir, als saugten sich unzählige Blutegel an meiner Haut fest. Ein Glück, dass ich eine Hand frei hatte, die Hand, die das Messer hielt. Damit stieß ich zu. Blindlings stach ich auf die zähe Haut des Riesen ein. Nach einer Weile lockerte sich der Druck der Saugnäpfe, die sich an mir festklammerten und mir große Schmerzen bereiteten. Die Arme begannen zu ermatten und sanken, einer nach dem anderen, kraftlos zu Boden. Meine Kräfte reichten nicht mehr aus, um den Teufelsfisch aus dem Wasser zu zerren. Auch das Kanu ließ ich liegen, wo es war. Ich nahm nur den Schaft und den Speerkopf mit, der mich so viel Arbeit gekostet hatte. Es wurde Nacht, ehe Rontu und ich das Haus erreicht hatten. Rontus Schnauze war vom Schnabel des Riesen aufgerissen. Ich selbst hatte am ganzen Körper Schnittwunden und blaue Flecken. In jenem Sommer begegnete ich noch zwei Riesenteufelsfischen auf meinen Fahrten zum Riff, doch die Lust, diese Ungetüme zu töten, war mir vergangen.