Kapitel 7

Wir hatten fast unsere ganze Habe zurückgelassen, weil wir nur an Flucht dachten. Jetzt gab es eine große Aufregung. Während wir unsere Körbe packten, lief Nanko vor den Hütten auf und ab und trieb uns zur Eile an. “Der Wind!”, brüllte er. “Er wird immer stärker. Das Schiff fährt ohne euch ab !” Zu den Dingen, die ich auf jeden Fall mitnehmen wollte, gehörten drei feine Nadeln aus Walfischknochen, eine Ahle zum Löcherbohren, ein gutes Steinmesser, mit dem ich Felle schaben konnte, zwei Kochtöpfe und eine kleine Schachtel aus Muschelschalen, die meine vielen Ohrringe enthielt. All dies verstaute ich in zwei Körben. Ulape besaß zwei Schachteln voll Ohrringe, weil sie eitler war als ich, und nachdem sie ihre Körbe gepackt hatte, malte sie sich mit blauem Lehm einen dünnen Strich über Nase und Backenknochen, zum Zeichen, dass sie unverheiratet war. “Das Schiff fährt ab!”, schrie Nanko. “Und wenn schon”, gab Ulape zurück. “Es wird wiederkommen, wenn der Sturm sich gelegt hat. ” Meine Schwester war in Nanko verliebt, aber sie lachte ihn immer aus. “Andere Männer werden auf die Insel kommen”, fuhr sie fort. “Sie werden viel schöner und tapferer sein als ihr … ” “Sie werden zu Tode erschrecken und wieder davonlaufen, wenn sie euch sehen. Ihr seid ja lauter hässliche Weiber”, antwortete Nanko lachend. Der Wind kam in heftigen Stößen, als wir das Dorf verließen. Unsere Gesichter brannten von dem Sand, den er aufwirbelte. Ganz vorn an der Spitze unseres Zuges hopste Ramo, einen unserer Körbe schwingend, doch plötzlich sah ich, wie er umkehrte und mit aufgeregter Miene zurückgelaufen kam. Als er mich erblickte, rief er mir zu, er habe seinen Fischspeer vergessen. Ich stellte mich ihm in den Weg. Er habe keine Zeit mehr, seinen Speer zu holen, sagte ich, und von der Klippe herab schrie Nanko, das Schiff könne keinen Augenblick länger auf uns warten. Das Schiff lag draußen vor der Bucht. Es konnte nicht näher an die Küste herankommen, die Wellen waren zu hoch. Sie schlugen donnernd an die Felsen und ihr Schaum bildete die ganze Küste entlang einen breiten weißen Strich. Am Strand lagen zwei Boote und daneben standen vier weiße Männer. Als sie uns erblickten, hob einer von ihnen die Hand, um uns zu bedeuten, dass wir schneller laufen sollten. Dazu rief er etwas in einer Sprache, die wir nicht verstanden. Außer Nanko und dem Häuptling Matasaip befanden sich alle Männer unseres Stammes schon auf dem Schiff. Auch mein Bruder Ramo sei dort, sagte Nanko. Ramo war wieder nach vorn gerannt, nachdem ich ihm verboten hatte, ins Dorf zurückzukehren und seinen Speer zu holen. Nanko sagte, er sei in das erste Boot gesprungen, das die Bucht verließ. Matasaip teilte die Frauen schnell in zwei Gruppen ein. Die Boote wurden ins Wasser geschoben, wo sie auf und ab tanzten, während wir umständlich hineinkletterten. Ein Teil der Bucht war vor dem Wind geschützt, doch als wir die Durchfahrt zwischen den beiden Felsen passiert und die offene See erreicht hatten, fielen mächtige Wellen über uns her. Es gab einen großen Wirrwarr. Das Wasser schäumte, die weißen Männer schrien einander unverständliche Worte zu, das Boot tanzte so wild auf und ab, dass man vom Schiff bisweilen nichts mehr sehen konnte. Dann endlich waren wir am Ziel und irgendwie landeten wir alle ohne Zwischenfall auf dem Deck. Es war ein großes Schiff, zehnmal größer als unsere größten Kanus. Zwischen den beiden hohen Masten stand ein junger Mann mit blauen Augen und einem schwarzen Bart. Es musste der Häuptling der weißen Männer sein, denn er begann ihnen sogleich Befehle zu erteilen, die sie gehorsam ausführten. flatterten an den Masten empor und zwei Männer schickten sich an, das Ankertau über die Bordwand zu ziehen. Ich rief nach meinem Bruder. Ich wusste, wie neugierig er war und dass er seine Nase in alles steckte. Er würde den arbeitenden Männern nur im Wege sein. Ich rief, doch meine Stimme ging im Lärm des Windes unter und Ramo antwortete nicht. Das Deck war gedrängt voll Menschen, die sich kaum rühren konnten, dennoch suchte ich es von einem Ende bis zum anderen ab, wobei ich immer wieder nach Ramo rief. Niemand antwortete. Niemand hatte meinen Bruder gesehen. Endlich stieß ich auf Nanko. Ich war außer mir vor Angst. “Wo ist Ramo?”, rief ich ihm zu. Er wiederholte, was er mir am Strand gesagt hatte, doch noch während er sprach, deutete Ulape, die neben ihm stand, nach der Insel. Ich blickte über das Deck und die See hinweg zur Bucht. Und dort, auf der Klippe, den Fischspeer in der erhobenen Hand, lief Ramo. Die Segel wölbten sich. Langsam kam das Schiff in Fahrt. Alle Leute an Bord, selbst die weißen Männer, starrten zur Klippe hinüber. Ich lief auf einen der Weißen zu und zeigte auf meinen Bruder, doch der Mann schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab. Das Schiff fuhr schneller. Ich konnte nicht anders, ich schrie. Häuptling Matasaip packte mich am Arm. “Wir können nicht auf Ramo warten”, sagte er. “Wenn wir noch länger hier verweilen, wird das Schiff an die Felsen getrieben. ” “Wir müssen aber warten, wir müssen!”, schrie ich verzweifelt. “Das Schiff kann ihn später holen”, sagte Matasaip. “Deinem Bruder wird nichts geschehen. Zu essen hat er genug, Trinkwasser ist auch vorhanden und schlafen kann er, wo es ihm gefällt. ” “Nein”, schluchzte ich. Matasaips Gesicht glich einem Stein. Er hörte nur nicht mehr zu. Noch einmal schrie ich auf, doch meine Stimme verlor sich im heulenden Wind. Die Leute umringten mich und redeten auf mich ein, wie Matasaip es getan hatte, doch ihre Worte konnten mich nicht beruhigen. Ramo war von der Klippe verschwunden. Ich wusste, dass er jetzt den Pfad zum Strand hinunterlief. Das Schiff war im Begriff, die Salzkrautbänke zu umfahren. Ich war sicher, dass es nun gleich umkehren und zur Bucht zurückfahren würde, und wartete mit angehaltenem Atem. Aber als es von Neuem die Richtung änderte und Kurs nach Osten nahm, wusste ich, dass ich umsonst gehofft hatte. Ich überlegte nicht lange. Ich setzte zum Sprung an, und obgleich viele Hände mich zurückreißen wollten, warf ich mich kopfüber in das aufgewühlte Meer. Eine Welle schlug über meinem Kopf zusammen. Ich sank und sank, bis ich dachte, ich würde das Tageslicht nie wieder sehen. Als ich wieder auftauchte, war das Schiff schon in weiter Ferne. Durch die tobende Gischt konnte ich kaum mehr die hüpfenden weißen Segel erkennen. Meine Hände umklammerten immer noch einen der Körbe, die meine Habe enthielten, aber der Korb war schwer und ich sah ein, dass ich mich damit nicht über Wasser halten konnte. So ließ ich ihn los und begann, auf die Küste zuzuschwimmen. Die beiden Felsen am Eingang zur Korallenbucht ragten nur undeutlich aus dem Wasser vor mir, doch ich hatte keine Angst. Ich war schon manches Mal weitere Strecken geschwommen, wenn auch nie während eines solchen Sturms. Das Einzige, woran ich dachte, war Ramo. Ich malte mir aus, wie ich ihn bestrafen würde, sobald ich die Küste erreicht hatte. Doch als ich endlich Sand unter den Füßen spürte und Ramo am Strand stehen sah, den Fischspeer in der Hand, so klein und verloren, da vergaß ich alle meine Vorsätze. Ich fiel auf die Knie und zog ihn in meine Arme. Das Schiff war verschwunden. “Wann kommt es zurück?”, fragte Ramo. Tränen standen in seinen Augen. “Bald”, antwortete ich. Das Einzige, was mich ärgerte, war der Verlust meines hübschen Kleides aus Yuccafasern. Das Nähen hatte mich so viel Zeit und Mühe gekostet.