Kapitel 4

Die Aleuter verließen die Insel an einem sonnenlosen Tag. Vom Norden her kamen mächtige Wellen angerollt. Sie brachen sich an den Felsen, rauschten dröhnend in die Höhlen und schleuderten weiße Gischtfetzen in die Luft. Kein Zweifel, ein Sturm war im Anzug. In der ersten Morgenstunde brachen die Aleuter ihre Zelte ab und trugen sie an den Strand. Kapitän Orloff hatte meinem Vater für die Otter nichts bezahlt. Als wir hörten, die Jäger hätten ihre Zelte zusammengepackt, verließ daher unser ganzer Stamm das Dorf und eilte zur Korallenbucht. Vorn liefen die Männer mit ihren Waffen, hinter ihnen kamen die Frauen. Die Männer schlugen den Pfad zur Bucht ein, die Frauen aber verbargen sich im Gestrüpp auf der Klippe. Ulape und ich gingen bis zum äußersten Rand jener Klippe, wo ich mich bei der Ankunft der Jäger versteckt hatte. Die Flut stand tief und auf dem schmalen Strand türmten sich große Bündel von Otterfellen. Ein Teil der Jäger befand sich auf dem Schiff. Die anderen wateten im Wasser umher und warfen die Felle in die Ruderboote. Sie lachten dazu, als wären sie froh, von der Insel wegzukommen. Mein Vater sprach mit Kapitän Orloff. Ich konnte ihre Worte nicht verstehen, weil die Jäger so viel Lärm machten, doch aus der Art, wie mein Väter den Kopf schüttelte, erriet ich, dass er nicht zufrieden war. “Er ist zornig”, flüsterte Ulape. “Noch nicht”, antwortete ich. “Wenn er richtig zornig ist, zupft er sich am Ohr. ” Unsere Kanubauer hatten zu arbeiten aufgehört und beobachteten meinen Vater und Kapitän Orloff. Die anderen Männer unseres Stammes standen oben auf dem Pfad. Mit Otterfellen beladen fuhr das Boot der Aleuter zum Segelschiff hinaus. Als es beim Schiff ankam, hob Kapitän Orloff die Hand und gab seinen Leuten ein Zeichen. Nach einer Weile kam das Boot zurück. Zwei Jäger hoben eine schwarze Kiste heraus und trugen sie an den Strand. Kapitän Orloff schlug den Deckel der Kiste zurück, griff hinein und brachte eine Handvoll Halsketten zum Vorschein. Das Tageslicht war trübe, trotzdem glitzerten die Glasperlen, als er sie hin und her pendeln ließ. Ulape neben mir zog scharf den Atem ein und von den Büschen her, wo sich die Frauen versteckt hatten, konnte man entzückte Schreie hören. Doch die Schreie brachen ab, als mein Vater den Kopf schüttelte und der Küste den Rücken zuwandte. Die Aleuter warteten regungslos. Unsere Männer verließen ihre Posten am unteren Ende des Pfades, traten einige Schritte vor und warteten ebenfalls, die Blicke auf meinen Vater gerichtet. “Eine Perlenreihe gegen ein Otterfell ist kein guter Handel”, sagte mein Vater. Kapitän Orloff streckte zwei Finger hoch. “Eine Perlenreihe und ein Speerkopf aus Eisen”, sagte er. “So viel hat nicht Platz in der Kiste”, antwortete mein Vater. “Auf dem Schiff sind noch mehr Kisten”, sagte der Russe. “Dann bringt sie an Land”, erwiderte mein Vater. “Ihr habt einhundertundfünf Otterfellbündel an Bord. Fünfzehn liegen hier in der Bucht. Ihr müsst uns noch drei Kisten von dieser Größe überlassen. ” Kapitän Orloff sagte etwas zu seinen Aleutern, das ich nicht verstehen konnte, bald aber wurde klar, was er meinte. In der Bucht hielten sich viele Jäger auf und schon nach seinen ersten Worten begannen sie die restlichen Otterfelle in ihr Boot zu laden. Ulape neben mir atmete kaum. “Glaubst du, er wird uns die anderen Kisten geben?”, flüsterte sie. “Ich weiß nicht. Ich traue ihm nicht. ” “Er ist imstande davonzusegeln, sobald alle Felle auf dem Schiff sind. ” “Vielleicht. ” Die Jäger mussten an meinem Vater vorbeigehen, um zu ihrem Boot zu gelangen, und als der erste auf ihn zukam, stellte sich ihm mein Vater in den Weg. “Die Felle müssen hierbleiben, bis die Kisten an Land gebracht sind”, sagte er zu Kapitän Orloff. Der Russe richtete sich steif auf und deutete auf die Wolken, die der Wind vom Meer hereinjagte. “Ich lade das Schiff voll, bevor der Sturm ausbricht”, sagte er. “Gib uns die anderen Kisten. Dann helfe ich euch mit unseren Kanus”, erwiderte mein Vater. Kapitän Orloff schwieg. Langsam wanderte sein Blick über die Bucht. Er sah unsere Männer an, die etwa ein Dutzend Schritte von ihm entfernt auf einem Felsenband standen. Er schaute zur Klippe empor und wieder zurück zu meinem Vater. Dann sprach er mit seinen Aleutern. Ich weiß nicht, was zuerst geschah, ob mein Vater die Hand wider den Jäger hob, dem er den Weg versperrte, oder ob dieser meinen Vater beiseitestieß, als er mit seinem Fellbündel an ihm vorbeiwollte. Alles ging so schnell, dass ich das eine nicht mehr vom anderen unterscheiden konnte. Doch im gleichen Augenblick, da ich auf die Füße sprang - Ulape schrie, auch andere Schreie längs der Klippe ertönten, sah ich eine Gestalt auf dem Geröll liegen: Es war mein Vater und auf seinem Gesicht war Blut. Mühsam richtete er sich auf. Da sprangen unsere Männer mit erhobenen Speeren vom Felsen herunter. Und gleich darauf flatterte eine weiße Rauchwolke vom Deck des Schiffes. Ein lauter Knall brach sich an der Klippe. Fünf unserer Krieger stürzten zu Boden. Ulape schrie wieder. Sie schleuderte einen Stein in die Bucht hinunter. Der Stein rollte Kapitän Orloff vor die Füße. Jetzt prasselten Steine von allen Seiten der Klippe auf die Jäger herab und viele wurden getroffen. Unsere Krieger fielen über die Aleuter her. Es gab ein solches Durcheinander, dass man kaum mehr wusste, wer gegen wen kämpfte. Ulape und ich standen hilflos auf der Klippe. Wir wagten keine Steine mehr zu schleudern, aus Furcht, wir könnten unsere eigenen Männer treffen. Die Aleuter hatten die Fellbündel weggeworfen. Sie zogen Messer aus ihren Gürteln, als unsere Krieger auf sie eindrangen, und nun wogten die Reihen der Kämpfenden am Strand auf und ab. Männer fielen in den Sand und sprangen wieder auf, um weiterzukämpfen. Andere stürzten und blieben liegen. Einer davon war mein Vater. Lange Zeit sah es so aus, als würden wir den Kampf gewinnen. Aber Kapitän Orloff, der zum Schiff hinausgerudert war, als alles begann, kehrte mit neuen Leuten zurück. Unsere Krieger wurden gegen die Klippen zurückgedrängt. Nur eine kleine Schar war übrig geblieben, doch diese kämpfte verbissen am Fuße des Pfades und wollte nicht weichen. Da erhob sich der Wind. Kapitän Orloff und seine Leute machten plötzlich kehrt und liefen zu den Booten. Unsere Männer nahmen die Verfolgung nicht auf. Die Jäger erreichten das Schiff, die roten Segel blähten sich und langsam fuhr das Schiff durch den Engpass zwischen den beiden Felsen, welche die Bucht bewachten, hindurch. Kurz bevor das Schiff verschwand, flog noch einmal eine weiße Rauchwolke vom Deck auf, Ulape und ich spürten, wie etwas über unsere Köpfe schwirrte wie ein großer Vogel auf der Flucht. Wir begannen zu laufen. Der Sturm brach los, als wir von der Klippe hinunterrannten. Er schleuderte uns den Regen ins Gesicht. Andere Frauen begannen neben uns herzulaufen und ihre Schreie tönten lauter als der Wind. Am Fuße des Pfades stießen wir zu unseren Kriegern. Viele hatten am Strand gekämpft. Wenige hatten ihn verlassen und von diesen war jeder verwundet. Mein Vater lag in der Bucht. Die Wellen brandeten schon über ihn hinweg. Ich betrachtete seinen toten Körper. Es wäre besser gewesen, dachte ich, wenn er Kapitän Orloff seinen geheimen Namen nicht verraten hätte, und später, als wir ins Dorf zurückgekehrt waren, pflichteten mir alle bei. Sie alle, die weinenden Frauen und die verstörten Männer, sprachen aus, was ich dachte: Mein Vater war im Kampf mit den Aleutern und dem doppelzüngigen Russen unterlegen, weil er seinen Geheimnamen preisgegeben und damit seine Stärke verloren hatte.