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In Marokko kenne ich den König. Wir sind gute Freunde, haben uns schon häufiger mit einem Gefallen ausgeholfen, ich weiß, dass er alles tun wird, damit unser Aufenthalt in seinem Land angenehm ausfällt. Ich spreche von Abdel Moula I., dem Putenkönig. Wir haben uns in Paris kennengelernt, unter, sagen wir, etwas zweifelhaften Umständen. Das Leben in seinem Heimatland bekommt ihm besser.
Monsieur Pozzo und ich landen in Marrakesch. Ein mildes Lüftchen umweht uns, als wir aus dem Flugzeug steigen, und schon sind die ersten Palmen zu erspähen.
»Ist das toll! Stimmt’s, Monsieur Pozzo?«
Eine Limousine erwartet uns. Herrlich.
»Ist das schön! Stimmt’s, Monsieur Pozzo?«
Wir fahren zu der Adresse, die uns mein Freund angegeben hat … Ein Riad. Er ist nur leider abgeschlossen, und ich habe keinen Schlüssel.
»Ist das ärgerlich! Stimmt’s, Abdel?«
So schnell geb ich mich nicht geschlagen! Ich hab noch eine Adresse. Ein anderer Riad in der Medina. Wir lassen uns von der Limousine auf dem Jemaa-el-Fna-Platz absetzen, die Schlangenbeschwörer rücken zur Seite, als sie den Rollstuhl sehen, den ich durch die Gassen eher schleppe als schiebe. Der Boden ist aus Lehm. Die Fußgänger drücken sich rechts an die Mauer, die Fahrräder flitzen über die linke Spur, also gehört die Mitte uns. Wir torkeln im Zickzack um die Löcher herum. Monsieur Pozzo bereut die Reise jetzt schon. Er bereut sie noch mehr, als er merkt, dass in dem Riad das einzige Zimmer im Erdgeschoss zum Innenhof hinausgeht, nicht vernünftig verschließbar ist und außerdem über keine Heizung verfügt. Wieder mal komme ich ihm mit meinem Lieblingswitz: »Ich hol einen Elektroofen. Rühren Sie sich nicht vom Fleck.«
»Ich rühr mich nicht, Abdel, ich rühr mich nicht …«
Es ist dann leider noch etwas dazwischengekommen. Eine Faust – meine Faust –, die in der Fresse eines nicht sehr hilfsbereiten Parkplatzwächters gelandet ist. Doch als ich schließlich wieder zurück bin, habe ich, was ich brauche, um die Bude in einen Brutkasten zu verwandeln. Es ist höchste Eisenbahn. Monsieur Pozzo schlottert schon am ganzen Körper.
»Sehen Sie, Sie rühren sich ja doch!«
Am nächsten Morgen geht’s auf Erkundungstour. Meine Chauffeurtalente werden auf eine harte Probe gestellt. Wir verfahren uns mehrmals, aber es ist nie meine Schuld: Was soll denn auch dieser ganze Schnee auf den Straßen im Atlasgebirge und der ganze Sand in der Wüste! Schließlich halten wir in Saïdia, genannt »die blaue Perle des Mittelmeers«, im Nordosten das Landes, ganz nah an meinem Geburtsland Algerien. Ein Traumstrand, Dutzende von gigantischen Hotels, aber nichts, was man hier sonst noch tun könnte. Das heißt, für uns gibt’s hier einiges zu tun! Wir denken an einen Freizeitpark für Touristen. Wir müssen ein Grundstück finden und beim Präfekten, der schwer erreichbar ist, die nötigen Bewilligungen einholen. Die Tage gehen ins Land, ohne dass wir weiterkommen.
Am Empfang unseres Hotels ist eine sehr schöne junge Frau. Wenn ich ihrem Blick begegne, geschieht etwas. Etwas Neues. Etwas, das mich stutzen lässt. Mich am Boden festnagelt. Mir die Sprache verschlägt. Sieh an, das erinnert mich an das komische Gefühl, das ich hatte, als ich zum ersten Mal bei Philippe Pozzo die Borgo aufgekreuzt bin. Ich rufe mich zur Vernunft. Wir sind schließlich nur auf Durchreise.
»Abdel, in der Avenue Léopold II. warst du auch nur auf Durchreise, erinnerst du dich?«, kichert plötzlich ein Jiminy Grille in mir. Ich schnauze ihn an, er soll Pinocchio auf dem Gewissen rumtrampeln und mich in Ruhe lassen. Ich muss laut gedacht haben. Die schöne Telefonistin schaut mich an und bricht in Lachen aus. Sie muss mich für völlig bekloppt halten. Wie steh ich denn jetzt da?
Monsieur Pozzo und ich meinen es ernst mit unserem Projekt, aber wir müssen bald einsehen, dass wir Monate brauchen, um es zu verwirklichen. Wir werden nach Paris zurückkehren und Laurence mit ins Boot holen (für alles, was zwei gesunde Hände und ein funktionierendes Hirn braucht, wie immer). Wir reisen hin und her. Wir steigen immer im selben Hotel ab, natürlich. Jedes Mal lächelt das schöne Mädchen am Empfang freundlich, still, geheimnisvoll. Und ich benehme mich vor ihr wie ein Idiot.
Sie sagt zu mir:
»Abdel Yamine, du gefällst mir.«
Und dann:
»Abdel Yamine, du gefällst mir sehr.«
Und schließlich:
»Abdel Yamine, wenn du mich willst, musst du mich heiraten.«
Das ist doch mal was anderes … Sie kommt aus einer Familie mit lauter Schwestern. Nie wurde ihr von einem großen Bruder das Wort verboten, sie lebt, wie sie es für richtig hält, trifft ihre eigenen Entscheidungen. Sie fragt Monsieur Pozzo:
»Halten Sie es für eine gute Idee, wenn ich Abdel Yamine heirate?«
Er gibt ihr seinen Segen, wie ein Vater. Aber wie wessen Vater? Ihrer oder meiner?
Das schöne Mädchen heißt Amal. Wir haben drei Kinder: Abdel Malek ist 2005 geboren. Sieht ganz so aus, als wäre er der Schlaukopf der Familie: Er ist immer brav, lernt schön für die Schule und haut nicht allzu sehr auf die Kleineren ein. Unser zweiter Sohn, Salaheddine, ist ein Jahr später dazugekommen. Er hatte bei der Geburt große gesundheitliche Probleme, musste mehrere schwere Operationen über sich ergehen lassen, er ist eine Kämpfernatur. Unter uns nennen wir ihn Didine, aber er hat viel von einem Rocky Balboa. Ich erkenne mich in ihm wieder, sage ihm eine schöne Karriere als Schlitzohr voraus, und treibe damit seine Mutter zur Weißglut. Und unsere Tochter Keltoum schließlich ist 2007 zu uns gestoßen, sie hat schönes lockiges Haar, ist schlau wie ein Fuchs und hat genauso viel Schalk wie Charme. Ich hätte sie auch Candy nennen können. Amal hat beschlossen, dass jetzt erst mal Schluss ist. Sie trifft die Entscheidungen.
Bei einem Zwischenstopp in Marrakesch hat Monsieur Pozzo ein Juwel namens Khadija kennengelernt. Sie haben sich zusammen in Essaouira niedergelassen, direkt am Meer, wo es nie zu heiß und nie zu kalt ist. Sie ziehen zwei kleine Mädchen auf, die sie adoptiert haben. Es geht ihnen gut. Ich besuche sie oft, allein oder während der Ferien mit der Familie. Die Kinder spielen alle zusammen im Pool, das Haus hallt wider von ihren Schreien und ihrem Lachen, ist voller Freude, voller Leben. Und auf Marokkos Straßen fahre ich nie sehr schnell, wenn ich am Steuer sitze …
Aus unserem Projekt mit dem Freizeitpark in Saïdia ist nie etwas geworden, aber mal ehrlich, das ist uns so was von egal!