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Meinen Achtzehnten habe ich nicht richtig gefeiert. Ich hatte ihn vergessen, war wohl anderweitig beschäftigt. Doch die Bullen hatten sich das Datum offenbar dick im Kalender angestrichen, denn sie haben mich kurz darauf geschnappt. Aus heiterem Himmel, als ich es am wenigsten erwartet hätte, denn an diesem Tag sah ich ausnahmsweise mal keinen Grund zu rennen. Ich wollte sogar ans Meer fahren, um Urlaub zu machen! Wie ein fröhlicher Trottel spazierte ich durch die Stadt: Die Diebstahlanzeigen der Touristen hatten sich monatelang angehäuft, und ich hatte keine Ahnung, dass sie mich jahrelang belasten konnten. Ich lebte tatsächlich wie ein Tier in freier Wildbahn, ohne mir darüber im Klaren zu sein, dass meine Zeit abläuft. Solange ich minderjährig war, konnte man mich wegen solcher Lappalien nicht belangen, also auch nicht verurteilen. Doch als ich achtzehn wurde, galten plötzlich andere Spielregeln, und die Taten, die ich vor meiner Volljährigkeit begangen hatte und die fein säuberlich in meiner Akte festgehalten worden waren, sprachen nicht gerade für mich. Wäre ich nach dem 25. April 1989, meinem achtzehnten Geburtstag, zum gesetzestreuen Bürger geworden, hätten sie nichts gegen mich ausrichten können. Leichtsinnig und unbeschwert, wie ich war – ein fröhlicher Trottel –, machte ich weiter wie davor. Und das ging nicht lange gut.
Ich lief durch den Gang der Metrostation Trocadéro, er ist lang und breit, und zu jeder Jahreszeit bläst dort ein scharfer Wind, der die karierten Schirmmützen auf den Köpfen der Alten und die Seidenschals an den zarten Damenhälsen zittern lässt. Ich sah ein Pärchen auf mich zukommen, beide in Jeans, er hatte sich einen Fotoapparat umgehängt, sie trug einen beigefarbenen Trenchcoat. Innerhalb weniger Sekunden überlegte ich: Soll ich mir den Apparat unter den Nagel reißen? Nein, ich hatte an diesem Tag schon genug Beute gemacht. Weise Entscheidung. Die zwei waren Zivilbullen. Als sie auf meiner Höhe waren, hakte sich ein Arm bei mir ein, packte eine Hand mein Handgelenk. Im Nu wurde ich von vier Typen (wo waren die anderen drei so plötzlich hergekommen?) zu Boden geworfen, mit Handschellen gefesselt und zum Ausgang geschleppt, ausgestreckt, mit dem Kopf nach unten. So schnell konnte keiner gucken. Eine richtige Entführung.
Grauer Beton, zerdrückte Kaugummis, schlanke Beine auf hohen Absätzen, Bundfaltenhosen mit Lederstiefeletten, ausgelatschte Turnschuhe, aus denen behaarte Waden wachsen, ein alter Metrofahrschein, ein gebrauchtes Papiertaschentuch, eine Raider-Verpackung (der Pausensnack), Dutzende Zigarettenkippen … Schon klar, warum Superman auf Tiefflüge verzichtet. Endlich stellen sie mich auf die Füße.
»Sie kenn ich ja noch gar nicht! Sind Sie neu? Warum verhaften Sie mich?«
Ich möchte ganz offiziell erfahren, warum ich in diesem netten kleinen, porentief reinen Polizeiwagen sitze, auf keinen Fall darf ich ihnen einen Grund liefern, den sie vielleicht noch gar nicht auf ihrer Liste haben.
»Diebstahl und tätlicher Angriff. Wir haben dich gestern gesehen, wir haben sogar hübsche Fotos gemacht. Heute Morgen übrigens auch!«
»Ach ja? Und wo fahren wir jetzt hin?«
»Wirst du schon sehen.«
Das Gebäude sehe ich zum ersten Mal. Die haben es bestimmt zum Schein errichtet, so wie das Wettbüro in Der Clou mit Robert Redford und Paul Newman. Alles ist wie im Film: die grauen Wände, die gelangweilten Sachbearbeiter, die ihre Berichte lautstark in die Schreibmaschine hämmern, und das nicht vorhandene Interesse am Beschuldigten … Man platziert mich auf einem Stuhl, das Büro ist verlassen, wie ich höre, wird der zuständige Mitarbeiter jeden Moment zurückerwartet.
»Kein Problem, ich hab Zeit …«
Ich mache mir genauso wenig Sorgen wie früher. In spätestens zwei Tagen dürfte ich hier wieder raus sein. Was immer geschieht: Ich kann’s als neue Erfahrung verbuchen.
»Ich erkläre dir nicht, wie’s läuft, das weißt du ja!«, wirft mir ein Inspektor an den Kopf, während er sich mir gegenübersetzt.
»Erklären Sie schon, ich bin ganz Ohr …«
»Du befindest dich ab sofort in Polizeigewahrsam. Ich werde dich befragen und deine Aussage aufnehmen. Anschließend leite ich sie an den Staatsanwalt weiter, der über die Anklageerhebung befinden wird. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass es zur Anklage kommt, kannst du dir ja denken.«
»Okay.«
Ich beobachte das Pärchen von der Metrostation, das zwischen den Büroräumen hin und her wuselt. Ihm baumelt immer noch der Fotoapparat um den Hals, sie hat ihren Trenchcoat mittlerweile ausgezogen. Sie schenken mir nicht die geringste Beachtung. Sie kümmern sich bereits um einen anderen Fall, ein anderes Schlitzohr, eine andere Bagatelle.
Ihr Franzosen, Touristen und Spießbürger, ihr könnt beruhigt schlafen. Die Polizei sorgt für Recht und Ordnung.