KAPITEL 51

»Tory Brennan!«

Karsten spuckte meinen Namen aus, als hätte er einen bitteren Geschmack auf der Zunge.

Mir klappte die Kinnlade herunter.

Unser Bunker war von außen quasi unsichtbar und draußen war es dunkel. Wie hatte Karsten ihn nur gefunden?

Die Jungs schwiegen kleinlaut. Das Spiel war vorbei. Wir hatten verloren.

»Hier plant ihr also eure kleinen Raubzüge.« Karsten grinste boshaft über seine eigene Wortwahl. »Wie ausgefallen.«

Plötzlich weiteten sich Karstens Augen, bevor sie zu schmalen Schlitzen wurden. Ich folgte seinem Blick.

Zu Coop.

Der Welpe lag vor mir platt auf dem Bauch, die Beine gespreizt, mit hängenden Ohren und zitterndem Fell. Er fletschte seine glänzenden weißen Zähne.

Coop ließ Karsten nicht aus den Augen, während ein leises Knurren aus seiner Kehle drang.

»Es stimmt also!« Karstens Stimme bebte vor Wut. »Ihr habt ihn gestohlen.«

»Ja«, sagte ich ruhig. »Das haben wir.«

Ich streichelte Coops Kopf. Er blieb angespannt, verfolgte jede Bewegung von Karsten, zum Angriff bereit.

»Wer hat euch beauftragt?« Karsten blickte sich um, ließ sich auf einen Stuhl fallen. Seine gelben Turnschuhe waren mit Dreck bespritzt. »Für wen arbeitet ihr?«

»Wovon re… reden Sie, M… Mann?« Shelton stotterte vor Erregung. »W… Wir arbeiten für nie… niemand.«

»Bullshit!« Ich erschrak über Karstens Ausbruch. Ich hatte ihn niemals fluchen gehört. »Wie seid ihr ins Gebäude reingekommen? Wie habt ihr die Schlösser überwunden? Und erzählt mir bloß nicht, ihr hättet das alles alleine gemacht. «

»Tut mir leid, aber wir haben es wirklich alleine gemacht.« Ich verschränkte die Arme. »Wir hatten auch gar nicht nach dem Hund gesucht. Doch als wir ihn gefunden hatten, blieb uns keine andere Wahl.«

»Und warum dann der Einbruch? Wie seid ihr reingekommen? Ich will alles wissen! Sofort!«

Da ich keine Alternative sah, kam ich seiner Aufforderung nach.

Ich erzählte vom Angriff des Affen. Von der verkrusteten Erkennungsmarke. Dem Sonicator. Wie wir zufällig das geheime Labor entdeckt hatten. Dem Schicksal vom Katherine Heaton auf die Spur gekommen waren. Das Skelett ausgegraben hatten. Im Dunkeln beschossen worden waren.

Karsten schwieg lange. Als er wieder zu reden begann, war seine Stimme ruhiger geworden.

»Ihr habt wirklich ein menschliches Skelett gefunden?«

»Ja, das haben wir«, antwortete Ben.

»Katherine Heaton!« Ich achtete auf seine Reaktion. »Aber die bewaffneten Männer haben uns verjagt. Auf Ihrer Insel.«

Karstens Blick ging ins Leere.

»Katherine Heaton …«, murmelte er kaum hörbar. »In all den Jahren auf Loggerhead ist sie immer da gewesen.«

Ich war überrascht. Seine Trauer schien echt zu sein.

Dennoch machte ich weiter.

»Sie waren so wütend, dass wir die Polizei verständigt hatten. Außerdem haben Sie Zugang zu Affenknochen. Das macht Sie verdächtig.«

»So ein Unsinn!« Sein scharfer Ton war zurückgekehrt. »Katherine und ich sind zusammen auf die St. Andrew’s High gegangen. Haben dieselben Kurse besucht. Wir waren befreundet, haben uns beide zu den Naturwissenschaften hingezogen gefühlt.« Er richtete seinen knochigen Finger auf mich. »Ich war am Boden zerstört, nachdem sie verschwunden war. Also sprich hier nicht von Dingen, über die du nichts weißt!«

»Es tut mir leid.« Das war die Wahrheit. Karstens Worte klangen glaubhaft. »Doch irgendjemand hat die Leiche von Katherine Heaton auf Loggerhead Island vergraben. Und dieser Jemand wollte unter allen Umständen verhindern, dass wir sie finden.«

Karstens Augen wanderten davon. Für einen Moment schien er mit sich zu ringen. Dann kehrte sein Blick zu mir zurück.

»Ich habe keine Ahnung, wer das sein sollte. Katherines Verschwinden ist ein sehr alter Fall, der nie aufgeklärt wurde. « Karsten stand auf. »Ihr habt ein schweres Verbrechen begangen. Und die Sache ist ernster, als ihr euch vorstellen könnt.«

»Da sind wir aber nicht die Einzigen«, schoss Hi zurück. »Sie führen Ihr Experiment ja auch ohne offizielle Genehmigung durch.«

Karsten rückte sich seine Brille zurecht. »So, meinst du?«

»Heute Nachmittag haben wir die Beweise gefunden.« Ich konnte mich nicht mehr bremsen. »Hat sich Ihr Besuch im Aquarium gelohnt?«

Karsten erstarrte.

»Ihre Laboruntersuchungen tauchen in keinem offiziellen Register auf.« Ich zog den Einzahlungsbeleg aus meiner Tasche. »Und Sie lassen sich auch noch schwarz dafür bezahlen. Können Sie uns das erklären, Dr. Karsten?«

Aus Karstens Gesicht war sämtliche Farbe gewichen. Seine Hände zitterten, ballten sich zu Fäusten.

Zum ersten Mal bekam ich Angst vor ihm. Hatte der Mann den Verstand verloren? War er verzweifelt? Wir waren mit ihm allein. Niemand in der Nähe, der uns hätte helfen können.

Doch anstatt die Beherrschung zu verlieren, nahm er nur die Brille ab und rieb sich die Augen. Als die dicken Gläser wieder an ihrem Platz waren, schaute ein veränderter Mann durch sie hindurch.

»Ihr habt recht«, sagte er leise.

Bitte?

»Mein Projekt war geheim. Und illegal.« Er atmete tief durch. »Und ich bete darum, dass ich keinen irreparablen Schaden angerichtet habe.«

»So wie die Folterung eines wehrlosen kleinen Hundes«, stellte ich fest.

Karsten warf Coop einen kurzen Blick zu. Coop knurrte.

»Warum haben Sie das getan?«, fragte Ben.

Karsten schüttelte den Kopf. »Ihr würdet es mir ja doch nicht glauben.«

»Versuchen Sie’s.«

»Um Millionen von Tieren vor dem frühzeitigen Tod zu bewahren. Um ein wirksames Medikament gegen das Parvovirus zu entwickeln, nicht bloß einen Impfstoff.« Seine dünnen Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln. »Und, ja, auch des Geldes wegen.«

Wie zuvor änderte sich Karstens Verhalten von einem Augenblick zum anderen. Er schlug mit der Faust in seine Handfläche.

»Ich habe alle nur erdenklichen Vorkehrungen getroffen! Die Tür war eigentlich unüberwindbar. Niemand außer mir wusste von dem Labor.«

»Aber wenn das Ihr Ziel war, warum haben Sie sich dann nicht um eine offizielle Genehmigung für Ihre Experimente bemüht?«, fragte Shelton. »Warum diese Geheimnistuerei?«

»Ich weiß, warum.«

Acht Augen starrten mich an. Ich spürte, dass Karsten versuchte, meine Gedanken zu lesen.

»Dr. Karsten hat ein neues Virus geschaffen. Eine gefährliche Kreuzung sozusagen. Einen Hybrid des Caninen Parvovirus und des Parvovirus B19.«

Karsten sank in sich zusammen. »Wie in aller Welt habt ihr das herausgefunden?«, flüsterte er.

»Wir haben die Beschriftung an Coops Käfig gesehen. Sie haben Coop mit einem Erreger infiziert, der Parvovirus XPB-19 genannt wird.« Ich schaute zu Shelton und Hi hinüber. »Und heute haben wir von dem humanen Virenstamm B19 erfahren. Da brauchten wir nur noch zwei und zwei zusammenzuzählen. «

Karsten bemühte sich nicht einmal um Widerspruch.

»Die Namensähnlichkeit hätte ein Zufall sein können«, fuhr ich fort. »Aber das ist nicht das Entscheidende.«

»Sondern?«, fragte er leise.

»Das Entscheidende ist, Dr. Karsten, dass wir uns an diesem Virus infiziert haben.« Ich breitete meine Arme aus. Sie haben uns zu Virals gemacht.«

VIRALS - Tote können nicht mehr reden - Reichs, K: VIRALS - Tote können nicht mehr reden
e9783641059323_cov01.html
e9783641059323_toc01.html
e9783641059323_ack01.html
e9783641059323_fm01.html
e9783641059323_p01.html
e9783641059323_c01.html
e9783641059323_c02.html
e9783641059323_c03.html
e9783641059323_c04.html
e9783641059323_c05.html
e9783641059323_c06.html
e9783641059323_c07.html
e9783641059323_c08.html
e9783641059323_c09.html
e9783641059323_c10.html
e9783641059323_p02.html
e9783641059323_c11.html
e9783641059323_c12.html
e9783641059323_c13.html
e9783641059323_c14.html
e9783641059323_c15.html
e9783641059323_c16.html
e9783641059323_c17.html
e9783641059323_c18.html
e9783641059323_c19.html
e9783641059323_c20.html
e9783641059323_c21.html
e9783641059323_c22.html
e9783641059323_c23.html
e9783641059323_c24.html
e9783641059323_c25.html
e9783641059323_c26.html
e9783641059323_c27.html
e9783641059323_c28.html
e9783641059323_c29.html
e9783641059323_c30.html
e9783641059323_c31.html
e9783641059323_p03.html
e9783641059323_c32.html
e9783641059323_c33.html
e9783641059323_c34.html
e9783641059323_c35.html
e9783641059323_c36.html
e9783641059323_c37.html
e9783641059323_c38.html
e9783641059323_c39.html
e9783641059323_c40.html
e9783641059323_c41.html
e9783641059323_c42.html
e9783641059323_c43.html
e9783641059323_c44.html
e9783641059323_c45.html
e9783641059323_c46.html
e9783641059323_c47.html
e9783641059323_c48.html
e9783641059323_c49.html
e9783641059323_c50.html
e9783641059323_c51.html
e9783641059323_c52.html
e9783641059323_c53.html
e9783641059323_c54.html
e9783641059323_p04.html
e9783641059323_c55.html
e9783641059323_c56.html
e9783641059323_c57.html
e9783641059323_c58.html
e9783641059323_c59.html
e9783641059323_c60.html
e9783641059323_c61.html
e9783641059323_c62.html
e9783641059323_c63.html
e9783641059323_c64.html
e9783641059323_c65.html
e9783641059323_c66.html
e9783641059323_c67.html
e9783641059323_c68.html
e9783641059323_c69.html
e9783641059323_c70.html
e9783641059323_c71.html
e9783641059323_bm01.html
e9783641059323_ata01.html
e9783641059323_cop01.html