KAPITEL 45
In dieser Nacht legte sich der Sturm in meinem Innern.
Nichts störte meine friedlichen Träume.
Zum ersten Mal in dieser Woche wachte ich erfrischt und energiegeladen auf. Kein Kopfschmerz, keine Abgeschlagenheit, weder Fieber noch Schmerz. Volle Fahrt voraus.
Jippie!
Die Gang hatte verabredet, sich vor Schulbeginn zu treffen. Ich hoffte, dass die anderen auch gute Nachrichten hatten.
Zwanzig Minuten nach dem Aufstehen duckte ich mich durch den Eingang des Bunkers. Die Stimmung war ausgelassen, kein Vergleich zum letzten Mal.
Hi und Shelton standen in verschiedenen Ecken und warfen sich einen Tennisball zu. Coop raste hin und her und versuchte, sich den Ball zu schnappen. Ben saß am Tisch und verfolgte Coops Kunststücke.
»Hallo Jungs!«
»Schön, dass du’s geschafft hast«, sagte Hi. »Nur fünf Minuten zu spät.«
Shelton ließ den Ball fallen. Coop stürzte sich darauf, rollte sich auf den Rücken und nagte hingebungsvoll an seiner Beute. Kerngesund. Mopsfidel.
»Wie fühlt ihr euch?«, fragte ich.
»Großartig!« Sheltons Augen waren hell und klar. »Ich habe nicht die geringsten Probleme.«
»Und ihr beide?«
»Blendend«, antwortete Ben. »Was auch immer das war, ich habe es besiegt.«
»Ich fühle mich wie neugeboren«, sagte Hi. »Gott sei Dank.«
»Sogar Cooper ist super drauf.« Shelton kitzelte den Welpen am Bauch. »Nicht wahr, mein kleiner Ausbrecher?«
Cooper kam hechelnd auf die Beine und hüpfte auf Sheltons Brust. Die beiden begannen, miteinander zu raufen.
Hi, wieder ganz der Alte, kommentierte enthusiastisch den Ringkampf Mann gegen Hund, der auf dem Boden stattfand. Sogar Ben war ausgesprochen heiter. Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Mundwinkel.
Ich wollte die gute Laune nicht beeinträchtigen, doch wir mussten dringend gewisse Entscheidungen treffen.
»Ich bin froh, dass es allen wieder besser geht«, begann ich. »Ich denke, das Schlimmste ist überstanden.«
»Das will ich auch hoffen«, entgegnete Hi. »Einen zweiten Klomarathon hält mein Hintern nicht durch.«
»Das Schlimmste?« Shelton schob seine Brille mit dem Finger die Nase hinauf. »Meinst du, da kommt noch was?«
»Wir müssen ganz sicher sein, dass wir wirklich wieder gesund sind«, sagte ich. »Und dazu müssen wir vor allem wissen, was eigentlich mit uns passiert ist.«
»Warum denn?«, fragte Ben. »Vorbei ist vorbei.«
»Vielleicht ist es noch nicht vorbei.«
Ich erzählte von meinem Tanzanfall. Sie hörten zu, ohne mich zu unterbrechen.
»Der Anfall kam ohne Vorwarnung«, schloss ich. »Aber ich bin nicht in Ohnmacht gefallen.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Hi.
»Wir wissen nicht, ob diese Attacken auch weiterhin kommen werden.« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Mit all ihren Begleiterscheinungen, diesen Phänomenen … ich weiß nicht, wie ich das nennen soll.«
»Bei mir«, sagte Shelton, »geht da immer eine Art Ruck durch den Kopf.«
Ich nickte. »Ich weiß nicht, ob ich es höre oder fühle, doch irgendwas macht klick in meinem Gehirn. Danach spielen sich die merkwürdigsten Dinge ab, bis es wieder klick macht und alles wie vorher ist.«
»Das stimmt«, sagte Hi. »Letzte Nacht hat meine Optik wieder verrückt gespielt, und der Beginn war genau so wie von euch beschrieben.«
»Diese Schübe müssen einen bestimmten Auslöser haben«, sagte Ben. »Irgendwas, das sie aktiviert.«
Schübe. Perfekte Bezeichnung.
»Fazit: Wir brauchen Antworten«, sagte ich. »Und die finden wir nur an einem ganz bestimmten Ort.«
»Scheiße.« Hi schloss die Augen. »Wir müssen noch mal hin, oder?«
»Nur Ben und ich«, beruhigte ich ihn. »Wir können sowieso nicht alle auf einmal gehen. Das fällt zu sehr auf.«
»Find ich auch!« Shelton und Hi im Chor.
»Und was hast du vor?«, fragte Ben.
Ich machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Nichts Besonderes. Wir brechen nur kurz in Karstens Büro ein und schauen uns mal seine Unterlagen an.«
»Pff.« Ben stieß die Luft zwischen seinen Lippen aus. »Und ich dachte schon, es wäre was Gefährliches.«
»Das ist doch Wahnsinn.« Shelton zupfte sich zwei Mal am Ohrläppchen. »Der reine Selbstmord.«
»Mag sein«, erwiderte ich. »Aber du und Hi, ihr müsst auch noch was erledigen.«
»Was kommt denn jetzt?« Hi klang resigniert. »Sollen wir etwa ein Auto klauen oder in Russland einmarschieren?«
»Im Internet erfährt man nicht genug über das Parvovirus. Nach dem, was ich bisher gefunden habe, sollte für uns eigentlich keine Gefahr bestehen. Aber wir müssen noch mehr herausbekommen. Ihr beide geht in die medizinische Bibliothek der Uni und sammelt so viele Informationen wie möglich.«
Hi und Shelton schienen erleichtert zu sein, dass ihr Auftrag legal war.
»Wir durchforsten die ganze Bibliothek«, versprach Shelton. »Von oben bis unten.«
»Und ich gebe auch nicht auf, was Katherine Heaton angeht«, fügte ich hinzu. »Ich warte immer noch auf Nachricht von Chance, was es mit dem Fingerabdruck auf sich hat.«
Die anderen nickten. Fest entschlossen, die Sache jetzt gemeinsam durchzuziehen.
»Achtung! Alle Mann ausrücken zur Virenbekämpfung!« Hi sprach wie ein Offizier zu seinen Rekruten. »Wir haben einen Job zu erledigen!«