East Anglia, August 1153
Es war alles andere als schwierig, Eustaches Spur in East Anglia zu folgen, denn er hatte eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Alan und seine rund zwei Dutzend Begleiter kamen durch niedergebrannte, ausgeplünderte Dörfer. Sie wirkten verlassen, so als wären alle Bewohner erschlagen oder davongelaufen, aber wenn King Edmund sich an den Dorfbrunnen stellte und mit tragender Stimme rief, er sei der Märtyrerkönig, der einst über dieses Land geherrscht habe, und nun wiedergekehrt, um seine Wunden zu heilen, kamen hinter verbrannten Hecken und aus verkohlten Ruinen Menschen hervor. Langsam und matt, so als stünden sie noch unter Schock. Sie betrachteten Alan und seine Soldaten mit starren, leeren Blicken, aber King Edmund gelang es immer, ihr Vertrauen zu wecken, und flüsternd erzählten sie ihm von den Gräueltaten, die Eustache und die Seinen begangen hatten: Sie mordeten und schändeten und verbrannten die Ernte in den Scheunen und auf den Feldern.
Warum er das tue, wenn er wirklich der Sohn des Königs sei, hatte ein mutiger Dorfpfarrer, der des Normannischen mächtig war, ihn gefragt.
Weil der König die Krone an einen anderen verschenkt habe, und dem wolle er nichts als verbrannte Erde hinterlassen, hatte Eustache geantwortet, ehe er dem Pfarrer den Schädel spaltete.
Alan lauschte den immer gleichen Geschichten, blickte in die immer gleichen leblosen Augen der Menschen, und jede Nacht, wenn er schlaflos in eine Decke eingerollt im Nieselregen am ersterbenden Feuer lag, besuchte ihn seine alte Gefährtin, die Düsternis. Wie oft noch?, fragte er Gott. Wann nimmt das Morden ein Ende? Wann ist es endlich genug?
In jedem der überfallenen Dörfer verteilte er ein wenig von dem Geld, das Henry ihm eigentlich als kleine Aufmerksamkeit für den Abt von Bury St. Edmunds mitgegeben hatte, damit die Menschen wenigstens eine Chance hatten, über den Winter zu kommen. Die Frauen knicksten vor ihm und berührten seinen Mantelsaum. Die Männer hielten ihm den Steigbügel und murmelten seinen Namen voller Ehrfurcht. Und Alan kam es vor, als sei der Höllenwurm zurückgekehrt, um ihn zu verschlingen und in schwarzer Galle zu ertränken.
Doch wenigstens in einer Hinsicht hatte King Edmunds Sorge sich als unbegründet erwiesen: Das Städtchen, welches sich um das reiche Kloster mit »seinem« Grab schmiegte, war noch lebendig und unversehrt.
»Alan of Helmsby?«, fragte der ehrwürdige Abt verwundert. »Das ist in der Tat eine Überraschung, Monseigneur. Setzt Euch ans Feuer. Ihr seht ein wenig begossen aus, wenn Ihr meiner Offenheit vergeben wollt.«
Alan folgte der Einladung gern. »Danke, Vater. Wir sind seit zwei Wochen unterwegs, und es hat unablässig geregnet.«
»Ja, seit St. Swithun«, antwortete Abt Ægelric seufzend. Ein weißer Haarkranz umgab seine Tonsur. Die Hand, die nach dem dampfenden Krug griff, war alt, aber ruhig und sicher. Er füllte zwei Becher und reichte seinem Gast einen davon. Der Duft von heißem Würzwein erfüllte den Raum, und Alan trank behutsam, während er sich verstohlen umsah. Das Haus des Abtes war geräumig und hell, aber bescheiden eingerichtet. Und kein Diener weit und breit, um den Wein einzuschenken. Abt Ægelric nahm es offenbar ziemlich genau mit der Regel des heiligen Benedikt. Er entstammte einem der wenigen angelsächsischen Adelsgeschlechter, die die normannische Eroberung überdauert hatten, und in seiner Familie war es Tradition, dass ein Sohn aus jeder Generation in dieses Kloster eintrat. Viele von ihnen waren Äbte geworden, und das war kein Wunder, befand Alan.
»Ich bin auf der Suche nach Eustache de Boulogne«, eröffnete er dem Abt.
Der nickte. »Ja, das haben wir gehört.« Er lächelte flüchtig. »In diesem Teil East Anglias geschieht nicht viel, das uns entgeht.«
»Dann wisst Ihr auch, wo er ist?«
Ægelric deutete ein Achselzucken an. »Schon möglich.«
Die Antwort beunruhigte Alan, und er fühlte sich zu niedergedrückt von all dem Elend, dass er gesehen hatte, um sich auf ein Versteckspiel mit dem Abt einzulassen. »Schon möglich?«, wiederholte er scharf. »Unter welchen Umständen, Vater? Wenn ich Euch seinen Aufenthaltsort abkaufe? Tut mir leid. Was ich an Silber bei mir trug, habe ich denen gegeben, die es nötiger hatten als Ihr. Oder fällt Euch wieder ein, wo Eustache sich aufhält, wenn ich Euch schwöre, ihn zu schonen, weil Ihr Euch mit ihm verbündet habt, damit er Euch in Ruhe lässt? Was genau heißt ›schon möglich‹?«
Ægelric schlug die Beine übereinander und betrachtete seinen Gast mit zur Seite geneigtem Kopf. »Ich hätte nicht gedacht, dass seine Taten einen Mann wie Euch so verbittern könnten.«
»Dann wird es vielleicht Zeit, dass Ihr Eure sicheren Mauern einmal verlasst und Euch anschaut, was er getan hat«, gab Alan zurück, und mit einem Mal traf ihn die Müdigkeit wie ein Keulenschlag.
Der ehrwürdige Abt ging nicht darauf ein. »Ich bin nicht Eustaches Freund«, sagte er stattdessen. »Und ganz gleich, was er sagt, es gibt keine Rechtfertigung für das, was er tut. Ich bin nicht sicher, dass Gott ihm das vergeben wird. Ich bin auch nicht sicher, dass er Gottes Vergebung verdient. Er ist eine widerwärtige Kreatur, und das war er als Junge schon.«
Alan nickte. »Ich weiß.«
»Aber wie kann ein Abt der Heiligen Mutter Kirche der Freund eines Thronanwärters sein, der sich damit brüstet, Dämonenblut in den Adern zu haben? Der Krieg gegen den frommen König von Frankreich geführt und beinah jeden seiner Bischöfe brüskiert hat? Der ohne Dispens eine äußerst fragwürdige Ehe geschlossen hat und mir ausgerechnet einen exkommunizierten Frevler schickt?«
Alan stellte seinen Becher ab. »Er ist besser, als die Aufzählung seiner Verfehlungen ihn erscheinen lässt, glaubt mir. Im Übrigen hat der Bischof von Winchester meine Exkommunikation aufgehoben.«
»Weil Ihr in Reue und Demut in den Schoß der Kirche zurückgekehrt seid? Oder weil es politisch opportun war?«, fragte Ægelric streng.
Alan stand auf. »Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Vater.« Er ging zur Tür, hielt aber noch einmal inne. »Oh, eine Frage noch. Die Gebeine des heiligen Edmund … kann man sie sehen?«
»Wo denkt Ihr hin? Sie liegen in einem steinernen Sarg.«
Alan nickte. »Und habt Ihr in den letzten Jahren je festgestellt, dass der Deckel bewegt worden ist?«
»Was für eine seltsame Frage. Dieser Deckel wandert, Helmsby. Die Unterkante ist nicht perfekt geglättet, das Gleiche gilt für die Oberkante des Sargs. Tausende von Pilgern berühren und küssen diesen Sarg Jahr um Jahr. Es vergeht keine Woche, ohne dass wir morgens in die Kirche kommen und der Deckel ein wenig verrutscht ist. Die Novizen sagen: ›Heute Nacht ist er wieder umgegangen, der rastlose Edmund.‹« Er sprach mit Nachsicht. »Warum wollt Ihr das wissen?«
Alan winkte ab. »Oh … Vermutlich habe ich einmal von dem wandernden Deckel gehört, das ist alles.« Wäre der ehrwürdige Abt ein anderer Mann gewesen, hätte er ihm vielleicht von King Edmund erzählt, aber unter diesen Umständen nahm er lieber Abstand davon. Er legte keinen Wert darauf, dass Abt Ægelric King Edmund geradewegs zurück auf die Isle of Whitholm schickte und Alan womöglich gleich mit. »Lebt wohl, Vater.«
Er stand schon wieder draußen im unablässigen Regen, als er den Abt sagen hörte: »Wenn ich an Eurer Stelle wäre, würde ich in Fenwick suchen.«
Alan schloss die Tür mit einem kleinen Ruck und überquerte den glitschigen Rasen mit gesenktem Kopf. Er vermied es, zur Klosterkirche hinüberzuschauen, als könne er so vor Gott verbergen, dass er mit ihm haderte. Warum, warum musste es von den ungezählten Dörfern in East Anglia ausgerechnet das sein, wo er um keinen Preis hinwollte?
Fenwick war nicht verkohlt und verlassen wie die übrigen Weiler, die Eustache heimgesucht hatte, aber die Türen der Katen waren geschlossen, und bis auf ein paar Hühner und Katzen begegnete ihnen niemand im Dorf.
Haimons Burg stand einen Steinwurf entfernt auf einer beachtlichen Motte. Zwei Wachen in angerosteten Kettenhemden und Helmen mit verbogenem Nasenschutz bemannten das Torhaus. Als sie Alan in Begleitung seiner beiden Cousins auf sich zukommen sahen, zogen sie die Klingen.
Alan trat dem Rechten das Schwert aus der Hand und hatte ihm die eigene Waffe an die Kehle gesetzt, ehe der zweite Wächter sich auch nur rühren konnte.
Alan sah Letzterem für einen Lidschlag in die Augen. »Schön ruhig, Junge.« Und an den Ersten gewandt: »Lässt du uns durch, oder möchtest du heute sterben?«
»Wer seid Ihr?«, fragte der Mann erschrocken.
Alan verstärkte den Druck. »Lässt du uns durch, oder möchtest du sterben?«, wiederholte er.
Der Soldat bog mit einem kleinen Ruck den Kopf zur Seite und riss den Dolch aus der Scheide am Gürtel, ehe Alans Klinge knirschend seinen Kettenpanzer durchbohrte. Genau über dem Herzen.
Alan befreite sein Schwert mit einem Ruck aus dem zusammensackenden Leichnam. Der zweite Torhüter, ein blasser Jüngling, der noch keine fünfzehn sein konnte, war entsetzt zurückgewichen und ließ sich anstandslos von Ælfric entwaffnen. »Ich … ich lass Euch durch«, erbot er sich unaufgefordert. »Ich will nicht sterben. Bitte nicht, Mylord …«
»Hör auf zu betteln«, herrschte Alan ihn an. Er hasste es, wenn irgendwer sich vor ihm erniedrigte. Er hasste es, solchen Schrecken zu verbreiten, wie er ihn in den Augen des Jungen las. »Bist du aus Fenwick, oder gehörst du zu Eustache de Boulogne?«
Der Junge sah angstvoll über die Schulter, als er spürte, dass Ælfric und Athelstan ihm die Hände auf den Rücken banden. Dann kehrte sein Blick zu Alan zurück. »Ich …« Er schluckte. »Ich bin ein Knappe des Prinzen.«
»Wirklich? Und hast du die Bauern in den Dörfern von Suffolk leben lassen, als sie dich angefleht haben, dass sie nicht sterben wollen?«
Unter dem kurzen Kettenhemd verfärbte sich das linke Hosenbein des Jungen dunkel, er senkte den Kopf und fing an zu heulen. Er weinte bitterlich. Mehr aus Scham denn vor Angst, schien es Alan. Oder vielleicht wollte er das auch nur glauben.
»Komm schon, Söhnchen, nimm dich zusammen«, murmelte Ælfric beschwichtigend. »Ich glaube nicht, dass er dich umbringt. Aber du musst schön artig sein und ihm sagen, was er wissen will.«
Der Knappe fasste sich ein wenig.
»Wo ist der Prinz?«, fragte Alan.
»Im Donjon oben.« Das bebende Kinn ruckte zum Turm auf der Motte hinüber.
»Wie viele Männer hat er?«
Der Junge streifte seinen toten Kameraden mit einem raschen Blick. »Jetzt noch elf.«
Alan ohrfeigte ihn mit der freien Linken. »Wenn du mich noch einmal anlügst, bist du fällig. Also?«
»Elf, Mylord, ich schwör’s beim heiligen Kreuz!«
»Schsch, kein Grund, so laut zu schreien. Zwei Dutzend, habe ich gehört.«
»Einer ist im Moor ersoffen, vier haben die Männer der Wache hier erwischt, als wir gestern ankamen, der Rest hat sich schon letzte Woche verdrückt und ist zurück nach Wallingford geschlichen, um sich Henry Plantagenet anzuschließen.«
Alan tauschte einen Blick mit seinen Rittern. Beide nickten. Sie glaubten dem Bengel, und er selbst neigte auch dazu. »Wenn du schlau wärest, hättest du das Gleiche getan.«
Der Knappe biss sich auf die Unterlippe. »Mein Vater hat gesagt, er schlägt mich tot, wenn ich das tue.« Wieder deutete er zum Burgturm hinüber. »Mein Vater ist einer seiner Ritter, versteht Ihr.«
Alan nickte wortlos und trat einen halben Schritt zurück. Es war nur eine winzige Bewegung, aber der Junge entspannte sich. Er schien zu spüren, dass sein Leben nicht länger in Gefahr war.
»Was ist mit der Wache, die hier auf der Burg war?«, fragte Alan weiter. Ein halbes Dutzend junger Kerle hatte er hergeschickt, Männer aus Helmsby, Metcombe und Blackmore, die er in den vergangenen Jahren ausgebildet hatte. Sie wären lieber mit ihm in die große Welt hinausgezogen, statt seine einstige Gemahlin und ihre Bälger zu hüten, aber sie hatten es anstandslos getan, weil er es befohlen hatte. Er stählte sich. »Alle tot, nehme ich an?«
Der Jüngling schüttelte unerwartet den Kopf. »Einer. Dann hat Lady Susanna ihnen befohlen, die Waffen niederzulegen. Das haben sie auch getan.«
Alan runzelte die Stirn. »Einfach so? Wie zahm …«
»Der Prinz …« Der Knappe musste schlucken. »Er hat gesagt, wenn sie es nicht tun, tötet er Lady Susannas Sohn. Da haben sie lieber klein beigegeben. Sie sind in einem der Vorratshäuser eingesperrt.«
Alan hatte genug gehört. Er wandte sich um und winkte mit beiden Armen.
Seine kleine Truppe kam hinter dem letzten Haus des Dorfes hervor und lief zu ihm herüber – King Edmund vorneweg.
»Bleib hier«, riet Alan ihm.
»Kommt nicht infrage«, bekam er zur Antwort.
Alan zuckte die Schultern. Er hatte jetzt keine Zeit, weiter mit Edmund zu streiten. Konzentriert nahm er aus dem Schatten des Torhauses die Anlage innerhalb der Palisade in Augenschein, und die Entscheidung, was zu tun war, kam wie immer ganz von selbst. »Athelstan.«
»Mylord?«
»Binde den Bengel wieder los, gib ihm sein Schwert zurück und schlag dich mit ihm im Burghof. Mach so viel Radau, wie du kannst.«
»Ich soll Eustaches Männer anlocken?«
Alan nickte. »Bedwyn, du versteckst dich mit den übrigen Männern hier im Torhaus und wartest, bis die Soldaten des Prinzen in den Hof gelaufen kommen. Dann greift ihr sie an. Verstanden?«
»Ja, Mylord.«
»Ælfric. Nimm ein halbes Dutzend Männer und mach dich auf die Suche nach dem Vorratshaus, wo meine Wachen eingesperrt sind. Befreit und bewaffnet sie. Ihr seid die Reserve. Beobachtet den Kampf im Burghof aus der Deckung und greift ein, wenn du es für richtig hältst.«
»In Ordnung.«
Vom Torhaus beobachtete Alan, wie der lahme Schaukampf zwischen seinem Ritter und dem nur mäßig ausgebildeten Knappen in Windeseile Bewaffnete und Gesinde anlockte, die aus den Wirtschaftsgebäuden und dem Donjon zusammenströmten. Er zählte acht Männer, die er für Ritter des Prinzen hielt, und ehe diese eingreifen und Athelstan erschlagen konnten, schickte Alan Bedwyn und die Männer von Blackmore vor. Sie waren in der Überzahl und fielen mit siegesgewissem Gejohle über die Soldaten des Prinzen her. Die Knechte und Mägde brachten sich schleunigst in Sicherheit, als sie feststellten, dass aus dem Zweikampf eine Schlacht geworden war.
Eustaches Männer waren hart und kampferprobt; jeder von ihnen konnte es mühelos mit zwei von Bedwyns Sorte aufnehmen, die zwar bewaffnet und mutig waren, aber mehr Erfahrung in Wirtshausschlägereien denn im Schwertkampf hatten. Alan sah zwei seiner Bauern schreiend und blutüberströmt zu Boden gehen und fing an, sich zu sorgen. Doch dann kam Ælfric mit den befreiten Männern aus Helmsby. Diese hatten sich auf die Schnelle nur mit Dreschflegeln und Knüppeln bewaffnen können, aber jetzt machte sich bezahlt, wie gründlich Alan sie ausgebildet hatte. Im Nu brachten sie den Kampf unter Kontrolle.
Alan schloss den Kinnschutz seines Kettenhemdes, beförderte den Schild mit einer geschickten Bewegung vom Rücken nach vorn, legte die Linke um den Haltegriff und zog das Schwert wieder. Dann verließ er den Schatten des Torhauses, umrundete das kleine Schlachtfeld im Burghof und lief die Treppe zum Donjon hinauf. Zwei von Eustaches Rittern mussten hier noch irgendwo sein, wusste er, und sie erwarteten ihn gleich am Eingang der Halle mit gezückten Schwertern.
Gleichzeitig griffen sie ihn an, einer von rechts, einer von links. Alan machte einen Satz nach hinten, und seine beiden Gegner prallten hart gegeneinander. Der Linke ging mit einem Wutschrei zu Boden, und Alan nahm sich den Rechten vor. Er hatte leichtes Spiel, denn der Kerl war ein miserabler Techniker. Nach drei unkoordinierten Streichen auf Alans Schild vergaß er seine Deckung, und Alan hieb ihm den Schwertarm ab. Schreiend ging der Mann zu Boden und landete auf dem Rücken. Mit der Linken umklammerte er den Stumpf seines rechten Arms, aus dem ein pulsierender Blutstrahl sprudelte, und starrte mit weit aufgerissenen Augen zu Alan auf. Der ließ den Schild los, legte beide Hände ans Heft und stieß ihm die Klinge mit einem kräftigen Ruck ins Herz.
Der Schrei endete wie abgeschnitten, und in der plötzlichen Stille hörte Alan den Zweiten von hinten kommen. Er glitt nach links, um dessen Schwert zu entgehen, machte einen krummen Rücken und gleichzeitig einen Schritt rückwärts. Der Angreifer traf ihn wie ein Rammbock, und die eigene Wucht beförderte ihn von den Füßen. Er fiel über Alans Schulter, landete hart auf seinem Schild und starb, lange bevor er sich wieder sortieren und aufspringen konnte.
Alan stellte ihm einen Fuß auf die Schulter und befreite die Klinge aus seiner Kehle. Vorwurfsvoll starrten die toten blauen Augen zu ihm empor.
»Ein Jammer«, sagte eine Stimme vom anderen Ende der Halle. Sie klang amüsiert. »Das war mein Cousin Ralph de Mortain.«
»Euer Cousin war zu langsam«, antwortete Alan und wandte sich um. »Da kann man nichts machen.«
Eustache de Boulogne stand hinter der Tafel an der Stirnseite der Halle, aber Alan konnte nicht viel von ihm sehen, denn der Prinz hielt Susanna vor sich wie einen Schild und hatte ihr einen Dolch an die Kehle gesetzt.
Ohne Eile trat Alan näher und vermied es, seiner einstigen Gemahlin in die Augen zu sehen. Er war nicht sicher, was er dort finden würde – Verachtung oder Flehen –, aber er konnte das eine so wenig gebrauchen wie das andere.
»Ich bin auf der Suche nach Eustache de Boulogne«, sagte er.
»Ihr habt ihn gefunden«, antwortete der schmale Kerl mit den Hakennase und den rötlichblonden Locken.
»Das kann nicht sein«, erwiderte Alan kopfschüttelnd. »Eustache de Boulogne ist der beste Soldat in König Stephens Armee. Kein Feigling, der sich hinter Röcken versteckt.«
»Wäre ich nur Soldat, würde ich mich liebend gern mit Euch schlagen, Helmsby, denn ich wollte immer schon wissen, wer von uns beiden denn nun besser ist. Aber ich bin auch Prinz und versuche, mein Erbe zu retten. Was Ihr hier seht, ist nicht Feigheit, sondern Politik.«
Alan verzog angewidert den Mundwinkel. »Nennt es, wie Ihr wollt, das macht es nicht besser. Und im Übrigen ist Euer Erbe verloren, ganz gleich, was Ihr tut. Ihr habt, genau genommen, alles verloren, Monseigneur. Sogar Fenwick.« Unten im Hof war es still geworden, und er hörte Schritte auf der Treppe. »Alles gesichert, Mylord«, rief Ælfric.
»Seht Ihr?«, sagte Alan zu Eustache. »Also, wie wäre es, wenn Ihr die Dame gehen lasst und wir überlegen, wie es nun weitergehen soll.«
Eustaches Linke, die Susannas Oberarm umklammert hielt, glitt zu ihrer Brust, knetete sie einen Moment, legte sich dann wieder um den Arm. Susanna regte sich zum ersten Mal; eine schwache, ruckartige Bewegung, als wäre sie zusammengezuckt, aber sie gab keinen Laut von sich.
Alan konnte es nicht länger aufschieben. Er schaute ihr ins Gesicht. Er sah Angst in ihren Augen, aber ebenso diese spezielle Art von Hochmut, die sie so perfekt beherrschte. Sie hasste ihn immer noch, stellte er erleichtert fest. Mir ist lieber, er schneidet mir die Kehle durch, als mir von dir helfen zu lassen, sagte ihr Blick. Alan lächelte ihr zu. Susannas Mut hatte ihm immer imponiert.
»Also, was soll das werden, Monseigneur?«, fragte er Eustache. »Eure Geisel ist wertlos, denn mir ist es gleich, wenn ihr sie tötet. Ein Wort, und zwanzig meiner Männer stürmen diese Halle. Wenn Ihr die Kunst der Politik beherrscht, wie Ihr behauptet, wird es Zeit, Euch Eure Niederlage einzugestehen.«
Eustache lachte leise. »Meine Geisel ist wertlos?«, wiederholte er. »Nun, dann war es ja klug von mir, gleich eine zweite zu nehmen, nicht wahr?« Er stieß Susanna zur Seite, und sie landete hart auf dem strohbedeckten Holzboden.
Alan setzte sich in Bewegung, aber lange bevor er die Tafel erreichte, hatte Eustache sich herabgebeugt und hob etwas vom Boden auf. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er ein kleines Mädchen von hinten an den Armen gepackt und stellte es vor sich auf den Tisch.
Alan blieb stehen, als seien seine Füße plötzlich am Boden festgenagelt. Das Kind mochte vier Jahre alt sein, und es war Haimons Ebenbild. Die kleinen Hände und Füße waren zusammengebunden, ein Knebel steckte in seinem Mund. Die dunklen Augen waren weit aufgerissen, starrten Alan direkt an, und ihr Ausdruck schien sämtliche Luft aus seinen Lungen zu pressen. Furcht stand in den Augen und diese staunende Verwirrung, die ihm von Oswald so vertraut war.
Alan ließ das blutverschmierte Schwert ins Stroh fallen.
»Ah«, machte Eustache zufrieden. »Es scheint, meine Lage ist doch nicht so aussichtslos, wie wir beide eben noch dachten.«
»Was wollt Ihr? Freien Abzug?«
Über den Kopf des kleinen Mädchens hinweg sah der Prinz ihn an, die schmalen, rötlichen Brauen wie vor Verblüffung gehoben. »Ich fürchte, freier Abzug wird nicht ganz ausreichen, Alan of Helmsby. Ich will Rache für den Krieg, den Ihr gegen meinen Vater geführt habt und der mich meine Krone gekostet hat.«
»Dann lasst das Kind los und nehmt Euer Schwert in die Hand«, schlug Alan vor.
»Wieso sollte ich das tun? Warum sollte ich Euch diese Ehre erweisen, nachdem Ihr mich und meinen Vater so unaussprechlich gedemütigt habt? Legt die Waffen und die Rüstung ab. Na los.«
Alan rührte sich nicht.
Mit einem einzigen Ruck riss Eustache dem kleinen Mädchen den Kittel vom Leib. Eigentümlich langsam sah es an sich hinab, erkannte voller Schrecken seine Nacktheit, kniff die Augen zu und fing an zu weinen.
»Ich habe mir sagen lassen, das sei der einzige Anblick auf der Welt, der Euch erschüttern könne«, knurrte der Prinz. »Versteht Ihr mich jetzt?«
»Mylord?«, kam Athelstans Stimme von der Tür. »Was zum Henker ist hier …«
Alans Atem ging stoßweise, und sein Blickfeld hatte eine rötliche Tönung angenommen. Es erforderte eine enorme Willensanstrengung, den Blick von dem Kind abzuwenden und auf Eustache zu richten. Ohne sich umzuwenden, sagte er: »Komm her, Athelstan. Hilf mir aus der Rüstung. Alle anderen bleiben draußen.«
»Aber Mylord …«
»Komm schon«, herrschte Alan ihn an.
Sein junger Vetter trat vor ihn, sah von ihm zu Eustache und wieder zurück, und seine Miene wurde grimmig. Dann nahm er den Helm aus Alans Händen entgegen und ließ ihn ins Stroh fallen. Wortlos streckte Alan die Arme nach oben, und Athelstan umfasste den unteren Rand des Ringelpanzers und zog ihn ihm über den Kopf.
Alan zückte den Dolch aus der Scheide am Gürtel und gab ihn ihm. »Jetzt nimm Lady Susanna und geh.«
Sie war aufgestanden und trat einen unsicheren Schritt auf ihn zu. »Alan … was hast du vor?« Es klang untypisch dünn.
Der rote Schleier vor seinen Augen hatte sich nicht gelichtet. Alan war es, als habe dieser seltsame rote Nebel sich auch über seinen Geist gelegt, zähflüssig wie Brei. Der Anblick des Kindes und alles, was er mit sich brachte, lähmte seine Sinne. Selbst seine Zunge kam ihm schwer vor. Ein Kopfschütteln war die einzige Antwort, die er für Susanna hatte.
»Jetzt komm her«, befahl Eustache.
Alan setzte sich in Bewegung.
»Mylord«, protestierte Athelstan.
»Alan, tu das nicht«, bat Susanna heiser.
Langsam wandte er den Kopf und sah sie an. »Willst du deine Tochter behalten und vor dem retten, was er vorhat? Oder ist sie wertlos, Susanna?«
Sie schüttelte den Kopf, sah zu ihrem Kind, dann wieder zu ihm und fing an zu weinen. Beschämt wandte sie sich ab und schlug die Hände vors Gesicht. »Sie ist … mein Ein und Alles«, bekannte sie tonlos.
»Dann geh. Athelstan bringt sie dir zurück.«
»Alan … Ich will nicht, dass du das für mich tust.«
Er hörte kaum hin, sondern ging weiter auf Eustache zu. Beinah zerstreut gab er zurück: »Sei unbesorgt. Ich tu es nicht für dich. Jetzt verschwinde endlich.«
Athelstan nahm sie zaghaft am Arm und brachte sie zur Tür.
Alan war vor dem Prinzen angekommen und sah ihm ins Gesicht.
Eustache lächelte wieder. »Knie dich hin, sei so gut.«
Ich sterbe wie Regy, dachte Alan fassungslos und kniete sich ins Stroh. »Schwöre mir, dass du sie ihrer Mutter zurückgibst. Unversehrt.«
Eustache nickte feierlich, ließ das Kind los und zog sein Schwert. »Ich schwöre bei den Gebeinen des heiligen Königs Edmund«, höhnte er und hob die Waffe mit beiden Händen über die linke Schulter. Dann gab er ein eigentümliches Stöhnen von sich, und als Alan den Kopf hob, sah er die blutverschmierte Spitze eines Jagdmessers aus der Brust des Prinzen ragen.
»Oh nein, du Unhold«, knurrte King Edmund. »Das wirst du nicht tun.«
Alan sah den Blick der grausamen, stahlblauen Augen brechen, und als Edmund den Griff seines Messers losließ, sank der tote Prinz ins Stroh.
Alan kam auf die Füße. Unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen, wich er kopfschüttelnd vor dem Heiligen mit den blutigen Händen zurück.
Edmund schien ihn kaum zu bemerken; er wirkte seltsam entrückt. Er hob ein Büschel reines Stroh vom Boden auf und säuberte sich damit sorgsam die Hände, ehe er das weinende kleine Mädchen von seinen Fesseln und dem Knebel befreite und ihm seinen Kittel wieder überstreifte. Dann nahm er es auf den Arm und wiegte es. »Schsch. Alles ist gut, Marie. Hab keine Angst mehr. Komm, lass uns schauen, wo deine liebe Mutter steckt …«
Alan schüttelte immer noch den Kopf, um ihn endlich wieder klar zu bekommen. Sein Blick fiel auf den Prinzen, der auf der Seite gelandet war. Als Alan das Messer erkannte, welches das Herz durchbohrt hatte, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. »Woher hast du diese Klinge?«, rief er Edmund nach.
Der hagere Angelsachse wandte sich um. »Es ist das Jagdmesser, das du auf der Insel gefunden hast.«
»Das seh ich selbst. Aber woher hast du es?«
Edmund hob die Schultern – er war die Ruhe selbst. »Es lag immer unbenutzt in deiner Truhe. Ich habe mir erlaubt, es zu borgen.«
»Und wie kommst du hierher? Wie kannst du an diesem Ende der Halle auftauchen, wenn du nicht durch den Eingang gekommen bist? Hast du ein Wunder gewirkt, King Edmund?«
»Gott wirkt Wunder, wie oft muss ich dir das sagen, eh du es lernst? Aber nicht in diesem Fall. Dieser Donjon hat eine Treppe im Eckturm, genau wie deiner. Wozu sollte Gott also ein Wunder wirken, wo ich doch einfach die Tür nehmen konnte?« Er zeigte mit dem Finger auf den schmalen Durchlass in der hinteren Ecke der Halle, den Alan bislang nicht gesehen hatte, weil er im Schatten lag.
Trotzdem, dachte Alan argwöhnisch. Irgendetwas stimmt hier nicht. Er sah auf Eustache hinab und murmelte: »Du hättest lieber auf etwas anderes schwören sollen. Dann stündest du jetzt hier und ich läge da.«
Es hatte aufgehört zu regnen, als der Karren, der den toten Prinzen zu seinem Vater zurückbringen sollte, aus dem Burgtor zockelte. Sechs von Eustaches Rittern und Knappen waren noch übrig. Alan hatte keinen Sinn darin gesehen, sie gefangen zu nehmen oder zu töten, darum bildeten sie die Eskorte.
Alan und Edmund sahen dem traurigen kleinen Zug nach.
»Bitter für den alten König«, bemerkte Alan.
»Oh ja«, stimmte King Edmund zu – vorbehaltlos, aber ohne Reue. »Erinnere ich mich recht, dass er noch einen Sohn hat?«
Alan nickte. »William. Ein sanftmütiges Geschöpf. Es hieß sogar einmal, er wäre gern Mönch geworden, nur hat sein Vater es verboten.« Er zuckte die Schultern. »Jedenfalls ist er kein Krieger wie Eustache. Henry wird ihn großzügig mit Ländereien ausstatten, und William wird sich erleichtert in die Normandie zurückziehen, schätze ich.«
»Also ist der Krieg vorbei?«, fragte Edmund.
Alan legte ihm für einen Moment die Hand auf die Schulter. »Der Krieg ist vorbei.«
»Dann lass uns Gott danken.«
»Das werden wir. Aber lass es uns in der Kirche von Helmsby tun. Ich will so schnell wie möglich aus Fenwick verschwinden.« Und er wollte nach Hause. Er wollte zu seiner Frau, wollte sie am helllichten Tage verführen, sie mit nichts als dem Bändchen am Fußknöchel bekleidet sehen und hinter geschlossenen Bettvorhängen mit ihr feiern, dass er noch lebte.
Edmund kehrte dem Torhaus den Rücken und wandte sich Alan zu. »Ich werde nicht mit nach Helmsby zurückkehren, mein Sohn.«
»Was? Wieso nicht, in aller Welt?«
»Mein Werk ist getan, Alan. Es wird Zeit für mich.«
Alan sah ihn sprachlos an.
»Gottes Plan ist aufgegangen, wie er es immer tut«, fuhr King Edmund fort. »Ich war ein stumpfes Werkzeug und wusste meist nicht, warum ich tat, was ich tat, aber alles hat sich zum Guten gefügt. Ich habe dich von der Insel geführt …«
»Moment«, unterbrach Alan entrüstet. »Ich würde sage, ich habe dich von der Insel geführt.«
Edmund ließ sich nicht beirren. »… und nach East Anglia gebracht, weil Gott wollte, dass Henry dir und Simon dort begegnet. Nur weil das geschehen ist, wird er der nächste König von England.«
»Ich würde sagen, du überschätzt unsere Rolle ein wenig.«
»Das tue ich keineswegs, und das weißt du. Ein Letztes blieb noch zu tun, um ihm die Krone zu sichern und mein geliebtes East Anglia von der Tyrannei zu erlösen.«
»Eustache«, sagte Alan tonlos. Ein Sonnenstrahl brach durch die graue Wolkendecke, aber dennoch fror ihn an Armen und Rücken, als ihm aufging, dass Edmund es wirklich ernst meinte.
Der nickte und ergriff lächelnd mit der Rechten seine Linke. »Du siehst also, ich sage die Wahrheit. Mein Werk ist getan. Darum muss ich euch nun verlassen.«
Alan befreite seine Hand wütend. »Aber … aber was wird Oswald sagen, wenn du nicht nach Helmsby zurückkehrst?«
»Ich habe mich von Oswald verabschiedet, eh ich nach Wallingford aufbrach. Er war bekümmert, aber er hat es verstanden. Du wirst feststellen, wenn du ihn siehst, dass er dir in der Kunst, sich Gottes Willen zu fügen, weit überlegen ist.«
Alan schüttelte hilflos den Kopf. »Aber wo willst du denn hin?«
Edmund lächelte und blieb die Antwort schuldig.
Alan stieß hörbar die Luft aus und würgte den dicken Brocken herunter, den er plötzlich in der Kehle hatte. »Also ist dies hier unser Abschied.«
»So ist es, mein Sohn. Aber du solltest nicht trauern, weißt du. Ich gehe nur voraus, und am Tisch des Herrn sehen wir uns wieder. Bis es so weit ist, hast du indes noch allerhand zu tun, will mir scheinen. Ich weissage, dass du mein Nachfolger als Hüter von Recht und Ordnung in East Anglia sein wirst. Und du musst dein Leben leben. In Frieden, Alan, auch wenn du dir das vielleicht noch nicht so recht vorstellen kannst. Das Weiße Schiff sinkt nicht mehr.«
Alan schloss ihn kurz in die Arme, dann trat er zurück und nickte ihm zu. »Geh mit Gott, King Edmund.«
Der hob lächelnd die Hand zu einem letzten Gruß und schritt auf seinen rissigen Sandalen Richtung Torhaus. »Ich tu das immer, wie du sehr wohl weißt. Gib du lieber Acht, dass du nicht wieder von seinem Weg abkommst, mein Sohn.«
»Deine Predigten werden mir fehlen!«, rief Alan ihm nach und lachte, damit er nicht anfing zu heulen.
Er verspürte den Drang, Edmund nachzulaufen und ihn zurückzuholen, notfalls mit Gewalt. Weil er um ihn fürchtete. Der Krieg mochte vorüber sein, aber es würde ein Weilchen dauern, bis die Nachricht die Engländer erreichte und bis sie es glauben konnten. Noch herrschten Willkür und die Furcht, die die Menschen gnadenlos machte. Wie sollte ein liebenswerter Wirrkopf wie Edmund in solch einer Welt zurechtkommen? Wo würde er hingehen? Was würde er tun, an wen sich wenden, wenn er feststellte, dass er nur ein gewöhnlicher Sterblicher war, der hungerte und dürstete und fror? Aber Alan wusste, er durfte ihn nicht hindern, seinen Weg selbst zu wählen. King Edmund war nicht Luke, der nur in umsorgter Unfreiheit glücklich war und gefährlich wurde, wenn man ihn zwang, auf eigenen Füßen zu stehen. Edmund war der Hirte ihrer Gemeinschaft gewesen, ihr Anführer in allen Dingen des Glaubens und des Gewissens, und Alan hatte seine Autorität in diesen Fragen nie in Zweifel gezogen. Wenn er ihn jetzt zurückholte und entmündigte, dann nur, weil der Zerfall ihrer Gemeinschaft ihn deprimierte. Er täte es für sich, nicht für Edmund, musste er einräumen, und dann wäre er nicht besser als der Abt von St. Pancras …
»Alan?«
Er wandte den Kopf. Seine beiden Ritter waren aus dem Donjon gekommen, jeder einen Becher in der Hand. Athelstan drückte den seinen Alan in die Finger. »Hier. Blackmore-Wein. Ich wette, es ist deiner.«
Alan nickte ihnen zu und trank. »Hm. Gut.« Er atmete tief durch.
»Und wie geht es nun weiter?«, fragte Ælfric. »Zurück nach Wallingford?«
»Was macht Susanna?«, fragte Alan.
»Oh, Lady Susanna ist schon wieder ganz die Alte«, berichtete Athelstan trocken. »Sie residiert in der Halle und scheucht das Gesinde herum. Nur zu ihren Kindern ist sie liebevoll, das muss man ihr lassen.«
»Immerhin.«
»Sie lässt ausrichten, sie habe nicht den Wunsch, dich zu sehen.«
Alan lächelte flüchtig. »Das trifft sich gut.« Er überlegte einen Moment, dann entschied er: »Athelstan, du bleibst bis auf Weiteres mit den Wachen und den Männern von Blackmore hier. Ich möchte, dass ihr Susanna und ihre Kinder beschützt, bis wieder Ruhe im Land herrscht. Baut ihr eine ordentliche Halle, und dann reißt diese Burg ab.«
»Was?«, fragte Ælfric entsetzt. »Aber es ist eine hervorragende Anlage …«
»Sie wurde ohne Erlaubnis der Krone errichtet, und darum wird sie wieder abgerissen«, erklärte Alan, und sie hörten, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm darüber zu streiten. »Es wird höchste Zeit, dass geltendes Recht wieder befolgt wird, und dort, wo ich Einfluss habe, geschieht das ab heute. Susannas Sohn kann den König um die Erlaubnis ersuchen, eine Burg bauen zu dürfen, wenn er erwachsen ist. Bis zu dem Tag steht er unter meiner Vormundschaft. Das gilt auch für seine Mutter. Erinnere sie daran, wenn sie dir Schwierigkeiten machen will, Athelstan. Sei möglichst höflich zu ihr, aber lass dich nicht herumkommandieren. Du bist hier als mein Steward. Klar?«
Athelstan sah aus, als wisse er nicht so recht, wie ihm geschah, aber er nickte. »Hättest du Einwände, wenn ich sie irgendwann heirate?«, fragte er dann. »Falls sie will, meine ich natürlich.«
Alan schüttelte den Kopf. »Ich kann dir nicht reinen Herzens zu diesem Schritt raten, aber tu, was du für richtig hältst.«
Seine beiden Cousins lachten.
»Und was machst du?«, fragte Ælfric.
»Ich reite nach Hause.«