Helmsby, August 1147

Bei Einbruch der Dämmerung erreichten sie den Wald zwischen Helmsby und Metcombe, und nachdem sie vielleicht eine halbe Stunde unter den Bäumen einhergeritten waren, wo die Schatten sich allmählich verdichteten, verließ Alan den Pfad und bog nach links ab. Miriam folgte ihm auf der stämmigen kleinen Stute, die er am Morgen in Norwich für sie gekauft hatte. Das Tier war lammfromm und ihren bescheidenen Reitkünsten angemessen. Sie habe nicht oft Gelegenheit zum Reiten gehabt, hatte Miriam ihm gestanden, und er hatte ihr versprochen, sie werde noch vor dem Winter vernünftig reiten lernen.

Farn bedeckte den Waldboden und leuchtete in hellem Grün, wo die letzten Sonnenstrahlen einen Weg durch das Blätterdach fanden. Die Reiter schreckten eine Ricke mit ihrem Kitz auf, die lautlos zwischen den Bäumen davonsprangen. Dann gelangten sie zu einer kleinen Lichtung mit einer allein stehenden Eiche, die höher und älter war als die umstehenden Bäume, und keine fünf Schritte entfernt sprudelte eine Quelle in einem flachen Becken aus dicken, runden Kieseln, rann über dessen Rand auf den Wald zu und verlor sich im Farn.

Alan saß ab, band Conan an eine junge Buche und half Miriam aus dem Sattel. »In heidnischen Zeiten war dies ein heiliger Ort«, erklärte er und sah sich einen Moment andächtig um. »Noch heute schwören die Bauern, die Quelle habe magische Heilkräfte, und zu Mittsommer oder zur Sonnenwende kommen sie her, binden Tuchfetzen an die Eiche und flüstern ihr ihre geheimsten Wünsche zu, damit die Feen sie hören.«

Miriam sah zu ihm hoch, den Kopf leicht zur Seite geneigt. »Und? Worum hast du die Feen gebeten?«

»Um einen Vater, als ich ein Junge war.« Er nahm die Decke, die zusammengerollt hinter seinem Sattel gelegen hatte, und breitete sie auf dem Boden aus. »Um Ruhm und Ehre, als ich ein bisschen älter war.«

»Nun, zumindest den zweiten Wunsch haben die Feen dir erfüllt.«

Alan nickte. »Zu schade, dass er so dumm und eitel war.«

Miriam lachte, und Alan verharrte am Boden auf den Knien, spürte den weichen Wollstoff der Decke unter den Händen und ergab sich diesem Augenblick und dem warmen Klang ihres Lachens. Dann streckte er die Hand aus. »Komm her.«

Sie kam, ergriff seine Hand und kniete sich vor ihn auf die Decke, so nah, dass er ihren Atem auf der Wange spürte. Er ergriff auch ihre andere Hand, und dann knieten sie da und schauten sich in die Augen.

»Sind wir hergekommen, um den Segen der Feen zu erbitten?«, fragte Miriam schließlich.

Alan hob lächelnd die Schultern. »Sie sind wohl die Einzigen, deren Segen wir erhoffen können.« Ihr Vater hatte erklärt, eine jüdische Hochzeit sei unmöglich, kein Rabbiner wäre dazu bereit. Ein christlicher Priester hätte sich vermutlich gefunden, den Alan mit gezückter Klinge weit genug einschüchtern konnte, dass er sie traute, aber das wollte er nicht. »Das Gesetz sagt, der Segen der Kirche ist nicht zwingend erforderlich für eine gültige Eheschließung«, erklärte er. »Es reicht, wenn die Brautleute ein Eheversprechen tauschen und … ihren Worten Taten folgen.«

»Und dazu sind wir hier.«

»Dazu sind wir hier«, bestätigte Alan. Er studierte ihr Gesicht, um herauszufinden, ob ihr im letzten Moment Zweifel kamen oder sie sich fürchtete, aber er sah nichts als diese eigentümliche würdevolle Gelassenheit in ihrem Blick. »Es ist unmöglich zu erraten, was du denkst«, beanstandete er.

»Ich weiß«, erwiderte sie mit einem Lächeln, von dem ihm seltsam eng in der Kehle wurde.

»Bist du sicher, dass du das tun willst?«, fragte er.

»Ich bin sicher.«

»Dann frage ich dich, Miriam, Josuas Tochter, willst du meine Frau werden, obwohl ich vor deinem Volk ein Ungläubiger bin?«

»Ich will. Und willst du, Alan de Lisieux of Helmsby, mein Gemahl werden, obwohl ich vor deinem Volk eine Ungläubige bin und dein Bischof im Zorn über dich kommen wird?«

Alan schnaubte leise. »Er soll sich lieber vorsehen. Ja, ich will.« Er hob die Hände, schob das Kopftuch zurück in ihren Nacken und sah das schwarze, gewellte Haar, das immer so verführerisch unter dem dünnen Tuch durchschimmerte, zum ersten Mal unbedeckt. Er vergrub die Finger beider Hände darin und sagte: »So erkläre ich uns im Angesicht Gottes, welcher der deine ebenso wie der meine ist, zu Mann und Weib.«

Miriam nickte. »Amen.«

Alan hielt einen Moment den Atem an und wartete, ob die Erde sich auftun und ihn verschlingen oder Gott einen Blitz auf sie herabschleudern würde, um ihnen sein Missfallen zu bekunden. Doch nichts geschah, und er entspannte sich. Er musste nur ein wenig den Kopf neigen, um ihren Mund zu erreichen, und als ihre Lippen sich öffneten und die kleine, kühle Zunge, an die er sich so gut erinnerte, die seine empfing, stürzte es ihn in einen Rausch purer Glückseligkeit. Denn jetzt war es nicht mehr verboten. Miriam war seine Frau, und nun durfte er sie ohne die brennende Scham küssen, die ihn bei ihrem verbotenen Stelldichein im Kräuterlager gequält hatte. Er durfte sie küssen, und er durfte noch viel mehr.

Ohne die Lippen von ihren zu lösen, begann er die Schleife am Ausschnitt ihres Oberkleides zu öffnen. Das schaffte er spielend mit einer Hand, sodass er die andere auf ihre feste Mädchenbrust legen konnte. Durch den Stoff strich er mit der Daumenkuppe über die Spitze, die sich augenblicklich aufrichtete.

Er lachte leise und gab ihre Lippen endlich frei. Miriam war ein wenig außer Atem, und eine feine Röte hatte ihre Wangen überzogen.

Ihr Kleid war anders geschnitten und geschnürt als die normannischer und angelsächsischer Frauen, aber ein Kleid blieb ein Kleid. Er streifte ihr das weite Obergewand über die Schultern und zerrte ein bisschen ungeduldig an den Ärmeln des Unterkleides. Als beide Gewänder bis auf die Taille herabgerutscht waren, strich er mit den Händen über die milchweiße, glatte Haut ihrer Schultern, beugte den Kopf über ihre Brüste und saugte daran. Ein kleiner Laut der Verblüffung entfuhr Miriam, aber als er den Kopf heben wollte, legte sie die Hände darauf und vergrub die Finger in dem blonden Schopf. Dann ließ sie sich zurücksinken und half ihm, ihr die Kleider ganz auszuziehen. Er streifte ihre Sandalen ab, doch das Bändchen aus geflochtenen Wollfäden an ihrem Fußknöchel ließ er, wo es war.

Schließlich richtete er sich auf die Knie auf, ließ einen Moment die Hände auf den Oberschenkeln ruhen und betrachtete seine Frau eingehend. Sie war ein hinreißender Anblick. Ihr schlanker Mädchenkörper schien im Zwielicht fast zu schimmern. Magisch angezogen glitt sein Blick zum schwarzen Dreieck ihrer Schamhaare, und in genau diesem Moment öffnete sie die Schenkel, beinah so, als wären ihre Leiber schon eins.

Achtlos, mit ungeduldigen Bewegungen entledigte Alan sich seiner Kleider und schob sich auf seine wunderschöne Braut, die die Arme in seinem Nacken verschränkte und dann still und abwartend unter ihm lag. Die Wärme und der Duft ihrer Haut betörten ihn. Aber er beherrschte sich, führte die Hand zwischen ihre Schenkel und rieb behutsam.

Miriam erstarrte und gab einen kleinen Laut des Schreckens von sich. »Was tust du, Alan?«

Mit der anderen Hand strich er ihr das Haar aus der Stirn. »Ich mache dich bereit. Damit ich dir nicht wehtue.«

Ihre dunklen Augen erschienen ihm riesig, aber der Blick war voller Vertrauen. »Ist das … erlaubt?«, fragte sie unsicher.

»Wie fühlt es sich an?«

»Besser als alles, was ich kannte.«

»Dann ist es erlaubt.« Er machte weiter, bis ihre Hüften den Rhythmus seiner Hand zu erwidern begannen. Er küsste sie wieder, lauschte ihrem Atem, und als dieser rau wurde, führte er sein Glied behutsam zwischen ihre Schamlippen und drang in sie ein.

Miriam keuchte und biss ihm auf die Zunge, sodass sie beide schmerzlich das Gesicht verzerrten und beide Blut vergossen, aber der Schmerz war nichts gemessen an der Wonne, die sie einander gleich beim ersten Mal schenkten. Es war, als wären ihre Leiber füreinander gemacht. Alan war fasziniert davon, wie der schmale, fremde Körper unter ihm jede noch so kleine Veränderung von Position und Rhythmus aufnahm und erwiderte. Seine Nervosität verschwand. Er stützte sich auf einen Ellbogen, liebkoste eine der kleinen Brüste und entzückte seine Braut mit sacht schaukelnden Bewegungen, bis ihre Haut zu glühen begann, sie seine Oberarme mit ihren schmalen rauen Händen umklammerte und kam. Da drückte er ihre Schultern auf die Decke hinab, zog sich fast ganz zurück und pflügte wieder hinein, schneller und härter mit jedem Stoß, und noch ehe ihr letzter Schauer verebbt war, ergoss er sich in sie.

Erst als sein Keuchen nachließ, wurde er gewahr, dass ein Chor von Vogelstimmen den Wald erfüllte. Einen Moment lauschte er mit geschlossenen Augen, während seine Lippen über die Schulter seiner Frau strichen. Ihre Haut fühlte sich jetzt wieder kühl an. Welch ein Hort an Wundern der Körper einer Frau doch war …

Die Finger ihrer Linken wanderten seine Wirbelsäule hinab und wieder hinauf, während die rechte Hand sich auf seine unrasierte Wange legte. »Mach die Augen auf«, flüsterte Miriam.

»Schon?«, fragte er wehmütig.

»Ich will sehen, ob sie grün oder blau sind.«

Lächelnd tat er ihr den Gefallen, schlug die Lider auf und hob den Kopf.

Sie sah ihn an und seufzte. »Ich weiß es immer noch nicht.«

Er schob den Arm unter ihren Rücken, drückte sie noch einen Moment an sich und küsste ihre Stirn. »Feenaugen, sagen die Leute hier«, murmelte er. Dann löste er sich und richtete sich auf.

»Vielleicht dulden die Feen uns deswegen an ihrer heiligen Quelle«, mutmaßte Miriam.

»Das sehen wir morgen früh. Wenn einer von uns bei Sonnenaufgang blind oder stumm oder ganz verschwunden ist, werden wir wissen, dass wir sie erzürnt haben.«

Miriam richtete sich auf die Ellbogen auf. »Ist es das, was die Menschen hier glauben?«

Er ergötzte sich an ihrer Natürlichkeit, daran, dass sie keinerlei Bedürfnis zu verspüren schien, sich zu bedecken. »Früher haben es alle geglaubt. Heute nur noch fast alle«, antwortete er.

Sie dachte einen Moment nach. »Ich werde viel zu lernen haben über Helmsby und seine Menschen.«

»Du wirst viel Zeit dazu haben.«

Sie nickte, stand auf, ging zur Quelle und kniete sich dort ins Gras, um zu trinken. »Lass uns heute Nacht nicht davon sprechen«, bat sie dann. »Von Helmsby und deiner Großmutter und all den anderen dort und was sie von deiner jüdischen Frau halten mögen.«

»Nein«, stimmte er zu. »Heute Nacht lassen wir uns von den Feen verzaubern, und die Welt soll uns gestohlen bleiben.«

Der Tag brach verhangen an, und die grauen Wolken verhießen Regen. So aßen Alan und Miriam nur einen Happen von dem koscheren Brot, das in Alans Satteltasche verstaut gewesen war, tranken einen Schluck aus der klaren Quelle und machten sich dann auf den Weg nach Helmsby.

»Was wirst du essen?«, fragte er. Es war eines der vielen praktischen Probleme, um die er sich bislang gedrückt hatte.

»Obst, Gemüse, Fisch und Brot, das ich selber backen werde«, antwortete Miriam. »Oder vielleicht kann ich deiner Köchin beibringen, es zu backen.«

»Tu das«, stimmte er zu. »Ich liebe euer Brot.«

»Koscher zu essen ist nicht ganz einfach, und ich kann kein Fleisch zu mir nehmen, das nicht nach unseren Regeln geschlachtet ist. Schon gar nicht, wenn es mit Milch in Berührung gekommen ist. Aber ich werde nicht verhungern, sei unbesorgt.«

»Es wäre eine Bereicherung meiner Tafel, wenn die Köchin ein paar deiner wundervollen Eintöpfe zu kochen lernt.«

»Aber wir wollen sie nicht gleich zu Beginn damit überfallen. Dein Gesinde wird so schon Grund genug finden, mir ablehnend zu begegnen.«

Wer es wagt, dir ablehnend zu begegnen, wird eine sehr böse Überraschung erleben, dachte Alan grimmig, doch er sagte lediglich: »Wenn wir das nächste Mal nach Norwich reiten, besorgen wir die Kräuter und Gewürze, die bei euch üblich sind, und dann sehen wir weiter.«

Sie lächelte, streckte die Hand aus und drückte kurz die seine. »Einverstanden. Ist es noch weit?«

Er wies nach vorn. »Siehst du dort rechts das helle Schimmern durch die Bäume? Das ist die Kirche von Helmsby.«

Auf dem Dorfplatz und am Brunnen war niemand zu sehen. Das verwunderte ihn nicht, denn es war Werktag, und alles, was ein Paar Hände und Füße hatte, war heute auf den Feldern, um die Stunden zu nutzen, bis der Regen einsetzte. Die Ernte war längst noch nicht eingebracht, und fing es in East Anglia einmal an zu regnen, konnte man nie wissen, wann es wieder aufhörte.

»Das ist eine sehr schöne Kirche, Alan«, bemerkte Miriam. »Größer, als ich angenommen hätte.«

»Der Bau hat meinen Urgroßvater fast ruiniert. Heute lockt sie Pilger an und bringt uns gutes Geld. Wenn du willst, zeige ich sie dir später. Aber zuerst will ich auf die Burg. Es ist nur noch eine halbe Meile.«

Miriam stimmte bereitwillig zu, und sie ritten im Schritt an den Feldern vorbei, durch das kleine Wäldchen zwischen Burg und Dorf und gelangten schließlich an das Torhaus der äußeren Palisade. Alan erwiderte den ehrerbietigen Gruß der Wachen, ignorierte jedoch die neugierigen Blicke, die sie der fremden, seltsam gekleideten Frau zuwarfen, und ritt quer über den Burghof. Auf der anderen Seite saßen sie ab. Ihm entging nicht, dass die Bewegungen seiner Frau ein wenig steif waren, aber die freche Bemerkung über die Beschwernisse des Reitens nach einer so wilden Hochzeitsnacht wie der ihren, die ihm auf der Zunge lag, schluckte er lieber hinunter. Vielleicht hätte sie darüber gelacht. Vielleicht hätte sie ihn aber auch mit einem Blick königlicher Missbilligung gestraft, und den wollte er sich lieber ersparen.

Lady Matilda hatte die Halle nahezu für sich allein. Als sie die Schritte hörte, sah sie von ihrem Stickrahmen auf. »Willkommen daheim, Alan.«

»Danke.« Er schob Miriam vor sich. »Meine Braut, Miriam of Norwich. Miriam, dies ist meine Großmutter, Lady Matilda.«

Letztere steckte die Nadel in den feisten Bauch des dänischen Wüterichs auf ihrem Bilderteppich, stand auf und trat zwei Schritte näher. Ein Strahlen lag in ihren blauen Augen, das Alan nicht so recht zu deuten wusste, und ihre Miene war wie meistens undurchschaubar. Dann lächelte sie und nahm Miriam für einen Moment bei den Händen. »Dann sei auch du willkommen in Helmsby, mein Kind.«

»Danke, Madame.«

»Du hast die gleichen Augen wie dein Onkel Ruben, dieser Filou.«

Alan spürte mehr, als er sah, wie Miriam tief durchatmete. »Ihr wisst also, wer ich bin.«

»Natürlich.«

Es herrschte einen Moment Stille. Dann fragte Alan: »Bist du schockiert?«

Seine Großmutter stieß die Luft durch die Nase aus – ein Laut, der Belustigung ebenso auszudrücken schien wie Herablassung. »Schockiert? Wohl kaum, mein Junge. Nicht nach dem, was deine Mutter getan hat. Und was ich selbst getan habe. Ich stelle fest, ich habe immer geahnt, dass du einen Weg finden würdest, uns beide noch zu übertrumpfen.«

»Sei versichert, das war das Letzte, woran mir gelegen war«, gab er frostig zurück.

Seine Großmutter lächelte, zwinkerte Miriam zu und wies zur Tafel hinüber. »Kommt. Wir wollen auf euer Glück anstoßen.«

Alan beobachtete mit einer Mischung aus Erleichterung und Eifersucht, wie Matilda Miriam beim Arm nahm und mit Beschlag belegte, sie zum Tisch führte und auf den Platz neben sich zog, der eigentlich seiner war. »Erzähl mir, wie er deinen Vater überredet hat«, bat die alte Dame. »Oder seid ihr durchgebrannt?«

Miriam schüttelte den Kopf. »Ich war sicher, das müssten wir. Aber irgendwie hat Alan es geschafft, ihn zu überzeugen.«

»Hm«, brummte Matilda. »Es liegt daran, dass er das Blut angelsächsischer, schottischer und normannischer Könige in den Adern hat. Das heißt, ererbte Durchsetzungskraft aus drei Linien.«

Alan stöhnte. »Großmutter, bitte …«

Sie ignorierte ihn. »Man könnte auch sagen: Rücksichtslosigkeit. Er bekommt immer, was er will, heißt es.«

Alan lehnte hinter ihr am kalten Kamin. »Bist du jetzt fertig?«

Sie wandte den Kopf und sah ihn an. »Du kannst mir nicht weismachen, dass du ihr Lebensglück und ihre Sicherheit im Sinn hattest, als du beschlossen hast, sie aus ihrer Welt zu reißen und in deine zu verpflanzen.«

»Doch, stell dir vor, das hatte ich. Und dir steht überhaupt kein Urteil zu. Du weißt nichts von ihr, und im Grunde weißt du auch nichts von mir. Du …«

»Hört auf zu streiten«, fiel Miriam ihm ins Wort, so unerwartet scharf, dass Großmutter und Enkel für einen Augenblick verdattert schwiegen, ehe sie wie aus einem Munde erwiderten: »Wir streiten immer.«

Miriam deutete ein huldvolles Nicken an. »Bitte. Aber nicht meinetwegen.« Sie strich sich das Tuch hinters Ohr und sagte zu Matilda: »Er hat bekommen, was er wollte. Ich habe bekommen, was ich wollte. Und was immer es uns einbringt, wird nichts daran ändern. Ich weiß Eure Sorge zu schätzen, Madame. Aber sie ist verschwendet.«

Matilda legte einen Moment die Rechte auf Miriams Linke und drückte sie. »Also schön. Es ist nur … Du bist furchtbar jung, Miriam. Alan wird nicht immer hier sein können, um dir zur Seite zu stehen, und es wird nicht nur Freundlichkeit sein, der du hier begegnest.«

Alan trat hinter seine Frau und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Glaubst du, das wüssten wir nicht? Umso mehr hatte ich gehofft, dass wenigstens du ihr freundlich gesinnt sein würdest.«

Lady Matilda nickte. »Das bin ich, sei versichert.«

Alan hörte, dass sie meinte, was sie sagte. Erleichtert griff er nach dem Zinnkrug auf dem Tisch, schenkte die beiden Becher voll, die dabeistanden, und reichte jeder der Damen einen. »Das ist ja wohl auch das Mindeste«, antwortete er seiner Großmutter. »Denn im Grunde ist es deine Schuld, dass ich sie geheiratet habe. Schließlich warst du diejenige, die mich gelehrt hat, die Juden zu achten.«

»Ich hoffe, du willst mir jetzt nicht vorwerfen, dass du dich beim Fall von Worcester in Schwierigkeiten gebracht hast.«

»Nein.«

Er hasste es, an Worcester zu denken.

Es war zwei Wochen vor seinem neunzehnten Geburtstag gewesen, in den frühen Tagen des Krieges, und der junge Alan of Helmsby hatte gerade begonnen, sich als Kommandant einen Namen zu machen. Aber auf die Dinge, die geschahen, wenn eine Armee entfesselt und eine Stadt zur Plünderung freigegeben wurde, war er nicht vorbereitet gewesen. Es hatte ihn abgestoßen und angewidert und schockiert. Er wusste nicht, warum er ausgerechnet das Haus eines jüdischen Kaufmanns gegen die eigenen Truppen verteidigt und vier von Gloucesters Söldnern erschlagen hatte. Vielleicht war es nur ein Zufall gewesen. Vielleicht hatte sein Gewissen ihm auch zugeraunt, dass diese Fremden nichts mit dem Krieg zwischen König Stephen und Kaiserin Maud zu tun hatten. Jedenfalls hatte sein Onkel Gloucester ihm angedroht, ihn als Mörder und Verräter aufhängen zu lassen, und ihn dann eingesperrt, um ihn Gehorsam zu lehren. Erst als zwei der Juden von Worcester nach Bristol gekommen waren und dem erzürnten Earl berichteten, was sich genau zugetragen hatte, hatten die Wogen sich geglättet. Alan war keineswegs sicher, ob er ohne ihre mutige Fürsprache die Sonne je wiedergesehen hätte.

Das alles hatte er natürlich vergessen, als er auf der Straße in Norwich Josua ben Isaac begegnet war, und doch hatte er vom ersten Augenblick an Sympathie für den jüdischen Arzt empfunden. Von dessen Tochter ganz zu schweigen …

Er wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Ob es überhaupt etwas zu bedeuten hatte. Ob vielleicht alles, was sich zugetragen hatte, vorherbestimmt gewesen war.

»… deine Frau am Sonnabend mit zum Dreschfest ins Dorf nehmen, damit die Leute einen Blick auf sie werfen können und es keine Gerüchte gibt. Alan, du hörst mir nicht zu«, schalt Lady Matilda.

»Doch«, log er. »Aber was meine Bauern denken, ist wirklich meine geringste Sorge. Davon abgesehen, werden die Bauern wie üblich Guillaume folgen, und was er von der Sache halten wird …«

»Von welcher Sache?«, kam die Stimme des Stewards von der Treppe, und im nächsten Moment erschien Guillaume in der Halle. »Willkommen zu Haus, Alan.«

»Danke. Guillaume, das ist meine Frau. Miriam.«

Der Steward machte große Augen, verneigte sich ein wenig linkisch vor der neuen Dame der Halle und bemerkte dann: »Man kann dir wirklich nicht vorwerfen, du hättest bei deiner Wiedervermählung getrödelt, Vetter.«

»So wenig, wie man dir ein Übermaß an Taktgefühl vorwerfen kann«, gab Alan seufzend zurück.

Guillaume strich sich ein wenig verlegen über die Stirnglatze und schenkte der Braut dann ein entwaffnend zerknirschtes Lächeln. »Sagt nicht, Ihr habt nichts von seiner Scheidung gewusst, Mylady.«

»Doch, doch«, beruhigte sie ihn. »Alan ist gar zu besorgt um meine Gefühle.«

»Ich wette, das gibt sich mit der Zeit«, mutmaßte der Steward. »Miriam ist ein sehr hübscher Name. Ist es walisisch?«

Sie schüttelte den Kopf, zögerte einen Augenblick und sagte es dann. »Jüdisch.«

Guillaumes Züge erstarrten, aber er hatte sich sogleich wieder unter Kontrolle. Nur ein fast unmerkliches Verengen der Augen verriet das Ausmaß seines Befremdens.

In die Stille hinein sagte Alan: »Ich wüsste es zu schätzen, wenn du meine Gemahlin willkommen hießest, Guillaume.«

Der Steward biss sichtlich die Zähne zusammen und verneigte sich nochmals vor Miriam, dieses Mal weitaus förmlicher. »Seid willkommen in Helmsby, Mylady. Möget … möget Ihr in dieser Halle immer nur glückliche Stunden verleben.« Es klang hölzern.

Miriam neigte ein wenig den Kopf. »Habt Dank, Monseigneur.«

Guillaume wandte sich wieder an Alan. »Wo ist mein Bruder?«

»In Woodknoll, auf Simon de Clares Gut«, antwortete Alan kühl. »Er ist wohlauf, sei unbesorgt.«

»Gut.« Er räusperte sich nervös.

»Setz dich und trink mit uns einen Becher auf Alans und Miriams Wohl«, lud Lady Matilda ihn ein. »Ich weiß, dass du schockiert bist. Viele werden das sein. Aber mach dir nichts vor, Guillaume, am Ende wird deine Loyalität sich wieder einmal als stärker erweisen denn all deine Bedenken. Sie gehört zu deinen schönsten und ebenso gefährlichsten Eigenschaften. Und sie sitzt so tief in dir, dass du sie erst an dem Tag ablegen wirst, da dein Herz aufhört zu schlagen. Also erweise sie Alan jetzt, da er sie wirklich braucht, und gib wenigstens vor, als würdest du seine Vermählung billigen. Damit würdest du uns allen viel Kummer ersparen, denn die Menschen von Helmsby werden tun, was du tust, denken, was du denkst. Die Richtung, die du heute vorgibst, wird entscheidend sein, nicht nächste Woche.«

Guillaume kam der Bitte nach, holte für sich und Alan Becher vom Wandbord, füllte sie und setzte sich neben seinen Vetter. Dann legte er die großen Hände um das Zinngefäß und stierte einen Moment ins Leere. Alan beobachtete ihn aus dem Augenwinkel und sah, wie angespannt die Züge waren. Er wusste genau, was in seinem Steward vorging, denn es war derselbe Dorfpfarrer von Helmsby gewesen, der ihnen beiden die Welt erklärt und ihnen bei der Gelegenheit eingetrichtert hatte, dass die Juden den Erlöser Jesus Christus verleugnet und ans Kreuz geschlagen hatten. Weil sie blutrünstig und böse sind. Denkt doch nur an den Kindermord von Bethlehem. Wer hat dieses abscheuliche Verbrechen begangen? König Herodes. Ein Jude. Sie sind verschlagen, boshaft und raffgierig, allesamt. Wir Christen sind rechtschaffen, duldsam und gottesfürchtig wie Abel, aber die Juden sind grausam und Gott fern wie Kain, und wie Kain trachten sie danach, uns zu vernichten

Alan wusste, es war schwer, diese Dinge nicht zu glauben, wenn man sie so oft gehört hatte. Obendrein von einem Geistlichen, dessen Autorität über jeden Zweifel erhaben schien, weil er ein Vertreter der Kirche war. Und Lady Matilda hatte nicht Guillaume, nicht Haimon, sondern allein Alan beiseitegenommen und ihn die Künste des Lesens, des Schreibens und der Skepsis gelehrt.

»Guillaume«, begann er leise. »Ich weiß, wie groß dein Misstrauen ist. Ich verlange auch nicht, dass du es von heute auf morgen ablegst. Aber es beruht auf Unkenntnis, glaub mir. Nicht alle Juden sind verschlagen und boshaft. Was für ein Unsinn es doch ist, so etwas zu behaupten. Haben nicht genau das die Normannen einst von den Angelsachsen gesagt? Um zu rechtfertigen, dass sie sie unterdrücken?«

»Das kann man wohl kaum vergleichen«, protestierte Guillaume.

»Oh doch.«

»Aber … aber die jüdischen Wucherer treiben mit ihren schamlosen Zinsen anständige, hart arbeitende Männer in den Ruin!«

»Hm, ich erinnere mich, das hast du schon einmal gesagt. Aber die Höhe der Zinsen ist den Schuldnern bekannt, bevor sie das Geld nehmen. Wir mögen es eigenartig finden, aber die Zinsen sind letztlich nur der Lohn dafür, dass die Juden das Geld vorschießen – oft mit hohem Risiko. König Henry hat ihr Geld genommen. Der Earl of Gloucester. Der Bischof von Norwich. Es kann so verwerflich nicht sein, Guillaume.«

Er führte dem Steward vor Augen, dass so viele Juden Geldverleiher waren, weil es einer der wenigen Berufe war, die sie in England und anderen christlichen Ländern überhaupt ausüben durften. Und er berichtete ihm, was Miriams Vater für seine Gefährten, vor allem für ihn selbst getan hatte.

Schließlich hob Guillaume abwehrend die Linke. »Genug, Vetter. Du bringst mich ganz durcheinander.«

Alan nickte knapp. »Das ist gut.«

Der Steward trank lustlos einen Schluck, blickte dann in seinen Becher und kaute auf seiner Unterlippe. »Ich darf gar nicht an die Schwierigkeiten denken, in die du dich und uns alle damit bringst«, knurrte er. Alan gab keinen Kommentar ab, und Guillaume setzte nach: »Meinen Bruder hast du auf Simon de Clares Gut gelassen. Athelstan und Ælfric hast du nach Blackmore geschickt, um es zu beschützen. Aber wer beschützt uns?«

»Ja, ich weiß, wir brauchen mehr Männer. Du suchst sie aus, ich bringe ihnen bei, was sie können müssen.«

Guillaume nickte. Eine Weile brütete er noch vor sich hin. Dann gab er sich einen sichtlichen Ruck, sah zu Alans Braut und hob ihr seinen Becher entgegen. »Ich trinke auf Euer Wohl … Cousine.«

Miriam lächelte nicht, denn sie war viel zu stolz, um Zuneigung zu heischen, doch sie kam dem Steward genauso weit entgegen wie er ihr und erwiderte die Geste. »Und ich auf das Eure, Monseigneur.«

Alan tauschte einen Blick mit seiner Großmutter und las in ihren Augen das, was er selbst dachte: Es hätte schlimmer kommen können.

Er führte Miriam durch seine Burg, von der sie sich gebührend beeindruckt zeigte, und als der Regen kurz nach Mittag nachließ, brachte er sie ins Dorf. Sie gingen zu Fuß, und Alan tat, wovon er geträumt hatte, als er mit Oswald nach Metcombe geritten war: Er fragte Miriam nach den Namen und Eigenschaften der vielen Kräuter und Blumen, die am Feldrain und entlang des Weges im Wald wuchsen. So brauchten sie weit über eine Stunde für die halbe Meile, denn oft blieb Miriam stehen, pflückte ein Blatt ab, zerrieb es zwischen den Händen und ließ ihn schnuppern, und sie erzählte ihm die erstaunlichsten Dinge über Heckenrosen, Schafgarbe und Holunder. Sogar die Brennnessel hatte ihren Nutzen, erfuhr er zu seiner Verwunderung, konnte bei Nasenbluten ebenso Abhilfe schaffen wie bei Milchmangel.

Alan brummte. »Nun, meine beste Freundin wird sie trotzdem nicht werden.«

»Wieso?«, fragte sie verwundert. »Sie stillt auch andere Blutungen, weißt du, und wenn ich daran denke, wie viele Narben ich seit gestern Abend an dir entdeckt habe, würde ich sagen, du könntest ihre Freundschaft gut gebrauchen.«

»Ich bekomme aber Nesselfieber davon«, bekannte er ein wenig beschämt. »Darum hat es meinem Cousin Haimon immer besonderes Vergnügen bereitet, mich in die Nesseln zu stoßen oder mir hinten ein Blatt in den Ausschnitt zu stecken, als wir Knaben waren. Ich musste zwei Tage lang das Bett hüten, und Helmsby gehörte ihm allein, genau wie er es immer wollte.«

»Wie abscheulich von ihm«, bemerkte Miriam missbilligend.

»Oh, ich weiß nicht.« Alan winkte ab. »Es war normal. So sind Jungen nun einmal. Und meistens hatte ich es verdient, schätze ich.« Er legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie weiter.

Sie sah ihn von der Seite an. »Irgendwann wirst du mir von Haimon erzählen müssen, Alan. Und von Susanna.«

Er biss die Zähne zusammen. Dann nickte er unwillig. »Alles zu seiner Zeit.«

Als sie die Kirche erreichten, schimmerte die Sonne durch die hohe, perlgraue Wolkendecke und ließ den hellen Sandstein leuchten.

Alan gab Miriam Zeit, den reich verzierten Torbogen des Westportals zu bewundern, und als er es gerade öffnen wollte, kam Oswald über den Dorfplatz gelaufen, in einer Hand einen Kanten Brot, in der anderen ein Stück Käse. »Losian! Du bist wieder da!« Strahlend hielt er vor ihnen an.

Alan legte ihm einen Moment die Hand auf den Arm. »Ich bin wieder da.«

Oswalds Blick fiel auf Miriam. Seine Züge erschlafften mit einem Mal, und er schien abwesend ins Leere zu starren. Miriam sah unsicher zu Alan, aber der vollführte eine beruhigende kleine Geste. Oswald dachte angestrengt nach, das war alles. Und seine Mühen wurden von Erfolg gekrönt. Ruckartig kehrte er in die Gegenwart zurück und rief: »Miriam!«

Sie nickte lächelnd. »Wie geht es dir, Oswald?«, fragte sie in ihrem etwas gebrochenen Englisch.

»Gut, gut, gut. Hast du Moses mitgebracht?«

»Leider nicht.«

Vorwurfsvoll wandte er sich an Alan. »Schon wieder nicht?«, fragte er enttäuscht.

»Das geht nicht so einfach«, hielt Alan ihm vor Augen. »Moses ist noch ein Junge und muss bei seinem Vater bleiben. Und er hat zu Hause Pflichten zu erfüllen genau wie du hier.«

»Aber wieso darf Miriam dann herkommen?«

»Weil sie und ich geheiratet haben.«

Oswalds Augen wurden rund und begannen zu leuchten. »Ist das wahr?«

»So wahr ich hier vor dir stehe.«

»Das ist so schön, Losian. Werden wir ein Fest feiern?«

»Das machen wir. Und in ein paar Tagen muss ich nach Norwich zu Miriams Vater zurückkehren, und dann nehme ich dich mit, und du kannst Moses wiedersehen.« Er wollte, dass Josua Oswald noch einmal untersuchte, obwohl er im Grunde wusste, dass selbst ein so guter Arzt gegen ein schwaches Herz nicht viel tun konnte.

Oswald atmete mit geschlossenen Augen tief durch, wie er es immer tat, wenn das Leben plötzlich unerwartet gut zu ihm war.

Zusammen traten sie ins dämmrige Innere des Gotteshauses. Alan und Oswald bekreuzigten sich – Oswald mit seinem Brot, von dem er gleich darauf herzhaft abbiss.

»Was bedeutet diese Geste?«, fragte Miriam, wissbegierig wie immer.

»Ich erkläre es dir später«, raunte Alan ihr zu, nahm ihren Arm und führte sie durch das Hauptschiff zum Altar. »King Edmund?«

Der heilige Mann kam mit einem Reisigbesen in der Hand aus dem linken Seitenschiff. »Alan. Willkommen daheim.« Sein gütiges Lächeln geriet ein wenig ins Wanken, als sein Blick auf Miriam fiel. »Sag, dass es nicht das bedeutet, was ich glaube.«

»Es bedeutet ganz genau das, was du glaubst. Wir haben gestern Abend geheiratet. An einer Feenquelle, stell dir das vor, Edmund. Weil weder meine Kirche noch die ihre uns ihren Segen erteilen würde.«

Edmund seufzte leise und schüttelte den Kopf. »Auch ich kann es nicht tun, mein Sohn. Es ist einfach unmöglich.«

Alan nickte. Viel Hoffnung hatte er ohnehin nicht gehegt, darum hielt seine Enttäuschung sich in Grenzen. »Aber ich bin zuversichtlich, dass du meine Frau mit Freundlichkeit und Güte willkommen heißen wirst, denn wir brauchen deine Unterstützung.«

»Das wird mir nicht schwerfallen«, versicherte Edmund. »Schließlich weiß ich, welch ein guter Mann ihr Vater ist. Mir ist zwar unbegreiflich, wie du eine Ungläubige heiraten konntest, aber ich nehme an, Gott wird es verstehen. Seine Gnade ist ja zum Glück grenzenlos.«

Ihre Unterhaltung war auf Englisch vonstattengegangen, und Miriam hatte kaum etwas verstanden, aber die Gesten und Mienen verrieten ihr, dass der Empfang in diesem fremden Gotteshaus freundlich war. Sie ergriff Edmunds Hand mit ihren beiden und hauchte einen Kuss darauf, denn sie hatte einmal gehört, dass Christen das mit ihren Priestern so machten.

King Edmund fuhr fast unmerklich zusammen. Dann sah er der schönen jungen Braut einen Moment in die Augen, errötete bis an die Haarwurzeln und grinste wie ein Trottel.

»Was macht Luke?«, fragte Alan.

Edmunds Miene wurde schlagartig bekümmert. »Es ist schlimm. Er will nichts mehr essen. Er sagt, wenn er isst, weckt er sie auf. Er wird dürr und schwach, und sein Gemüt ist verdüstert.«

Alan öffnete den Beutel an seinem Gürtel. »Josua ben Isaac hat mir eine Medizin für ihn mitgegeben. Wir sollen ihm morgens eine Prise davon in einem Becher lauwarmen Wein geben.«

»Gott segne Euren Vater für seine Güte, Mylady«, sagte Edmund voller Erleichterung zu Miriam. »Komm, Oswald. Wir bringen Luke seine Arznei, und Alan kann seiner Frau derweil die Kirche zeigen.«

Die beiden Gefährten gingen hinaus, und Alan spürte, wie seine Anspannung nachließ. Er war keineswegs sicher gewesen, wie Edmund reagieren würde, und er wusste, das Wort ihres sonderbaren Hirten hatte bei den Bauern von Helmsby beinah so viel Gewicht wie das des Stewards.

So kam es, dass niemand wirklich Anstoß an Alans Heirat nahm. Edelleute seien eben etwas wunderlich, befanden die Bauern, das gelte für ihren Lord Alan ja bekanntlich in besonderem Maße, der erst jahrelang spurlos verschwunden und dann ohne Gedächtnis und dafür mit einem Haufen seltsamer Freunde nach Hause gekommen war. Bei ihm musste man immer auf alles gefasst sein, also warum keine jüdische Braut? Die meisten der einfachen Leute hatten ohnehin nur eine nebulöse Vorstellung, was Juden eigentlich waren, und Miriam war ihnen nicht fremder als zuvor Susanna. Nur war sie kein solch hochnäsiges Miststück, merkten die Menschen schnell, und als Alan anlässlich seiner Vermählung all seinen Hörigen und Pächtern ein Viertel der Pacht und Fron erließ, waren sie seiner jungen Frau ausgesprochen wohlgesinnt.

Anstoß nahmen hingegen die drei Mönche aus Ely. Bruder Cyneheard, Bruder John und Bruder Elias verließen Helmsby in heller Entrüstung und taten kund, sie gedächten nicht, auch nur eine Nacht unter einem Dach mit Alans ungläubiger Gemahlin zu verbringen.

Alan und Guillaume waren sich einig, dass ihr Fortgang ein Verlust war, den Helmsby gut verschmerzen könne, doch die drei Mönche begaben sich wiederum nicht zurück in ihr einsames Kloster in den Fens, sondern nach Norwich. Und es dauerte keine Woche, bis ein Bote des Bischofs erschien und Alan eine Urkunde überbrachte.

Lord Helmsby empfing ihn in seiner Halle. »Trinkt einen Becher. Ihr seht ein wenig blass aus.«

Der junge Ritter schüttelte wild den Kopf und hielt den Arm mit dem versiegelten Pergamentbogen steif vor sich ausgestreckt. »Lieber nicht, Mylord.«

Alan erlöste ihn, nahm ihm das Schriftstück aus der Hand und warf es achtlos auf den Tisch. »Meine Exkommunikation, nehme ich an?«

Der Bote blinzelte, verblüfft über Alans scheinbare Gelassenheit, schlug den Blick nieder und nickte unglücklich.

»Und wie hoch ist der Preis, den ich zahlen muss, damit Ihr diese Urkunde wieder mit zurück nach Norwich nehmt und der Bischof die Geschichte vergisst?«

»Davon hat er nichts gesagt, Mylord«, bekannte der junge Bote, und es klang atemlos.

»Herrgott, nehmt Euch zusammen, Mann«, knurrte Alan. »Hat Bischof Turba Euch in Aussicht gestellt, ich werde Euch den Kopf abschlagen, wenn Ihr mir die Nachricht bringt?«

Besagter Kopf ruckte hoch. »Der Subprior, Mylord. Vater Anselm de Burgh. Er hat es gesagt.«

»Verstehe.« Man konnte es Vater Anselm kaum verdenken – sein Kopf hatte bei ihrer nächtlichen Begegnung vor dem Haus der Brüder ben Isaac ziemlich gewackelt. »Nun, dann müsst Ihr mutiger sein, als man Euch im Moment ansehen kann. Seid beruhigt. Ich habe nicht die Absicht, Euch dafür büßen zu lassen, dass der Bischof von Norwich ein paar alte Rechnungen begleichen will.«

Der Bote entspannte sich, ergriff dankbar den Becher, den der Steward ihm geduldig hinhielt, und nahm einen ordentlichen Zug. »Wünscht Ihr, dass ich dem ehrwürdigen Bischof etwas ausrichte?«

Alan schüttelte den Kopf. Er wusste, es hatte keinen Sinn. »Nein, ich habe ihm nichts zu sagen. Geht mit Gott, Junge.«

Der fromme Wunsch, den man so oft aussprach, hallte in seinen Gedanken eigentümlich nach. Der Bote, der erleichtert auf dem Absatz kehrtmachte und den geordneten Rückzug antrat, mochte mit Gott gehen. Aber er – Alan – musste fortan auf göttliches Geleit verzichten. Er durfte keine Kirche mehr betreten. Er konnte weder an der heiligen Kommunion teilnehmen noch zur Beichte gehen und die Absolution empfangen. Er war abgeschnitten von Gott. Vertrieben aus dem sicheren Hafen seiner Kirche musste er fortan dahintreiben wie eine Nussschale auf stürmischer See.

»Es ist … sehr hart«, murmelte Guillaume beklommen, dessen Gedanken in die gleiche Richtung zu gehen schienen.

Alan nickte knapp und hob dann die Schultern, um Gleichmut vorzutäuschen, aber er musste die Zähne zusammenbeißen. Er war immer ein frommer Mann gewesen. Als er herausgefunden hatte, dass er kein Kreuzfahrer war, hatte sich zu seiner Erleichterung auch eine leise Enttäuschung gemischt. Der Gedanke, ein Streiter Christi zu sein, hatte ihm gefallen. Er wusste, kein Krieg war jemals gerecht, aber er war überzeugt, dass es keine bessere Sache gab, für die man kämpfen und sterben konnte. Und nun war er aus der Mitte der Gläubigen verstoßen. Er hatte damit gerechnet, dass es passieren würde. Womit er nicht gerechnet hatte, war der Schmerz, den er empfand.

»Der ehrwürdige Bischof kann sagen, was er will, aber das hast du nicht verdient«, grollte der Steward.

»Der ehrwürdige Bischof will mich nicht allein für meine Eheschließung bestrafen, Guillaume, sondern handelt ebenso aus politischem Kalkül. Denn er ist König Stephens Mann, und darum kommt es ihm äußerst gelegen, Alan of Helmsby zu schwächen.«

»Wie kommst du darauf?«

»Bischof Turba hat sich machtvolle Rückendeckung geholt.« Alan wies auf das Schreiben. »Es trägt das Siegel des Bischofs von Winchester.«

»König Stephens Bruder?«, fragte Guillaume erschrocken, trat an den Tisch und betrachtete das Siegel aus der Nähe. »Jesus … wenn er hinter dieser Sache steckt, dann wird es verdammt schwierig, eine Rücknahme zu erwirken. Henry of Winchester ist der mächtigste Bischof in England.«

»Hm. Gut möglich, dass ich auf die Segnungen der Heiligen Mutter Kirche verzichten muss, bis wir den Krieg gewonnen haben.«

»Und wenn wir den Krieg verlieren?«, fragte Guillaume.

Alan wusste keine Antwort.

Leichtfüßige Schritte auf der Treppe kündigten seine Frau an, und als sie in die Halle trat, wurde ihm besser. Er befand sich doch nicht im freien Fall, stellte er fest. Deutlich spürte er den festen Boden unter seinen Füßen.

Er streckte lächelnd die Hand aus, als Miriam zu ihm trat.

»Emma sagt, ein Bote aus Norwich sei gekommen?«, fragte sie stirnrunzelnd und ergriff seine Hand. »Von Vater?«

»Nein, nein«, versicherte Alan. Er wusste, dass die Trennung von ihrer Familie ihr zu schaffen machte und sie ständig befürchtete, den Ihren könne in Norwich irgendetwas Furchtbares zustoßen. So als rechne sie ständig mit einem göttlichen Vergeltungsschlag. Genau wie er es tat. Wir müssen damit aufhören, erkannte er, und zwar schleunigst. Er wies auf die Urkunde. »Ein kleiner Gruß von Bischof Turba.«

Miriam sah ihn bekümmert an. »Ist es das, was du befürchtet hast? Deine Exkommunikation?«

»Ich mach mich dann mal wieder an die Arbeit«, murmelte Guillaume, stellte den Becher ab und verdrückte sich.

Alan setzte sich in seinen Sessel und zog Miriam in den ihren an seiner Seite herab. »Ja. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit ergreifen und Jude werden.«

»Darüber macht man keine Scherze«, wies sie ihn streng zurecht.

»Ich bin gar nicht sicher, ob es einer war.«

Doch Miriam hob abwehrend die freie Linke. »Ich denke nicht, dass man aufhören kann zu glauben, was man sein Leben lang geglaubt hat.«

Er sann darüber nach und musste ihr recht geben. »Nein, vermutlich nicht. Oh, nun schau mich nicht so an, Lady Miriam of Helmsby. Es ist alles andere als eine Überraschung, nicht wahr? Und es ist nicht schlimmer als das, was du erdulden musst.«

»Wie schlimm es ist, werden wir wissen, wenn du den Mut findest, es zu öffnen und zu lesen.«

Er ließ ihre Hand los und bedachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick. Wie gut sie ihn kannte. Ihm graute davor, den Inhalt der Urkunde zu lesen, der seine Verbannung aus der Gemeinschaft der Gläubigen zu einer unumstößlichen Realität machen würde. Er räusperte sich nervös und murmelte: »Wenn Guillaumes Vater mich früher gelegentlich im Speicherhaus erwischte, pflegte er zu sagen: ›Wer Honig stiehlt, riskiert Prügel. Das ist die wichtigste Lektion, die man im Leben lernen muss.‹«

»Und hast du sie je wirklich begriffen?«

»Allerdings. Die Kunst besteht darin, zu entscheiden, für welchen Honig das Risiko lohnt.« Er erbrach das Siegel und faltete den steifen Bogen auseinander. »Herrje, das ist Lateinisch. Da muss ich passen.« Er war erleichtert.

Seelenruhig nahm Miriam ihm die Urkunde aus der Hand und überflog die wenigen Zeilen.

»Du kannst Latein?«, fragte Alan fassungslos.

Sie nickte abwesend. »Es ist nicht üblich, jüdische Mädchen in den Schriften zu unterweisen, aber mein Vater hat mir nie verboten, seine Bücher zu benutzen. Ich habe es mir selbst beigebracht. Hier steht: Kraft der uns verliehenen Vollmachten und in Ausübung unserer Pflichten tun wir hiermit kund, dass Alan de Lisieux, Lord of Helmsby, irregeleitet wurde und dem Bösen verfallen ist. Er hat sich gegen Gott und seine heilige Kirche gewandt und Freveltaten begangen. Darum wird er zum Häretiker erklärt, und zur Strafe für seinen Abfall vom wahren Glauben verkünden wir hierdurch seine Exkommunikation, den unumkehrbaren Ausschluss aus der Gemeinschaft der Heiligen Mutter Kirche und unsere immerwährende Verdammung und alle weiteren Strafen, die das kanonische Recht für Häretiker vorsieht. Amen.«

»Amen …«, wiederholte Alan bitter.

»So verkündet zu Norwich in der Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit am Tage der heiligen Helena Anno Domini eintausendeinhundertundsiebenundvierzig, gezeichnet Henry Bischof von Winchester und William Bischof von Norwich«, beendete Miriam ihre Übersetzung.

Er nickte. »Ich habe große Mühe zu glauben, dass Henry of Winchester sich für diese Lappalie wirklich nach Norwich bemüht hat, aber das spielt keine Rolle. Die Urkunde trägt sein Siegel. Nur das zählt.«

»Was bedeutet ›alle weiteren Strafen, die das kanonische Recht für Häretiker vorsieht‹?«, wollte sie wissen.

»Ich habe keine Ahnung. Das hier ist meine erste Exkommunikation, Madame. Wir fragen Großmutter, ich wette, sie kennt sich bestens aus. Aber jetzt genug davon. Das ist ein politischer Winkelzug, nicht das Ende der Welt.«

Miriam nickte, aber ihre Stirn war gerunzelt, ihr Blick in die Ferne gerichtet. Alan hätte sie gern nach oben in ihre Kammer geführt und auf andere Gedanken gebracht. Sie war eine heißblütige, wenn auch stille Geliebte, und sobald er abends die Kerze ausblies, schenkte sie sich ihm rückhaltlos und ungeziert. Aber wie in allen Dingen zog sie es auch bei der Liebe vor, diskret zu sein, und es war ihr unangenehm, wenn sie sich am helllichten Tage mit unschwer durchschaubaren Absichten zurückzogen. Darum machte er einen anderen Vorschlag: »Lass uns aus Helmsby verschwinden, was meinst du? Nur für ein paar Tage.«

»Wohin?«

»Nach Norwich.«

»Du willst versuchen, den Bischof umzustimmen?«, fragte sie skeptisch.

Alan schnaubte. »Ebenso gut könnte ich versuchen, die Flut umzustimmen. Nein. Wir besuchen deine Familie. Und wir nehmen Luke und Oswald mit, wie ich es ihnen versprochen habe.«

Ihre Augen leuchteten auf. »Das wäre wunderbar, Alan.«

Er beugte sich lächelnd zu ihr herüber und hauchte ihr einen Kuss auf den Mundwinkel. »Dann ist es abgemacht.«

»Und auf dem Rückweg reiten wir nach Metcombe, und du stellst mir deine Tochter vor?«

Ihm blieb fast das Herz stehen. »Woher weißt du von ihr?«

Miriam zog die Brauen in die Höhe und sah ihn nur an.

Er hob die Hände zum Zeichen der Kapitulation. »Was immer du willst.«

Sie belohnte ihn mit einem Lächeln königlicher Huld.