Westminster, April 1147

»Mein Name ist Simon de Clare, und ich bringe eine Nachricht für den König.« Er achtete darauf, mit fester Stimme zu sprechen. Und er war dankbar, dass er Alans Rat befolgt und die feinen Kleider angelegt hatte, ehe sie ankamen. Mehr noch als die Waffen gaben sie ihm Selbstvertrauen.

Die vier Soldaten am hölzernen Torhaus der königlichen Halle zu Westminster stierten die Zwillinge einen Moment mit der so typischen Mischung aus Faszination und Abscheu an, dann richteten sie die Blicke wieder auf Simon, und der Längste von ihnen, ein angelsächsischer Blondschopf, näselte höflich: »Ich muss Euch bitten, uns das Siegel zu zeigen, Simon de Clare.« Der Ärmste hatte eine schlimme Erkältung. Unter dem Nasenschutz seines matten Helms lugte ein beachtlicher geröteter Zinken hervor, von dem es tröpfelte.

Simon schüttelte den Kopf. »Es ist eine mündliche Botschaft, und ich bin nicht befugt zu sagen, von wem. Vermutlich ist es das Beste, ich spreche mit dem Offizier der Wache.«

Die Männer verständigten sich mit Blicken, dann nickte der Blondschopf. »Folgt mir. Aber die Missgeburten bleiben draußen. Das ist kein Anblick für die Königin und die edlen Damen.«

Er machte kehrt, aber Simon rührte sich nicht. »Ich gehe keinen Schritt ohne sie«, erwiderte er entschieden. »Hat nicht die Königin bei der Schlacht von London die Truppen geführt? Ich hätte nicht gedacht, dass sie so zimperlich ist.«

Der Wachsoldat war stehen geblieben und erklärte kopfschüttelnd: »Ist sie nicht.« Er zog emsig die Nase hoch und spuckte aus, aber immerhin wandte er sich vorher höflich ab. »Es ist eine Frage des Anstands«, führte er dann aus. »Morgen ist Ostern, und der König und die Königin halten hier Hof. Was glaubt Ihr eigentlich, wo Ihr hier seid?«

Beiläufig warf Simon seinen Mantel zurück über die Schulter, sodass das Heft seines Schwerts freilag. »Und was glaubst du eigentlich, wen du vor dir hast? Wenn du uns nicht einlassen willst, schlage ich vor, du holst den Offizier der Wache hierher. Wenn du nicht willst, dass wir vor deinem Tor kampieren.« Er verschränkte demonstrativ die Arme.

Dem Soldaten lag unverkennbar auf der Zunge, dass es durchaus im Rahmen seiner Befugnisse lag, Vagabunden vom Tor verjagen zu lassen, aber er nahm sich zusammen. Der Name de Clare hatte Gewicht an diesem Hof. Schniefend wandte er sich ab und verschwand im Torhaus.

»Wir können auch hier draußen warten, Simon«, murmelte Godric gedämpft.

»Ja«, stimmte sein Bruder zu. »Wir sind schließlich mitgekommen, um dir zu helfen, nicht damit man dir unseretwegen Steine in den Weg legt.«

»Kommt nicht infrage«, antwortete Simon und zeigte verstohlen mit dem Finger aufs Torhaus. »Was dahinter liegt, ist ein Wespennest. Um heil wieder herauszukommen, brauche ich Glück. Mit anderen Worten: euch.«

Wie er beabsichtigt hatte, hellten die Mienen seiner Freunde sich auf, aber die Zwillinge blieben angespannt und nervös. Ihre Augen waren rastlos und voller Argwohn. Sie hatten sich heute früh in dem Londoner Wirtshaus, wo sie über Nacht geblieben waren, sorgfältig die Bärte gestutzt, die Haare gekämmt und die nagelneuen Kittel angezogen, die Alan ihnen hatte einpacken lassen. Äußerlich wirkten sie respektabel, geradezu zivilisiert. Aber ihre Nervosität verlieh ihnen etwas unterschwellig Gefährliches, und zwei zusammengewachsene gefährliche Männer, stellte Simon verblüfft fest, strahlten eine tödliche Bedrohung aus. König Stephens Torwachen waren erfahrene Soldaten und hatten das sofort gespürt.

Es war ein nasskalter, ungemütlicher Vormittag. Die königliche Straße von London nach Westminster hatte mehr Ähnlichkeit mit einer Schlammsuhle als einem befahrbaren Weg gehabt, und sie hatten ihr treues Pferd bedauert, das sie tapfer, aber unverkennbar mühsam über den morastigen Untergrund gezogen hatte. Doch die drei Boten hatten nicht gewagt, vom Wagen zu steigen, weil sie fürchteten, mit den sorgsam gebürsteten Stiefeln bis zu den Knöcheln einzusinken. Der Wind fegte ungemütlich vom Fluss herüber, und so waren sie dankbar, als die Wache in Begleitung eines Normannen in einem blanken Kettenhemd zurückkam.

»Simon!«, rief der Offizier der Wache aus, als er durchs Tor trat. Lächelnd streckte er die Arme aus. »Ist das zu fassen? Was verschlägt dich hierher?«

Simon konnte sein Glück kaum fassen. »Richard!« Es war der älteste Sohn seines Onkels und zukünftige Earl of Pembroke, der sich, ganz im Gegensatz zu seinem Vater, nicht befremdet von ihm distanziert hatte, als er von Simons Fallsucht erfuhr.

Sie umarmten sich, brüsk, aber herzlich.

Richard de Clare legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn kopfschüttelnd an. »Wo in aller Welt hast du nur gesteckt?«

»Oh, das ist eine … lange Geschichte. Ich hatte ein paar Schwierigkeiten bei mir zu Hause. Aber das ist nicht der Grund, warum ich hergekommen bin. Hier, das sind meine englischen Gefährten, Godric und Wulfric.«

Richard zog verwundert die Brauen in die Höhe, lächelte aber und nickte den Zwillingen zu. »Kommt erst einmal raus aus diesem Sauwetter«, schlug er vor und führte sie zum Torhaus.

»Mylord, denkt Ihr wirklich, dass diese beiden Gesellen …«, begann der Blondschopf und zeigte mit dem Finger auf Wulfric und Godric.

»Oh, wen sollen sie denn stören?«, unterbrach Richard de Clare ungeduldig. »Das geht schon in Ordnung.«

»Ich meine nur, weil Ihr gesagt habt …«

»Ich weiß. Ihr habt richtig gehandelt und eure Aufgabe erfüllt, jetzt lasst mich die meine erfüllen.«

Die Wachen machten ihnen höflich Platz, offensichtlich beruhigt. Es war nicht das erste Mal, dass Simon beobachtete, welch glückliche Hand sein Vetter im Umgang mit Untergebenen hatte. Richard war nur zwei Jahre älter als Simon, doch es war kein Wunder, dass er hier schon der Offizier der Wache war.

Er führte sie in den Innenhof der großen, von Palisaden geschützten Anlage und pfiff einen Stallburschen herbei, dem er Pferd und Wagen anvertraute. Gleich gegenüber dem Torhaus lag das Hauptgebäude, die große königliche Halle, und links dahinter ragte die gewaltige steinerne Klosterkirche auf, die der heilige König Edward vor rund hundert Jahren hatte bauen lassen. Simon stockte der Atem, als er sie sah.

»Jesus«, murmelte Godric und bekreuzigte sich, genau wie sein Bruder. »Ich wusste nicht, dass es so große Kirchen gibt.«

Richard de Clare folgte ihrem Blick und nickte. »Der beste Ort, um Ostern zu begehen. Aber seid ihr nicht durch London gekommen? Habt Ihr St. Paul nicht gesehen? Sie ist größer. Höher zumindest.«

Simon schüttelte den Kopf. »Wir sind der Thames Street gefolgt. Ich habe nicht gewagt, mich vom Ufer zu entfernen, weil wir uns dann todsicher verirrt hätten. Vielleicht finden wir auf dem Rückweg ja Zeit, ein wenig mehr von der Stadt zu sehen.«

Sein Cousin führte sie nicht zur Halle, sondern in eines der zahllosen Nebengebäude. Sein Quartier?, fuhr es Simon durch den Kopf. Strohlager waren entlang der beiden Wände aufgereiht, die Wolldecken darauf ordentlich gefaltet. Ein Raum, der außer trockenen Schlafplätzen keinerlei Bequemlichkeit bot – soldatisch nüchtern. Er passte zu Richard, fand Simon.

»Also?«, fragte der ältere Cousin neugierig, nachdem er die Tür geschlossen hatte. »Was bringt dich her? Oder euch, um genauer zu sein.«

»Ich habe eine Botschaft für den König. Vom Sohn der Kaiserin.« Sie waren allein, und draußen im Hof hatte er niemanden in der Nähe des Gebäudes gesehen, trotzdem hatte er die Stimme gesenkt.

Richards hingegen klang laut und verwundert. »Henry Plantagenet?«

Simon tauschte einen verstohlenen Blick mit den Zwillingen, dann nickte er.

»Sag nicht, du weißt, wo der Bengel steckt.«

Simon hatte seinen Cousin immer gemocht, aber er kannte ihn kaum. Er wusste nicht, wie weit er ihm wirklich trauen konnte, und ging lieber kein Risiko ein. »Ich weiß, wo er war. Aber wir sind gleichzeitig von dem Ort aufgebrochen«, log er, »damit ich nichts auszuplaudern habe, verstehst du.«

Richard nickte. »Und wie bist ausgerechnet du an den Sohn der verfluchten Kaiserin geraten?«

»Durch einen Zufall.« Simon wies zu den Zwillingen hinüber. »Wir irrten mit einigen weiteren Gefährten durch die Midlands …« Er merkte kaum, dass er schon wieder gelogen hatte. Doch bis auf die Ortsangabe ihres Zusammentreffens blieb er im Großen und Ganzen bei der Wahrheit, beschränkte sich aber auf das Nötigste. »Und er hat mich gebeten, dem König eine Nachricht zu überbringen.«

»Was für eine Nachricht?«, fragte Richard. Die Geschichte schien ihn zu faszinieren.

Simon hob unbehaglich die Schultern. »Tut mir leid, Cousin. Aber ich habe geschworen, sie nur dem König selbst mitzuteilen.«

Richard grinste breit und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. »Das überrascht mich nicht. Also schön. Dann wollen wir mal sehen, wie zäh dieses englische Ochsengespann ist, mit dem du hergereist bist, und was es so aushält, bevor du anfängst zu reden.«

Ehe Simon noch ganz begriffen hatte, was sein Vetter sagte, hatte der einen durchdringenden Pfiff ausgestoßen. Krachend flog die Tür auf, und ein halbes Dutzend Wachsoldaten stürmte mit gezückten Waffen herein.

Simon sprang einen Schritt zurück und brachte sein Schwert noch aus der Scheide, aber irgendwer packte seinen linken Arm und drehte ihn so grausam auf den Rücken, dass Simon die Waffe aus der Rechten fiel und er die Zähne zusammenbeißen musste, um still zu bleiben. Das wäre Henry niemals passiert, dachte er wütend, und dann fragte er sich: Mit welchem geheimen Zeichen mag er die Torwache veranlasst haben, ihre Kameraden herzuschicken? Nicht dass es irgendeine Rolle spielte. Trotzdem rätselte er darüber nach.

Die Wachen hatten es schwer mit Wulfric und Godric. Keiner der wackeren Soldaten hatte Erfahrung im Kampf mit einem Gegner mit vier Armen und Beinen. Die vier Hände hielten vier Messer. Blut floss, ehe es zweien der Wachen gelang, die Zwillinge zu umrunden, sie gleichzeitig von hinten zu packen und ihnen je eine Klinge an die Kehle zu setzen.

Godric und Wulfric tauschten einen Blick. Die vier Messer fielen in exakt demselben Moment zu Boden. Nicht einmal jetzt hörte diese perfekte Koordination auf, Simon zu faszinieren.

»Na bitte«, sagte Richard de Clare zufrieden. »Das hätten wir.«

Simon wandte den Kopf. Als er seinem Cousin ins Gesicht sah, überwog sein Zorn mit einem Mal seine Furcht. Er spuckte auf den Boden zu Richards Füßen. »Du bist ein niederträchtiger Bastard wie der Hurensohn, der dich gezeugt hat.«

Richard hörte erwartungsgemäß auf zu lächeln, kam einen Schritt näher und schlug ihm die Faust in den Magen. Als Simon keuchend und mit zugekniffenen Augen am Boden lag, trat Richard noch einmal nach. Er traf genau dieselbe Stelle. »Sonst noch was?«, erkundigte er sich.

Simon hörte ihn kaum. Tränen waren ihm in die Augen geschossen, die er um keinen Preis vergießen durfte, und ihm war so übel, dass er nicht wusste, wie er verhindern sollte, dass er sich übergab und den letzten Rest seiner Würde verlor. Er entsann sich genau, wie Guy de Laigle Alan die Faust in den Magen gerammt hatte, und Alan hatte nicht einmal schwer geatmet. Wie war das möglich?, fragte sich Simon. Wie hat er das nur gemacht? Er selbst hatte das Gefühl zu ersticken. Aber seltsamerweise half ihm die Erinnerung, seine Panik niederzuringen, und siehe da, mit der kopflosen Furcht verebbte auch die Übelkeit allmählich. Er blieb noch ein paar Augenblicke lang reglos liegen, bis zumindest ein wenig Luft in seine Lungen zurückkehrte. Dann kam er auf die Füße. Nicht ganz mühelos, aber immerhin.

»Na los, worauf wartet ihr, fesselt sie«, befahl Richard den Wachen.

Zwei der Soldaten traten auf die Zwillinge zu. »Hände auf den Rücken«, schnauzte der eine.

Godric und Wulfric sahen ihn ungläubig an. »Wie stellst du dir das vor?«, erkundigte Godric sich höflich. »So etwa?«

Wieder hoben sie die Arme in exakt demselben Moment. Godric führte den linken über die rechte Schulter, Wulfric den rechten über die linke, und die Arme an der freien Seite führten sie auf den Rücken. Die Männer, die sie mit der Waffe an der Kehle bedrohten, mussten unweigerlich einen Schritt zurücktreten.

»Tut mir leid«, ächzte Wulfric. »Die Hände gehen so einfach nicht zusammen.« Sie drehten sich halb um, um Richard de Clare das Problem zu veranschaulichen. »Seht Ihr?«

Einer der Wachsoldaten biss sich auf die Lippen und wandte hastig den Kopf ab, damit der Offizier sein Grinsen nicht sah. Simon warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. Angelsachse, vermutete er, ein paar Jahre älter als der Rest. Der Mann stand näher an der Tür als die übrigen. Als spüre er Simons Blick, sah er kurz in dessen Richtung. Es war nur ein Moment, aber Simon entdeckte Schalk in den Augen, keine Häme.

»Schluss mit dem Unsinn«, knurrte Richard de Clare. »Dann legt die Hände eben vorne zusammen! Und zwar ein bisschen plötzlich.«

Die Zwillinge führten die Hände vor den Bauch und kreuzten die Arme auf der zusammengewachsenen Seite, sodass mit einem Mal vor dem einen Schritt zwei linke Hände lagen, vor dem anderen zwei rechte.

Die Wachen mit den Stricken traten wieder näher, stutzten dann aber und verharrten unsicher. »Was zum Henker …«, murmelte der eine.

»Ist es möglich, dass ich hier alles selber machen muss?«, fragte Richard schneidend, wollte einen entschlossenen Schritt auf sie zu machen, stolperte über das Bein, das Simon ihm stellte, und schlug der Länge nach hin. Simon hörte das Klirren, mit dem die Zähne seines Cousins zusammenschlugen, bückte sich blitzschnell nach seinem Schwert und hob es auf. Er stellte Richard einen Fuß auf den Rücken und setzte die Klinge seitlich an seinen Hals. »Besser, du rührst dich nicht, Cousin.«

Richard de Clare schlug den Rat in den Wind, hob den Kopf, spuckte Blut ins Bodenstroh und sah stirnrunzelnd zu ihm hoch. »Willst du mich beleidigen und im Ernst behaupten, ich hätte Grund, mich vor dir zu fürchten? Vor dir? Vergiss nicht, dass ich dich gesehen habe, wie du dich mit vollen Hosen am Boden windest …«

Alle schauten wie gebannt auf ihn hinab, und die Zwillinge nutzten die Gunst des Augenblicks und packten die beiden Wachen, die sie hatten fesseln wollen. Godric streckte einen der Männer mit einem beachtlichen Fausthieb zu Boden, Wulfric trat dem anderen die Füße weg und riss ihm die Waffe aus der Hand, während er fiel. Dann machten sie einen Satz nach vorn, ehe die zwei, die hinter ihnen gestanden hatten, ihrer wieder habhaft werden konnten, schlugen einen perfekt synchronen Purzelbaum, kamen vor Richard de Clare auf den Knien aus, und Godric sagte lächelnd: »Wir werden ja sehen, wer sich hier heute die Hosen vollmacht, du Sausack.«

Während Wulfric Richard mit der erbeuteten Klinge in Schach hielt, sprang Simon auf die Füße, hob die Waffe und sah die vier Männer, die noch standen, herausfordernd an. »Liegt euch an ihm? Dann schlage ich vor, ihr tut genau, was ich sage.«

Wobei er in Wahrheit keine Ahnung hatte, was er ihnen befehlen sollte. »Bringt uns auf der Stelle zu König Stephen« schien wenig ratsam: Ein zusammengewachsenes, angelsächsisches Zwillingspaar, das gerade ein wenig zerzaust und obendrein gefährlich aussah und den Offizier der Wache mit einem gestohlenen Schwert bedrohte, und er selbst mit gezückter Klinge und grimmiger Miene? Simon hatte wenig Hoffnung, dass der König ihn unter solchen Umständen besonders wohlwollend anhören würde. Immerhin waren sie hergekommen, um ihn in Henrys Namen um eine Gunst zu bitten, die nicht wenig königliche Großmut erforderte. Und Bittstellern stand es nicht an, in bedrohlicher Pose aufzutreten. Zumal es Hochverrat war, des Königs Frieden zu brechen und mit bloßer Klinge seine Halle zu betreten.

»Also?«, höhnte sein Cousin. »Wir harren, Simon.«

Simon dachte nach. Schnell und konzentriert. Dann hieß er die Zwillinge: »Bringt ihn auf die Beine.« Und zu seinem Cousin: »Ich werde dir die Hände fesseln, Richard. Besser, du versuchst nicht, dich loszureißen oder sonst irgendetwas zu tun, um meine Pläne zu durchkreuzen, denn meine Freunde würden nicht zögern, dir die Kehle durchzuschneiden.«

»Im Gegenteil«, brummte Godric. »Es wär uns ein Vergnügen.« Vier Arme zogen Richard unsanft auf die Füße, dann fesselte ihn eins der Händepaare mit dem Strick, den Simon der Wache entrissen und einem der Zwillinge gereicht hatte, während das andere ihn weiterhin am Schopf gepackt hielt und die scharfe Klinge unter seinem Kinn angesetzt hatte. Richard blinzelte verwirrt und schluckte sichtlich. Man konnte sehen, dass ihm das einfach zu viele Hände waren, die mit solch unheimlicher Schnelligkeit und Koordination an ihm herumfuhrwerkten.

Als Godric und Wulfric mit ihrer verschnürten und zumindest momentan zahmen Geisel sicher vor der rückwärtigen Wand standen, wandte Simon sich an die Übrigen. »Setzt euch im Kreis auf den Boden, Gesichter nach außen. Nur du nicht«, wies er den an, den die Kapriolen der Zwillinge so erheitert hatten.

Die übrigen fünf setzten grimmige Mienen auf, gehorchten aber anstandslos.

»Nehmt die Gürtel ab und gebt sie mir.«

Sie wussten, was er vorhatte, fluchten vor sich hin, folgten aber wiederum und nestelten unter den Kettenhemden herum.

Simon fesselte ihnen nacheinander mit den Stoffgürteln die Hände auf dem Rücken und verknotete die losen Enden miteinander. Es würde ein Weilchen dauern, bis sie sich befreien konnten.

Als das Werk zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen war, trat er aus ihrer Mitte, hob sein Schwert wieder aus dem Stroh auf und steckte es ein. »Kein Laut«, befahl er. »Wenn auch nur einer von euch um Hilfe ruft, werden meine Freunde de Clare die Eier abschneiden und den Schreihals damit knebeln. Glaubt mir lieber. Sie sind wirklich gefährlich.«

Godric und Wulfric zeigten ein so boshaftes Lächeln, dass es Simon an Regy erinnerte. Die Wachen glaubten ihm mühelos.

Richard de Clare war sehr bleich geworden. Er schloss die Augen, und seine Lippen bewegten sich im Gebet.

Simon gönnte sich einen Moment, um den Anblick seines Cousins zu genießen, dann nickte er dem letzten, nicht gefesselten Soldaten zu. »So. Und du bringst mich jetzt zu König Stephen.«

»In Ordnung«, antwortete der Angelsachse, anscheinend völlig unbeeindruckt von den Ereignissen. Er hielt Simon die Tür auf und ließ ihm höflich den Vortritt. Als sie Seite an Seite durch den Regen gingen, fragte er: »Warum ich, Mylord?«

»Weil du meine Freunde ohne Abscheu und Niedertracht angeschaut hast.«

Ein Lächeln huschte über das bärtige, nicht alte und nicht junge Gesicht. »Meine Schwestern waren genauso.«

Simon war erstaunt. »Ist das wahr? Und sind sie gestorben oder hat man sie getrennt?«

»Gestorben. Vor dreizehn Jahren. Mary starb als Erste. Da holten die Leute aus Biddenden – da leben wir, wisst Ihr –, sie holten einen gelehrten Doktor aus Canterbury, der sagte, er könne sie trennen und Eliza retten. Aber Eliza hat gesagt: ›Zusammen sind wir gekommen, und zusammen gehen wir auch wieder.‹ Eine Stunde später war sie tot.«

»Das tut mir leid«, sagte Simon.

Der Soldat nickte bedächtig. »Sie waren außergewöhnliche Menschen«, erklärte er. »Gütig. Niemals unzufrieden mit ihrem Los, man soll’s nicht für möglich halten. Und mildtätig. Noch heute verteilt man in Biddenden zu Ostern jedes Jahr Brot an die Armen in ihrem Andenken.«

»Sie müssen dir fehlen.«

»Das tun sie. Und hier sind wir, Mylord.«

Sie kamen an das zweiflügelige Tor der großen Halle. Die Wachen dort ließen sie anstandslos passieren, als sie den fremden jungen Edelmann in Begleitung ihres Kameraden sahen.

In einem menschenleeren Vorraum hielten sie an.

»Ist es wirklich nur eine Botschaft, die Ihr dem König überbringen wollt?«, fragte der Wachsoldat.

Simon nickte. »Wie ist dein Name?«

»Oswin.«

»Du hast mein Wort, Oswin, sei unbesorgt.« Simon nahm Schwert und Dolch ab und reichte sie ihm – weil es sich gehörte ebenso wie um Oswin zu beruhigen. »Ich stehe treu zu König Stephen.«

Oswin stellte die Waffen in eine dafür vorgesehene Nische neben der Tür zur Haupthalle. »Dann dürften Ihr und ich hier so ungefähr die Einzigen sein, die das tun, Simon de Clare. Wartet hier.«