Helmsby, Mai 1147
Trotz des abscheulichen Wetters kamen Simon und die Zwillinge euphorischer Stimmung zurück nach Helmsby. Sie ließen den Wagen und den Klepper – die beide noch ein bisschen mitgenommener aussahen als bei ihrem Aufbruch – in der Obhut der Stallknechte zurück und durchquerten eilig den Burghof. Ihre Schuhe verursachten schmatzende Geräusche, denn der grasbewachsene Innenhof schien im Begriff, sich in einen Sumpf zu verwandeln. Es tropfte von den Strohdächern der Wirtschaftsgebäude, und bis auf ein paar Hühner, die lustlos im Schlamm pickten, lag der Burghof wie ausgestorben. Grendel wollte hinüberlaufen, um sie aufzuscheuchen und für ein bisschen Stimmung zu sorgen, aber Wulfric pfiff ihn zurück, und der große Hund trottete folgsam neben ihnen einher, allerdings nicht ohne Wulfric mit einem gekränkten Blick zu traktieren.
Die Gefährten senkten die Köpfe gegen Regen und Wind und waren dankbar, als sie den überdachten Aufgang erreichten. Die Wachen am oberen Tor erwiderten ihren Gruß einsilbig.
»Was ist hier los?«, fragte Simon die beiden Männer argwöhnisch.
Der Linke schüttelte düster den Kopf. »Das wüssten wir auch gern. Geht lieber rein, Mylord.«
Simon tauschte einen Blick mit Godric und Wulfric, bedrängte die Wache aber nicht weiter. Sie liefen die Treppe hinauf, betraten den Donjon und begaben sich in die Halle.
Die alte Lady saß mit Henry, einer schönen jungen Frau und einem Edelmann, die Simon nicht kannte, an der hohen Tafel beim Nachtmahl, und Simon spürte sofort, wie niedergedrückt und angespannt die Stimmung war. Selbst das Gesinde auf den Bänken war verdächtig still.
Sie traten vor die Estrade und verneigten sich vor Lady Matilda.
Diese rang sich ein kleines Lächeln ab und nickte ihnen zu.
Simon zog einen gefalteten und versiegelten Pergamentbogen hervor, den er unter dem Bliaut getragen hatte, damit die kostbaren Worte nicht zerlaufen konnten, und überreichte ihn Henry mit einem triumphalen Lächeln. »Freies und sicheres Geleit bis an die Grenzen der Normandie für dich und jeden, der dir angehört. Und das hier.« Er förderte mit der Linken einen verheißungsvoll klimpernden Beutel zutage.
Henry stand auf und nahm die guten Gaben in Empfang. »Sei gepriesen, Simon de Clare. Wie in aller Welt hast du das fertiggebracht?« Er hatte einen Bluterguss am linken Jochbein, der im schwachen Licht schwärzlich wirkte.
»Ich glaube, es ist besser, das erzähle ich dir später«, erwiderte Simon und nickte fast unmerklich auf die Unbekannten am Tisch zu.
»Vergebt mir, de Clare«, sagte Lady Matilda. »Mein Enkel Haimon de Ponthieu und seine Cousine Susanna, Alans Gemahlin. Haimon, Susanna, dies sind Alans Freunde Wulfric und Godric und Simon de Clare, die Henry und uns allen einen unschätzbaren Dienst erwiesen haben.« Ihre Stimme klang seltsam matt, die Worte gestelzt, als habe sie sie auswendig gelernt, ohne ihren Sinn zu verstehen.
Während Simon, Haimon und Susanna ein paar höfliche Floskeln tauschten, fuhr sie fort: »Emma, bring unseren Gästen Wasser und Handtuch und dann trag ihnen auf. Nehmt Platz«, lud sie die Ankömmlinge ein.
»Was, hier?«, fragte Godric entgeistert.
»Wenn ihr uns die Ehre erweisen wollt«, beharrte sie, als sei es üblich, angelsächsische Krüppel bäuerlicher Herkunft an einer hohen Tafel willkommen zu heißen.
»Herrje, muss das sein?«, murmelte Susanna vor sich hin.
Sie hatte französisch und sehr leise gesprochen, aber die Zwillinge verstanden sie mühelos. »Habt Dank, Lady«, antwortete Wulfric Matilda. »Aber lieber nicht. Wir machen uns auf die Suche nach unseren Freunden.«
»Sie sind im Dorf«, erwiderte die alte Dame. »Kehrt nicht gleich in dieses Wetter zurück, ohne euch aufzuwärmen und zu stärken. Und lasst euch von Susannas Gehässigkeit nicht kränken. Wenn es noch Ehre und Anstand auf der Welt gäbe, müsste sie mit den Hunden vom Boden essen … Du bleibst sitzen, Susanna.« Sie sah die junge Frau nicht an, aber ihr Ton war mit einem Mal so scharf geworden, dass Simon um ein Haar zusammengezuckt wäre.
Die junge Frau sank zurück in ihren Sessel und starrte geradeaus. Sie riss die Augen weit auf, um zu verhindern, dass die Tränen zu laufen begannen, aber vergeblich.
Jesus, was ist hier passiert?, rätselte Simon, nahm Wulfric beim Arm, damit die Zwillinge nicht ausbüxen und die alte Lady beleidigen konnten, und führte sie entschlossen an die hohe Tafel.
Er ließ sich in den Sessel neben Henry sinken. Die Zwillinge blieben verlegen stehen, bis zwei Knechte eine kleine Bank für sie herbeischafften.
»Wo ist er?«, raunte Simon Henry zu.
Der neigte sich leicht zu ihm herüber und antwortete ebenso gedämpft: »Abgehauen. Vor zwei Tagen.«
»Warum?«
Henry seufzte so tief, dass es komisch gewirkt hätte, wäre er nicht so unverkennbar unglücklich gewesen. »Auch darüber sollten wir lieber später reden.« Er stand auf, trat zu den Zwillingen und schüttelte ihnen die Hand. »Ich danke euch. Es war riskant, und ihr schuldetet mir nichts. Ich werde euch das nie vergessen, und sobald ich kann, mach ich es gut.«
Über die Schulter übersetzte Simon seinen Freunden die schönen Worte.
Noch ein bisschen verlegener wehrten die Zwillinge ab.
Emma erlöste sie, als sie mit einer Schale Wasser hinzutrat. Die Ankömmlinge wuschen sich die Hände und benutzten das Handtuch, um sich auch die Gesichter und die triefenden Haare abzutupfen. Simon hätte allerhand darum gegeben, sich umziehen zu können, aber das Kaminfeuer in seinem Rücken war herrlich warm, und früher oder später würde er schon trocknen. Emma brachte ihnen Wein, Brot und einen Eintopf mit Bohnen und einer ordentlichen Portion Hammelfleisch. Wulfric und Godric fielen mit Hingabe darüber her.
Auch Simon war hungrig, aber die Neuigkeiten über Alans Verschwinden und die Stimmung am Tisch schnürten ihm die Kehle zu. Er nahm einen unbescheidenen Zug aus seinem Becher, begann dann langsam zu essen und wartete, dass irgendwer das bleierne Schweigen brach.
Erwartungsgemäß war es Henry, der das schließlich tat. »Meine Ritter haben hergefunden.« Er wies auf die zehn Männer an der oberen linken Tafel.
»Das ist großartig. Wann willst du aufbrechen?«
»Vorgestern«, entfuhr es Henry. Mit einem kläglichen Lächeln fuhr er fort: »Morgen früh, schätze ich. Ich habe sehnsüchtig auf dich gewartet, Simon, das kannst du mir glauben. Ich fürchte, ich habe die Gastfreundlichkeit hier ein wenig überstrapaziert.«
Simon runzelte verwundert die Stirn, dann kam ihm ein fürchterlicher Verdacht. Verstohlen sah er zu Alans bildschöner Frau hinüber, die immer noch starr an ihrem Platz saß wie eine Strohpuppe, dann zurück zu Henry, und er zischte wütend: »Was hast du angestellt, Henry Plantagenet?«
Der senkte zerknirscht den Blick und hob die breiten Soldatenschultern. »Ich glaube, die Frauen werden einmal mein Untergang sein«, bekannte er leise.
Wenn es das bedeutet, was ich fürchte, hast du nichts Besseres verdient, dachte Simon beklommen.
In eisigem Schweigen brachten sie das Essen hinter sich, und dann führte Henry Simon in seine Kammer hinauf. Die Zwillinge wollte er ebenfalls mitnehmen, aber sie entschuldigten sich und machten sich auf den Weg ins Dorf, um, wie Godric Simon erklärte, ihre Freunde aufzusuchen und die schlechten Neuigkeiten dort von Menschen in Erfahrung zu bringen, die das Kind beim Namen nannten und den heißen Brei nicht so lange mit Andeutungen umschlichen, bis man kein Wort mehr verstand, wie die feinen Leute es gern taten.
Vorausschauend hatte Henry einen vollen Krug und zwei Becher mitgenommen, und kaum hatte die Tür seines Gemachs sich geschlossen und die Begräbnisstimmung unten in der Halle ausgesperrt, fiel alle Trübsal von ihm ab. »Und?« fragte er gespannt, während er einschenkte. »Erzähl! Wie war Stephen?«
Betrunken und ausgebrannt, hätte die ehrliche Antwort gelautet, aber das sagte Simon nicht. Von allen Enttäuschungen, mit denen das Leben ihn im Lauf des letzten Jahres so reichlich bedacht hatte, war seine Begegnung mit König Stephen vielleicht die bitterste gewesen.
Simon hatte ihn mutterseelenallein in einer kleinen, dämmrigen Halle im Ostflügel des Palastes angetroffen, wo der König mit einem Becher Wein und seiner Krone am Tisch gesessen hatte. Die Krone lag auf der Seite, und Stephen stieß sie mit der Hand an, sodass sie ein Stück rollte. Wegen ihrer Form rollte sie in einem Halbkreis auf die Tischkante zu. Als sie abstürzte, fing er sie auf, legte sie wieder hin und begann von vorn.
»De Clare?«, fragte er, nachdem die Wache verschwunden war, und schaute auf. Sein Kopf bewegte sich merkwürdig langsam, und die Augen, die Simon missmutig anblickten, waren blutunterlaufen und trüb. »Welcher?«
Simon trat ungebeten näher und sank auf ein Knie nieder. »Simon de Clare of Woodknoll, Sire.«
Ein mattes Lächeln huschte über Stephens Gesicht. »Ralphs Sohn?«
»So ist es.«
»Ihr seid der mit der Fallsucht.«
»Ja, Sire.«
Der König ließ sich in seinen Sessel zurücksinken, die ausgestreckte Rechte immer noch an der Krone. »Tut mir leid, die Sache mit Eurem Vater.« Er rülpste leise. »Er war einer meiner Besten.«
Simon bedankte sich artig und senkte den Blick. Die Diskrepanz zwischen dem Bild, das er sich von diesem König gemacht hatte, und der Wirklichkeit erschütterte ihn.
Als spüre der König seine Enttäuschung, bemerkte er: »Ihr trefft mich nicht gerade in Höchstform an, mein junger Freund. Ihr müsst mir vergeben. Gestern erhielt ich die Nachricht, dass Ranulf of Chester sich unserer Sache angeschlossen hat.«
Simon machte große Augen. »Aber das ist wunderbar! Der Earl of Chester ist der mächtigste Mann in den Midlands.« Wenn es allerdings stimmte, was der Earl of Leicester ihm erzählt hatte, dass der nämlich ein Stillhalteabkommen mit Ranulf of Chester verhandelte, dann war dessen Unterstützung für König Stephen vermutlich ein wertloses Lippenbekenntnis …
»Ja. Es ist großartig. Aber er ist Gloucesters Schwiegersohn. Ein angeheirateter Neffe der Kaiserin mithin. Und nun fällt er ihr in den Rücken. Wie … furchtbar das für sie sein muss. Und für Gloucester ebenso.«
Simon fiel ein, was die Männer in der Halle seines Vaters hinter vorgehaltener Hand gesagt hatten: König Stephen sei zu nachsichtig mit seinen Feinden, um sie je schlagen zu können. Der junge de Clare begann zu fürchten, dass sie recht gehabt hatten. »Wo wir gerade von Kaiserin Maud sprechen, Sire …«, begann er ein wenig unbeholfen.
»Ja? Was ist mir ihr? Steht auf, mein Junge.« Stephen ließ ihn nicht aus den Augen, hob den Becher an die Lippen, trank und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Seid Ihr gekommen, um Euch gleich wieder zu verabschieden, weil Ihr Euch für sie entschieden habt?«
Simon stand auf. Sein Knie schmerzte. »Nein, Sire. Es geht um ihren Sohn. Henry.«
»Ah! Der kleine Satansbraten ist in England, richtig? Habt ihr ihn gesehen?«
Simon schluckte. »Ja, Sire.«
Die Krone rollte wieder auf die Tischkante zu, fiel, wurde aufgefangen. »Und? Wie ist er? Ein Heißsporn, wie alle sagen?«
»Ich denke schon, dass man ihn so bezeichnen könnte. Aber er ist in Nöten. Und ich bin hier, um Euch in seinem Namen um Hilfe zu bitten.«
Der König lauschte mit gerunzelter Stirn, während Simon ihm von Henrys Missgeschick berichtete. »Ich hoffe, Ihr könnt mir vergeben, dass ich mich zu seinem Fürsprecher mache. Es ist nicht zu leugnen, dass er in der Absicht nach England gekommen ist, Euch zu schaden. Aber das kann er nun ja nicht mehr. Er will nur noch nach Hause.«
Stephen lächelte nachsichtig. »Wieso tut Ihr es? Wieso riskiert Ihr Kopf und Kragen für ihn und kommt als sein Fürsprecher zu mir?«
»Es ist schwierig, ihm etwas abzuschlagen«, gestand Simon. »Er verschenkt seine Freundschaft so freigiebig und vorbehaltlos.« Das passiert Menschen wie mir nicht besonders häufig, und darum war ich leichte Beute, hätte er hinzufügen können, aber Stephen sollte nicht glauben, Simon sei auf sein Mitgefühl aus. Denn das war er nicht.
Der König nickte. »Seine Mutter war als Kind genauso. Von all meinen vielen Cousinen war sie mir die Liebste. Und nun seht euch an, was aus der Liebe unserer Jugendtage geworden ist.« Er stupste die Krone wieder an.
»Bitte nicht, Sire«, entfuhr es Simon.
Stephen hielt das Symbol seiner Königswürde fest, ehe es über die Tischkante kullern konnte. »Ihr fürchtet, es sei ein schlechtes Omen, wenn sie fällt?«
Simon senkte beschämt den Blick und nickte.
»Vermutlich habt Ihr recht. Ich sollte nicht so leichtsinnig mit ihr spielen. Denn ich muss an meine Söhne denken. Wenn sie nicht wären, würde ich dieses schreckliche Ding Maud gern überlassen, das könnt Ihr mir glauben. Wie alt ist ihr Bengel? Dieser Henry?«
»Vierzehn.«
Stephen brummte anerkennend. »Viel Mut für einen Milchbart.«
Henry war so weit von einem Milchbart entfernt, wie Simon sich vorstellen konnte, aber er beschloss, dem König diese Tatsache zu unterschlagen.
»Und Ungestüm«, fuhr der König fort. »Das gefällt mir. Mein Eustache ist genauso. Jedenfalls glaube ich das.« Er verstummte abrupt, und dann winkte er seufzend ab, als sei die ganze Angelegenheit ihm plötzlich lästig. »Sagt dem jungen Plantagenet, er kann nach Hause segeln. Sagt ihm, er soll sich seine Sporen fortan anderswo verdienen, am besten im Heiligen Krieg, da werden Wirrköpfe gebraucht. Aber wenn er sich hier je wieder blicken lässt, sperr ich ihn ein, bis seine Mutter endlich klein beigibt.«
»Danke, Sire.« Erst mit der Erleichterung gestattete Simon sich einzugestehen, wie groß seine Furcht vor dem Ausgang dieser Unterredung gewesen war.
»Ich lass Euch eine Urkunde ausstellen. Braucht er Geld?«
»Ein bisschen, ja.« Er spürte seine Ohren heiß werden.
Stephen schnaubte belustigt. Ohne aufzustehen, streckte er einen seiner langen Arme nach links aus, klappte eine kleine Truhe auf und holte einen Beutel heraus. Den warf er Simon zu.
Simon fing ihn mühelos auf. »Habt Dank, Sire.«
»Gute Reflexe«, bemerkte Stephen und betrachtete ihn eingehend. »Für einen Mann mit Eurem Gebrechen, meine ich.«
Der junge de Clare spürte, wie sein nervöses kleines Lächeln bröckelte, und schlug die Augen nieder. »Danke«, sagte er nochmals.
Stephen seufzte, stand auf und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Jetzt habe ich Euch gekränkt. Das tut mir leid, mein Junge. Nichts lag mir ferner. Aber es hat ja keinen Sinn, wenn wir uns etwas vormachen, nicht wahr? Ein Mann wie Ihr kann nicht Soldat werden. Wenn Ihr mir dienen wollt, werdet Mönch. Lernt lesen und schreiben, dann nehm ich Euch in meine Kanzlei.« Er strahlte ihn an – offenbar fand er, das sei ein großmütiges Angebot. »Wie wär’s?«
»Ich werde darüber nachdenken, Sire.«
Stephen legte ihm den Arm um die Schultern, drückte ihn kurz an sich und ließ ihn sogleich wieder los. Simon ging auf, dass den König vor ihm gruselte.
»Am besten, Ihr geht zurück in das Kloster, wo Euer Onkel Euch untergebracht hatte, hm? Welches war es gleich wieder? St. Pancras?«
Simon nickte. »Das ist eine großartige Idee.«
All das erzählte er Henry nicht, denn auch wenn der König eine bittere Enttäuschung gewesen war, konnte Simon seine Loyalität ihm gegenüber nicht einfach so abstreifen wie einen unbequemen Stiefel.
»Er ist kriegsmüde, schätze ich«, sagte er, während er sich auf die Kante der Fensterbank hockte und einen Schluck trank. »Aber noch nicht gewillt, sein Ziel aufzugeben, versteh mich nicht falsch. Er warnt dich sehr eindringlich davor, dich hier je wieder blicken zu lassen. Dann werde er dich einsperren, bis deine Mutter klein beigibt.«
Henry schnaubte belustigt in seinen Becher. »Ich werd dran denken …«
Simon ließ ein paar Atemzüge verstreichen, ehe er fragte: »Was ist hier passiert?«
Der junge Franzose fuhr sich verlegen mit dem Zeigefinger über den Nasenflügel. »Sie kreuzten hier auf, kurz nachdem ihr fort wart. Das machte für den Ärmsten alles noch viel komplizierter. Sein Cousin Haimon ist eine Natter, und seine hinreißende Frau auch, wenn man’s genau nimmt. Und ein Luder.« Er wollte Entrüstung heucheln, aber der Schalk übermannte ihn förmlich, und er schaffte es nicht, das unbekümmerte Grinsen ganz zu unterdrücken. »Ja, schön, ich sehe, du ahnst es sowieso schon. Verdammt, Simon, sie hat sich mir an den Hals geworfen!«
»Armes verführtes Unschuldslamm.«
»Natürlich bin ich das nicht«, gestand Henry ungeduldig. »Bei den Augen Gottes, Mann, ich bin nicht stolz darauf, in Ordnung? Was soll ich sagen? Es schien in dem Moment eine gute Idee zu sein.«
Simon betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Die Ausrede, die so mancher Tor unter dem Galgen vorgebracht hat.«
»Tja. Gut möglich, dass es eines Tages auch meine letzten Worte sein werden«, musste Henry einräumen.
»Und wie hat er’s erfahren?«
»Er …« Henry räusperte sich. »Er kam zufällig vorbei.«
»Oh, bei allen Heiligen, Henry …«
»Ich weiß«, beeilte Henry sich zerknirscht einzuwerfen. »Ich weiß, was ich angerichtet hab, Mann. Und dann ist er verschwunden, und niemand weiß, wohin, und ich muss morgen das Land verlassen und kann mich nicht mit ihm aussöhnen. Das macht mir schwer zu schaffen. Du weißt nicht zufällig, wo er sein könnte?«
Doch, vermutlich schon, dachte Simon, aber er schüttelte den Kopf.
Henry sah ihm einen Moment in die Augen. Er schien zu ahnen, dass Simon ihm nicht die Wahrheit sagte, aber er protestierte nicht. Vermutlich wusste er, dass er verdient hatte zu schmoren.
»Und wieso wissen es hier alle?«, fragte Simon.
»Die alte Schachtel ist nicht auf den Kopf gefallen. Sie hat Susanna gefragt, ob sie sich vorstellen könne, warum Alan verschwunden ist, und Susanna hat es nicht geschafft, sich rauszureden. Junge, ich sag dir, hier war der Teufel los. Ausgerechnet Haimon übernahm stellvertretend die Rolle des erzürnten Gemahls. Er hat mir ein Ding verpasst, dass ich dachte, ich steh nie wieder auf, und dann wollte er sich Susanna vornehmen, aber Matilda ging dazwischen. Sie hat andere Methoden, Susanna bezahlen zu lassen – du hast es ja gesehen. Ehrlich, wir hatten hier ein paar richtig vergnügliche Tage.«
»Verdientermaßen«, bemerkte Simon streng.
»Tja.« Henry fuhr sich ratlos über die Stirn. »Da hast du recht. So betrachtet bin ich nicht unglücklich, dass ich morgen aufbreche.«
»Das glaub ich gern.«
»Simon, ich weiß, dass du wütend auf mich bist, aber ich habe mich gefragt …«, begann Henry ungewöhnlich kleinlaut und stockte dann. »Ich hab mich gefragt, ob du vielleicht mit mir kommen willst nach Anjou? Auch wenn ich mich gerade wie ein Trottel und ein Schweinehund benommen habe, bin ich eigentlich doch keins von beiden, und ich habe große Pläne. Einen Kerl wie dich, der mutig genug ist, das zu tun, was du getan hast, findig genug, heil und erfolgreich zurückzukommen, aber nicht so ein Großmaul wie ich, sodass er über die delikaten und vertraulichen Einzelheiten die Klappe halten kann … So einen Kerl könnte ich gut gebrauchen.«
Es war wie Balsam auf Simons Seele. Die Zurückweisung seines Königs hatte ihn härter getroffen, als er für möglich gehalten hätte. Und auch wenn er nicht verstehen konnte, was Henry getan hatte, und in der Tat wütend auf ihn war, änderte das doch nichts an der Freundschaft, die er für ihn hegte. Er glaubte an Henrys große Pläne. Das machte wohl einen Teil des Zaubers aus, den dieser junge Franzose besaß: Nach kürzester Zeit in seiner Gesellschaft überzeugte er jeden davon, dass er Wunder vollbringen konnte.
Doch Simon schüttelte den Kopf. »Ich würde dich gern begleiten«, gestand er. »Aber ich kann diesem Scherbenhaufen, den du angerichtet hast, nicht einfach den Rücken kehren. Wenn Alan nicht hier ist, muss ich mich um unsere Gefährten kümmern. Und ich muss über König Stephen und deine Mutter nachdenken.«
»Vergiss sie, alle beide«, riet Henry. »Sie haben eurem England nichts als Unglück gebracht, aber ich mach es wieder gut, du wirst sehen.«
»Vielleicht. Wie gesagt, ich muss nachdenken. Wenn ich das getan habe und wenn die Dinge sich hier geklärt haben, werde ich dir möglicherweise folgen. Du bist ja nicht schwer zu finden. Immer da, wo die größte Staubwolke aufgewirbelt wird …«