Warwick, Juni 1153

Das schien in der Tat der Fall zu sein: Mit Malmesbury war der Südwesten gesichert, und im Laufe des Frühjahrs absolvierte Henry einen nahezu ungehinderten Siegeszug durch die Midlands, der Anfang Juni im Fall der mächtigen Burg von Warwick gipfelte.

»Das ist großartig«, sagte Simon mit Befriedigung. »Dann hindert uns ja nun nichts mehr, nach Wallingford zu ziehen, richtig?«

»Simon, ich weiß, wie sehr dir Wallingford am Herzen liegt …«, begann Henry.

»Es liegt mir am Herzen?«, unterbrach Simon mit ungewohnter Heftigkeit und sprang auf die Füße.

Sie saßen mit Alan, Gloucester und einigen anderen Kommandanten zusammen in der zugigen Halle des Burgturms und berieten, was als Nächstes zu tun sei.

»Was soll das heißen, es liegt mir am Herzen?«, empörte sich Simon. »Du hast gesagt: ›Wir müssen schnellstens nach England segeln, um Wallingford zu Hilfe zu kommen, denn in Wallingford wird sich entscheiden, wer die Krone tragen soll.‹ Das waren deine Worte, Henry. Im Januar. Jetzt ist Sommer.«

Alan war ebenfalls aufgestanden und ans Fenster getreten. Hier vom Burgturm auf der steilen Motte hatte man einen weiten Blick über das Avontal und das flache, liebliche Umland. »Henry hat trotzdem recht, Simon«, sagte er, ohne sich umzuwenden. »Ein paar Burgen hier und da in den Midlands nützen uns nichts. Wir müssen sie alle sichern, sonst laufen wir Gefahr, vor Wallingford zwischen Stephens Armee und seinen Lords aus den Midlands in die Falle zu geraten. Das dürfen wir nicht riskieren, gerade weil Wallingford von so großer Bedeutung ist.«

»Ich fürchte, genau so ist es«, sagte eine fremde Stimme von der Tür.

Die Männer an der Tafel wandten die Köpfe, auch Alan drehte sich um. An der Seite des Ankömmlings war eine Wache eingetreten und meldete: »Robert Beaumont, Monseigneur, der Earl of Leicester.«

Henry sprang von seinem Sessel auf, als habe er plötzlich festgestellt, dass das Sitzkissen in Flammen stand. »Was

Der Earl of Leicester trat langsam auf ihn zu und sank vor ihm auf ein Knie nieder. »Vergebt mir, dass ich erst jetzt zu Euch stoße, Monseigneur. Wie Ihr vielleicht wisst, haben mich ein paar Nachbarschaftsstreitigkeiten bislang gehindert, mich Euch anzuschließen. Aber hier bin ich. Ich bringe Euch fünfhundert Mann und meine Burgen in den Midlands.«

Henry hob ihn auf und schloss ihn in die Arme. Er tat das beinah schon routiniert – so viele englische Lords waren im Laufe der letzten Monate auf diese Weise zu ihm gestoßen. Aber kaum einer mit solcher Macht. »All Eure Burgen in den Midlands?«, fragte der Thronanwärter deshalb ein wenig ungläubig. »Das müssen an die zwanzig sein.«

»Es sind einunddreißig«, eröffnete Alan ihm.

Henry betrachtete den mächtigen Earl of Leicester kopfschüttelnd und legte ihm noch einmal für einen Moment die Hände auf die Schultern. »Bei den Augen Gottes … Das ist nicht zu glauben.«

»Oh, glaubt es ruhig«, gab Leicester ein wenig verlegen zurück. Jeder hier in der Halle wusste, dass er sich in den vergangenen zehn Jahren wie so viele Lords kaum noch um den Krieg geschert, sondern seine Kräfte in die Sicherung und Erweiterung seiner persönlichen Macht gesteckt hatte. »Wie manch anderer Mann in England habe ich nur darauf gewartet, dass jemand kommt, der der Lehenstreue wert ist, die wir ihm schwören. Ihr seid so ein Mann, Monseigneur.«

Henry senkte für einen Moment den Blick. »Habt Dank«, murmelte er.

»Wenn du nicht weißt, wie du deine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen sollst, gib seiner Familie ihre Ländereien in der Normandie zurück«, riet Simon und trat an Henrys Seite. »Sie haben sie vor Jahren an deinen Vater verloren und kämpfen seither darum.«

»Einverstanden.«

Der Earl of Leicester betrachtete Simon mit konzentriert gerunzelter Stirn. »Wir kennen uns«, sagte er langsam. »Augenblick. Sagt nichts. Lasst mich sehen, ob es mir trotz meines Greisenalters noch einfällt … Simon de Clare!«, rief er dann triumphierend. »Ein Wirtshaus in Luton. Der verdammte Bischof von Winchester hatte mir gerade meine Jagdhunde gestohlen. Wie geht es Euren zusammengewachsenen Freunden?« Er streckte die Hand aus.

Lächelnd schlug Simon ein. »Gut, Mylord.«

Sie wechselten ein paar höfliche Worte, und Simon machte Leicester mit Alan und den übrigen Männern bekannt. Dann sagte er: »Letztes Jahr bin ich in Wallingford Eurem Sohn begegnet.«

Leicester nickte, seine Miene grimmig. »Ich muss damit rechnen, dass er inzwischen verhungert ist, schätze ich.«

»Nein, ich glaube nicht«, widersprach Simon, und Leicester lauschte ihm staunend, als Simon mit wenigen Worten berichtete, was er und die Zwillinge getan hatten, um zu verhindern, dass die Garnison von Wallingford über den Winter ausgehungert wurde. »Aber sie sind nur noch so wenige«, schloss er. »Und inzwischen sind sie vermutlich wieder bei Kleiebrot angelangt. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen. Sie haben verdient, dass wir ihnen zu Hilfe eilen.«

»Das werden wir auch, Simon«, versprach Alan. »Sobald Tutbury gefallen ist.«

Leicester betrachtete ihn kopfschüttelnd. »Hat Euch schon mal jemand gesagt, dass Ihr Eurem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten seid, Helmsby?«

»Gelegentlich.«

»Hm. Und Ihr habt den gleichen unbarmherzig klaren Blick für die Realitäten wie er.« Er klopfte Simon kurz die Schulter. »Helmsby hat leider recht, mein Junge. Tutbury muss fallen, bevor wir nach Wallingford ziehen können. Aber wir sollten uns beeilen.«

Henry trank einen kleinen Schluck und stellte seinen Becher dann entschlossen auf dem Tisch ab. »Also? Worauf warten wir?«

Tutbury fiel, und während der Belagerung schloss sich auch noch der mächtige Earl of Derby Henrys Truppen an. Weder während ihres Siegeszugs durch die Midlands noch auf dem Marsch nach Süden sahen oder hörten sie das Geringste von König Stephen oder Eustache, da der wankelmütige Earl of Norfolk sich offenbar plötzlich auch entschlossen hatte, sich lieber auf Henrys Seite zu schlagen, und den König im Südwesten allenthalben in Scharmützel verwickelte, um Stephen daran zu hindern, dorthin zu eilen, wo es wirklich brannte.

Die Leichtigkeit, mit der ihnen eine Burg und eine Stadt nach der anderen in die Hände fielen, wurde Simon allmählich unheimlich, wenngleich er genau wusste, was die Gründe waren: Henry war ein hervorragender Soldat und Feldherr, und die Bravur, mit der er im vergangenen Jahr den König von Frankreich und seinen jüngeren Bruder Geoffrey auf dem Kontinent besiegt und aus seinem Herrschaftsgebiet gejagt hatte, hatte ihm Ruhm eingetragen. Nicht nur fürchteten ihn die englischen Lords, die noch auf Stephens Seite standen, sondern ebenso wussten sie, dass Henry würdig war, die Krone zu tragen. Dass dies ein Mann war, der England Frieden und Ordnung zurückbringen konnte. Und vor die Wahl gestellt, ihre Zukunft in seine Hände zu legen oder ihr Glück mit Eustache zu versuchen, fiel ihnen die Entscheidung denkbar leicht. Simon beobachtete mit Befriedigung, dass große, mächtige Männer wie der Earl of Leicester zu Henry kamen und ihm binnen kürzester Zeit aus der Hand fraßen. Voller Vorbehalte und Zweifel traten sie vor ihn, denn sie hielten seine Mutter für eine herrschsüchtige Furie und seinen Vater für einen wilden Raubritter, aber Henry musste nur einen Becher Wein mit ihnen leeren, schon waren die Zweifel zerstreut, und selbst jene, die doppelt so alt waren wie der junge Herzog, begegneten ihm mit Ergebenheit ebenso wie Bewunderung.

So gelangten sie an einem schwülheißen Sommerabend im Juli endlich mit beinah dreitausend Mann nach Wallingford.

»Sieht alles noch so aus wie letztes Jahr«, befand Wulfric.

»Hm«, machte sein Bruder. »Nur unsere Scheune ist abgefackelt.«

Das Dorf wirkte vielleicht noch eine Spur ausgestorbener, und tatsächlich war das Gehöft, wo sie sich und ihre Vorratssäcke damals versteckt gehalten hatten, ein Raub der Flammen geworden. Vielleicht ein Blitzschlag, dachte Simon. Oder vielleicht hatte Eustache in seinem Zorn befohlen, es niederzubrennen. Es spielte keine Rolle. Die Menschen, deren Heim und Lebensgrundlage dieser Hof einmal gewesen war, waren längst entschwunden, vor den Kämpfen geflohen, verhungert oder erschlagen – wer konnte es wissen?

Henry saß im Sattel und ließ den Blick über die von Einschlägen und Bränden beschädigte Palisade von Wallingford schweifen, über den Belagerungsring und die Burg auf der anderen Flussseite. Alles lag wie ausgestorben da. Eine Krähe thronte hoch oben auf dem senkrechten Wurfarm der Trebuchet; die kleineren Belagerungsmaschinen waren verschwunden. Innerhalb des Belagerungsrings war das Gras zertrampelt, die Erde schlammig, aber die umliegenden Weiden waren grün und üppig und mit dem Gelb, Rot und Blau von Wiesenblumen betupft. Ein paar Schafe grasten friedlich.

»Was zum Henker hat das zu bedeuten?«, fragte Henry irritiert. »Ich komme zur Entscheidungsschlacht, und weit und breit ist keine Menschenseele zu entdecken?«

»Sei versichert, sie sind hier«, entgegnete Alan. »Aber ihre Späher haben von unserem Anrücken berichtet, darum hat Richard de Clare sich verschanzt und wartet auf Stephen und Eustache.«

»Die sich wieder einmal Zeit lassen«, höhnte Gloucester.

»Ja. Oder sie sind bereits hier, und der Burghof von Crowmarsh wimmelt von ihren Soldaten, die nur darauf warten, dass wir die Brücke stürmen«, überlegte Alan halblaut.

»Wir wüssten es, wenn Stephen nach Wallingford gezogen wäre«, widersprach Simon.

Alan nickte. »Wahrscheinlich, ja.«

Henry hob unbekümmert die Schultern. »Es gibt wohl nur einen Weg, das herauszufinden. Simon, nimm fünfzig Männer. Packt die Satteltaschen voll mit Brot und so weiter. Dann reitet zu dieser Trebuchet dort drüben und macht sie unschädlich. Anschließend zieht ihr vors Tor und erbittet Einlass, um die Garnison zu verstärken. Richte dem Kommandanten von Wallingford meine aufrichtige Dankbarkeit für seine Treue und Standhaftigkeit aus.« Ein übermütiges Funkeln stand in seinen Augen.

Simon lächelte befreit. »Wird gemacht, Mylord«, antwortete er und wendete sein Pferd.

»Wir warten, bis sie drin sind, dann formieren wir uns und nehmen die Brücke«, hörte er Henry noch sagen, während er schon davongaloppierte.

Satteltaschen voller Brot waren Simon nicht gut genug. Gewiss war die Not der eingeschlossenen Menschen inzwischen wieder groß, und es war schwer abzuschätzen, wie lange Henry und Alan brauchen würden, die Belagerer davonzujagen. Simon wollte um jeden Preis vermeiden, dass er mit seiner Verstärkung nur die Versorgungslage innerhalb der Festung verschlimmerte. Also hieß er die Zwillinge, einen der Trosswagen mit Vorratssäcken und Fässern zu beladen und vor das Tor der belagerten Burg zu fahren, während er selbst und die fünfzig Männer, die der Earl of Leicester ihm geborgt hatte, zur Trebuchet hinüberritten.

»Was machen wir damit?«, fragte ein junger Ritter mit einem großen Feuermal auf der linken Wange. »Sollen wir sie abfackeln?«

Aber Simon schüttelte den Kopf. »Das wäre zu schade. Wer weiß, ob wir sie nicht noch selbst gebrauchen können. Kappt die Seilzüge. Alle. Es dürfte ein paar Tage dauern, sie wieder flottzumachen.«

Vier Soldaten zückten lange Messer, traten auf die große Belagerungsmaschine zu und durchschnitten die dicken Taue, die die Winde des Laufrads mit dem Wurfarm verbanden. Dann führte Simon seine Männer vor das Tor von Wallingford Castle.

Godric und Wulfric waren bereits mit dem Karren dort eingetroffen und stritten mit einem Ritter, der oben auf der Brustwehr des Torhauses stand und sie offenbar nicht einlassen wollte.

»Was für ein mieser Trick«, schimpfte er wütend. »Glaubt ihr, der Hunger hat uns so weich in der Birne gemacht, dass wir uns von einem Karren voller Fässer verführen lassen, Stephens Horden hier reinzulassen? Das hätten wir wirklich leichter haben können …«

Simon musste einen Moment überlegen, wie der Mann hieß. Dann ritt er eine Länge vor. »Leofgar!«, rief er zur Brustwehr hinauf. »Erkennt Ihr mich?«

Blinzelnd starrte der Wächter auf ihn hinab. »Simon de Clare?«, fragte er dann ungläubig. »Wieso seid Ihr nicht tot?«

Simon zeigte mit dem Finger auf die Zwillinge. »Man sagt ihnen nach, sie bringen Glück. Es stimmt. Wir hatten in diesem Fall zwar nur Glück im Unglück, aber immerhin.«

Leofgars Miene blieb unbewegt. Er war zu weit weg, als dass Simon hätte erkennen können, ob sich ein Funke Hoffnung in seinen Blick geschlichen hatte.

»Wirklich?«, fragte der englische Ritter voller Skepsis. »Oder bedient sich Stephen jetzt teuflischer Mächte und schickt uns einen Widergänger? Oder einen Zauberer in Eurer Gestalt?«

Simon seufzte verstohlen. Er konnte den Argwohn des Mannes verstehen, sein Unvermögen, zu glauben, dass nach fast zwei Jahren Belagerung an einem schwülen Juliabend aus heiterem Himmel Verstärkung vors Tor ziehen sollte. Aber sie mussten schnell zu einer Lösung kommen, denn es war keine gute Idee, länger als nötig vor dem Tor einer belagerten Burg zu stehen. Hier konnte jeden Moment die Hölle losbrechen.

»Ich bin es wirklich, Leofgar«, versicherte Simon geduldig. »Wie wär’s, wenn Ihr Miles Beaumont oder Lady Philippa herholt?«

»Lady Philippa?«, wiederholte Leofgar und schlug wütend mit der Faust gegen die Palisaden. »Das dürfte schwerlich möglich sein, Mylord.« Und damit verschwand er.

»Was soll das heißen?«, brüllte Simon hinauf. »Leofgar … was ist mit ihr?«

Er bekam keine Antwort. Furcht legte sich auf sein Herz wie der Schatten einer bösen Vorahnung, aber er wusste, er musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren. »Formiert euch zu einem Halbkreis«, wies er die Männer an. »Hintere Reihe Gesicht nach außen. Wenn das hier noch länger dauert, müssen wir damit rechnen, dass sie uns aus Crowmarsh dort drüben ein paar Schlächter auf den Hals hetzen, ehe Henry sie angreifen kann. Also haltet die Augen offen.«

Aber die gespenstische Ruhe auf der anderen Seite des Flusses hielt an, und es dauerte nicht lange, bis Leofgar in Begleitung eines anderen Mannes wieder über dem Tor erschien.

»Simon?«

»Miles!« Was ist mit Philippa?, wollte er ihn fragen, aber zuerst musste er seine Männer sicher durch dieses Tor bringen. »Henry Plantagenet ist gekommen, wie ich es euch versprochen habe!«, rief er stattdessen. »Dein Vater ist bei ihm. Ich bringe euch Verstärkung. Also würdest du uns bitte reinlassen, verdammt noch mal!«

Kaum hatte er ausgesprochen, hörten sie von der Innenseite des Tors das Schleifen von Eisen auf Holz, als Sperrbalken entfernt und Riegel zurückgezogen wurden. Dann schwangen die beiden eisenbeschlagenen Torflügel auf, und sobald die Öffnung breit genug war, schüttelte Wulfric die Zügel auf und schnalzte ermunternd. Der Karren verschwand im Torhaus.

»Schneller«, drängte Simon und ließ den Blick nervös über die Wiesen zum Fluss hinuntergleiten. »Jetzt die ersten zehn Mann durchs Tor. Beeilt euch.«

Mit erschreckender Plötzlichkeit ging die Brücke, die die beiden feindlichen Burgen verband und seit Beginn der Belagerung in der Hand der Royalisten war, in Flammen auf. Simon stieß hörbar die Luft durch die Nase aus. »Das wurde auch langsam Zeit, Henry«, murmelte er, schickte die restlichen Männer durchs Tor und folgte als Letzter.

Während Leofgar und ein weiterer Wächter das Tor wieder verriegelten, schloss Miles Beaumont Simon in die Arme. »Ich hatte kaum Hoffnung, dich je wiederzusehen«, gestand er.

Die Wärme und Bewunderung in seinem Blick trieben Simon das Blut in die Wangen. Er kam sich immer wie ein Hochstapler und Betrüger vor, wenn jemand ihm Bewunderung zollte. »Wie steht es um Wallingford?«, fragte er, während er Miles durch den Burghof zur Zugbrücke und die Motte hinauf folgte.

»Ungefähr genauso wie bei deinem ersten Besuch«, antwortete Miles und hob ergeben die Schultern. »Sie haben versucht, den Wasserzustrom vom Fluss zu blockieren und uns auszutrocknen, aber der Fluss war stärker als alles, was sie sich haben einfallen lassen.« Sie betraten die Halle des steinernen Bergfrieds. »Nach ein paar Tagen kam das Wasser jedes Mal zurück. Deine Vorräte haben länger gehalten, als ich gedacht hätte, aber seit zehn Tagen haben wir praktisch nichts mehr zu essen. Hätten wir nicht Nachricht von Henry Plantagenets Landung im Winter bekommen, hätten wir vermutlich aufgegeben.«

»Nachricht? Wie ist das möglich?«

»Einer deiner Freunde aus der Abtei von Abingdon ist zu uns gekommen, Bruder Mark. Er hat es uns erzählt.«

Simon nickte und sah sich in der dämmrigen Halle um: Dieselben Gesichter wie vor einem dreiviertel Jahr, genauso ausgemergelt wie damals. Lady Katherine hob den Kopf, als sie Miles und Simon eintreten sah, und lächelte ihnen entgegen. Sie hielt ein Kleinkind auf dem Arm. Keine der anderen Frauen war zu entdecken. Simon nahm seinen Mut zusammen. »Und … Lady Philippa?«

Miles betrachtete ihn, seine Miene unmöglich zu deuten. »Tja, Mann, was soll ich sagen …«

»Was immer es ist. Aber mach schnell.«

Ehe Miles antworten konnte, drang ein Schrei aus der abgeteilten hinteren Kammer. Sofort wurde er unterdrückt und ging in ein Stöhnen über, aber Simon hatte die Stimme erkannt. Er wirbelte herum und machte einen Schritt Richtung Tür. Miles erwischte ihn am Ellbogen und hielt ihn zurück. »Stör sie nicht.«

»Aber … aber was ist mit ihr?«

Der junge Beaumont lachte in sich hinein. »Das weißt du nicht? Du wirst Vater, du Hornochse.«

»Ich … was?«

»Hm. So hört sich das in der Regel nun mal an. Kein Grund, so bleich zu werden, de Clare. Sie macht das schon.«

Ganz plötzlich gaben Simons Knie nach, und er sackte auf die Bank an der Tafel nieder. »Ein Kind …« So viele unterschiedliche Empfindungen stürzten auf ihn ein, dass er gar nicht wusste, wie er sie handhaben sollte. Ein schlechtes Gewissen, Scham, Furcht, Freude – es fühlte sich an, als wäre sein Herz in einen Mahlstrom geraten.

Miles setzte sich neben ihn. »Besser, du bist auf eine Enttäuschung gefasst. Lady Philippa hat viel zu wenig zu essen bekommen über den Winter. Darum …« Er wechselte einen verstohlenen Blick mit seiner Frau.

Lady Katherine erhob sich und reichte ihrem Mann das kleine Bündel. »Ich werde gehen und ihr sagen, dass Ihr zurück seid, Mylord. Das wird ihr Mut machen.«

Simon nickte dankbar, und Katherine trat zur Hinterkammer.

Liebevoll, mit beinah komisch wirkender Vorsicht hatte Miles Beaumont sein Kind in Empfang genommen und legte es fachmännisch in die linke Armbeuge. »Robert«, stellte er mit unverhohlenem Stolz vor. »Schon acht Monate alt.«

»Gott segne deinen Sohn, Miles«, antwortete Simon und betrachtete das kleine Gesicht, die geschlossenen Lider mit den winzigen Wimpernkränzen mit einem ganz neuen Interesse. Ich werde Vater, dachte er ungläubig. Gott, gib, dass ich Vater werde. Lass das Kind leben. Und lass seine Mutter leben

Dann nahm er sich zusammen und stand auf. »Steigen wir auf die Brustwehr und sehen, was auf der Brücke passiert. Womöglich ist heute der Tag, da die Belagerung von Wallingford endet.«

Mit nur zwanzig Mann hatte Henry die Brücke genommen, hatte die feindlichen Wachen am Wallingford-Ufer überrannt, und bei den Kämpfen war ein Feuer ausgebrochen.

Henry scherte sich nicht um die Flammen, sondern rannte mit der blanken Klinge in der Rechten auf das andere, ebenfalls bewachte und befestigte Ende zu, beinah zehn Schritte vor seinen Männern.

Alan sah über die Schulter und war erleichtert, einen seiner Männer gleich hinter sich zu finden. »Bedwyn, sorg dafür, dass das Feuer gelöscht wird. Wir werden die Brücke noch brauchen.«

Er wartete keine Antwort ab, sondern lief, um zu Henry aufzuschließen. Alan wusste, er durfte ihm nicht von der Seite weichen. Er fand es ebenso klug wie ehrenhaft, dass Henry Plantagenet sich an die Spitze seiner Truppen stellte, denn nur so und nicht anders konnte man sich Respekt verdienen und seine Feinde das Fürchten lehren. Aber der Respekt ihrer Feinde würde ihnen nichts nützen, wenn Henry heute auf der Brücke von Wallingford fiel.

Alan holte ihn ein, als die Wachen sich ihm gerade entgegenwarfen. Es waren sechs, aber wegen der Enge auf der Brücke konnten immer nur zwei nebeneinander kämpfen. Auch Henry und Alan standen jetzt Schulter an Schulter, und sie erledigten die Wachen ohne alle Mühe.

»Ich hoffe, das ist nicht alles, was Richard de Clare aufzubieten hat«, knurrte Henry.

»Bestimmt nicht«, gab Alan zurück. »Sei unbesorgt, Cousin. Wir werden genug zu tun bekommen.« Mit der Schwertspitze wies er auf das Tor von Crowmarsh Castle, das sich mit majestätischer Langsamkeit öffnete.

Alan wandte sich um und gab das verabredete Zeichen. Die Männer schlossen zu ihnen auf, neue rückten nach. Eilig strömten sie von der engen Brücke und verteilten sich entlang des Ufers, um Richard de Clare und seine Belagerungsarmee zu empfangen. Aber der Kommandant von Crowmarsh hatte nur einen Ausfalltrupp geschickt. Als diese Männer erkannten, wie hoffnungslos sie unterlegen waren, machten sie kehrt, schlugen mit den Schwertern ans Tor und flehten, wieder eingelassen zu werden. Doch das Tor blieb verschlossen.

Mit grimmigen Mienen schickten Henrys Männer sich an, den Ausfalltrupp einzukreisen und niederzumetzeln, als der junge Herzog der Normandie die Hand hob.

»Ihr könnt euch mir anschließen!«, rief er den Männern aus Crowmarsh zu. »Überlegt es euch. Kehrt dem Mann den Rücken, der euch ins Verderben schicken wollte, oder sterbt für ihn – mir ist es gleich.«

»Sie verstehen kein Wort, Henry«, raunte Alan ihm zu, und er musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu lachen.

»Was?«, fragte Henry unwirsch. »Ach so. Natürlich. Dann sei so gut und sag du es ihnen.«

»Dieser Lord hier ist der Herzog der Normandie«, erklärte Alan den Todgeweihten auf Englisch. »Er ist der rechtmäßige König von England und hergekommen, um sich seine Krone zu holen. Wenn ihr für ihn kämpfen wollt, schont er euch. Aber ihr müsst ihm einen Eid schwören, damit er euch trauen kann. Und wenn ihr diesen Eid brecht, wird er euch in Mäuse verwandeln und einen nach dem anderen an die Bussarde verfüttern. Glaubt mir lieber, denn er hat Dämonenblut in den Adern.«

Die Männer überlegten nicht lange. Weiterleben zu dürfen war schon weit mehr, als sie zu hoffen gewagt hatten. Aber im Austausch für den erbarmungslosen Schinder Richard de Clare einen neuen Dienstherrn zu bekommen, der so tapfer war und obendrein über so exotische Künste verfügte − das war unwiderstehlich. Sie steckten die Waffen ein, und manche fielen auf die Knie.

Henry grinste zufrieden. »Was hast du ihnen gesagt?«, fragte er neugierig.

»Nur die Wahrheit, Cousin«, beteuerte Alan.

»Ja, darauf wette ich. Und was machen wir jetzt?«

Alan sah sich um und dachte einen Moment nach. »Wir sollten auf dieser Seite des Flusses lagern.«

»Damit sie uns die Brücke nicht wieder wegnehmen?«, fragte Henry zweifelnd. »Aber wäre es nicht wichtiger, Wallingford zu schützen?«

Alan nickte. »Das tun wir.« Er wies nach Osten. »Da liegt Westminster. Von dort wird Stephen kommen, und zwar bald.«

»Du hast recht. Wenn er kommt, wollen wir nicht schon wieder am anderen Ufer eines verdammten Flusses liegen. Dieses Mal will ich endlich die Entscheidung.«

Die Schatten im Burghof wurden lang, als aus der Hinterkammer das wütende Gebrüll eines Säuglings erscholl. Simon, der vor der Bretterwand auf- und abgegangen war, bis Miles die Befürchtung äußerte, er werde sich die Stiefelsohlen durchlaufen, blieb stehen, senkte den Kopf und bekreuzigte sich.

Es dauerte noch einmal eine halbe Ewigkeit, bis die Tür sich öffnete und Lady Katherine heraustrat. Unter dem linken Arm hielt sie einen Wäscheberg, den Simon lieber nicht genauer betrachten wollte. Die rechte Hand legte die sonst so scheue Lady Katherine für einen Moment auf seinen Ärmel, und sie lächelte. »Alles ist gut, Mylord. Nur ein Mädchen, fürchte ich, aber beide sind wohlauf. Geht nur und seht selbst.«

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Leise schlüpfte er in die Kammer. Eine Magd ging umher und löschte alle Lichter bis auf eines auf dem Tisch. Zwei weitere Frauen standen neben dem Bett und blickten andächtig darauf hinab, doch als sie Simon entdeckten, lächelten sie ihm zu und bedeuteten der Magd, mit ihnen hinauszukommen.

Philippa schlief; das Gesicht auf dem Kissen war ihm zugewandt. Dunkle Schatten lagen unter den Augen, und sie erschien ihm furchtbar schmal, aber der volle Mund lächelte ein wenig. Das Neugeborene lag auf ihrer Brust und schien ebenfalls zu schlafen. Das Gesicht war noch gerötet und ein wenig verknittert, aber die Frauen hatten das Kind gewaschen und in eine Windel gewickelt. Simon konnte sich nicht erinnern, je etwas so Winziges gesehen zu haben. Magisch angezogen trat er noch einen Schritt näher. Das Unglaublichste, fand er, waren die Füße. Nicht größer als ein Birkenblatt, mit so klitzekleinen Zehen, dass ihm einfach kein Vergleich einfiel. Oder doch. Wassertropfen, entschied er. Die Zehen waren so klein wie Wassertropfen.

Philippa regte sich, öffnete die Bernsteinaugen und sah ihn an. »Ich habe so gebetet, dass es ein Junge wird und er so aussieht wie du, damit er mich an dich erinnern kann. Nun ist es ein Mädchen, und es stellt sich heraus, dass ich keine Erinnerung an dich brauche, weil du nicht tot bist.« Sie schüttelte den Kopf, fast ein wenig ungeduldig, schien es. »Immer kommt alles anders, als man gedacht hat.«

Lächelnd ließ er sich auf der Bettkante nieder und ergriff ihre Hand. »Oh ja. Ich weiß. Geht es dir gut?«

Sie nickte, sah auf ihre Tochter hinab und strich ihr sacht mit dem Finger über den Rücken. »Es war ein bitterer Winter. Ich habe … um dich getrauert.«

Simon beugte sich über sie und küsste ihre Stirn. »Das ehrt mich. Ich kann nur hoffen, dass ich es auch verdient habe. Es tut mir leid, dass ich gegangen bin, ohne Lebewohl zu sagen, Philippa.«

»Ich weiß, dass du nichts anderes tun konntest, denn ich hätte dich nicht gehen lassen. Als ich gemerkt habe, dass ich ein Kind bekomme, wurde es besser. Es war ein großer Trost. Obwohl es natürlich alles noch schwieriger gemacht hat. Du darfst sie übrigens anfassen, Simon de Clare. Immerhin ist sie auch deine Tochter.«

Unsicher hob er die Hand und tat es Philippa gleich, berührte behutsam mit einem Finger den weichen Flaum auf dem Kopf des Kindes. »Ich habe Angst, sie zu wecken«, flüsterte er. Aber nachdem er einmal angefangen hatte, konnte er nicht wieder aufhören.

»Katherine sagt, Henry Plantagenet ist gekommen?«, fragte Philippa.

»Mit einer Armee. Ich bringe dir fünfzig Männer und neue Vorräte. Du siehst also, deine Tapferkeit und Unbeugsamkeit haben sich gelohnt.«

Sie ließ den Kopf zurück in die Kissen sinken, und Tränen begannen unter den geschlossenen Lidern hervorzuperlen. »Entschuldige. Das sind einfach zu viele glückliche Wendungen auf einmal.«

Lachend streckte Simon sich neben ihr aus, legte behutsam einen Arm um sie und das Kind und küsste die Tränen weg. »Wie soll sie denn eigentlich heißen, unsere Tochter?«, fragte er.

»Ich weiß nicht«, bekannte Philippa und schniefte unfein. »Für mich stand ›Simon‹ fest.«

»Was hältst du von Maud?«, schlug er vor.

»Nach der Kaiserin?« Philippa überlegte einen Moment. »Warum eigentlich nicht. Ohne sie wäre schließlich nichts von alldem hier passiert.« Sie hob das Kind hoch und fuhr mit den Lippen über die runzlige kleine Wange. »Willkommen in der verrückten Welt, Maud of Wallingford.«

Maud riss die Augen auf, kniff sie gleich wieder zu und fing an zu brüllen.

An diesem Abend gab es in der Halle von Wallingford Castle ein Fest, und Simon, Godric und Wulfric feierten ein frohes Wiedersehen mit Bruder Mark.

»Ich hab’s einfach nicht ausgehalten«, bekannte der junge Mönch. »Nachdem ihr erzählt hattet, dass die Menschen hier drin ohne jeden geistlichen Beistand sind, hatte ich keine Ruhe mehr. Schließlich hat Abt Hugo mir erlaubt, herzukommen.«

»Seid Ihr etwa durch den Tunnel getaucht?«, fragte Godric verwundert. Klosterbrüder gehörten in seiner Vorstellung nicht unbedingt zu den verwegensten Männern.

Bruder Mark errötete und schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht schwimmen. Ich bin einfach an einem Sonntag mit einem großen Kreuz in Händen vors Tor gezogen und hab gebettelt, sie mögen mich einlassen, ehe die Royalisten mich holen kommen.« Mit einem Schulterzucken fügte er hinzu: »Hat geklappt.«

Das erforderte auch nicht weniger Mut als der Tunnel, dachte Simon. »Gott segne Euch, dass Ihr den Menschen hier Trost gebracht habt, Bruder. Und werdet Ihr morgen früh meine Tochter taufen und ihre Mutter und mich trauen?«

»Ich bin kein Priester, Mylord«, rief der Bruder ihm in Erinnerung. »Ich darf das Kind taufen, weil im Moment niemand zur Hand ist, der geeigneter wäre. Aber mit der Heirat solltet ihr lieber warten. Es kann ja nur noch eine Frage von Tagen sein, bis das Burgtor von Wallingford sich endlich wieder öffnen kann.«

»Ich würde sagen, das hängt davon ab, wann König Stephen kommt«, gab Simon nüchtern zurück. »Wie groß und wie stark seine Armee ist. Wer die Schlacht gewinnt.«

Wulfric schenkte ihm nach. »Du musst mehr trinken, Simon, glaub mir. Auch beim Vaterwerden gibt es nur ein erstes Mal.«

Simon erwiderte sein Grinsen und hob folgsam den Becher, den er mit Miles teilte.

Der bemerkte: »Du hast schon letztes Jahr geweissagt, dass dieser Krieg sich in Wallingford entscheiden wird.«

Simon schnitt eine kleine Grimasse. »Ein erhebendes Gefühl, recht zu behalten. Nur schade, dass ich nicht weiß, wie dieser Krieg ausgeht.«

Sobald sie ihn ließen, kehrte er zu Philippa und Maud zurück. Beide schliefen. Er warf einen Blick aus dem schmalen Fenster auf die Wachfeuer am anderen Flussufer, wo Henrys Armee lag. Dann löschte er das Licht und legte sich neben Mutter und Kind aufs Bett. Die Nacht war heiß, und er war dankbar für die Kühle des Lakens.

Philippa regte sich in der Dunkelheit. »Erzähl mir, wieso du noch lebst«, bat sie.

»Morgen«, versprach er.

»Meinetwegen.« Sie legte den Kopf auf seine Schulter. »Simon?«

»Hm?«

»Wird Henry Plantagenet die Schlacht gewinnen?«

»Das weiß Gott allein. Er hat das Zeug. Er ist ein hervorragender Soldat. Aber das ist Eustache de Boulogne auch. Und wer kann sagen, wie viele Männer König Stephen aufbieten wird?«

»Und du sorgst dich, was mit Maud geschieht, wenn Stephen und Eustache siegen und diese Burg doch noch fällt?«

»Sollte das geschehen, wird es für uns alle finster aussehen. Aber du hast schon recht. Plötzlich die Verantwortung für so ein winziges, schutzbedürftiges Würmchen zu haben … lässt die Dinge in einem ganz anderen Licht erscheinen.«

»Ich weiß. Das geht mir genauso. Aber ich bin trotzdem froh, dass Gott sie uns gerade jetzt geschenkt hat.«

»Ist das wahr? Warum?«

»Weil du mich nun heiraten musst«, murmelte sie schläfrig.

Simon lächelte in die Dunkelheit. Es stimmte, erkannte er. Maud war gerade einmal sechs Stunden alt, aber sie hatte schon ein Wunder gewirkt. Denn die Frage, ob er heiraten durfte oder nicht, stellte sich nicht mehr. Erstaunt, beinah irritiert erkannte er, dass es Umstände gab, die entscheidender waren als die verfluchte Fallsucht. Er wandte den Kopf, um Philippa zu küssen, erwischte in der Finsternis aber nur ihr Augenlid. »Das kommt mir durchaus entgegen«, gestand er.

Die Armee, die König Stephen und sein Kronprinz in Eilmärschen nach Wallingford führten, war nicht so groß, wie manche befürchtet hatten, denn viele Lords, die der König mit ihren Rittern und Soldaten zu den Waffen gerufen hatte, waren nicht gekommen. So brachten es auch die Royalisten auf nicht mehr als dreitausend. Vielleicht ein-, zweihundert Berittene weniger als Henry, dafür mehr Armbrustschützen, berichtete der Späher.

Kaum hatte er geendet, da tauchten in der Ferne die ersten Banner auf.

Henry und die übrigen Kommandanten, die sich vor seinem Zelt eingefunden hatten, um den Bericht des Spähers zu hören, waren schon gerüstet.

»Sattelt mein Pferd, beeilt euch«, wies der junge Herzog seine Knappen an. »Also, Monseigneurs, wie besprochen: Alan, du befehligst die Vorhut. Gloucester, Ihr die linke Flanke, Ihr die rechte, Leicester, ich die Mitte.«

Die drei Männer nickten. Alan trat zu Ælfric und Athelstan, die in der Nähe warteten. »Macht euch bereit«, sagte er leise. »Sie werden in einer Stunde hier sein. Es kann jetzt sehr schnell gehen.«

Die beiden Ritter nickten und wollten davongehen, aber Alan war noch nicht ganz fertig. »Ich nehme an, dass Eustache Stephens Vorhut anführen wird. Es ist nicht nötig, das den Männern zu sagen; ich will nicht, dass sie sich nur vor einem Namen fürchten. Aber macht ihnen klar, dass wir uns keine Fehler erlauben können.«

»Wird gemacht, Mylord«, versprach Ælfric, und sie eilten davon.

Vater Bertram, Henrys Kaplan, trat aus seinem Zelt und kam zu ihnen herüber, um Henry und seinen Kommandanten die Beichte abzunehmen. Um sich selbst und ihnen Peinlichkeiten zu ersparen, kehrte Alan dem Zelt den Rücken und ging ein paar Schritte am Ufer entlang.

Nicht lange, und die schemenhaften Gestalten in der Ferne nahmen klarere Formen an. Eine gewaltige Staubwolke hüllte die marschierende Armee ein, sodass sie wie ein riesenhaftes Ungeheuer aussah, das sich langsam über die Ebene auf den Fluss zuwälzte. Doch als sie näher kam, verflüchtigte sich die beunruhigende Illusion, und Alan erkannte ohne Überraschung, dass die Royalisten bereits in dreiteiliger Schlachtordnung marschierten.

Er machte kehrt. Ihre eigenen Truppen waren dabei, sich zu formieren, aber sie waren zu langsam. »Henry«, rief er gedämpft durch den Zelteingang. »Genug gebetet!«

Henry, Gloucester und Leicester kamen aus dem Zelt, warfen einen Blick nach Osten und setzten die Helme auf. Henry umarmte sie kurz, Alan als Letzten. »Gott sei mit dir, Cousin.« Seine Augen funkelten, aber seine Miene war grimmig. Das war es, was Henry zu einem so gefährlichen Feldherrn machte, wusste Alan: Er liebte die Herausforderung eines Kampfes, genoss es, seine Kräfte und seine Schläue mit der seines Gegners zu messen, aber er ließ sich nicht zum Übermut verleiten. So leichtsinnig er auch in vieler Hinsicht sein mochte, vergaß er doch niemals, dass das Vergießen von Blut eine ernste Angelegenheit war.

»Gott sei mit uns allen, Henry«, antwortete Alan, saß auf und ritt an die Spitze der Vorhut.

Vielleicht noch eine halbe Meile entfernt, hielt König Stephens Armee an. Sie bildete eine geschlossene, gerade Linie, sodass sie beinah wie ein angelsächsischer Schildwall aus alten Liedern aussah, nur dass Stephens Vorhut beritten war. Drei Gestalten lösten sich aus der Formation, ritten einige Längen vor und trafen zusammen. In der linken Flanke bildete sich eine Gasse, ein weiterer Reiter kam hindurch und schloss sich der kleinen Gruppe an.

»Strategische Beratungen?«, spöttelte Ælfric. »Ein bisschen spät, oder?«

Alan gab keinen Kommentar ab. Was immer es war, das Stephen noch mit seinen Kommandanten zu erörtern hatte, es schien eine längere Debatte zu werden.

»Worauf zum Henker warten sie denn?«, fragte Athelstan ärgerlich. Er war nervös.

»Vielleicht darauf, dass die Garnison von Crowmarsh sich ihnen anschließt«, erwiderte Alan. »Simon de Clare schätzt, dreihundert Mann. Darauf zu warten lohnt sich.«

Eine halbe Stunde verging in gespenstischer Stille. Immer noch berieten die Royalisten. Und das Tor von Crowmarsh Castle blieb geschlossen. Auch auf der Brustwehr regte sich nichts. Man hätte meinen können, die Burg sei verlassen.

»Ich fange an, mich zu fragen, ob der hochehrenwerte Richard de Clare da drinnen gerade beschließt, die Seiten zu wechseln«, sagte Ælfric.

»Es wäre möglich«, räumte Alan ein. Nach allem, was Simon ihm über seinen Cousin erzählt hatte, war der bezüglich seiner Loyalität zu König Stephen und vor allem zu Eustache de Boulogne ziemlich ins Grübeln geraten.

Eine weitere Viertelstunde standen sie in voller Rüstung unter der sengenden Julisonne, als Henry es nicht länger aushielt und an die Spitze der Vorhut galoppiert kam.

»Was ist da drüben los?«, grollte er.

Alan zuckte ratlos die Schultern. »Wir fragen uns gerade, ob Stephen vergeblich auf Richard de Clare und die Besatzung von Crowmarsh wartet.«

»Na und? Er hat auch ohne sie genügend Männer, um wenigstens schon mal anzufangen.«

Alan nickte.

»Jetzt tut sich irgendwas«, murmelte Ælfric.

Einer der Männer löste sich aus der Gruppe, riss sein Pferd rüde herum und galoppierte zurück zur Vorhut, deren Männer hastig auseinanderstoben, um ihn durchzulassen. Ein weiterer Reiter setzte sich in Bewegung und trabte geradewegs auf Henrys Armee zu.

Schweigend sahen sie ihm entgegen, und als er näher kam, sagte Henry verwundert: »Bei den Augen Gottes! Ist das nicht …« Er brach verwirrt ab.

»Thomas Becket«, sagte Alan.

»Was hat der Sekretarius des Erzbischofs von Canterbury bei Stephen zu suchen? Vor ein paar Wochen hat er mir noch beteuert, der Erzbischof träume davon, mir die englische Krone aufzusetzen.«

Alan schwieg und nahm den Helm ab, damit Becket ihn erkennen konnte. Der ritt genau auf sie zu, hob die edel behandschuhte Rechte zum Gruß und hielt an. Vor Henry verneigte er sich: »König Stephen hat mich ersucht, Euch eine Nachricht zu überbringen, Euer Gnaden.«

Auch Henry nahm den Helm ab und betrachtete den eleganten Kirchenmann einen Moment mit undurchschaubarer Miene. »Es muss eine verdammt schlechte Nachricht sein, wenn du so ungewohnt förmlich bist, Tom.«

Der schüttelte den Kopf. Er wirkte bleich und angespannt, aber nicht furchtsam. »Im Gegenteil, Henry. Aber heute könnte der wichtigste Tag in deinem Leben sein, und ich dachte, wir alle täten gut daran, diesem Umstand mit ein bisschen Förmlichkeit Rechnung zu tragen.«

»Alsdann, Monseigneur«, spöttelte Henry. »Was hat mein geliebter Cousin, König Stephen, mir zu sagen?«

»Er bittet Euch zu einer Unterredung.«

»Was denn, jetzt? Ich dachte, wir haben uns hier eingefunden, um eine Schlacht zu schlagen.«

»Jetzt, Euer Gnaden. Auf halbem Weg zwischen seiner Armee und der Euren. Er wird zwei Begleiter mitbringen: den Bischof von Winchester und den Grafen von Flandern.«

»Nicht seinen Kronprinzen?«

»Nein. Er bittet Euch, ebenfalls zwei Begleiter mitzubringen. Als Zeugen.«

Henry dachte nach.

»Bist du sicher, dass es kein Hinterhalt ist, Tom?«, fragte Alan.

Becket schüttelte den Kopf. »Man mag Stephen allerhand nachsagen, aber hinterhältig ist er nicht.«

»Eustache hingegen schon.«

»Eustache ist eben wutentbrannt davongeritten. Ich nehme an, ihr habt es gesehen; er hätte um ein Haar die eigene Vorhut niedergemäht. Seit Tagen führen der Erzbischof und der Bischof von Winchester geheime Verhandlungen. So geheim, dass nicht einmal ich weiß, worum genau. Aber ich denke, die Unterredung, die Stephen wünscht, hängt damit zusammen.«

Henry hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Als Becket verstummte, nickte er. »Alan, Tom. Erweist mir die Ehre und begleitet mich zu meiner Unterredung mit König Stephen.«

Er ritt an, ohne sich nach ihnen umzuschauen, und war schon angaloppiert, als Becket noch sein Pferd wendete.

Auf der anderen Seite des noch jungfräulichen Schlachtfeldes setzte sich ebenfalls eine Gruppe von drei Reitern in Bewegung. Im leichten Galopp hielten sie auf Henry und seine Eskorte zu. Wachsam blickte Alan ihnen entgegen. Es war das erste Mal, dass er König Stephen von Angesicht sah: einen großen, breitschultrigen Mann mit grauem Haupt- und Barthaar auf einem Schlachtross. Das Bild eines wehrhaften, altersweisen Herrschers, dachte Alan flüchtig, bis man ihm in die Augen schaute. Dort waren weder Kampfeswille noch Weisheit zu lesen. Nur Erschöpfung und Resignation.

Fünf Schritte voneinander entfernt hielten die beiden Gruppen an, und die sechs Reiter deuteten eine Verbeugung an.

Eigentlich wäre es ein Gebot der Höflichkeit gewesen, dem König die Eröffnung zu überlassen, aber Alan wusste, Henry war nicht nach England gekommen, um Stephen Höflichkeit zu erweisen.

»Nun, Monseigneur?«, fragte der junge Herzog der Normandie kühl. »Was habt Ihr mir zu sagen, ehe wir in die Schlacht ziehen und Gott entscheiden lassen, wer über England herrschen soll?«

»Dies, Monseigneur«, entgegnete König Stephen und sah seinem jungen Verwandten in die Augen. Er war ein würdevoller König, das konnte ihm niemand absprechen. »Ihr sollt wissen, dass ich diese Schlacht nicht schlagen will, in der Engländer das Blut von Engländern vergießen würden.«

Alan stockte beinah der Atem. Konnte es möglich sein, dass der Albtraum eines solchen Gemetzels ihnen erspart bleiben sollte?

»Und wozu genau habt Ihr Eure Engländer hergeführt, wenn nicht zu dem Zweck, die meinen zu erschlagen?«, höhnte Henry.

Er ist wütend, erkannte Alan. Er konnte auch verstehen, dass sein junger Cousin das Gefühl hatte, hier werde ein derbes Spiel mit ihm getrieben, aber Henry musste Stephen die Gelegenheit geben, sein Gesicht zu wahren und zu sagen, was immer er zu sagen hatte. Während Alan noch mit sich rang, ob er eingreifen sollte, bat Becket: »Euer Gnaden, ich ersuche Euch inständig – auch im Namen des Erzbischofs, der Euch wohlgesinnt ist, wie Ihr wisst −, hört Euch an, was der König zu sagen hat.«

Henry stieß hörbar die Luft aus und starrte einen Moment auf den Widerrist seines Pferdes. Dann blickte er Stephen wieder an und nickte.

Der König richtete sich auf und verschränkte die Hände auf dem Sattelknauf. »Ich habe meine Armee hierhergeführt, um Euch zu vergegenwärtigen, dass ich aus einer Position der Stärke mit Euch verhandele. Und hättet Ihr tausend Männer weniger, hätte ich auch nicht gezögert, diese Schlacht zu schlagen, wie Prinz Eustache um jeden Preis wollte. Aber Gott hat es so gefügt, dass unsere Truppen gleich stark sind, Cousin Henry. Und mein Bruder«, er ruckte das Kinn fast unmerklich zum Bischof von Winchester hinüber, »versichert mir, dass Gott Euch und mir damit sagen will, es sei genug Blut geflossen.«

»Besinnt Euch, mein Sohn«, bat Henry of Winchester eindringlich. Er sah dem König ähnlich, hatte die gleiche Adlernase und die wachen dunklen Augen. Doch sah man ihm an, dass er das bequeme Leben eines reichen Kirchenfürsten geführt hatte: Er war fett − ein Übel, mit dem viele Männer des normannischen Herrschergeschlechts geschlagen waren. »Besinnt Euch auf das göttliche Gebot: Du sollst nicht töten. Legt die Waffen nieder.«

»Und dann?«, fragte Henry verständnislos. »Ihr erwartet, dass ich das Unrecht vergesse, das meiner Mutter zugefügt wurde, und in die Normandie zurückkehre? Weil Ihr mich so nett darum bittet? Das könnt Ihr Euch aus dem Kopf schlagen, Cousin. Ich bin zuversichtlich, dass ich diese Schlacht gewinnen kann. Also, was bietet Ihr mir, um sie abzuwenden?«

»Das, was Ihr so sehnlich begehrt«, antwortete Stephen mit einem Seufzen. »Meine Krone.«

»Tja, Merlin. Da war ich erst einmal sprachlos«, bekannte Henry, ließ sich in den Sessel zurücksinken und breitete die Arme aus wie ein Gekreuzigter, um anzudeuten, wie König Stephens unerwartetes Angebot ihn erschüttert hatte.

»Schade, dass ich nicht dabei war«, bemerkte Simon. »Ein einziges Mal im Leben hätte ich dich gern sprachlos gesehen.«

Henry lachte in sich hinein, und die Augen, die durch die bescheidene Halle schweiften, leuchteten.

In Wallingford Castle gab es schon wieder ein Fest, und zwar eines, wie die altehrwürdige Halle es lange nicht erlebt hatte: Weiße Laken bedeckten die Tafeln, die unter den Platten mit Fleisch und Brot zusammenzubrechen drohten. Unten im Hof wurden ganze Ochsen und Hammel am Spieß über großen Feuern gebraten, und mehrere Weinfässer, die in Henrys Tross mitgeführt wurden, waren hereingeschafft worden. Es war voll und laut in der Halle. Aus dem Augenwinkel sah Simon, dass Miles Beaumont und sein Vater, der Earl of Leicester, sich schon wieder in die Arme gesunken waren. Seit Stunden begingen sie ihr unverhofftes Wiedersehen.

»Und was hast du also gesagt, nachdem du die Sprache wiedergefunden hattest?«, wollte Simon wissen.

»›Warum?‹, habe ich ihn gefragt. ›Warum ausgerechnet jetzt?‹«

Weil Ihr der Richtige seid, hatte der König erwidert, und man konnte ihm anhören, wie schwer ihm dieses Eingeständnis fiel. Das ist es, was Lords und Bischöfe in England glauben, Monseigneur. Und der Papst glaubt es auch. Ich bin zu alt, um die Augen vor den Realitäten zu verschließen. Gegen so viel Widerstand kann ich den Thronanspruch meines Sohnes nicht durchsetzen.

»Aber was denn aus Eustache werden solle, hab ich ihn gefragt. Der König schlug vor, dass ich schnellstmöglich nach Winchester kommen solle, um dort mit ihm, seinem bischöflichen Bruder und dem Erzbischof von Canterbury die Einzelheiten auszuhandeln. Aber worauf es hinauslaufen wird, ist wohl dies: Stephen bleibt König von England und setzt mich als Erben ein. Eustache und sein jüngerer Bruder William werden mit großzügigen Ländereien in England und der Normandie entschädigt, und ich soll Eustache als Erben einsetzen, bis ich einen eigenen Sohn bekomme.« Er zwinkerte Simon verschwörerisch zu. »Ich dachte, das sei vielleicht nicht der beste Moment, um Stephen zu erzählen, dass Aliénor guter Hoffnung ist …«

»Sei versichert, er weiß es«, widersprach Simon. »Aber alle Welt glaubt, deine Frau könne nur Mädchen zur Welt bringen.«

»Das werden wir ja sehen«, brummte Henry, griff nach einem Stück Brot und tunkte den Bratensud auf seinem Teller damit auf. Aber er biss nicht ab, sondern fuhr versonnen fort: »Auf dem Rückweg hat Alan gesagt, er glaube nicht, dass ich auf meine Krone lange warten müsse. Stephen sei des Lebens überdrüssig, meint er.«

Gut möglich, dachte Simon. »Wo ist Alan überhaupt?«

»In der Kapelle.« Henrys Augen funkelten spitzbübisch. »Nachdem wir Stephens sofortigen Abzug und unser baldiges Treffen ausgehandelt hatten, habe ich den Bischof von Winchester zum Zeichen seiner aufrichtigen Freundschaft um eine kleine Gunst gebeten …«

Simons Herzschlag beschleunigte sich. »Oh, Henry. Sag nicht …«

»Doch, doch. Er hat Alans Exkommunikation mit unterzeichnet. Also kann er sie auch wieder aufheben. Das hat er getan, da und dort, auch wenn er ein bisschen verdrossen dabei aussah. Streng genommen muss der Bischof von Norwich noch zustimmen, aber Bischof Henry hat uns angedeutet, dass der Bischof von Norwich nicht in der Position sei, ihm einen Gefallen zu verweigern. Alan muss eine saftige Geldbuße zahlen, die Nacht auf den Knien in der Kapelle verbringen und beichten, dann darf er ab morgen wieder die Messe hören und die Kommunion empfangen.«

Simon betrachtete seinen Herzog und zukünftigen König mit einem warmen Lächeln. »Gott segne dich, dass du in der Lage bist, in solch einem Moment an deine Freunde zu denken.«

Henry hob abwehrend die Hand. »Ohne Alan of Helmsby wäre dieser Moment nie gekommen. Er und Gloucesters Vater haben die Sache meiner Mutter hier in England lebendig gehalten. Und ohne Alans Rat wäre ich mit meinen zwölfhundert Mann gegen Stephen in die Schlacht gezogen, nicht mit den dreitausend, die wir heute haben, und den gesicherten Midlands im Rücken. Es ist vielmehr sein Triumph als meiner. Also war es das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Außerdem …« Er brach ab und stand auf. »Lady Philippa! Mein treuester Vasall. Oder heißt es Vasallin? Bitte, nehmt Platz, Madame. Ihr seht ein wenig erschöpft aus.«

Simon hatte sich ebenfalls erhoben, war zu ihr getreten und hatte den Arm um ihre Schultern gelegt. Willig ließ sie sich zu Henrys Sessel führen. »Habt Dank, Monseigneur. Wenn Ihr gestern ein Kind geboren hättet, wäret Ihr auch erschöpft, glaubt mir.«

Henry lachte. »Darauf wette ich. Und? Wann wird geheiratet? Ich borge Euch gern Vater Bertram dafür. Er macht das sehr würdevoll.«

Simon stellte sich hinter Philippa und legte die Rechte auf die Rückenlehne des Sessels. »Morgen früh«, antwortete er.

Philippa legte ihre Hand auf seine, wandte den Kopf und küsste seinen Daumen. »Je eher, desto besser. Nicht dass du es dir noch anders überlegst, Simon de Clare.«

»Oh, seid unbesorgt, Madame«, sagte Henry beschwichtigend. »Simon ist ein Muster an Beharrlichkeit und Standhaftigkeit, solltet Ihr das noch nicht wissen. Außerdem wird er eine Braut, die Wallingford und alles Land, das Brian fitzCount gehalten hat, in die Ehe einbringt, kaum verschmähen.«

Philippa atmete tief durch. »Ihr lasst mir die Ländereien meines Vaters? Das ist sehr großzügig, Monseigneur.«

Henry verneigte sich artig. »Auch in Eurem Fall gilt: Das ist das Mindeste, was ich Euch schulde. Und Eurem Gemahl genauso.«

Alan hatte überhaupt nichts dagegen gehabt, die Nacht in der Kapelle zu verbringen, denn er hatte Gott eine Menge zu sagen. In beinah sechs Jahren hatte sich allerhand aufgestaut, und er war so selig darüber, wieder in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen zu sein, jedes Gotteshaus betreten zu dürfen und nicht länger von den Sakramenten ausgeschlossen zu sein, dass er damit liebäugelte, für ein paar Tage bei den Mönchen in Abingdon um Aufnahme zu bitten. An ihren Gebeten und Gottesdiensten und ihrer Einkehr teilzuhaben und sich nach der langen Verbannung ganz in Frömmigkeit und Spiritualität zu ergehen. Aber daraus konnte vermutlich nichts werden, wusste er. König Stephens unerwartetes Angebot gab Anlass zur Hoffnung, dass der Krieg nun tatsächlich vorüber war, aber Alan machte sich nichts vor. Gefährliche Wochen lagen vor ihnen. Er zweifelte, dass Eustache de Boulogne die Entscheidung seines Vaters einfach tatenlos hinnehmen würde. Die Verhandlungen in Winchester bargen viele Tücken und mochten scheitern. Und das Wichtigste war jetzt, Henrys Leben zu schützen, denn nicht alle Lords in England, die sich während der langen Kriegsjahre Macht und Reichtümer angeeignet hatten, wollten einen starken, jungen König auf dem Thron, der sie in ihre Schranken wies.

Ein Geräusch von der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Alan blickte auf. »Vater Bertram?«

»Ich bin es.«

»Simon.«

»Ich dachte, ich bete ein bisschen mit dir, wenn du keine Einwände hast.«

Alan machte eine einladende Geste. »Natürlich nicht. Aber ich warne dich. Die Fliesen von Wallingford Chapel sind härter als alle, an die meine Knie sich erinnern.«

Unerschrocken kniete Simon sich einen Schritt von ihm entfernt vor den schmucklosen Altar. »Es dämmert«, bemerkte er und wies nach oben.

Hier brauchte man nicht aus dem Fenster zu schauen, um die Tageszeit in Erfahrung zu bringen, denn der Dachstuhl der Kapelle war schon letztes Jahr nach einem Angriff der Royalisten ausgebrannt, und Bruder Mark behauptete, es sei nur einem göttlichen Wunder zu verdanken, dass das kleine Gotteshaus nicht in sich zusammenfiel.

»Mein Hochzeitstag«, fügte Simon mit einem ungläubigen Kopfschütteln hinzu. »Ich hätte nie gedacht, dass dieser Tag kommt.«

Alan lächelte ihm zu. »Der Tag, an dem ich wieder die Kommunion empfangen darf. Dass er kommt, habe ich auch kaum noch zu hoffen gewagt.«

»Was ist nur los, Alan? Alles soll sich mit einem Mal zum Guten wenden? Das ist mir unheimlich.«

»Oh, sei unbesorgt. Der nächste Rückschlag wird nicht lange auf sich warten lassen«, beruhigte Alan ihn.

Philippa of Wallingford war eine hinreißend schöne Braut in einem unpassend zerschlissenen, vielfach geflickten Kleid, und als Simon vor der Tür der Kapelle zu ihr trat und ihre Hand nahm, schenkte sie ihm ein Lächeln, von dem man selbst auf zehn Schritt Entfernung weiche Knie bekommen konnte, befand Alan. Er beobachtete Simon mit Befriedigung und einem Stolz, auf den er keinerlei Anrecht hatte, wie er wusste.

»Mordskerl geworden, unser fallsüchtiges Bübchen, he«, raunte Wulfric ihm ins Ohr.

Er nickte, ohne sich umzuwenden. Simon war schon lange das, was Alans Großmutter gern »einen wahren Edelmann« genannt hatte, aber mit seiner Braut an der Hand – die pikanterweise sein Kind im Arm hielt – strahlte er ein neues Selbstvertrauen aus, und zumindest für den Moment war die Melancholie aus seinem Blick verschwunden.

»Ja. Ein Mordskerl«, murmelte Alan.

»Du wirst uns doch nicht rührselig, Losian?«, fragte Godric argwöhnisch.

»Unsinn.« Alan musste sich räuspern. »Ich dachte nur gerade, was für ein langer Weg es war von der Isle of Whitholm bis hierher.«

Vater Bertram war ein hochgebildeter Geistlicher, aber zum Glück kein sehr strenger Moralwächter. Sowohl in Rouen wie auch in Angers hatte er eine Geliebte, die ihm beide zuverlässig Jahr um Jahr einen kleinen Bastard schenkten. So kam es, dass Vater Bertram nach der Trauung an der Kirchentür im Innern des halb zerstörten Gotteshauses die Taufe der kleinen Maud vornahm, ohne mit der Wimper zu zucken. Lady Katherine, Alan und Henry fanden sich als Paten am Taufstein ein.

»Zwei männliche Paten und nur eine Dame?«, fragte Bertram. »Aber es ist ein Mädchen. Da macht man es eigentlich umgekehrt.«

Henry nickte. »Ich stehe hier stellvertretend für meine Gemahlin. Was denkt Ihr, Vater, geht das?«

Der Priester nickte und versteckte sein Grinsen hinter einem Kreuzzeichen. »Mir will scheinen, hier geht heute alles, Monseigneur.«