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Gabriel und der Professor waren – gelinde gesagt – in einer ziemlich misslichen Lage. Die beiden Männer, die sie aufgegriffen hatten, stritten darüber, was sie mit ihnen anfangen sollten, doch anders als im Film bot sich ihnen dadurch nicht die Gelegenheit zur Flucht. Die beiden Soldaten waren dafür zu intelligent. Sie hatten die beiden Männer an einen Felsen gelehnt gefesselt, und konnten so ungestört ihre Differenzen ausdiskutieren. Der Streit ging im Großen und Ganzen darum, ob sie sich selbst um die beiden Männer kümmern sollten, oder ob sie sie zum Rest der Karawane bringen sollten.
„Wir könnten versuchen, den Premierminister zu finden, um zu sehen, wie er mit ihnen verfahren will.“
„Du musst ein Idiot sein, so etwas zu denken. Er würde zuerst uns und dann die beiden umbringen. Du hast ihn vorhin gehört. Wir sollen zurückgehen und auf ihn warten. Das ist alles. Er hat sich ziemlich klar ausgedrückt.“
„Wenn wir die Karawane wieder einholen wollen, müssen wir uns beeilen, denn ich kann sie kaum noch sehen. Hier verschwenden wir nur unsere Zeit.“
„Was, wenn sie sich weigern zu gehen?“
Ihre beiden Gefangenen erlebten ihren Streit sehr unterschiedlich. Der Professor war in Panik. Er dachte über die besten und schlimmsten Zeiten seines Lebens nach und bereute seine Trinkerei und die Trennung von seiner Frau genauso wie ihre unterschiedlichen philosophischen Ansichten und den Verlust seines Jobs an der Uni und das Ende seiner Mentorenschaft für einen besonders intelligenten Studenten namens Mark Lockheed…
Gabriel Mizrahi hingegen befreite sich in der Zwischenzeit vorsichtig von seinen Fesseln. Er war dankbar, dass die Männer ihnen die Hände hinter dem Rücken gefesselt hatten – ein Anfängerfehler. Gabriel kannte eine Technik, die dem Professor fremd war. Aus seiner Zeit beim Mossad wusste er, dass er, wenn er gefesselt wurde, tief einatmen und seine Hände zu Fäusten ballen musste. Dadurch spannten sich die Muskeln an, und die Adern an seinen Handgelenken traten hervor, sodass es den Männern vorkam, als hätten sie ihn fest gefesselt, doch sobald er sich wieder entspannte, hatte er ein wenig Spielraum. Es war nicht viel, doch es reichte aus, und der Streit zwischen den beiden Soldaten schenkte ihm kostbare Zeit. Er hatte genug Zeit und Bewegungsfreiheit, einen scharfen Stein hinter sich zu finden und sich ans Werk zu machen.
Er rieb den Stein gegen das Seil aus Armeebeständen und war fast fertig, als die beiden Soldaten ihren Streit beigelegt hatten. Sie wollten sie zur Karawane bringen. Er hatte das Seil noch nicht ganz durchgeschnitten, doch es musste reichen.
Sie standen wie befohlen auf, und nach einem leisen Stoßgebet riss Gabriel Mizrahi seine Handgelenke mit so viel Kraft auseinander, wie er konnte, um das verbliebene Seil zu zerreißen. Zwei Dinge passierten: er zerriss das Seil und kugelte sich dabei eine Schulter aus. Zum Glück für ihn und den Professor war es die linke Schulter – wäre es die rechte gewesen, wären sie vielleicht in den Bergen gestorben. Während sein linker Arm kraftlos und schmerzend herunterging, holte Gabriel mit dem rechten aus und traf den ersten überraschten Soldaten mit der Faust gegen den Unterkiefer. Der andere Soldat griff nach der Waffe, die über seiner Schulter hing, doch bevor er sie erreichen konnte, rammte Gabriel ihm sein Knie in die Hoden. Der Soldat schrie vor Schmerz auf und ging zu Boden, während der Professor ausholte und ihn in die Brust trat. Sie hatten keine Zeit, zimperlich zu sein.
Gabriel sprang den ersten Soldaten an und riss ihn mit seinem Gewicht zu Boden. Das Überraschungsmoment half dabei. Er riss die Waffe des Mannes, die immer noch an seiner Schulter hing, hoch und presste sie gegen seinen Hals. Mit dem Knie auf dem Lauf und der Hand auf dem Griff der Waffe drückte er zu, bis er ein fürchterliches knirschendes Geräusch hörte und der Mann sich nicht mehr rührte. Er stand gerade rechtzeitig auf, als der Professor den anderen nicht mehr am Boden halten konnte. Er hob die Waffe des Soldaten auf, den er gerade getötet hatte, zielte grob und drückte ab. Die Schüsse des Schnellfeuergewehrs ließen ihre Ohren klingen, doch er schaffte es, damit auch den zweiten Soldaten auszuschalten. Der Professor bekam ein paar Blutspritzer ab, war aber ansonsten unbeschadet. Gabriel zog einem der Toten ein Messer aus dem Gürtel und schnitt die Fesseln des Professors durch. Während er den Soldaten abnahm, was ihnen von Nutzen sein konnte, stand der Professor wie angewurzelt da.
„Wir müssen uns beeilen“, sagte Gabriel. „Wir haben eine Menge Krach gemacht. Bald kommen bestimmt mehr nach. Das ist jetzt nicht die richtige Zeit, zwei Unbekannte zu betrauern.“
„Ja“, murmelte der Professor. „Sie haben ja Recht“, und er half Gabriel, seine Schulter wieder einzurenken.
Beide nahmen jeweils ein Messer und Gabriel nahm einen der vollautomatischen HK416 Schnellfeuerkarabiner, den die Soldaten getragen hatten, doch der Professor ließ sich nicht dazu überreden, den anderen zu nehmen. sie nahmen auch das isotonische Getränkepulver und die EPas aus den Rucksäcken der Soldaten, da ihre eigenen Vorräte langsam zur Neige gingen.
Sie folgten weiter dem Pfad in die Berge ein wenig erschöpfter, doch in dem Bewusstsein, dass sie auf der richtigen Spur waren.