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Mark brauchte nicht lange, um sich zu duschen und einen Smoking anzuziehen. Er war wenig überrascht, dass in dem riesigen Kleiderschrank ein Smoking hing, der ihm wie maßgeschneidert passte. Wenn er in letzter Zeit eines gelernt hatte, dann war es, die Dinge zu nehmen, wie sie kamen. Er streckte sich auf dem Himmelbett aus und rief nach Kathy, die noch im Bad war.

„Bist du bald fertig?

„Nur noch die Ohrringe“, rief sie zurück.

Mark musste innerlich kichern. Es war, als machten sie sich fertig um zur Hochzeit eines Freundes zu gehen, als wären sie aus freiem Willen in einer Suite ihrer Wahl und nicht in einer, in die man sie eingesperrt hatte, nachdem sie zum wiederholten Mal verschleppt worden waren. Langsam wurden sie zu Experten, wenn es darum ging, das Beste aus einer Situation zu machen.

Als sie schließlich aus dem Badezimmer kam, sah Kathy hinreißend aus. Sie trug ein trägerloses smaragdgrünes Ballkleid und hatte ihre Haare zu einem eleganten Chignon hochgesteckt. Nur Makeup trug sie nicht – das war das einzige, was nicht in der Suite für sie bereitgelegen war, doch sie sah auch so umwerfend aus. Ihre Ohrringe waren schlichte Chandeliers, nichts zu Ausgefallenes, doch sie passten perfekt. Mark klatschte langsam Beifall.

„Lass das“, sagte sie. „Lass uns sehen, wie der neuste reiche Mann in unserer Sammlung uns herumschubsen will.“

„Scheint zur Gewohnheit zu werden, findest du nicht?“ Mark lachte und klopfte an die Tür, die auf den Flur führte. Er hörte Schritte, und bald wurde sie von einem ihrer Bewacher geöffnet.

„Hier entlang bitte“, sagte er.

* * *

Reginald Astair hatte seine Zeit in seiner ebenso prächtigen Suite verbracht, wenn auch in wesentlich weniger angenehmer Verfassung. Er saß an die Tür gelehnt und lauschte den Wachen, für den Fall, dass sie irgendetwas ausplauderten was für ihn von Wichtigkeit sein konnte, denn er hatte sonst nichts zu tun. Er wusste, dass er duschen und sich umziehen sollte und musste zugeben, dass er nach ein paar Tagen im Tunnel stank, doch er konnte sich nicht dazu durchringen. Das geschah mit Gralssuchern. Der Gral wollte nicht gefunden werden. Egal wie sehr er es auch versuchte, es gab immer irgendjemanden, der ihn davon abhielt. Er erlebte eine Sinnkrise. Er hatte sein ganzes Leben der Suche nach dem Gral gewidmet, der ihn jedoch nur verspottete und ihm auf gut Deutsch in den Hintern biss.

Er erlaubte sich, sich in Selbstmitleid über seine Niederlage zu suhlen. Doch trotzdem… im Hinterkopf war er noch da. Da war das Bild des Grals in seiner Hand, wie er daraus trank und das sandige Wasser trotzdem gut schmeckte. Das konnte er nicht leugnen. Das Bild war so real für ihn wie alles andere, und er konnte es nicht loswerden. Durch all seine Niederlagen hatte es ihn vorangetrieben, und jetzt, wo er an die Tür seiner Suite gelehnt saß, tauchte es wieder vor seinem inneren Auge auf. Er stand auf und ging ins Bad – er musste vorzeigbar aussehen.

* * *

Kathy und Mark fanden sich in einem prächtigen Saal wieder, wo sie über einen roten Teppich auf einen Mann zu geführt wurden, der auf etwas saß, was man nur als Thron bezeichnen konnte. Der Mann jedoch, der auf der erhöhten Plattform saß, sodass seine Knie etwa auf Augenhöhe mit ihnen waren, sah nicht aus wie ein König, sondern wie ein Bürgerlicher – ein Premierminister. Er trug einen eleganten grauen Anzug mit Weste und hatte einen kurzen Bart. Er trug eine runde, metallgefasste Brille. Das einzige, was auffällig an ihm war, war die goldene Armbanduhr, auf die er einen schnellen Blick warf, als er aufstand und auf das Paar zuging.

„Willkommen, willkommen“, sagte er. „Auch wenn ich zugeben muss, dass Sie länger gebraucht mit dem Umziehen gebraucht haben, als ich erwartet hatte.“

Er streckte dem verwirrten Mark die Hand entgegen und schüttelte sie kräftig. Anschließend nahm er Kathy an der Hand und küsste sie. Er sah ihr in die Augen und lächelte sie strahlend an, bevor er sich schnell umdrehte und in die Hände klatschte. Eine Gruppe von Männern erschien aus dem Nichts und trug einen Esstisch und Stühle herbei.

„Sehr gut, sehr gut“, sagte er, und lud Mark und Kathy mit einer Geste ein, sich zu ihm zu setzen. „Bitte, bitte“, sagte er. Er schien die Angewohnheit zu haben, seine Worte zu wiederholen, doch es wirkte durchaus liebenswert. Er knöpfte sein Jackett auf, zog es aus und warf es theatralisch über die Lehne seines Stuhls. Wieder klatschte er in die Hände, und weitere Männer erschienen mit dampfenden Tellern. „Wunderbar, Lupe, wunderbar. Danke, danke“, sagte er und entfaltete die angebotene Stoffserviette, bevor er sie auf seinem Schoß ausbreitete. Er strahlte Kathy und Mark über den Tisch hinweg an, die sich größte Mühe gaben, entspannt zu wirken, auch wenn es offensichtlich gewesen sein musste, dass sie alles andere als entspannt waren.

Als Hauptgang wurde Hummer mit einer geradezu endlosen Auswahl an Beilagen serviert. Premierminister Kamali aß mit ungewöhnlicher Begeisterung und machte damit jeden Gedanken, dass das Essen womöglich vergiftet sein könnte vergessen. Mark und Kathy waren ziemlich hungrig, nachdem sie im Tunnel außer Trockenfleisch nichts gegessen hatten, was sich auch an ihrem Appetit zeigte.

„Das schlägt Moubrys Tunnel-Trockenfleisch um Längen, nicht wahr?“, lachte ihr Gastgeber. „Ich werde diesen Mann nie verstehen. Nein, nie“, sagte er. „Sehr seltsam, sehr seltsam. Ich wette, dass er zurück zum Tor gelaufen ist, nachdem er Sie hier abgesetzt hat, nicht wahr?“ An den Blicken seiner Gäste konnte er sehen, dass er mit seiner Annahme richtig gelegen war. „Überrascht mich nicht. Überrascht mich wirklich nicht. Er ist ein seltsamer Kauz.“

Wären sie nicht so angespannt gewesen, hätte sie diese Bemerkung ihres Gastgebers zum Lachen gebracht, denn der Goldzahn war wirklich ein ziemlich seltsamer Typ. Als sie aufgegessen hatten und es an der Zeit war, sich ernsteren Dingen zuzuwenden, wischte sich der Premierminister den Mund mit der Serviette ab.

„Ich weiß, dass Sie beiden sich Sorgen machen. Das müssen Sie nicht. Moubry hat mir gesagt, dass Sie keinerlei Schuld trifft. Ihr Gefährte Reginald jedoch, ah, Reginald… bei ihm liegt der Fall jedoch anders. Sie beide haben sich einfach für den falschen Arbeitgeber entschieden. Vergeben und vergessen, vergeben und vergessen, das versichere ich Ihnen.“

Sie nickten und dankten ihm überschwänglich, bis er die Hand hob, um sie zum Schweigen zu bringen.

„Doch da gibt es etwas, worüber ich mit Ihnen sprechen möchte. Ich weiß, was Sie tun… das weiß ich, da sie nicht die ersten sind, die in mein Land geschlichen kommen mit einem Mann mit genau demselben Ziel. Es ist… nun ja, zumindest zum Teil Ihre Schuld und ich bin versucht, es Ihnen übel zu nehmen, doch ich fand ihren Aufsatz so charmant, dass mir das schwer fällt. Was ich möchte, ist, dass Sie weitermachen – jedoch für mich.“

Mark wischte sich den Mund mit der Serviette ab, auch wenn das nicht nötig war. Er gewann damit ein wenig Zeit, um seine Gedanken zu sortieren, bevor er antwortete. Er befand sich auf gefährlichem Gebiet und wollte niemanden beleidigen.

„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir so etwas nicht schon zuvor gehört haben“, sagte Mark, und Kathy musste ein Lachen unterdrücken.

„Mizrahi?“, fragte der Premierminister. „Die beiden sollte man wirklich in einen Sack stecken und verprügeln. Man würde immer den Richtigen treffen, nicht wahr?“, lachte er. „Ich kann Ihnen versichern, dass mein Angebot ein wenig anders ist.“

„Wie das?“, wollte Kathy wissen.

„Ich möchte, dass sie den Gral zerstören.“

Kathy ließ vor Schreck ihr Weinglas fallen, und als es klirrend auf dem Marmorboden zerschellte, floss der Rotwein wie Blut um ihre Schuhe.

 

 

Die Jagd nach dem Heiligen Gral
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