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Mark Lockheed glaubte nicht an Gott, was bedeutete, dass er nicht an göttliche Intervention glaubte, doch das hieß nicht, dass er nicht an ungewöhnliche Umstände glaubte. Wenn er eines aus dem Chaos in den letzten paar Wochen seines Lebens gelernt hatte, dann, dass man immer mit dem Unerwarteten rechnen musste. Und das Unerwartete war genau das, was ihm, Kathy, Giorkis Kamali und dessen Bodyguard zustieß.

Es geschah, als alle schwiegen. Einen Großteil der Wanderung verbrachten Kathy und Mark damit, sich zu unterhalten, oder der Premierminister hielt einen Monolog für alle und jeden, der ihm zuhörte. Nun, da die Karten auf dem Tisch lagen, war nicht viel mehr zu tun als weiterzuwandern und sich zu unterhalten. Der vermummte Bodyguard war der einzige, der nie etwas sagte. Doch als es geschah, schwiegen alle.

Es war schon später Nachmittag und kurz vor Sonnenuntergang. In der Dämmerung hatten sie zu reden aufgehört. Kathy und Mark hielten sich an der Hand, während der Premierminister von einem Stein in seinem Schuh leicht hinkte. Sie waren schon den ganzen Tag unterwegs gewesen und hatten nur kurze Pausen gemacht, darum war niemandem mehr nach Reden zumute.

Kathy war die erste, die bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Sie ließ Marks Hand los, und er drehte sich zu ihr um.

„Stimmt was nicht?“, fragte er.

Sie nickte, doch Mark verstand offensichtlich nicht, was sie meinte. Er hatte sie die letzten paar Tage irritiert. Sie hatte sich wieder erholt und an das Wandern gewöhnt, doch er behandelte sie wie ein Kind. Er machte sich Sorgen um ihre Gesundheit, während er sich Gedanken über viel wichtigere Dinge hätte machen sollen. Doch im Grunde musste sie zugeben, dass seine Sorge um sie süß, wenn auch ungewohnt war und ihr darum auf die Nerven ging.

„Geht’s dir nicht gut?“

„Das ist es nicht. Sei still!“

Sie klang barscher, als sie vorgehabt hatte, doch Mark verstummte, als er die Dringlichkeit in ihrer Stimme bemerkte. Der Premierminister und sein Bodyguard liefen weiter und hörten die geflüsterte Konversation hinter sich nicht.

In diesem Augenblick wurde Mark von einem Kieselstein am Kopf getroffen, dann landete ein größerer Stein neben seinem Fuß. Das Grollen, das folgte, war unverkennbar.

„Lauf!““, rief Kathy und stolperte zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Oberhalb von ihnen ging ein Erdrutsch ab, und wenn sie nicht schnell wegkamen, würden sie günstigstenfalls verschüttet werden – schlimmstenfalls von einer Gerölllawine erschlagen. Ohne sich umzusehen rannten sie los, stolperten und rappelten sich wieder auf, um dem Geröll zu entkommen, das den Berg hinunter geschossen kam.

Als sie in Sicherheit waren und das Donnern aufgehört hatte, standen sie auf und sahen sich um. Beide bluteten. Marks Gesicht war aufgeschürft und voller Schmutz, doch außer ein paar Prellungen und Kratzern war er okay. Kathy hatte sich den Knöchel verstaucht und hatte sich die Unterarme und Ellbogen aufgeschürft, doch insgesamt hatten sie unglaubliches Glück gehabt. Sie sahen sich um, konnten jedoch wegen der Staubwolke, die immer noch in der Luft hing nicht viel sehen. Sie atmeten schwer, waren jedoch froh, überhaupt noch dazu in der Lage zu sein.

Als der Premierminister und sein Bodyguard wieder auftauchten, war es wie in einer Filmszene. Sie kamen aus der Staubwolke, scheinbar aus dem Nichts und wie in Zeitlupe. Der schwarze Umhang des Bodyguards war vom Staub grau gefärbt und Premierminister Kamali hatte eine gebrochene Nase. Sie war deutlich nach rechts verbogen und Kamali versuchte, die Blutung mit einem Taschentuch zu stoppen. Mark und Kathy waren sich nicht sicher, ob sie sich freuen sollten, dass ihre Reisegefährten die Gerölllawine ebenfalls überlebt hatten.

Gemeinsam saßen sie an ihre Rucksäcke gelehnt auf dem Boden und schwiegen, wie sie es bereits vor dem Zwischenfall getan hatten. Wie so oft in der conditio humana entzogen sich die Dinge, die die weitreichendsten Auswirkungen haben, jeglicher verbaler Beschreibung, und genau das erlebten sie gerade.

 

 

Die Jagd nach dem Heiligen Gral
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